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ZWEI

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Das Haus, an dessen Wänden sich graue Farbschichten lösten, war so krumm und schief, dass es wie eine Geisterbahn ausgesehen hätte, wenn es bunt angestrichen gewesen wäre. Es lag etwa zwei Stunden Fahrt von Washington D. C. entfernt auf einem zwei Hektar großen Grundstück mit alten Bäumen und mächtigen grauen Felsbrocken. Al Fayed hatte Haus und Grundstück offenbar seit einem Jahr gemietet. Mit der Miete war er zwei Monate im Rückstand.

Egan lenkte den Wagen etwa fünfzig Meter vom Haus entfernt von der unbefestigten Straße herunter. Dann stieg er aus und sah sich um. Rechts von dem Haus stand ein großes, aus Metallplatten errichtetes Gebäude, das etwas weniger schief wirkte, aber so verrostet war, dass es aussah, als hätte jemand braune Farbe über den Rand des Dachs gekippt. Davor war auf verrotteten Baumstämmen ein altes Auto aufgebockt, das fast genauso stark vom Rost zerfressen war. Egan vermutete, dass es ein Thunderbird war, obwohl er nicht viel von Oldtimern verstand. Alles, was er darüber wusste, hatte er von al Fayed gelernt, der nach ein paar Flaschen Bier stundenlang über sein Hobby erzählen konnte.

»Wollen wir hier Wurzeln schlagen?«, fragte Strand, der sich am Wagen abstützte und mit der flachen Hand auf das Dach schlug.

Es hat ja keinen Zweck, wegzulaufen, dachte Egan, während er widerwillig über den mit Staub, Kies und Unkraut bedeckten Boden ging. Strand gesellte sich zu ihm und runzelte die Stirn, als er sich Egans ungewöhnlich langsamem Gang anpassen musste. Aber ihm war wohl vage bewusst, dass das Ganze keine gute Idee war, denn er hielt sich auffallend zurück.

Egan wurde noch langsamer, als sie an dem alten Wagen vorbeikamen. Er musterte die eleganten Linien des Thunderbird, dem Zeit und Wetter schwer zugesetzt hatten. Unweigerlich drängte sich ihm der Eindruck auf, dass der Thunderbird nur einer der vielen Träume al Fayeds war, die sich nicht erfüllt hatten.

Der Mann, der auf die Veranda trat, war kaum wieder zu erkennen. Das schwarze Haar war in einem unordentlichen Pferdeschwanz gebändigt, der bis weit über den breiten Rücken zu fallen schien. Arme und Schultern sahen kräftig aus, wirkten aber sonderbar konturenlos, was ihm ein aufgedunsenes, fast unbeholfenes Aussehen verlieh. Auch sein Gesicht wirkte weicher und voller, was die tiefen Falten und die dunklen Schatten unter den Augen milderte.

Egan blieb gute fünf Meter vom Haus entfernt stehen. Strand folgte seinem Beispiel.

»Hallo, Fade.«

Der Spitzname war ihm vor Jahren von seinen Teamkameraden verpasst worden, angeblich, weil er mit den Schatten verschmolz, wenn er vorhatte, jemandem die Kehle durchzuschneiden. Plausibler war die Erklärung, dass sich ein durchschnittlicher SEAL nicht von jemandem Deckung geben lassen wollte, der Salam al Fayed hieß. So oder so, der Spitzname war hängen geblieben.

»Was willst du hier, Matt?«

Wie immer war Strand der Erste, der seine Stimme wiederfand. »Wir wollen mit Ihnen reden«, erwiderte er.

Als Fade die Treppe herunterkam, wäre Egan am liebsten zurückgewichen.

»Über was?«

»Wir wollen Sie wieder ins Spiel bringen.«

»Was für ein Spiel?« Fades Blick wanderte von Strand zurück zu Egan. »Wo hast du den Kerl her? Aus einem Kindergarten für kleine Bürokraten? Verschwindet von meinem Grund und Boden.«

»Es ist nicht Ihr Grund und Boden«, betonte Strand. In seiner Stimme schwang mühsam unterdrückter Ärger mit. Er war es nicht gewohnt, beleidigt oder ignoriert zu werden. »Und es sieht ganz danach aus, als würde man Sie in einem Monat von hier fortjagen.«

»Hillel ...«, warnte Egan, aber Strand ignorierte ihn.

»Haben Sie in letzter Zeit mal Nachrichten gesehen, Mr al Fayed? Die Welt verändert sich, und wir müssen diese Veränderungen unter Kontrolle behalten. Dazu brauchen wir Männer wie Sie.«

Fade sah aus, als würde er sich gleich umdrehen und gehen, aber dann schien er es sich anders zu überlegen. »Das schaffen Sie doch auch ganz gut ohne mich. Wir haben ein großes Loch an der Stelle, an der einmal das World Trade Center gestanden hat, und jedes Land auf dieser Welt hasst uns oder hat so viel Angst vor uns, dass es jeden Cent dafür ausgibt, Atomwaffen zu bauen, die in unsere Richtung zeigen. Wenn es nicht so viele verblödete Politiker wie Sie geben würde, wüssten die Manager der Rüstungskonzerne doch gar nicht, wie sie ihre Ferraris und jungen Frauen finanzieren sollten.«

Es lief zwar nicht ganz so, wie Egan gehofft hatte, aber wenigstens waren noch keine Schüsse gefallen. »Ich glaube, was ...«

Strand schnitt ihm das Wort ab. »Ich habe Politikwissenschaften in Harvard studiert und besuche zurzeit Vorlesungen zur Geschichte des Nahen Ostens. Und Sie haben nicht mal einen Highschool-Abschluss.«

Fades Antwort darauf war zweifellos alles andere als höflich, aber Egan war sich nicht ganz sicher, weil sie auf Arabisch kam.

»Wo liegt das Problem?«, fragte Fade, der wieder ins Englische gewechselt war. »Sagen Sie bloß nicht, dass Sie das nicht mitbekommen haben. Jedes ungebildete sechsjährige Kind im Irak hätte verstanden, was ich gerade gesagt habe, also werden Sie mir wohl verzeihen, wenn ich von Ihren akademischen Ehren nicht sonderlich beeindruckt bin. Wer zum Teufel sind Sie eigentlich?«

»Hillel Strand. Ich arbeite für den Heimatschutz. Ich ...«

»Hillel Strand, haben Sie den Koran gelesen? Sind Sie schon einmal im Nahen oder Mittleren Osten gewesen? Oder besteht Ihre gesamte Erfahrung mit dieser Region darin, dass Sie mit einem dieser Vollidioten, die dort hingeschickt werden und alles nur noch schlimmer machen, eine Runde Golf gespielt haben?« Er wies auf Egan. »Matt ist zwar ein hinterhältiger Drecksack, aber er hatte wenigstens so viel Mumm, nach drüben zu gehen und sich die Kugeln um die Ohren pfeifen zu lassen. Leute wie Sie sind für mich ...«

»Fade!«, brüllte Egan. »Das reicht. Du kannst ihm nichts vorwerfen. Er hatte nichts mit dem zu tun, was dir passiert ist.«

»Stimmt. Das bist du gewesen.«

Und wieder hätte Egan am liebsten die Flucht ergriffen.

Fade machte einen Satz nach vorn, was Strand so erschreckte, dass er zurückwich und um ein Haar über einen Stein gestolpert wäre.

Fade grinste und verdrehte die Augen. Dann drehte er sich um und ging auf seine Werkstatt zu.

»Warum lauft ihr beide nicht zum Heimatschutz zurück und sagt ihnen, dass der Kameltreiber in Pension ist«, sagte er, während er in der offenen Flügeltür des Gebäudes verschwand.

Egan atmete auf. Er war froh, dass Fade gegangen war. Strand dagegen war deutlich anzumerken, dass er vor Wut kochte.

»Es war einen Versuch wert«, versuchte Egan die Situation zu entspannen. »Aber al Fayed ist fertig. Sehen Sie ihn sich doch an. Früher war er aus Stein gemeißelt. Jetzt ist er nur noch ein übergeschnappter Hippie, der in den Wäldern lebt.« Er drehte sich um und wollte zum Wagen zurückgehen, aber Strand hielt ihn auf.

»Das ist der Unterschied zwischen Ihnen und mir, Matt. Für mich war Verlieren noch nie eine Alternative.«

Großartig.

»Treib es nicht auf die Spitze, Matt.«

Egan trat vorsichtig durch die Tür und blieb stehen, während sich seine Augen an das Halbdunkel gewöhnten. Die Werkstatt war voll gestopft mit ordentlich aufgereihten Elektrowerkzeugen und jeder Menge potenziell gefährlichen Arbeitsgeräten.

»Du hättest dich geschickter anstellen können. Fade. Hillel ist ein ziemlich hohes Tier, und er ist es nicht gewohnt, dass man so mit ihm spricht.«

»Was ist passiert, Matt? Bist du es leid gewesen, dich bei der CIA einzuschleimen? Bist du zum Heimatschutz gewechselt, damit du vor ein paar neuen Gesichtern buckeln kannst?«

Die Ironie war, dass Egan sich über die Anweisungen seines Chefs hinweggesetzt hatte, um Fade die Operation zu verschaffen, und einen schweren Rüffel vom Direktor bekommen hatte. Danach war mehr oder weniger klar gewesen, dass seine Karriere bei der CIA in einer Sackgasse gelandet war. Beim Heimatschutz war das Gras angeblich grüner.

Fade setzte eine Schutzbrille auf und machte sich daran, auf einer Standkreissäge ein Brett durchzuschneiden. Egan ging ein paar Schritte auf ihn zu und schrie ihm über das Kreischen der Säge zu: »Ich will dir doch nur helfen!«

Fade drückte auf den Schalter der Säge und warf das abgetrennte Stück Holz auf den Boden, während der Motor ausging. »Ich habe dich seit sechs Jahren nicht gesehen, und plötzlich tauchst du hier auf und willst mir helfen? Wie denn? Etwa so, wie du es schon einmal getan hast?«

Egan ging zur Tür, machte sie zu und drehte sich wieder zu Fade um. »Strand ist ein beschränkter Politiker, der sich für einen tollen Hecht hält. Du kennst diese Typen genauso gut wie ich. Wenn du ihn nicht beleidigt hättest, hätte ich ihn davon überzeugen können, dass du übergeschnappt bist, und du hättest nie wieder etwas von uns gehört. Aber jetzt läuft ihm die Galle über, was das Ganze um einiges schwieriger macht. Ich werde ihn schon noch beruhigen können, aber dazu musst du mitkommen und eine Weile mitspielen.«

»Oder?«

»Du willst doch nicht etwa ...«

»Was zum Teufel ist mit dir los? Ich fasse es einfach nicht. Und dir habe ich früher mein Leben anvertraut.«

»Warum machst du es mir so schwer?«

»Weil es schwer ist«, brüllte Fade. Er griff nach einem Schraubenzieher, der neben der Säge lag. Egan starrte wie gebannt auf das Werkzeug.

»Ich habe diesem Land alles gegeben! Ich bin angeschossen, niedergestochen und vergiftet worden. Ich hatte Malaria, Ruhr und Denguefieber. Einmal bin ich sogar fast ertrunken – sie haben es gerade noch geschafft, mich zurückzuholen. Ich war immer da, wenn mein Land mich gebraucht hat. Aber als ich es gebraucht habe, hat mir jeder den Rücken zugedreht und ist weggelaufen. Weißt du eigentlich, dass ich nach allem, was ich durchgemacht habe, nicht einmal in ein Flugzeug steigen kann, ohne dass jemand vorher versucht, mir eine Kamera in den Hintern zu schieben? Matt, kannst du dir vorstellen, wie mein Leben jetzt aussieht? Wie ich mich fühle, während ich darauf warte, dass sich die Kugel in meinem Rücken einen Millimeter in die falsche Richtung bewegt und mich lähmt?«

Egan schüttelte den Kopf. »Nein, das kann ich nicht.«

»Dann sag ich es dir. Ich kann nicht mehr richtig schlafen, weil ich Angst davor habe, es nicht zu spüren, wenn sich die Kugel im Schlaf verschiebt. Ich will nicht aufwachen und merken, dass ich mich nicht mehr bewegen kann. Irgendwann ist mir klar geworden, dass es in jedem Zimmer meines Hauses etwas gibt, mit dem ich mich umbringen könnte. Rasierklingen, Messer, Abflussreiniger. Eine Steckdose und ein Eimer Wasser. Ich hab’s nicht mit Absicht so gemacht. Es ist einfach passiert. Aber weißt du, was daran so traurig ist? Dass ich mir vermutlich selbst was vormache. Die Ärzte haben mir gesagt, dass ich mit sechzigprozentiger Wahrscheinlichkeit vom Hals abwärts gelähmt sein werde.«

»Fade, ich ...«

»Weißt du, wovor ich am meisten Angst habe, Matt? Dass mich ein Bote von UPS findet, bevor ich verdurstet bin. Dass ich in einem Pflegeheim lande, Windeln trage und die nächsten dreißig Jahre die Decke anstarre.«

Was war die richtige Antwort auf so etwas? Es gab keine. Egan stieß die Tür auf und ging rückwärts hinaus, den Blick auf den Schraubenzieher in Fades Hand gerichtet.

»Matt ...«

Egan sah in das versteinerte Gesicht seines einstigen Freundes.

»Wenn du noch einmal hierher kommst, werde ich dich töten.«

»Ich weiß.«

»Wie ist es gelaufen?«, fragte Strand, während sie auf der unbefestigten Straße zum Highway zurückfuhren.

»Ich habe ihm gesagt, er soll Ihnen gegenüber mehr Respekt zeigen.«

»Kriegen wir ihn?«

»Ich hab’s versucht, aber er hat nein gesagt. Und wenn al Fayed nein sagt, meint er das auch so.«

»Es scheint Ihnen gar nichts auszumachen, dass wir versagt haben.«

»Wir haben schon vor langer Zeit versagt. Es ist aktenkundig, dass ich gesagt habe, wir hätten al Fayed betrogen. Vielleicht wäre es besser gewesen, vorausschauender zu handeln, da ja immer die Möglichkeit bestanden hat, dass wir ihn irgendwann einmal wieder brauchen.«

»Es sind Fehler gemacht worden«, gab Strand zu. »Aber vielleicht können wir das in Ordnung bringen. Ich werde ein paar Anrufe machen und sehen, was wir wegen der Operation tun können. Wenn er sich wieder erholt hat, unterhalten wir uns noch einmal mit ihm.«

Egan schüttelte den Kopf. »Die Kugel hat sich vor ein paar Jahren verschoben und ist jetzt von Narbengewebe umgeben. Es ist zu spät. Man kann nichts mehr tun.«

Strand schwieg gerade so lange, dass Egan schon dachte, das Thema wäre erledigt. Aber er hatte kein Glück.

»Gut. Was haben wir über ihn, das sich als Druckmittel eignet?«

»Wie bitte?«

»Sie haben gehört, was ich gesagt habe.«

»Nichts. Er hat großartige Arbeit geleistet. Deshalb wollen Sie ihn ja haben.«

»Jeder hat etwas im Schrank, auf das er nicht gerade stolz ist. Vielleicht sollten wir anfangen zu suchen.«

Egan antwortete nicht sofort, sondern starrte durch die Windschutzscheibe in den klaren blauen Himmel vor sich. Es durfte nicht passieren. Nicht schon wieder. Auf keinen Fall. »Geben Sie mir ein paar Tage Zeit. Ich kümmer mich drum.«

Strands Lippen verzogen sich zu einem kaum wahrnehmbaren Lächeln, dem jeglicher Humor fehlte. »Nein, nein. Sie haben schon genug zu tun. Wir werden Lauren damit beauftragen.«

Die letzte Mission

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