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War am Anfang das Virus?

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Viren bestehen hauptsächlich aus Erbgut – DNA, viel öfter noch RNA. Die Nukleinsäure, für deren englisches Wort das Kürzel NA steht, ist die materielle Basis der Gene. Im Gegensatz zu den doppelsträngigen DNA-Molekülen kommen die RNA-Moleküle für gewöhnlich einzelsträngig vor. Das ermöglicht mehr dreidimensionale Strukturen und chemische Reaktionen, die es bei der DNA nicht gibt. Bei Schäden oder Mutationen kann sich allerdings die DNA durch den zweiten Strang viel eher selbst reparieren, deshalb mutieren Viren mit RNA-Strukturen auch viel schneller.

Im Labor lässt sich RNA relativ einfach herstellen. Das gelang 2009 erstmals Wissenschaftlern der Universität Manchester aus Substanzen, wie sie wahrscheinlich auch in der Urerde vorhanden waren. Sie nahmen dazu ein einfaches Molekül, das als Gerüst zum Aufbau von Nukleinsäure-Bausteinen diente.61 Ein solcher chemischer Vorgang könnte auch in der Urerde möglich gewesen sein, meinen Forscher, die der Virus-first-Hypothese anhängen, also davon ausgehen, dass Viren am Anfang des Lebens standen. Die Idee dahinter: Bei der Entstehung des Lebens sind zuerst nicht Biozellen, sondern Virus-Vorläufer aus RNA entstanden, die als chemische Schnipsel in die Umwelt freigegeben wurden und sozusagen als Informationsträger umherschwirrten. Beweise dafür gibt es nicht, weil fossile Viren aus der Zeit vor vier Milliarden Jahren fehlen. Die Suche danach auf anderen Planeten könnte helfen, eine Bestätigung für die These zu finden, etwa auf dem Mars, weil es dort noch sehr altes Gestein gibt, wesentlich älter als auf der Erde. Würden dort Überreste von Virenpartikeln isoliert, aber keine Zellen, dann wäre das ein Hinweis darauf, dass in der Evolution zuerst RNA-Systeme entstehen und erst dann biologische Zellen. Doch das ist alles noch Gegenstand von Experimenten und Annahmen.

Viel weiter sind die Forschungen, die sich auf die Entstehung und Entwicklung des Menschen beziehen. Die Entschlüsselung des menschlichen Erbguts und die Genomanalysen anderer Lebewesen haben gezeigt: Alles, ob Nahrungsmittel, Raubtiere oder potenziell krankmachende Mikroben, hatte einen Einfluss auf die Evolution des Menschen.62 Dieser sogenannte horizontale Gentransfer – die Übertragung von Genen zwischen zwei Organismen, die nicht miteinander verwandt sind – hat zu vielgestaltigen Genomen geführt. Und Viren haben dabei eine nicht unbedeutende Rolle gespielt. »Viren haben sich gemeinsam mit ihren Wirten weiterentwickelt, und ihre Verwandtschaftslinien können als Lianen betrachtet werden, die sich um den Stamm, die Äste und die Zweige des Lebensbaums schlingen«, sagt Patrick Forterre, vor der Pensionierung Direktor der Abteilung für Mikrobiologie des Pariser Pasteur-Instituts.63

»Jede einzelne Spezies hat zahlreiche auf sie spezialisierte Viren«, erklärt Forterre. Der Mikrobiologe, auch er überzeugter Verfechter der Virus-first-Theorie, bezweifelt die Lehrbuch-Hypothese von Viren als »Taschendieben«, die sich aus den Zellen Erbgut klauen und damit selbstständig machen. Die umgekehrte Variante sei biologisch wesentlich plausibler. Im Lauf der Evolution hätte es einen gewaltigen Nachteil bedeutet, parasitäre Mikroben, die nur ihren eigenen Vorteil bedienen, in lebendige Systeme einzubinden. Stattdessen wurde die Bildung von Symbiosen, also kooperativen Systemen, klar bevorzugt. Organismen, die es nicht schafften, sich mit ihren Mikroben abzustimmen, starben aus. Mittlerweile gibt es schon etliche Funde, die Forterres These untermauern sowie gleichzeitig zeigen, welche Überlebenskünstler Viren sind und wie sehr sie zur Aufrechterhaltung des Gleichgewichts im globalen Ökosystem beitragen. So wurden im Erbgut eines zwölf Millionen Jahre alten Kaninchens Viren gefunden, die jenen des Aids-Verursachers HIV ähnlich sind; Ähnliches fand sich in 13 Millionen Jahre alten Lemuren auf Madagaskar.64 Und Forscher im Berliner Naturkundemuseum konnten vor Kurzem nachweisen, dass ein eidechsenähnliches Tier, das vor 289 Millionen Jahren in der Permzeit lebte, an einer Erkrankung des Knochenstoffwechsels litt, hervorgerufen durch masernähnliche Viren.65

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