Читать книгу Daniel Wolters seltsame Reise zwischen den Zeilen - Klaus M. G. Giehl - Страница 14

11 Im Zoo

Оглавление

Wieder im Jetzt, der Morgen nach dem Bauerndrama

Gegen halb zwölf fiel Daniel aus seinem Bett. Er hatte schlecht geträumt. Wie geprügelt stand er auf, schleppte sich in die Küche, machte sich einen Kaffee, und schlurfte damit ins Esszimmer. Dort stellte er sich vor das Fenster und stierte mit einer Miene auf den Hinterhof, als wären seine Sehnerven unmittelbar hinter den Augäpfeln abgeklemmt und sein Gehirn ausgeschaltet. Ab und an gab es irgendwo in seinem Körper noch eine Aktivität, einen Funken vielleicht, denn hier zuckte ein Ohr und da schielte ein Auge. Geräusche vernahm man nicht, kein Rauschen, kein Knistern. Doch nach und nach, einem beginnenden Nieselregen gleich, tröpfelten wieder Gedanken in Daniels Bewusstsein:

Nass ... Ja ... Nass ... Und Pfütze ... Ja ... Pfütze ... Da ... Und da ... Und da ... Überall ... Pfützen ... Überall Pfützen. – (Und jetzt ein ganzer Satz:) – Offenbar hatte es wieder geregnet. (Das Gehirn war nun angeschaltet, die Sehnerven entwäscheklammert. Und Daniel dachte:) Die Katze lag wie ausgestopft – auf dem Rücken und die Pfötchen in die Höh – im Papiercontainer. Schlief wohl noch. Oder doch ausgestopft? Daniel gähnte und betrachtete den prominenten Bauch der Katze. Nein. Fresslähmung! ... Hm. Es wurde Zeit: Das Zoo–Date mit Charlotte lockte!

Er drehte sich um, nahm durch die halbe Wohnung Anlauf, sprang unter die Garderobe und fing seinen von der Erschütterung (Daniel wog!) vom Bügel gerutschten Mantel auf.

Es war kühl. Am Morgen hatte es geregnet, doch rechtzeitig für den Zoobesuch schien die Sonne. Daniel hatte sich ein Taxi genommen. Klar. Mit einer Verspätung von fünf Minuten fuhr er am Zoo vor, wo Charlotte schon am Haupteingang wartete. Daniel sie sah, sprang seine Herzfrequenz ad hoc auf die eines auf einen Wollknäul zu galoppierenden Hamstermännchens. Charlotte schien zu frieren oder austreten zu müssen, denn sie hüpfte zappelig von einem Bein auf das andere und schaute unruhig umher. Das Taxi näherte sich und parkte schließlich neben einer Pfütze. Er gab dem Taxifahrer ein ansehnliches Trinkgeld – die Herzfrequenz des Fahrers schien sich ebenfalls zu beschleunigen (jedem Tierchen sein Pläsierchen) – und Daniel stieg in höchster Eile aus in die Pfütze. Er schüttelte den Kopf, sprang elegant, doch mit nassen Strümpfen über sie, sputete auf Charlotte zu und sagte, etwas außer Atem:

„Hallo, Charlotte. Sorry, hab mich ein wenig verspätet.“

Sie lächelte in einer Milde, als könne, ja, als müsse sie Daniel einfach alles verzeihen, und meinte:

„Dassss macht doch gar nichtsss. Bei mir wird’sss auch manchmal ein bissssschen sspäter.“

Daniel stockte.

Seit wann lispelte Charlotte? Das hatte er doch nur in seinem Bauerndrama geschrieben! Hatte er da irgendetwas übersehen, falsch eingeordnet oder vergessen?

„Komm, lassss unsss besssser reingehen und herumsspazsieren. Mich frösstelt’sss schon etwasss“, unterbrach sie Daniels Zweifel, und kuschelte sich in ihren Mantel.

„Gut. Ich lad dich ein“, besann er sich sofort.

„Dasss issst aber lieb!“, strahlte sie ihn an.

Daniel und Charlotte trotteten zur Kasse, wo er für sie beide zahlte.

„So, wo willst du zuerst hin?“, fragte er Charlotte, als er ihr das Ticket in die Hand drückte.

„Dasss issst mir wursssst.“ (Auf die lautsprachliche Darstellung von Charlottes Lispeln wird im Folgenden verzichtet. In Anbetracht dieses Lispelns sei indes an dieser Stelle die Frage erlaubt, ob sich hier schon die schlussendliche Verwirklichung Daniels „gewagter Theorie“, der „Vision“, ankündigte! Käme es nun zum endgültigen Verschwimmen der Grenzen zwischen Realität und Fiktion, ja, war es nun so weit, dass aus Fiktion Realität würde?)

„Also mich würden zuerst die Löwen interessieren“, schlug (der noch ahnungslose) Daniel vor, „Schauen wir mal, wo die sind. Er studierte den Lageplan, den er sich an der Kasse hatte geben lassen. „Ah ja“, stellte er nach einem Moment fest, „Wir müssen zunächst am Aquarium entlang, hier hoch, rüber zu den Bären, an den Zebras vorbei und dann sind wir da.“

„Ich bin schon ganz aufgeregt!“, freute sich Charlotte, „Ich war schon ewig nicht mehr im Zoo. Und ich mag Zoo sooo sehr!“

Die zwei machten sich auf den Weg. Die Fische fand Charlotte schön. Die seien echt super bunt und könnten richtig gut schwimmen, ließen sich aber nicht so toll streicheln. Die Büffel seien auch klasse, die seien so lieb und knuffig und erinnerten sie an ihren Papa. Und die Zebras gefielen ihr auch ganz toll. Wenn sie die sehe, müsse sie immer an Mama denken. Daniel fühlte sich wohl. Er genoss Charlottes Kommentare, sah ihr ab und an auf die wie der Schnabel eines Aufziehbadewannenentchens schnabbelnden Marzipanlippen oder die ach so goldigen hin und her und hoch und runter rotierenden Zitronatäugelchen und steckte wohlig seine Hände tief in seine Manteltaschen. Sie kamen bei den Löwen an. Charlotte befand, dass die stanken und böse aussahen. Daniel konnte das verstehen:

„Ich stimme vollkommen mit dir überein, empfinde das ‚böse‘ allerdings eher als ein ‚unberechenbar‘. Wie das Leben eben. Im einen Augenblick trollst du noch neugierig schnuppernd zwischen den Blümchen umher, und im anderen hat dir der Löwe den Kopf abgebissen. Ich finde sie faszinierend, diese Dialektik des Seins!“ Und Daniel ergänzte, gerührt vom Profunden seines Verstehens schnaufend: „Sie nimmt es, wie sie es gibt.“

„Hm? Wie meinst du das?“

„Na, dieses ihr innewohnende Spannungsmoment, diese zerstörerische Schaffenskraft und diese schaffende Wucht der Zerstörung. Das ist monumental! Das Thema schlechthin! In meinem neuen Roman möchte ich ihm eine unverbrauchte Seite abgewinnen, eine strahlende, eine, die uns die Nichtigkeit des ...“

„Da hinten gibt’s Eis. Ich hab Lust auf ein Eis!“

„Aber es ist doch kalt.“

„Och, das macht nichts. Eis mag ich immer.“

„Okay, ich lad dich ein.“

„Das ist aber lieb!“, blinzelte sie ihn an.

Charlotte hatte sich für Vanilleeis entschieden, Daniel für eine heiße Schokolade. Schweigend standen die zwei vor der Bude, sie genüsslich ihr Vanilleeis schleckend, er vorsichtig die einen Hauch zu heiße Schokolade schlürfend. Charlotte hatte das Eis schnell bis auf den letzten Tropfen aus der Waffel gesogen und diese mit einem Bissen verschlungen. Daniel war beeindruckt. Charlotte fragte:

„Kann ich noch eins haben?“

„Klar. Mit meiner Schokolade dauert’s eh noch.“

Nach Charlottes drittem Eis hatte Daniel seine Schokolade endlich ausgetrunken. Weil es Charlotte gar so gut gemundet hatte, kaufte er ihr noch ein viertes und die beiden setzen ihren Spaziergang durch den Zoo fort.

Kurz hinter den Pinguinen quiekte Charlotte begeistert:

„Schau mal, Daniel. Eine Ziege! Ist die nicht süß?“ In ihrem unbändigen Freudenfeuer hatte Charlotte so vehement auf das dröge grasende Tier gezeigt, dass ihr das Vanilleeisbällchen in hohem Bogen auf den Boden flog. „Oooh! Mein Eis ist runtergefallen!“

„Nicht so schlimm. Ich kauf dir noch eins.“

„Danke! Das ist super lieb von dir. – Aber sieh nur, wie süß die Ziege grast! Meinst du, die kann man streicheln?“

„Also, ich glaube nicht. Das sieht hier nach normalem Gehege aus. Ich kann allerdings mal fragen.“

„Au ja! Mach das!“

Daniel begab sich auf die Suche, während Charlotte beglückt das weidende Tier betrachtete. Er überlegte:

Wen, verdammt noch mal, sollte er fragen, ob man diesen stinkenden Bock betatschen dürfe? Ah, dort stand ein Unkraut jätender Wärter herum! Der müsste das ja wissen.

Daniel erreichte den Wärter und fragte ihn freundlich und mit dem Daumen hinter sich in Richtung Ziege wippend:

„Guten Tag, guter Mann. Wissen Sie, ob man diese Ziege streicheln kann?“

„Hä?“

„Ob man, guter Mann, da hinten diese Ziege streicheln kann?“

„Klar, wenn man im Gehege ist. – Sie kommen da allerdings nicht rein.“ Der Wärter lächelte überlegen, Daniel schaute grimmig, und jener ließ dann doch noch Gnade walten: „Na ja, aber hier gibt’s noch einen Streichelzoo. Mit Karnickels und so ‘nem Kram. Ziegen ham die da auch.“

„Wo finde ich diesen Streichelzoo?“

„Da hinten den Weg rauf, in der Nähe des Restaurants. Eigentlich nicht zu verfehlen.“

Daniel kehrte zurück zu Charlotte, die – leicht über die Zäunung gebeugt – der Ziege zumeckerte. Er fühlte einen Stich im Herzen, so wohltuend, als wäre ihm gerade Amors Pfeil hineingeschossen, was freilich „gerade“ nicht der Fall, da ohnehin schon längst geschehen, war.

„Ach, Charlotte. Diese Ziege darf man nicht streicheln. Da hinten beim Restaurant haben sie allerdings einen Streichelzoo mit putzigen Häschen und goldigen Zicklein.“

„Au ja! Lass uns dahin gehen!“, freute sich Charlotte.

„Gut. Ich kauf dir dann noch schnell dein Eis.“

„Das will ich lieber später. Sonst klecker ich noch die armen Ziegen zu.“

Die beiden marschierten zum Streichelzoo. Dort war Charlotte ganz in ihrem Element. Von Zicklein umgeben, der einen das schmutzige Öhrchen rubbelnd, der anderen das schmierige Näslein knubbelnd, leuchteten ihre Augen, ja, verklärte sich ihr Blick. Charlotte war glücklich. Und Daniel auch. Entrückt schaute er ihr beim Knubbeln und beim Rubbeln zu und wünschte sich, dieser Moment verginge nie.

Daniel Wolters seltsame Reise zwischen den Zeilen

Подняться наверх