Читать книгу Das Virus in uns - Kurt Langbein - Страница 8
Europa bleibt gelassen
ОглавлениеNoch am 20. Januar sagt einer der erfahrensten Virologen, John Oxford von der Queen Mary University of London: »Ich bin immer noch nicht sehr besorgt. China hat aufgrund von Sars 1 Erfahrungen mit solchen Coronaviren.«13 Und am 22. Januar beschwichtigt der Präsident des deutschen Robert-Koch-Instituts, Lothar H. Wieler, das Gesundheitsrisiko für die Bevölkerung sei derzeit »eher gering«. Obwohl das Virus offenbar von Mensch zu Mensch übertragen werden könne und die Möglichkeit bestehe, dass Erkrankte nach Deutschland einreisen, sagt Wieler: »Allerdings ist die Übertragungsrate nicht kontinuierlich, nach dem jetzigen Wissensstand. Wir gehen also davon aus, dass nur wenige Menschen von anderen Menschen angesteckt werden können.«14 Auch der deutsche Bundesgesundheitsminister Jens Spahn meint am 23. Januar: »Das Infektionsgeschehen ist deutlich milder, als wir es bei der Grippe sehen.«15 Am 24. Januar werden die ersten drei Infizierten aus Frankreich gemeldet. Damit ist die Krankheit in Europa gelandet. Ende Januar treten die ersten Fälle in Deutschland auf – die meisten tatsächlich mit einem milden Krankheitsverlauf.
Am 29. Januar kommt der Gesundheitsausschuss im Deutschen Bundestag zusammen. Das Thema Coronavirus ist Tagesordnungspunkt 5.b – am Ende der Sitzung. Wieler beklagt die »mangelhafte Informationspolitik Chinas«. Es sei immer noch nicht genau geklärt, wie das Virus übertragen werde.16
Für den Krisenfall gibt es ein Papier aus dem Jahr 2012: »Bericht zur Risikoanalyse im Bevölkerungsschutz«.17 Darin steht, was zunächst bei Pandemiegefahr nötig ist: rasche Diagnose, Eingrenzen der Kontaktpersonen und Quarantäne aller Verdachtsfälle. Und falls die hohen Fallzahlen dies nicht mehr möglich machen: Schulen schließen, Großveranstaltungen absagen, Schutz des medizinischen Personals.
Davon ist in dieser Sitzung laut Protokoll keine Rede. Der Gesundheitswissenschaftler Gerd Glaeske von der Universität Bremen hält das für ein Versäumnis: »Im Prinzip hat man diesen Bericht nicht ausreichend zur Kenntnis genommen und hat letzten Endes nicht darauf reagiert, dass man längst Vorkehrungen getroffen hat für die nächste Epidemie oder Pandemie.«18
Die drastischen Maßnahmen der chinesischen Regierung werden als diktatorisch kritisiert – auch von Publizisten, die später die europäischen Lockdowns hochleben lassen. »Dass die Weltgesundheitsorganisation diesen schweren Eingriff in die Freiheitsrechte von Millionen ohne Weiteres unterstützt, ist eine Schande«, schrieb etwa Lea Deuber in der »Süddeutschen«. »Niemand will gerne krank werden. Aber China ist in der Lage, eine solche Entscheidung zu treffen, weil die Menschen kein Mitspracherecht haben. Dass die Staatengemeinschaft das ausnutzt, ist unwürdig.«19 Und weiter: »Die Entscheidung hat zu Panik geführt. Sinnvoll wäre es gewesen, die Menschen aufzufordern, zu Hause zu bleiben. Nun stürmen sie die Krankenhäuser, weil sie nicht mehr einschätzen können, wie gefährlich das Virus wirklich ist. Die Isolation hat die Menschen nicht geschützt. Sie hat sie in Gefahr gebracht.«20
Im österreichischen Innenministerium tagt am 26. Januar ein Einsatzstab zur weiteren Vorgehensweise zum Thema Coronavirus. Im Anschluss an die Lagebesprechung treten Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) und Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) vor die Presse. »Es gibt absolut keinen Grund zur Panik«, sagt Anschober.21