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Aus Urlauberwelle wird Coronawelle
ОглавлениеAm selben Tag – es ist Samstag, 7. März – reisten mehr als 100.000 Urlauber aus den Tiroler Wintersportorten ab, ebenso viele kamen an. Busse und Sammeltaxis brachten wieder 10.000 nach Ischgl. Informationen über Infektionsgefahren gab es nirgends, erzählen die Touristen. Das Partywochenende in Ischgl, in Sölden, am Arlberg und im Salzburger Land konnte wie geplant starten. Alle Skilifte, Hütten und Bars waren offen. Der Tourismusverband Paznaun-Ischgl versandte am Abend eine E-Mail an alle Hotels, in der die falsche Darstellung, dass sich die infizierten Isländer im Flugzeug angsteckt hätten, wiederholt wurde.
In den Bars mussten sich die Kellner weiter mit Trillerpfeifen den Weg durch die Menge bahnen. »Wir haben getanzt, geschmust und aus denselben Gläsern getrunken«, erzählt ein deutscher Urlauber, dessen Freund inzwischen an Covid-19 gestorben ist. Mitarbeiter einiger Hotels berichten, dass sie die Anweisung erhalten hatten, bei Grippesymptomen ausschließlich den Gemeindearzt Andreas Walser aufzusuchen.
»100, 200 Mitarbeiter waren da schon bei mir«, berichtet Walser. »Da standen Hunderte vor der Praxis und wollten sich testen lassen«, erzählt dagegen ein Mitarbeiter, »der Doktor hat niemanden drangenommen.«53 Schließlich habe der Gemeindearzt am Ohr Fieber gemessen und ihm eine Bescheinigung ausgestellt, dass er sich bester Gesundheit erfreue und »es keinerlei Kontakt mit Covid-19-getesteten Personen gab«.
Eine Restaurant-Mitarbeiterin berichtet, dass allein in ihrem Gasthaus fünf Mitarbeiterinnen schon Anfang März erkrankt waren. Der Gemeindearzt habe bei der ersten Betroffenen lediglich Bettruhe verordnet, die habe dann weitergearbeitet und alle anderen angesteckt.54
Doch allmählich scheint das Raunen um die Epidemie Ausmaße angenommen zu haben, sodass es die Verantwortlichen nicht mehr wegschieben können. Am 8. März entsendet die Tiroler Landessanitätsdirektion Ärzte nach Ischgl, um dort zu testen – allerdings nur ausgewählte Personen. Immer noch geben die Behörden öffentlich Entwarnung. »Eine Übertragung des Coronavirus auf Gäste der Bar ist aus medizinischer Sicht eher unwahrscheinlich«, informiert Anita Luckner-Hornischer von der Landessanitätsdirektion Tirol. »Für alle BesucherInnen, die im besagten Zeitraum in der Bar waren und keine Symptome aufweisen, ist keine weitere medizinische Abklärung nötig. BarbesucherInnen, die aktuell grippeähnliche Symptome haben, sollen die Gesundheitshotline 1450 wählen und werden in der Folge ärztlich abgeklärt. Es gibt keinen Grund zur Beunruhigung.«55
In Norwegen registriert man unterdessen bereits 500 Corona-Fälle, bei denen die Ansteckung in Österreich erfolgt sein musste. Die große Mehrheit davon in Ischgl. Tirol wird daher auch dort auf die Liste der Risikogebiete gesetzt. Am Morgen des 9. März leitet das Gesundheitsministerium in Wien diese Meldung an die Landessanitätsdirektion Tirol weiter. Auch Dänemark hat Ischgl mittlerweile auf die Liste der Hochrisikogebiete gesetzt.
Am selben Tag wird bekannt, dass die Tests von 16 Mitarbeitern und Kontaktpersonen im »Kitzloch« positiv ausgefallen sind. Erst jetzt ordnet die Bezirkshauptmannschaft Landeck die sofortige Schließung des Lokals an. Die Touristen werden allerdings immer noch nicht informiert, Hotels und Skilifte bleiben im Vollbetrieb.
Und inzwischen ist durchgesickert, dass es auch in anderen Skiorten wie St. Anton und Lech am Arlberg zahlreiche Infizierte gibt.