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Ein 50 Millionen Jahre alter Phönix
Оглавление»Phönix«, so nannte Thierry Heidmann das Virus, das er 2006 in seinem Labor zu neuer Aktivität erweckte.66 Dem französischen Biophysiker war etwas gelungen, was Forscherkollegen als »Jurrasic-Park-Experiment« bezeichneten. Er hatte Kopien eines – wie sich herausstellte – 50 Millionen Jahre alten Retrovirus, dessen genetischen Bauplan er im menschlichen Genom entdeckt hatte, wieder in die Lage versetzt, von einer Wirtszelle neue Virenpartikel produzieren zu lassen. Diese Partikel konnten dann ihrerseits wieder Zellen infizieren und ihre kopierten Gene in die Zelle einfügen. Bis dahin waren die Virus-Kopien inaktiv gewesen, denn in den Jahrmillionen hatte sich ihr Erbgut ein paarmal verändert, ohne sich jedoch einen neuen Wirt zu suchen.
Gleich dem mythologischen Vogel, der aus seiner eigenen Asche wiederersteht, entstand so ein vollständiges und aktives Virus, zusammengesetzt aus seinen in menschlicher DNA festgeschriebenen Teilen. Wie kam der Ursprungs-»Phönix« in die menschliche DNA? Er muss in Urzeiten Keimzellen menschlicher Vorfahren infiziert haben und dann von Generation zu Generation weitergegeben worden sein. Die Überbleibsel solcher Viren-Kopien werden humane endogene Retroviren genannt – ihr Kürzel ist HERV. »Phönix« ist nicht das einzige – immerhin rund 8 Prozent des menschlichen Erbguts bestehen aus solchen HERVs. Identifiziert wurden bereits mehr als 30 HERV-Familien.
Aber welchen evolutionären Sinn ergibt das? Lange Zeit blieb der Grund, warum sich die Genbruchstücke im menschlichen Erbgut eingenistet haben, im Dunkeln. Für die Wissenschaft waren sie einfach »Junk-DNA«, nutzloser Abfall. Doch nach und nach hat sich herausgestellt, dass sie nicht von ungefähr eng mit dem Menschen verbunden sind. Einerseits treiben sie die Evolution voran, weil die Gene, die sich nicht vom Virus infizieren lassen, ausgeschieden werden. Aber neue Forschungen zeigen, dass sie auch zu Neuerungen im Genom beitragen, etwa indem sie neue genetische Codes für die Herstellung bestimmter Moleküle einbringen.67 Ein Beispiel dafür ist das Enzym Amylase, das notwendig ist, um Stärke abzubauen. Die meisten Säugetiere bilden dieses Enzym nur in der Bauchspeicheldrüse. Nicht so der Mensch. Bei ihm bildet es sich auch in der Speicheldrüse – eine Voraussetzung für die Ackerbaukultur: Nur wer Getreide leicht verdauen kann, für den ist Ackerbau sinnvoll. Zu verdanken ist diese Eigenschaft einem Retrovirus68, das sich in der Nähe von drei Amylase-Genen ins Genom einnistete und dafür sorgte, dass auch die Speicheldrüsen den Stoff herstellen.69