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Wir erinnern uns durch Viren

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Anscheinend hat auch das menschliche Gehirn vor langer Zeit ein Virus für seine Zwecke eingespannt. Seitdem geistert es durch unser Zentralnervensystem und ermöglicht uns, uns Dinge länger zu merken.

Wie das Gedächtnis funktioniert, wissen wir noch immer nicht genau. Aber das Protein Arc dürfte für die dauerhafte Speicherung von Informationen unentbehrlich sein. Zumindest können sich Mäuse, denen es gentechnisch entfernt wurde, nichts länger als 24 Stunden merken.77 Oder, wie es der Hirnforscher Jason Shepherd von der University of Utah in Salt Lake City ausdrückt: Im Leben gibt es ein Zeitfenster, in dem sich das Gehirn wie ein Schwamm verhält, also Wissen und Fähigkeiten aufsaugt. Ohne Arc bleibt dieses Fenster geschlossen.

Bei Arc handelt es sich um das Überbleibsel eines Virus, das vor Hunderten von Millionen Jahren ins Erbgut der Vorläufer von Mensch und Tier geriet und seitdem von Generation zu Generation weitervererbt wurde. So weit, so gewöhnlich. In aller Regel haben solche Partikel aber ihre ursprünglichen viralen Eigenschaften längst verloren.

Nicht so bei Arc. Im Elektronenmikroskop lassen sich verblüffende Entwicklungen zeigen: Liegen in Zellen ausreichend Arc-Proteine vor, organisieren sich diese zu Hohlkörpern, die einer Virushülle, dem sogenannten Kapsid, sehr ähnlich sehen. »Als wir die Kapside sahen, wussten wir, dass wir auf etwas Interessantes gestoßen waren«, erzählt Shepherd, der seit Jahrzehnten an diesem Protein forscht.78

Das Team begann mit weiteren Untersuchungen. Und so stellte sich heraus, dass die Kapsel aus Arc-Proteinen immer noch die Fähigkeit hat, ihre eigene RNA-Bauanleitung festzuhalten und sich dabei immer wieder andere vorbeischwimmende RNA-Sequenzen zu schnappen und einzuverleiben. Mitsamt dieser Fracht, beobachteten Shepherd und Kollegen, wandert die Arc-Kapsel an die Zellmembran, umhüllt sich dort mit der Außenschicht der Zelle und driftet ins umgebende Medium. Trifft sie auf ein Nachbarneuron, dockt sie an, wird aufgenommen, zerfällt und gibt die RNA frei.

Damit funktioniert Arc fast noch genauso wie ein Virus, das auf diese Weise seinen Wirt überfällt, also infiziert – mit dem Unterschied, dass in diesem Fall der Wirt ausschließlich einen Nutzen davon hat. Als wahrscheinlich gilt, dass das Exvirus mit seiner Transporttätigkeit einen zusätzlichen Kommunikationskanal zwischen den Gehirnzellen und uns damit die Erinnerung eröffnet.

Das Virus in uns

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