Читать книгу Daniel Wolters seltsame Reise zwischen den Zeilen - Klaus M. G. Giehl - Страница 4

ERSTES KAPITEL 1 Das Leerzeichen

Оглавление

Köln Südstadt

Daniels Geist ruhte. Seine großen, grauen Augen durchstierten dumpf das „VENI, VIDI, VICI“, das der Bildschirmschoner durch sein Blickfeld schob. Das „VICI“ verschwand, das „VENI“ erschien, und seine großen, grauen Augen durchstierten dumpf das „VENI, VIDI, VICI“, das der Bildschirmschoner durch sein Blickfeld schob. Daniels Geist ruhte.

Die Ellenbogen auf den Schreibtisch und die Fäuste unter die Jochbeine gestemmt, ließ er den schweren Schädel zwischen die stoppeligen Backen sacken, sodass der Mund sich wie ein U verbog, ein Anblick, der an eine magersüchtige Bulldogge erinnerte, obwohl Daniel nicht magersüchtig war und auch nichts mit Hunden am Hut hatte. Hätte man all die Falten und Wülste mit Sorgfalt entzerrt, jeden Muskel und jedes Fettpolster auf seinen Platz geschoben (wie es gerade ohne das Zutun Dritter geschah, denn Daniel setzte sich auf), glich sein ein wenig quadratisches Gesicht eher dem Joschka Fischers, bevor der sich allerdings dem Jogging verschrieben hatte.

Daniel saß nun aufrecht vor seinem mit Blättern, Tassen und Müslischälchen übersäten Teakholzschreibtisch. Seine störrigen Haare standen wie der Flaum eines flüggewerdenden Kükens in die Höhe. Unwillig betippte er das Touchpad, das letzte „VENI“ verschwand, und der Bildschirm zeigte ... eine leere Seite. ... Daniels Brauen hoben sich und seine Sinne stürzten schrill ins Jetzt:

Es war zum Wahnsinnigwerden! Ja. Zum Wahnsinnigwerden! Aber ihm fiel verdammt noch mal nichts ein! So große Pläne hatte er gehabt, nach dem ersten Roman! Alle an die Wand schreiben hatte er wollen! Und jetzt? Jetzt saß er da, auf seinem doch etwas fett gewordenen Hintern, zerwühlte sich die unbestreitbar leicht ergrauten Haare, und ihm fiel ums Verrecken nichts ein. So durfte das nicht weitergehen! Seit Wochen quälte er sich mit diesem Manuskript herum. Manuskript? Ha! Eine leere Datei war das! Ein Leerzeichen in Times New Roman!

Er nickte:

Richtig. So durfte das nicht weitergehen! Am besten setzte er diesem Trauerspiel ein Ende, bevor jemand merkte, dass eben er am Ende war! Dann bliebe wenigstens das erste Buch, dieses eine, dieses glänzende, das die Literaturwelt hatte aufhorchen lassen. Das er erschaffen hatte! Er! Daniel Wolter! Sowie der Erfolg. Der bliebe auch. Bloß der junge, na ja, der eigentlich noch junge Künstler, so vielversprechend, so begabt, so voller Ideen, die geradezu danach schrien, entfesselt zu werden, so früh verstorben. – Welch Schicksalsschlag für die Literatur!

Gerührt erhob sich Daniel aus seinem Sessel, schlich zur Garderobe, und schlüpfte in seinen Mantel. Er schnaufte, ruckelte die Wohnungstür auf (kraftlos war er nun auch!), schlurfte nach draußen ... und die Tür schlug zu. Die Fäuste in die Manteltaschen gepresst, stapfte er das endlose Treppenhaus hinunter.

Es war spät, überlegte er, drei Uhr am Morgen. Auf der Südbrücke dürfte jetzt also die nötige Ruhe zu finden sein ... für diesen letzten Gang!

Daniel öffnete die mächtige Haustür und schreckte zurück:

Igitt, war das kalt!

Es schüttelte ihn und er verschwand im diesigen Dunkel, das hämisch an den verrußten Gründerzeitfassaden zu nagen schien.

Daniel Wolters seltsame Reise zwischen den Zeilen

Подняться наверх