Читать книгу Die letzte Mission - Kyle Mills - Страница 14
ZEHN
ОглавлениеSie übertrieb es – sie rannte fast so schnell wie damals im College, als sie zu Virginias besten Läuferinnen über zehntausend Meter gehört hatte. Langsamer zu werden bedeutete aber auch, dem Rat des Mannes zu folgen, der ihr gesamtes Team abgeschlachtet hatte, und daher wurde sie noch schneller. Das Brennen in ihren Lungen verstärkte sich, und immer öfter musste sie an der Wasserflasche nippen, deren Inhalt so verführerisch in ihrer Hand hin- und herschwappte. Sie war so wütend und frustriert, dass es ihr gelang, das Tempo mehr als zehn Minuten durchzuhalten, obwohl sie nicht sehr gut in Form war und ihre Kampfstiefel wie Klötze an ihren Beinen hingen. Doch dann blieb sie stehen und lehnte sich vornübergebeugt an einen Baum. Heftig hustend versuchte sie, sich vor der Sonne zu verbergen.
Schon früher hatte sie beim Laufen die Welt um sich herum ausgeschlossen. Je schlechter es ihr gegangen war, desto schneller war sie gerannt. Sie hatte ihre Probleme ausgeschwitzt, bis diese verschwunden waren. Aber so etwas hatte sie noch nie erlebt. Kein Tempo war schnell genug, um die Stimmen ihrer Männer zu vergessen, die mit Panik erfüllt gewesen waren und dann für immer verstummten.
»Reiß dich zusammen«, stieß sie zwischen zwei heftigen Atemzügen hervor.
Es ging hier nicht um sie. Sie musste so schnell wie möglich den Highway erreichen, aber mit Spurts von drei Kilometern würde sie die dreißig Kilometer bis dorthin nicht schaffen. Sie fing wieder an zu laufen, dieses Mal in einem vernünftigeren Tempo, doch ihre Beine wollten ihr nicht gehorchen.
Warum hatte sie es eigentlich so eilig? Es war gut möglich, dass al Fayed vollkommen übergeschnappt war, aber dumm war er bestimmt nicht. Er hatte sie so weit draußen abgesetzt, dass er mit Sicherheit genug Zeit zur Flucht haben würde, bevor sie sich mit ihrer Abteilung in Verbindung setzen und Bericht erstatten konnte. Aber was hatte sie eigentlich zu erzählen? Das Ganze würde damit enden, dass sie im Verhörraum saß und Fragen beantwortete, die zunehmend anklagender werden würden und vermutlich rein gar nichts dazu beitragen konnten, al Fayed zu fassen. Oder ihre Männer wieder lebendig zu machen.
Sie versuchte wieder zu laufen, doch nach wenigen Metern ging sie im Schritttempo weiter.
Seit sie die Stelle als Leiterin des SWAT-Teams angenommen hatte, hatte es Spannungen gegeben, die fast unerträglich geworden waren – zwischen ihr und ihrem Chef, zwischen ihr und ihren Männern. Zwischen ihr und so gut wie jedem. War das eine Entschuldigung? Nein. Entscheidend war, dass sie dafür verantwortlich war. Sie hatte den Einsatz geplant; sie hatte die Anweisung gegeben, ins Haus zu gehen. Und jetzt waren alle tot.
Allerdings verstand sie nicht genau, wie es dazu gekommen war. Sie hatte alles getan, was man ihr beigebracht hatte – da sie von al Fayeds Zeit beim Militär wusste, hatte sie darauf geachtet, dass alles genau nach Vorschrift ablief. Sie war auf einen gewalttätigen, paranoiden Drecksack mit einem Stapel automatischer Gewehre und einem tiefen Hass auf die Obrigkeit vorbereitet gewesen. SEAL hin, SEAL her, der Kerl war durch sie und ihre Männer einfach hindurchgelaufen, als wären sie gar nicht da gewesen.
Die raffinierten Sprengfallen und die Tatsache, dass al Fayed sich bis an die Zähne bewaffnet auf dem Dachboden versteckt hatte, deuteten daraufhin, dass er sie erwartet hatte. Oder war er einfach nur ein übergeschnappter Paranoiker, der in den letzten fünf Jahren jede Nacht auf einen Angriff gewartet hatte?
Karen hielt sich für eine recht gute Menschenkennerin. Daher glaubte sie das Meiste von dem, was al Fayed ihr erzählt hatte. Zumindest glaubte sie, dass er glaubte, was er gesagt hatte. Er hatte jemanden erwartet, der Strand hieß. Vielleicht hatte dieser Strand etwas mit den kolumbianischen Drogenkartellen zu tun, für die al Fayed gearbeitet hatte? Das war zwar schon eine ganze Weile her, aber dass die Kolumbianer noch eine Rechnung mit ihm zu begleichen hatten, war gar kein so abwegiger Gedanke. Interessant war auch, dass al Fayed offenbar keine Ahnung hatte, wer die Ramirez-Brüder waren. Außerdem wunderte sie sich darüber, dass sie noch am Leben war. Nachdem er so viele Polizeibeamte getötet hatte, war sie doch nur eine lästige Zeugin, nichts weiter.
Karen nahm einen kleinen Schluck aus ihrer Wasserflasche und lief wieder los, dieses Mal in einem Tempo, das sie bis zum Highway durchhalten konnte. Außerdem konnte sie dabei denken – sie wollte sich jedes Detail ihres Gesprächs mit al Fayed ins Gedächtnis rufen. Sie war zwar nicht in Panik geraten, aber vor Angst fast wahnsinnig geworden. Weder ihre Ausbildung noch sonst etwas hatten sie darauf vorbereitet, von einem Psychopathen, der ganz allein ein komplettes SWAT-Team ausgeschaltet hatte, an einen Stuhl gefesselt zu werden.