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SIEBEN

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Fade hatte einmal ein Buch von einem Mann gelesen, der seine Träume kontrollieren konnte. Und so, wie sich dieser Schriftsteller in einen hypnotischen, an Bewusstlosigkeit grenzenden Zustand versetzte, versetzte er sich in eine andere Welt. Es war ein Trick, an dem Fade schon seit Jahren arbeitete. Er hatte sich seine eigene Welt geschaffen: eine wohltuend banale Welt, in der er ein gesunder Vater und Ehemann mit regelmäßigen Arbeitszeiten, ein paar wilden Kindern und einem Wagen mit einem deprimierend niedrigen Benzinverbrauch war. Aber es war ihm nie gelungen, in dieser Welt zu leben. Dazu hätte er tief und fest schlafen müssen, was er seit Jahren schon nicht mehr getan hatte. Alles, was er erreichen konnte, war eine tiefe Benommenheit, die die über ihm lauernde Zimmerdecke und die endlose Prozession der Zahlen auf seinem Wecker nie völlig verschwinden ließ.

Heute war es noch schlimmer als sonst. Er rieb sich die müden, brennenden Augen und gab es auf, nach Schlaf zu suchen. An die nackte Wand hinter seiner Matratze gelehnt, fluchte er leise vor sich hin, weil er vergessen hatte, Zigaretten zu kaufen. Eigentlich rauchte er ja gar nicht, aber er hatte sich fest vorgenommen, damit anzufangen.

Zuerst schien das Geräusch nicht viel zu bedeuten – ein leises Knirschen, das gerade noch so durch die schweren Vorhänge vor dem offenen Fenster drang. Fade hörte auf zu atmen, drehte den Kopf in die Richtung, aus der das Geräusch kam, und lauschte angestrengt. Ein Waschbär? Nein. Das Geräusch war zwar leise gewesen, musste aber von etwas mit mehr Gewicht ausgelöst worden sein. Wieder einmal ein Schwarzbär, der versuchte, die Mülltonne auszuräumen? Vielleicht. Vielleicht war es aber auch Hillel Strand, der gekommen war, um ihm ein Angebot zu machen, das er nicht ablehnen konnte.

Fade stellte sich vor, wie er eine Schrotflinte Kaliber 12 vor Strands glatt rasiertes Gesicht hielt und ihm das selbstgefällige Grinsen wegschoss. Es war natürlich höchst unwahrscheinlich, dass Strand noch einmal hier auftauchte. Er hatte sicher ein Team aus ehemaligen Angehörigen von Spezialeinheiten geschickt, die Fade umstimmen sollten.

Doch das würde er nicht zulassen. Er wollte so viele von Strands Männern wie möglich mit sich in den Tod nehmen, bevor ihn eine Kugel erwischte. Das gewalttätige, sinnlose Ende eines gewalttätigen, sinnlosen Lebens.

Das Geräusch kam nicht wieder. Fade schloss die Augen und stellte sich erneut vor, wie er Hillel Strand den Lauf seiner Flinte vor die Nase hielt. Vielleicht war es ja leichter für ihn, sich in diese Traumwelt zu versetzen. Schließlich orientierte sie sich etwas mehr an der Realität.

Kaum hatte er sich wieder hingelegt, hörte er ein zweites leises Knirschen, dieses Mal so nah, dass er Details erkennen konnte. Lautstärke und Dauer bestätigten seinen Verdacht, dass der Verursacher des Geräuschs ziemlich schwer war. Eine dick gepolsterte Bärenpfote konnte es jedoch nicht sein, dazu war das Geräusch zu klar. Aus langjähriger Erfahrung wusste er, dass als Ursache eines solchen Geräusches nur eines in Frage kam: ein Stiefel.

Er blieb reglos auf dem Bett liegen. Plötzlich wurde ihm klar, dass er heute Abend nicht in Stimmung für so etwas war. Die letzte halbe Stunde seines Lebens hatte begonnen, und er konnte nur daran denken, wie mühsam das Sterben sein würde. Ein sicheres Zeichen dafür, dass er zu lange gelebt hatte.

Der Mann, der sich ziemlich dilettantisch an das Haus heranschlich, war inzwischen so nah, dass er eine Entscheidung erzwang. Fade hatte eine Pistole neben dem Bett liegen, und am liebsten hätte er einfach auf alles geschossen, was sich im Fenster seines Schlafzimmers zeigte. Doch dann wären seine umfangreichen Vorkehrungen, die eine Menge Geld gekostet hatten, umsonst gewesen. Was für eine Schande.

Leise schob er die Decke von seinen Beinen und schlich durch das Zimmer. Dann blieb er stehen und streckte die Arme über dem Kopf aus, während er aus den Augenwinkeln heraus die flatternden Vorhänge beobachtete. Er entriegelte eine kleine Tür in der Wand, die zum Dachboden des Hauses führte. Sie öffnete sich lautlos auf brandneuen Scharnieren, und er zog sich leise nach oben.

Die »Kommandozentrale«, die er auf dem Dachboden eingerichtet hatte, entsprach ganz und gar nicht den ästhetischen Maßstäben, die er für gewöhnlich zu erfüllen versuchte, aber er hatte nur wenig Zeit gehabt und viele Kompromisse machen müssen. Er legte sich in eine Art Kasten, der eine beunruhigende Ähnlichkeit mit einem schlecht zusammengeschweißten Stahlsarg ohne Deckel hatte, und fuhr mit den Fingern über den Rand der kleinen Bildschirme, die in einer Reihe vor ihm montiert waren. Schließlich fand er den gewünschten Schalter und legte ihn um. Gleich darauf wurde er in ein schwaches grünes Licht getaucht, das nicht durch die Tür nach unten drang.

Er schaltete die übrigen Bildschirme ein, wobei er darauf achtete, nicht gegen einige Schalter zu stoßen, die er auf ein Stück Sperrholz und die umgebaute Modellflugzeug-Fernbedienung neben sich montiert hatte. Nachdem er das M16- Sturmgewehr, das Nahkampfmesser und die 9-mm-Pistole kontrolliert hatte, die ordentlich neben ihm aufgereiht waren, richtete er seine Aufmerksamkeit wieder auf die kleinen Bildschirme.

Die Übertragung war erstaunlich detailliert. Es war schon beängstigend, was man heutzutage alles über das Internet bestellen konnte. Das Meiste war erheblich besser als die angeblich neueste Technik, mit der er erst vor einigen Jahren bei der CIA gearbeitet hatte.

Eigentlich war er überrascht, dass die Anlage überhaupt funktionierte. Er war davon ausgegangen, dass das Team, das sie auf ihn angesetzt hatten, die Funkübertragung der von ihm aufgestellten Kameras stören würde. Verkabelte Kameras zu installieren wäre ihm zu mühsam gewesen. Und noch merkwürdiger war, dass der Generator im Keller noch nicht angesprungen war. Die Stromversorgung war nicht unterbrochen worden. Vielleicht hatte er ja inzwischen alles verlernt. Vielleicht versteckte er sich vor einem Eichhörnchen.

Ein Eichhörnchen tauchte nicht auf, dafür aber ein Mann in einem schwarzen Kampfanzug. Er hielt ein kleines Sturmgewehr in den Händen und lief unter der nachtsichtfähigen Kamera hindurch, die über Fades Haustür versteckt war.

Kurze Zeit später konnte er auf allen Bildschirmen Bewegung sehen. Er beobachtete, wie einige Männer sich so platzierten, wie er das vorgesehen hatte, indem er einige natürlich aussehende Mulden in seinem Garten gegraben und ein paar strategisch günstige Äste an den Bäumen abgebrochen hatte. Als sie ihre Positionen eingenommen hatten, erschienen zwei weitere Männer an der Hintertür und blieben links und rechts davon stehen. Fade ging näher an den äußersten rechten Bildschirm heran und versuchte herauszufinden, ob jemand vor der Werkstatt in Stellung gegangen war, als ihm klar wurde, dass er etwas sehr Wichtiges vergessen hatte: Kleidung. Es sah ganz danach aus, als würde er seinen letzten Kampf in Boxershorts mit Bugs-Bunny-Motiven bestreiten. Wenigstens waren sie noch fast neu.

Die Kamera in dem Baum, von dem aus ein Heckenschütze Front und Seiten des Hauses voll im Blick haben würde, war noch nicht aktiviert worden, was ihm sonderbar vorkam. Hatten die Männer etwa ein neues technisches Spielzeug dabei, dass diesen Aussichtspunkt überflüssig machte? Vielleicht eines dieser unbemannten Dinger, die über dem Einsatzort schwebten wie ein Luftschiff über einem Football-Stadium?

Er stützte sich auf die Ellbogen und brachte es fertig, mit den Achseln zu zucken. Angesichts des Ziels dieser Operation war es nicht die Mühe wert, sich über Details den Kopf zu zerbrechen. Außerdem hatte er sich noch nie viel um Technologie gekümmert. Sicher, in einem Theater war sie berechtigt, aber in Situationen wie dieser lenkte sie einen meist nur ab. Natürlich nur, wenn sie tatsächlich wie vorgesehen arbeitete und nicht durch ein bisschen Staub außer Gefecht gesetzt worden war.

Um ehrlich zu sein, hatte er die Bildschirme nur so zum Spaß gekauft. Wenn er gewusst hätte, dass sie wirklich funktionierten, hätte er sich noch ein paar mehr zugelegt und einige noch weiter weg installiert. War Strand irgendwo da draußen in Reichweite? Vermutlich nicht. Aber Matt Egan war mit Sicherheit da. Er würde diesen kleinen Wettstreit dirigieren, was fast eine Garantie dafür war, dass Fade nicht mehr lange auf dieser Welt sein würde. Egans Arbeit war von einer Mischung aus Kreativität und Sturheit geprägt, die ungeheuer beruhigend gewesen war, als Fade noch für ihn gearbeitet hatte. Jetzt würde sich diese Kombination als tödlich erweisen.

Fade versuchte, sich vorzustellen, wie er auf Egan anlegte und abdrückte, doch es wollte ihm nicht so ohne weiteres gelingen. Mit Hillel Strand als Ziel war es einfacher gewesen. Er versuchte es noch einmal, doch er konnte Egan nur ins Visier nehmen – mehr nicht. Wenn es hart auf hart kam, sagte er sich, würde er verdammt noch mal schießen.

Zwei Männer, einer auf der Vorderseite des Hauses, einer auf der Rückseite, schlüpften gleichzeitig ins Haus. Fade schaltete auf die Innenkameras und beobachtete, wie die beiden Wohnzimmer und Küche durchsuchten, bevor zwei ihrer Kameraden ebenfalls das Haus betraten. Der Rest des Teams blieb draußen, ein Mann vor dem Haus, ein zweiter dahinter. Beide lagen in den geschützten Mulden, die er für sie gegraben hatte.

Fade wechselte zwischen den Innenkameras hin und her, während die vier Männer vorsichtig durch sein Haus schlichen. Nachdem sie es von oben bis unten durchsucht hatten, entspannten sie sich ein wenig und schalteten in einem Raum nach dem anderen das Licht an. In der Hochglanzbroschüre, die den erstaunlichen kleinen Kameras beigelegt gewesen war, hatte er gelesen, dass sich diese automatisch auf geänderte Lichtverhältnisse einstellen würden. Der Hersteller hatte nicht zu viel versprochen. Und zudem waren sie ein Sonderangebot gewesen.

Zwei der Männer hatten im Wohnzimmer Stellung bezogen, die beiden anderen im Schlafzimmer. Es sah aus, als würden sie am Fußende seines Betts stehen und warten, während der eine etwas in sein Kehlkopfmikrofon sagte.

Fade hatte Zugang zu beiden Räumen – ins Schlafzimmer konnte er durch die Tür zum Dachboden gelangen, ins Wohnzimmer durch eine Art Falltür, die er in die Decke gesägt hatte. Die Frage war nur, ob er diese Möglichkeit nutzen sollte. Er ging davon aus, dass die Eindringlinge sich einen Bauplan des Hauses angesehen hatten und ihn daher wohl auf dem Dachboden vermuteten. Versuchten sie, ihn aus seinem Versteck zu locken? Mit Sicherheit. Es war eindeutig eine Falle, die Frage war nur: was für eine Art von Falle? Die Männer standen einfach nur da und hatten die Waffen gesenkt. Was hatte dieser hinterhältige Mistkerl Egan vor?

Er beobachtete, wie einer der Männer im Wohnzimmer zu einer schweren Stahlplatte mit einem angeschweißten Griff ging, die vor dem großen Kamin auf dem Boden lag, und sie angestrengt musterte. Es sah ganz danach aus, als wüsste er nicht, was er davon halten sollte. Im Schlafzimmer hatte einer der Männer seine Handschuhe ausgezogen und ging auf das Bett zu. Vermutlich wollte er nachsehen, ob es noch warm war. Noch ein Versuch, ihn aus seinem Versteck zu locken?

Fade lächelte und schüttelte den Kopf. Wieder einmal hatte sich sein verdammtes Ego gemeldet – er hasste es, ausgetrickst zu werden. Es war besser, wenn er sich auf das konzentrierte, was er erreichen wollte: im Wesentlichen so viele Schusswechsel wie möglich, ein paar ordentliche Explosionen und seinen Tod. Aber wenn er noch lange auf dem Dachboden blieb, würde er nicht an einer Kugel, sondern an Langeweile sterben.

Er packte das M16, stieg aus seinem Stahlsarg und warf sich gegen die Tür zum Dachboden.

Als die Tür gegen die Wand knallte, wirbelten beide Männer herum. Dem einen gelang es noch, ein paar ungezielte Schüsse auf den Fußboden abzugeben, bevor Fade beide ins Gesicht traf. Er hing mit dem Oberkörper halb aus der Tür heraus und starrte auf die blutige Masse aus Fleisch und Knochen unter den Helmen der Männer. Was zum Teufel war hier eigentlich los? Normalerweise wäre es nicht so einfach gewesen, die beiden auszuschalten.

Herannahende Schritte und eine gleich darauf folgende Stille veranlassten ihn, sich nach oben zu stemmen, gerade als die Wand neben ihm von einem Kugelhagel getroffen wurde.

»Dachboden! Dachboden!«, schrie jemand, als Fade die Tür mithilfe eines daran befestigten Seils zuzog. Dann ließ er sich in den Stahlsarg fallen und presste die Hände auf die Ohren.

Wie erwartet durchschlugen immer mehr Projektile die Decke und zerschmetterten Holz und Putz. Der Kugelhagel wurde so heftig, dass er die Nase an die Bildschirme pressen musste, um diese zu finden.

Der Mann im Wohnzimmer stand in gebückter Haltung da und feuerte wie wild durch die Decke, während der andere ins Schlafzimmer lief und auf alles schoss, was links von der Tür zum Dachboden lag. Ihre Teamkameraden draußen brüllten etwas in ihre Kehlkopfmikrofone, machten aber keine Anstalten, sich noch mehr einzumischen.

Fade beobachtete, wie der Mann im Wohnzimmer feuernd weiterging, bis er eine Stelle erreicht hatte, die fast genau unter dem Stahlsarg lag. Die Kugeln schlugen mit einem lauten Dröhnen ein, das Fade fast taub werden ließ, obwohl er die Finger in den Ohren hatte. Er spürte die Erschütterung, wenn die Projektile auf den Stahl trafen. Plötzlich lag der Mann am Boden. Fade brauchte einen Moment, bis er begriff, dass er von einem seiner eigenen Querschläger getroffen worden war.

»Wollt ihr mich auf den Arm nehmen?«, sagte er laut, obwohl er seine Stimme gar nicht hören konnte, da der Soldat aus dem Schlafzimmer immer noch auf die Decke feuerte. Fade sah, dass der Soldat den Mund aufgerissen hatte. Er schien etwas zu brüllen, während er schoss. Bald schon würde Fade wissen, ob er richtig vermutet hatte, denn es würde nur noch ein paar Sekunden dauern, bis dem Mann die Munition ausging.

Auf einem der Bildschirme tauchten drei Männer auf, die sich aus den Bäumen fallen ließen und über den Hof rannten. Als sie das Haus erreicht hatten, zog einer von ihnen einen Bolzenschneider aus der Tasche und kappte wie erwartet die Stromversorgung des Gebäudes. Fade drückte auf einen Schalter und startete den Generator im Keller, womit er gleichzeitig den Strom zu seinem neuen Spielzeug umleitete. Die Bildschirme erwachten wieder zum Leben, doch nach etwa fünf Sekunden wurden sie erneut dunkel. Er drückte noch ein paar Mal auf den Schalter, aber nichts geschah. Trotzdem konnte er sich nicht beschweren, schließlich hatten die Überwachungskameras länger funktioniert, als er erwartet hatte.

Da keine Schüsse mehr aus dem Schlafzimmer kamen, setzte Fade ein Nachtsichtgerät auf, das er bei Sharper Image gekauft hatte, hängte sich die Modellflugzeugsteuerung vor die nackte Brust und ließ sich durch die in die Decke geschnittene Klappe ins Wohnzimmer fallen.

Das Haus war zwar alt, aber überraschend massiv gebaut, was zusammen mit einem alten Vorleger dafür sorgte, dass er fast lautlos auf dem Fußboden aufkam. Mit dem Messer zwischen den Zähnen kroch er auf allen vieren zu dem auf dem Boden liegenden Mann, aber es war auf den ersten Blick klar, dass er tot war. Die Kugel war an der Decke abgeprallt und knapp über dem Rand seiner Schutzweste in den Hals eingedrungen. Pech gehabt.

Fade kroch weiter, bis er die offen stehende Tür zu seinem Schlafzimmer erreicht hatte. Nach einem schnellen Blick zurück rollte er sich über die Schulter ab und in den Raum hinein. Als er das Gewehr nach oben riss, entdeckte er den Mann, der auf ihn geschossen hatte, an genau der Stelle, an der er vorhin gestanden hatte. Er hielt ein volles Magazin in der Hand und drehte sich mit einem Ausdruck der Verwirrung im Gesicht um. Fade versuchte erst gar nicht, die kugelsichere Weste des Mannes zu treffen, sondern schoss ihm direkt ins Gesicht.

Kein Wunder, dass Strand ihn unbedingt haben wollte. Wo hatte er diese Jungs eigentlich her? Sie schafften es gerade einmal, ein Gewehr zu halten.

Als Fade ins Wohnzimmer zurückkroch, schien das Haus leer zu sein. Er nutzte die Gelegenheit und nahm dem Toten, der in einer Blutlache auf seinem echt falschen Perserteppich lag, das Funkgerät ab. Nachdem er sich den Kopfhörer ins Ohr gesteckt hatte, robbte er auf dem Boden zum Kamin hinüber.

»Wir gehen durch die Küche!«, krächzte es aus dem Funkgerät.

Gar nicht gut.

Er rollte sich gerade noch rechtzeitig herum, um dem Kugelhagel aus einem automatischen Gewehr zu entkommen, der plötzlich über ihn hereinbrach. Blindlings feuerte er in die Küche, während er sich näher zum Kamin schob.

Die Männer draußen würden jetzt wahrscheinlich zu den Fenstern laufen, und wenn sie diese erreichten, bevor er den riesigen Kamin erreicht hatte, würden sie ihn in ein übles Kreuzfeuer nehmen. Es war an der Zeit, ein kalkuliertes Risiko einzugehen. Er sprang auf und hechtete über das Sofa. Auf der anderen Seite rollte er über den Nacken ab und kam auf allen vieren auf. Das Geräusch von splitterndem Glas hinter ihm löste einen zweiten Hechtsprung aus, der ihn über den glatten Holzboden rutschen ließ, von dem er sich wünschte, er hätte ihn besser poliert. Die Wand vor ihm wurde von einem Kugelhagel getroffen. Fade spürte ein scharfes Stechen in der Hüfte, als er sich in den Kamin quetschte und den Griff der Stahlplatte vor sich packte. Er riss sie hoch und konnte die Öffnung im Kamin gerade noch rechtzeitig abdecken. Statt des dumpfen Klatschens, das eine auf menschliches Fleisch treffende Kugel verursachte, hörte er das unmissverständliche Geräusch von Kugeln auf Metall.

Er griff nach oben, riss die kleine Taschenlampe los, die er mit Klebeband an der Drosselklappe befestigt hatte, und richtete ihren Strahl auf die wie durch ein Wunder unbeschädigt gebliebene Fernbedienung um seinen Hals. Nachdem er kurz die Finger aneinander gerieben hatte, drückte er feierlich auf zwei Knöpfe, die mit »Küche« und »Wohnzimmer« markiert waren.

Keine Reaktion.

Etwas verwirrt sah er sich in der Dunkelheit um und ließ dann die Stahlplatte, die die Kaminöffnung blockierte, ein Stück nach vorn kippen. Nachdem er die Antenne der Fernbedienung durch den schmalen Spalt geschoben hatte, drückte er noch einmal auf die beiden Knöpfe – dieses Mal mit einem weitaus zufrieden stellenderen Ergebnis. Die Platte wurde mit solcher Wucht in seine Richtung geschleudert, dass die Antenne abgetrennt und Fade gegen die Rückwand des Kamins geschleudert wurde.

Er wartete ein paar Sekunden, in denen der Griff immer heißer wurde und das Klingeln in seinen Ohren abebbte, und ließ dann die behelfsmäßige Panzerung gerade so weit sinken, dass er sich den Zustand des Hauses ansehen konnte.

Die gesamte Nordwand war verschwunden, und von der Küche stand wohl auch nicht mehr viel, obwohl er sie vom Kamin aus nicht sehen konnte. Auf dem Boden und den Resten des Mobiliars brannten zahllose kleine Feuer. Der Rauch verschaffte ihm einen Vorteil – er war dicht genug, um jede Bewegung zu verbergen, aber nicht dicht genug, um ihn zu ersticken. Noch nicht.

»Bericht!«, rief eine Frauenstimme aus dem Funkgerät, das er dem Toten abgenommen hatte. Er ließ die Stahlplatte noch ein Stück nach vorn sinken, um einen besseren Empfang zu haben.

»Tom hat’s erwischt«, antwortete die leicht zitternde Stimme eines Mannes. »Ich kann ihn von meiner Position aus sehen. Jim sehe ich nicht. Er war in der Küche, aber von der verdammten Küche ist nichts mehr übrig.«

»Bleib auf deiner Position und behalt die Nerven. Wo ist der Verdächtige?«

»Ich kann ihn nicht sehen, aber er muss tot sein. Der größte Teil des Hauses ist in die Luft geflogen.«

»Craig! Wie sieht es bei dir aus?«

»Die Südseite des Hauses ist fast unbeschädigt, aber das Feuer dürfte noch schlimmer werden. Der Rauch ist so dicht, dass ich nichts erkennen kann. Wenn er noch lebt, wird er es jedenfalls nicht lange dort aushalten.«

Fade wusste, dass der Mann vermutlich Recht hatte. Aber wenn seine Fernbedienung trotz der abgerissenen Antenne noch sendete, würde er länger überleben als sie.

Er ließ die Stahlplatte fallen und legte sich flach auf den Boden vor dem Kamin. Dann hielt er die Fernbedienung hoch, um möglichst viel Reichweite zu haben.

»Ich glaub, ich hab ihn gesehen!«

»Bleib, wo du ...«

Dieses Mal waren die Explosionen nicht so laut, aber die grellen Lichtblitze ließen den schwarzen Rauch für kurze Zeit grau werden, als der Stellmechanismus der Fernbedienung die Stifte aus den Granaten zog, die er unter den vor dem Haus liegenden Männern vergraben hatte.

»Scheiße!«, hörte er über das Funkgerät. »Ich! bin getroffen. Ich bin getroffen!« Es folgte ein übler, feucht klingender Husten. Anscheinend war der Mann nicht genau dort gewesen, wo er hätte sein müssen. Er hätte genau auf der Granate liegen sollen.

Das erschwerte natürlich alles. War es der Mann im Norden oder der im Süden? Und war er noch in der Lage zu schießen?

»Bleib, wo du bist, ich komme.« Wieder die Stimme der Frau. Wo zum Teufel war eigentlich Matt? Seit wann ließ er seine Einsätze von anderen Leuten leiten? Und seit wann hatten Frauen bei solchen Einsätzen das Kommando? Die Kleine hatte ganz offensichtlich Karriere gemacht.

Fade riss das Nachtsichtgerät herunter und sprang auf. Dann lief er im Zickzack durch das Wohnzimmer, während ihm kleine Feuer und glühend heiße Trümmerstücke die nackten Fußsohlen verbrannten. Richtung Norden schien der Weg des geringsten Widerstands zu sein, da es dort keine Wand mehr gab, also entschied er sich dafür. Der Rauch nahm ihm den Atem, und er fing an zu husten, während er sich unter dem teilweise eingestürzten Dach duckte.

In gebückter Haltung lief er auf das niedrige Feuer an der letzten bekannten Position des vor dem Haus postierten Heckenschützen zu. Doch wie so oft hatte er Glück, denn auf der Erde sah er einige Körperteile des Mannes, die mit schwarzen Stofffetzen bedeckt waren.

Er änderte die Richtung und rannte so schnell auf die Werkstatt zu, wie ihm das mit seinen nackten Füßen möglich war. Doch dann sah er auf der von Bäumen gesäumten Straße, die als Auffahrt zu seinem Haus diente, zwei Scheinwerfer auf sich zukommen.

»Craig! Wie sieht es bei dir aus?«, schrie die Frau über das Funkgerät.

Keine Antwort.

»Craig! Melde dich.«

Die Scheinwerfer gehörten zu einem riesigen schwarzen Transporter, der offensichtlich Schwierigkeiten hatte, auf der unbefestigten Straße seine Geschwindigkeit beizubehalten. Er schlitterte in den Spurrillen hin und her, obwohl er nicht einmal zwanzig Stundenkilometer fuhr.

Fade versteckte sich hinter einem Baum, hob das Gewehr und zielte auf die dunkle Gestalt am Steuer, doch dann überlegte er es sich anders. Sein Plan, hier zu sterben, funktionierte anscheinend nicht. Er musste improvisieren.

Er ging in die Hocke und versuchte, einige Zweige um sich zu ziehen, um die weißen Boxershorts vor dem Scheinwerferlicht des Transporters zu verbergen, der immer näher kam.

Das Fenster auf der Fahrerseite war offen. Fade sah eine blonde Frau ohne Helm, die hektisch den Kopf hin- und herbewegte. Als sie auf gleicher Höhe mit ihm war, sprang er auf das Trittbrett des fahrenden Wagens, packte ihren langen Pferdeschwanz und ließ sich auf die Straße fallen.

Er hatte nicht darüber nachgedacht, was geschehen wäre, wenn sie mit angelegtem Sicherheitsgurt gefahren wäre – offenbar ein Zeichen dafür, dass die Jahre als zurückgezogen lebender Möbeltischler doch nicht ganz spurlos an ihm vorbeigegangen waren. Vermutlich hätte sie sich das Genick gebrochen oder eine wenig attraktive kahle Stelle am Hinterkopf zurückbehalten.

Zum Glück war sie nicht sehr sicherheitsbewusst und wurde so gut wie unverletzt durch das Fenster gezogen. Sie krallte die Hände in seinen Unterarm, als er sie auf den Boden schleuderte. Der Transporter fuhr gegen einen Baum.

Fade riss an ihren Haaren und versuchte, sie auf den Bauch zu drehen, doch plötzlich ließ sie seinen Unterarm los und packte seinen Ellbogen. Er achtete gar nicht richtig darauf, bis sie ihm mit einem komplizierten Hebel fast die Schulter ausgerenkt hätte. Nachdem er sie notgedrungen losgelassen hatte, fand er sich im nächsten Augenblick auf dem Rücken liegend wieder. In den folgenden Sekunden dachte er unter höllischen Schmerzen darüber nach, dass er sich vermutlich besser darüber hätte informieren müssen, zu was Frauen heutzutage fähig waren.

Es gelang ihr, auf die Knie zu kommen. Dann richtete sie sich mühsam auf und taumelte auf den zerbeulten Transporter zu. Fade setzte sich auf und bewegte den Arm. Er war nicht ernsthaft verletzt worden.

Nach sechs Metern fiel sie auf die Knie und zerrte an dem Lederholster, in dem ihre Waffe steckte. Er hatte gehört, wie ihr die Luft weggeblieben war, als sie auf der Straße aufgeschlagen war, und wusste, dass sie kaum atmen konnte. Er lief auf sie zu, packte sie wieder an den Haaren und stieß sie mit dem Gesicht voran auf die Erde, wobei er sich nicht die Mühe machte, einem Ellbogen auszuweichen, der sich in Zeitlupe zu bewegen schien.

Es kam ihm sehr gelegen, dass ein Paar Handschellen an ihrem Gürtel hing. Er fesselte ihr damit die Hände auf dem Rücken, während sie wie ein Fisch auf dem Trockenen nach Luft schnappte.

Dann schob er eine Hand unter ihre Taille, löste den Gurt ihres Holsters und drückte die Kette der Handschellen mit einer Hand auf ihr Kreuz hinunter, während er sie mit der anderen schnell durchsuchte. Er fand nur ein kleines Messer und ein Funkgerät. Als er ihre Waffe in hohem Bogen ins Gebüsch geworfen hatte und sie sich auf seine schmerzende Schulter geladen hatte, bekam sie wieder so viel Luft, dass sie einen eher halbherzigen Versuch unternahm, ihn in den Unterleib zu treten.

Fade ging in den Wald zurück und hob mit einer Hand sein Gewehr auf. Die andere brauchte er, um sie daran zu hindern, sich von seiner Schulter zu winden. Er wollte sich umdrehen und auf seinen Wagen zugehen, doch dann blieb er stehen und drückte mit dem Zeh auf den letzten Knopf auf der Fernbedienung. Unmittelbar darauf ging die Krone eines Baums in etwa dreißig Metern Entfernung in Flammen auf. Er duckte sich unwillkürlich und sah zu, wie brennende Holzstücke in den Nachthimmel flogen.

»Ich fasse es einfach nicht, dass Sie dort keinen Mann postiert haben«, sagte er zu der Frau, die sich nur noch schwach wehrte. »Wissen Sie eigentlich, was für eine Schinderei das ist, mit scharfem Sprengstoff in der Hand auf einen Baum zu klettern? Ich hab mir solche Mühe gegeben.«

»Lassen ... lassen Sie mich gehen«, stammelte sie.

»Vielleicht später. Zuerst werden wir uns unterhalten.«

Die letzte Mission

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