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Ohne Viren keine Kinder

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Eigentlich gehören Viren zu den sich am schnellsten verändernden Mikroben. Doch die Genbestandteile der endogenen Retroviren sind, wie »Phönix« bewiesen hat, erstaunlich dauerhaft, was ihren Verbleib bei einem Wirt betrifft. Das deutet darauf hin, dass das jeweilige neue Gen vom befallenen Organismus sehr oft gut gebraucht werden kann.70 Erste Erkenntnisse dazu, wie nützlich die Virusgene im Menschen sein können, gab es bereits 1978. Da stießen Forscher vom Cancer Institute in San Francisco auf Retroviren-ähnliche Partikel in menschlichem Plazentagewebe. Erst mehr als 20 Jahre später wurde klar, was ihre Funktion ist: Sie unterstützen die Produktion bestimmter Eiweißstoffe, die ursprünglich dem Virenpartikel halfen, seine Hüllmembran mit der der Wirtszelle zu verbinden. Später trugen die Eiweißstoffe dazu bei, Zellen in der Plazenta so zu verbinden, dass eine schützende Barriere entsteht. Die verhindert, dass das Immunsystem der Mutter den Embryo als Fremdkörper abstößt, während er sich in die Gebärmutter einnistet.71 Dieser wichtige Schritt – eine Voraussetzung für die Lebensfähigkeit von Säugetieren – hat sich vor zwölf bis 80 Millionen Jahren ereignet72, bei Beuteltieren dagegen konnte dieses endogene Virus nicht nachgewiesen werden. Der Mensch und alle anderen Säugetiere mit Plazenta dürften eine der entscheidenden Voraussetzungen für die Fortpflanzung einem Virus verdanken.

Viren haben im Lauf der Evolution auch dazu beigetragen, das menschliche Immunsystem zu modulieren. US-amerikanische Wissenschaftler fanden heraus, dass virale Erbgutschnipsel hauptsächlich in der Nähe von jenen Genen zu finden sind, die die Immunantwort steuern. Werden die ursprünglich von Viren stammenden Basenpaare im Labor entfernt, fällt die Immunantwort auf eine Virusinfektion weitaus schwächer aus.73

Die Nähe mancher endogenen Retroviren zum Immunsystem lässt sie jedoch nicht immer nur freundlich wirken. Einige werden mit der Entstehung von Autoimmunkrankheiten wie der Arthritis oder anderen rheumatischen Erkrankungen, mit Multipler Sklerose und Schuppenflechte in Zusammenhang gebracht. Eine mögliche Beteiligung von Viren wurde auch bei Brust- und Hautkrebs festgestellt.74 Doch wenn alle Retroviren schädlich für den Menschen wären, wären sie im Zuge der Evolution wohl nicht weitergegeben worden.

Auch andere Bestandteile im menschlichen Genom sind viralen Ursprungs. Die Virologin Anna Marie Skalka und ihr Team vom Krebsforschungsinstitut in Pennsylvania fanden im menschlichen Genom die Gensequenzen der Vorfahren von Bornaviren, gefürchteten Krankheitserregern. Der Fund war unerwartet, zumal die Genabschnitte dieser und anderer Keime wie dem Marburgvirus auch in der DNA von 19 Wirbeltierarten gefunden wurden. Skalka vermutet, dass das Virus-Erbgut vor rund 40 Millionen Jahren in die Keimbahn der Tiere gelangt ist und dass damit infizierte Tiere einen Überlebensvorteil gehabt haben müssen. Möglicherweise haben die Genbruchstücke zu einer Immunantwort gegen eine Infektion durch das jeweilige Virus beigetragen und auf diese Weise wie eine Impfung gewirkt.75

Die Berliner Virologin Karin Mölling meint gar, dass die gesamte menschliche Erbsubstanz auf Viren zurückgeht.76 »Unser Erbgut wird ergänzt durch das 150-Fache an zusätzlichem Erbgut von Mikroorganismen, die uns besiedeln«, erklärt sie, und das ergibt Sinn: »Sie bieten neues Erbgut, also neue Information und auch Schutz.« Denn befinden sich Viren in einer Zelle, lassen sie andere Viren nicht hinein.

Das Virus in uns

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