Читать книгу Die letzte Mission - Kyle Mills - Страница 7

DREI

Оглавление

Matt Egan machte sich nicht die Mühe, das Licht einzuschalten. Er ging im Dunkeln durch das Haus und kniff geblendet die Augen zu, als er die Kühlschranktür öffnete.

Vielleicht hatte er ja endlich einmal Glück. Auf einem Becher Hüttenkäse lag noch ein Stück Bananenkuchen. Mit der einen Hand schob er sich die Hälfte davon in den Mund, während er mit der anderen nach einer Packung Milch griff. Als er die Kühlschranktür zumachte, wurde wieder alles dunkel. Er tastete sich zu einem freien Bereich auf der Arbeitsplatte und setzte sich.

Nachdem er Fades Haus verlassen hatte, war alles nur noch schlimmer geworden – obwohl er gewettet hätte, dass es nicht noch schlimmer hätte kommen können. Strands Assistentin hatte ihn abblitzen lassen, als er ihr angeboten hatte, bei der Recherche nach Informationen über Fade zu helfen, und sämtliche verklausulierten Fragen nach ihren Fortschritten einfach ignoriert. So oder so, es würde mit Sicherheit herauskommen. Lauren McCall hatte bis auf die Tatsache, dass sie eine humorlose Eisprinzessin war, sehr wenige Schwächen. Sie war klug, kreativ und zu allem Überfluss auch noch hartnäckig. Da er ihre Nachforschungen nicht verhindern konnte, war es mehr als nur wahrscheinlich, dass das wacklige Kartenhaus einstürzte, das er um seinen alten Freund herum aufgebaut hatte. Und das konnte allen Beteiligten zum Verhängnis werden.

Er stopfte sich den Rest des Kuchenstücks in den Mund und kaute darauf herum, aber er fühlte sich nicht besser. Das nagende, nervöse Gefühl in seinem Magen verstärkte sich, und ihm wurde übel. Ein passendes Ende für einen wahrhaft beschissenen Tag. Oder besser gesagt, ein passender Anfang für eine Situation, die mit ziemlicher Sicherheit in einer Katastrophe enden würde.

Er warf den leeren Milchkarton in die Spüle – jedenfalls hoffte er, dass er die Spüle getroffen hatte. Dann tastete er sich zu der Tür, die in den Keller führte.

Die Treppe wurde von einer nackten Glühbirne an ihrem Fuß beleuchtet. Egan ging hinunter und suchte sich seinen Weg zwischen altem Spielzeug, schmutziger Wäsche und Fitnessgeräten hindurch zu einer schweren Tür am anderen Ende des Kellers. Er drehte den Knauf herum und steckte den Kopf hinein.

»Jemand zu Hause?«

Er hatte das Zimmer selbst gebaut, was man ihm auch ansah. Es war ein fünf mal fünf Meter großer Raum mit leicht schiefen Wänden, die mit schalldämpfenden Eierkartons beklebt waren, über die sich ein Gewirr aus Leitungen und Kabeln zog. Auf dem dicken Teppich standen Verstärker und Musikinstrumente, von denen einige so sonderbar aussahen, dass er nicht einmal wusste, was man mit ihnen machte. An der gegenüberliegenden Wand stand ein rätselhaftes elektronisches Brandrisiko, das aussah wie eine Kreuzung aus einer teuren Stereoanlage und dem NASA-Kontrollzentrum in Houston.

Mit zäher Beharrlichkeit und bemerkenswertem Geschick hatte sich seine sechsjährige Tochter so viel Platz in dem Chaos gesichert, dass sie dort ein großes Puppenhaus hatte aufstellen können, das sie gerade neu einrichtete.

»Wo um alles in der Welt hat deine Mutter dieses Banjo her?«, fragte Egan, während er das Instrument an die Wand lehnte und sich an der Stelle auf dem Boden niederließ, an der es gerade noch gelegen hatte. Kali zuckte mit den Achseln und fuhr fort, mit dem Feng Shui ihres winzigen Wohnzimmers zu experimentieren. Sie hatten sie vor drei Jahren als Kleinkind aus Vietnam adoptiert, doch manchmal war es schwer zu glauben, dass Elise nicht ihre leibliche Mutter war. Die beiden hatten den gleichen zierlichen, fast zerbrechlichen Körperbau, den gleichen brillanten, unkonventionellen Verstand und die gleiche beinahe schon autistische Konzentrationsfähigkeit. Falls irgendwann einmal eine der elektronischen Spielereien in diesem Raum Feuer fangen sollte, wenn die Frauen des Hauses gerade beim Denken waren, würde es bis auf die Grundmauern abbrennen, ohne dass es eine von ihnen bemerken würde.

»Irgendwoher«, antwortete sie, während sie eine winzige Vitrine hin- und herschob.

Egans Einfluss war nicht sehr groß, aber er hatte seiner Tochter einen geradezu zwanghaften Ordnungssinn eingetrichtert, der ihrer Mutter vollkommen fehlte.

»Ich glaube, neben dem Tisch. Dann kann Barbie fernsehen, während sie das Geschirr einräumt.«

Er warf einen Blick auf seine Frau, die völlig reglos auf einem Sitzsack saß und auf den Bildschirm eines Laptops starrte, während ihr Strähnen ihrer langen Haare ins Gesicht fielen. Selbst wenn sie ihn durch die dicken Kopfhörer, die sie trug, hätte hören können, hätte er keinen Versuch unternommen, sie anzusprechen.

»Was macht deine Mutter gerade?«

»Weiß nicht. Ich glaube, sie arbeitet an ›Strawberry People‹.«

»Immer noch?«

»Ja.«

»Es ist schon ganz schön spät. Hast du was gegessen?«

Sie deutete auf einen Pizzakarton, der in der Ecke lag.

»Ah, schon wieder Vollwertkost. Wenn du immer nur dieses Zeugs isst, wirst du noch dünner werden.«

Er lehnte sich mit dem Kopf an einen Elch aus Plüsch und sah wieder seine Frau an. Sie starrte immer noch auf den Computerbildschirm. Ihr Kopf bewegte sich im Rhythmus dessen, was aus ihren Kopfhörern kam.

Vor fünf Jahren, nach einer kaum glaublichen Fügung des Schicksals, hatte er die Frau geheiratet, die vom Musikmagazin Spin »Amerikas begabteste Sängerin/Songwriterin« genannt worden war. Damals war sie fünfundzwanzig gewesen und hatte gleich in drei Bands mitgespielt, um wenigstens ein bisschen Geld zu verdienen. Er war dreiunddreißig und Agent bei der CIA gewesen.

Seit damals hatte es keinen langweiligen Moment mehr in seinem Leben gegeben. Irgendwann hatte sie eine Band zusammengestellt, bei der sich die Mitglieder zur Abwechslung einmal richtig gut verstanden, was ihrer Bekanntheit einen enormen Schub verliehen hatte. Ihre letzte CD hatte es in die Top Ten einiger alternativer Hitlisten geschafft, und ein paar von ihren Liedern hatte man vor kurzem für den Soundtrack einer ziemlich erfolgreichen Independent-Filmproduktion verwendet, in der es um einen zum Mörder gewordenen Bassisten ging.

Natürlich hatte all das nicht viel Geld gebracht. Ihre Karriere lief bestenfalls so, dass sie kein Geld hineinstecken musste. Aber das war ihm so egal wie die Tatsache, dass sich für ihn jedes ihrer Stücke wie Katzengeschrei anhörte. Sie war die bemerkenswerteste Frau, die er je kennen gelernt hatte, und er konnte immer noch nicht glauben, dass sie sich dazu herabgelassen hatte, das Wort an ihn zu richten.

Er starrte an die Decke und versuchte, seine Gedanken am Naheliegenden zu hindern und sein Leben mit dem Fades zu vergleichen – er wollte das baufällige alte Haus und das im Vorgarten vor sich hinrostende Auto nicht sehen. Fade kam aus ähnlichen Verhältnissen wie er. Es waren nur ein paar kleine Wendungen des Schicksals gewesen, die dafür gesorgt hatten, dass er jetzt mit zwei geliebten Menschen auf dem Boden saß und Fade in seiner Werkstatt zurückgelassen hatte, wo dieser auf den Tod wartete.

Er streckte die Hand aus und zog seine Tochter an den Haaren, während er versuchte, Fade aus seinen Gedanken zu verdrängen.

»Hör auf, so infantil zu sein!« Sie schlug nach seiner Hand. Diesen Ausdruck hatte sie gerade erst gelernt, und er war im Handumdrehen zu ihrem Lieblingswort geworden.

Plötzlich riss sich seine Frau von dem Computer auf ihrem Schoß los und sah ihn an. Ein breites Lächeln erschien auf ihrem Gesicht. Nachdem sie sich kennen gelernt hatten, hatte es mehr als ein Jahr gedauert, bis er sich an die schon fast schizophrene Art und Weise gewöhnt hatte, in der sie von abgrundtiefer Konzentration zu einem unbeschwerten Lachen wechseln konnte.

»War es schlimm heute?«, fragte sie, während sie die Kopfhörer abnahm.

»Woher weißt du das?«

»Es ist neun Uhr abends, und du starrst mit einem Milchschnurrbart und Kuchenresten auf dem ganzen Gesicht vor dich ins Leere.«

»Das ist ganz schön eklig«, warf Kali ein.

»Von jemandem, dem ich die Windeln gewechselt habe, muss ich mir so was nicht anhören.«

»Daddy!«

»Du hast Recht. Es ist schon mal besser gelaufen.«

»Könntest du eine kleine Aufmunterung gebrauchen?«

»Immer her damit.«

Sie ließ sich von ihrem Sitzsack hinuntergleiten und legte sich zu ihm auf den Boden. »Das Lied, das ich für Madonna geschrieben habe, ist angenommen worden. Es kommt auf ihre Platte.«

»Du machst Witze.«

»Ich schwöre bei Gott. Sie haben heute angerufen.«

Egan sah Kali an. »Hast du das gehört. Kleines? Vier Jahre von Männern und der Wirtschaft der Weißen beherrschter Collegeunterricht ist fast schon bezahlt. Und wenn es davon einen Dance Mix gibt, kannst du vielleicht sogar noch etwas länger studieren.«

Diese Bemerkung brachte ihm einen schmerzhaften Rippenstoß seiner Frau ein.

»Klugscheißer. Ich würde mir keine allzu großen Hoffnungen machen. Es lässt sich nicht vorhersagen, ob die Radiosender es jemals spielen werden.«

»Trotzdem ...« Um ein Haar hätte er ihr gratuliert, aber er konnte sich gerade noch zurückhalten. In den Kreisen, in denen sie verkehrte, »verkaufte« man sich nicht. Doch schließlich gelangte jeder einmal an einen Punkt in seinem Leben, an dem er den Tatsachen ins Auge sehen musste.

»Elise, ich weiß, wie schwer es dir gefallen ist, diesen Song zu schreiben.«

»War keine große Sache.«

Es war dreißig Sekunden still, bis er sagte: »Es ist das Beste, was du je geschrieben hast.«

Sie lachte, obwohl sie wusste, dass er es ernst gemeint hatte. Seine Affinität zu Abba und KC and the Sunshine Band war ihr zwar bekannt, aber sie ignorierte sie geflissentlich. Wie so einiges andere auch.

»Wie kommst du mit ›Strawberry People‹ voran?«

Seit Wochen arbeitete sie wie eine Besessene am letzten Stück für ihre CD A long Night with the Strawberry People – was auch immer das bedeuten mochte. Der Abgabetermin hing wie ein Damoklesschwert über ihr und brachte sie allmählich zur Verzweiflung.

»Fertig.«

»Ist nicht dein Ernst.«

»Die Antwort hat mir die ganze Zeit über ins Gesicht gestarrt.«

»Wirklich? Was für eine Antwort?«

»Es ist ein Countrysong.«

»Ein Countrysong?«

Sie nickte aufgeregt. »Es ist unglaublich, was man aus einer Stahlseitengitarre für Töne herausbekommt, wenn man sie über einen billigen Verzerrer jagt und eine Rückkopplung erzeugt ...«

Hank Williams drehte sich jetzt zweifellos in seinem Grab um und kramte die Ohrstöpsel hervor. »Das muss gefeiert werden.«

Sie rollte sich herum und legte den Kopf auf seinen Bauch. »Da bin ich ganz deiner Meinung.«

Elise, die kalte Pizza und warmes Bier im Magen hatte, war vor über einer Stunde eingeschlafen, aber Matt Egan lag immer noch hellwach da. Schließlich zog er den Arm unter ihrem Kissen hervor und schlich leise aus dem Schlafzimmer.

In dem voll gestopften Arbeitszimmer am anderen Ende des Flurs stand ein kleiner Kühlschrank. Bevor er sich an den Schreibtisch setzte, nahm er ein Bier heraus, das mit Sicherheit zu einem Kater am nächsten Morgen beitragen würde. Er war fest entschlossen, die Erinnerungen, die in seinem Kopf herumschwirrten, im Alkohol zu ertränken, und daher holte er sich gleich noch ein Bier, nachdem er die Flasche geleert hatte. Trotzdem wusste er noch ganz genau, wann er den Namen Salam al Fayed zum ersten Mal gehört hatte. Er war damals beim militärischen Nachrichtendienst gewesen, und Fade hatte die »Höllenwoche« – die brutale Ausbildungswoche, in der sich die Navy ihre potenziellen SEALs aussuchte – gerade zur Hälfte hinter sich gebracht.

Fades Bootsmannschaft hatte seit über zwei Tagen keinen Schlaf bekommen. Die Männer waren viele Kilometer gelaufen und im eiskalten Pazifik geschwommen und hatten stundenlange Gefechtsübungen mit scharfer Munition hinter sich. Zwei aus seinem Team hatten bereits aufgegeben, und die Übrigen waren so erschöpft und verfroren, dass Fade befürchtete, sie würden den als Nächstes auf dem Programm stehenden Hinderniskurs nicht bewältigen. Er fing an, Witze zu erzählen, um sie etwas aufzumuntern, und als das nicht funktionierte, legte er mitten am Strand einen Striptease hin. Nach einer Weile summten alle – bis auf die verärgerten Ausbilder – begeistert mit, während Fade mit den Hüften kreiste.

Da die Ausbilder nicht so richtig wussten, was sie mit ihm anstellen sollten, befahlen sie ihm, sich vor eine Wand zu stellen. Dann richteten sie einen Feuerwehrschlauch auf ihn. Bevor sie jedoch den Hydranten aufdrehen konnten, schrie Fade »Moment noch!« und zog eine rosafarbene Badekappe mit knallgelben Gummienten aus seinem Kampfanzug. Als er dann nach fünfzehn Minuten, in denen er von den eiskalten Wassermassen mehrfach zu Fall gebracht geworden war, um ein Haar die Rekordzeit für den Hindernislauf unterboten hätte, fragten sich viele, ob er überhaupt ein Mensch war.

Kurze Zeit später wechselte Egan von der Army zur CIA. Er überwachte Operationen, die genau genommen nicht legal waren, aber zunehmend für notwendig gehalten wurden. Den jungen al Fayed behielt er im Auge, da der Elitekämpfer jemand war, an dem die CIA Interesse haben könnte, nachdem er sich im Einsatz bewährt hatte.

Es hatte nicht lange gedauert. Fades erster Einsatz war bereits kurz nach Beginn gescheitert. Der Hubschrauber, in dem er mit seinem Team unterwegs gewesen war, hatte einen Treffer erhalten, und einer seiner Kameraden war herausgefallen und über feindlichem Gebiet abgestürzt. Entgegen der Befehle hatte sich Fade ein paar Waffen gegriffen und war ihm in die Dunkelheit nachgesprungen. Zehn Stunden lang lag er mit einem gebrochenen Bein zwischen Felsbrocken in Deckung und verteidigte seinen bewusstlosen Freund. Als man die beiden schließlich bergen konnte, war es Fade gelungen, eine aus schätzungsweise über hundert Mann bestehende Truppe völlig zu zermürben. Ein Spionageflugzeug, das das Einsatzgebiet überflogen hatte, bestätigte, dass Fade seine Gegner trotz der Dunkelheit und heftiger Windböen auf eine Entfernung von neunhundert Metern traf.

Es war keine Überraschung, dass Egan ihn noch im Krankenhaus für die CIA rekrutiert hatte. Fade war fast drei Jahre im Nahen Osten eingesetzt gewesen, als er von dem jungen Mädchen niedergestochen wurde. Danach war es nur noch bergab gegangen. Schließlich hatte Egan nichts mehr für seinen alten Freund tun können, als ihm einen Ausbilderposten seiner Wahl anzubieten. Fade hatte abgelehnt. Seiner Meinung nach hatte man ihn betrogen. Und damit hatte er Recht.

Die letzte Mission

Подняться наверх