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Kapitel 7

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„Du warst aber schnell, Benjamin“, begrüßte ihn Sarah, als er wieder in die Krankenstation trat.

Ein Blick auf seine Uhr verriet ihm, dass gerade mal eine gute halbe Stunde vergangen war. Na ja, er hatte im ohnehin sauberen Gästezimmer gesaugt und schnell noch einen Diwan aus dem Kellerlager geholt. Eine Orientalin brauchte doch einen Diwan, auf dem sie sich genüsslich niederließ, oder nicht?

Während er das edle Stück hochtrug, hatte er sich vorgestellt, wie sich Jasmin auf dem opulenten roten Samt mit den goldenen Absetzungen in einem durchsichtigen Organzakleid rekelte. Dabei war er sofort hart geworden. Er hatte versucht, das zu ignorieren. Anschließend hatte er, aus einer Laune heraus, das frische Bettzeug durch schwarze Seidenbezüge ersetzt. Dabei war er mit seinen Händen über das schmeichelnde Gewebe geglitten und hatte sich vorgestellt, wie die schwarze Seide Jasmins nackte Haut im Schlaf streicheln würde. Danach war er nicht mehr imstande gewesen zu ignorieren, was steinhart und schmerzlich fordernd in seiner Hose vor sich ging. Er war unter die Dusche geflüchtet und hatte versucht, nicht nur seinen Schmutz loszuwerden.

Hinterher beim Anziehen hatte er dreimal die Hose gewechselt und am Ende noch das Hemd durch ein dunkelgraues Rippenshirt ersetzt. Nicht dass in der hautengen, ausgewaschenen Bluejeans und dem Rippenshirt, das seine breite Brust und den ansehnlichen Bizeps regelrecht umspannte, seine Figur besser zum Ausdruck gekommen wäre. Er war schon immer gut gebaut gewesen, und seit Agnus ihn in die Mangel genommen hatte, kamen seine Muskeln noch besser zur Geltung.

Frauen liebten doch muskulöse Männer, nicht wahr?

Und warum war das auf einmal wichtig?

„Ben?“, fragte Sarah zögerlich.

Aus seinen Gedanken gerissen, sah er verlegen auf seine Uhr, verdrängte aber die Tatsache, dass er alles in maximaler Vampirgeschwindigkeit erledigt hatte, um schneller wieder …

„Ich bin eben ein Vampir und trödeln liegt mir nicht.“

Er blickte zu Jasmin, die immer noch treu an Aishas Bett saß, deren Hand hielt und beruhigende Worte murmelte.

Kaum hatte sie seinen Blick bemerkt, wandte sie ihm den Rücken zu. Jetzt hatte er nur noch einen nahezu konturlosen, schwarzen Stoffberg vor sich. Na toll.

Demonstrativ wandte auch er sich von ihr ab und versuchte, seine Kränkung zu überspielen: „Ich wollte mich nach Aisha erkundigen, Sarah. Was ist bei den Untersuchungen herausgekommen?“

„Der Verdacht hat sich leider bestätigt. Ihre Wirbelsäule war zweimal gebrochen, wobei zertrümmert wohl der bessere Ausdruck ist. Ein paar Rippen hat es auch erwischt. Ohne Alvas Gabe wäre sie hoffnungslos querschnittsgelähmt.“

Kein Wunder, dass die Ärztin vorher so erschöpft gewesen war.

„Wie sieht Alvas Behandlungsplan aus?“

„Die nächsten drei bis vier Tage werden wir sie im Tiefschlaf lassen und dann sehen, ob sich auch die Nerven erholt haben. Anschließend beginnen wir mit einer Art Reha.“

Er hatte Mühe, sich zu konzentrieren, und blickte erneut zu Jasmin.

„Jasmin sieht nicht mehr so blass aus. Hast du ihr schon die Infusion gegeben?“

„Ja. Ich hab sie zügig durchlaufen lassen und vor drei Minuten den Infusionsbeutel und die Kanüle entfernt.“

„Ich hätte doch die Wunde verschließen können“, meinte er leicht verärgert.

„Es war nur ein kleiner Einstich und mir schien ein Pflaster unproblematischer, so wie sie vorhin auf dich reagiert hat“, flüsterte Sarah.

„Dafür kann ich aber nichts“, protestierte er umgehend.

Sarahs Gesicht nahm einen traurigen Ausdruck an.

„Ich weiß, ich habe sie geröntgt.“

Er ahnte nichts Gutes.

„Komm bitte mit, ich zeig dir die Aufnahmen.“

Hinter der geschlossenen Tür im Nebenraum studierte Ben intensiv die Röntgenbilder von Jasmin.

„Keine frischen Brüche, alles alte Verletzungen.“

„Richtig“, meinte Sarah sichtlich bedrückt.

Ben ballte die Hände zu Fäusten. Die Bilder erinnerten ihn an die der Frauen, die nach einem „häuslichen Treppensturz“ – sprich zusammengeschlagen – in der Notaufnahme gelandet waren.

„Sei bitte nett zu ihr“, bat sie und legte ihre Hand auf eine seiner Fäuste. Ihre Augen waren nass. Kein Wunder, sie hatte bei Lucius selbst die Hölle durchgemacht. Auf einem Röntgenbild würde man das allerdings ebenso wenig sehen wie die Wunden ihrer Seele.

„Ich muss wieder rein und Aishas Werte im Auge behalten.“

Ben blieb zurück und kämpfte seine aufkommende Wut gegen den, der Jasmin das angetan hatte, nieder.

Jasmin hatte das Ergebnis seiner Wut nicht verdient.

Sarah hatte recht.

Agnus hatte recht.

Er sollte wirklich nett zu Jasmin sein.

Normalerweise liebten ihn die Frauen. Zu ihnen nett zu sein, war eine seiner leichtesten Übungen. Aber wie sollte man zu einem Kaktus nett sein? Vermutlich würde Jasmin auf alles, was er als „nett“ empfand, mit einem Fauchen oder einem Dolch reagieren.

Er spielte mit dem selbst gemachten Lederarmband, das seine Schwester Lissi ihm geschenkt und in das sie zwei Anhänger eingeflochten hatte.

„Das Herz bedeutet, ich werde dich immer lieben, und das Kreuz, dass ich Gott immer darum bitten werde, dich zu behüten, genauso wie er mich behütet, wenn du nicht mehr bei mir bist.“

Seit Lissi ein kleines Kind war, hatte sie Abend für Abend vor ihrem Bettchen gekniet und für ihn ein kleines Gebet gesprochen – und Gott schien ihr Gebet stets erhört zu haben. Jasmin hatte sicher niemanden, der für ihren Schutz gebetet hatte …

Lissi war jederzeit zuversichtlich geblieben und Benedikt, der geheimnisumwitterte Mönch, der sie ab und zu besuchte, hatte ihm gesagt: „Das Gebet gibt Lissi Frieden und Zuversicht. Du solltest es auch mal versuchen.“

Doch er war nach dem Tod seines Vaters verbittert gewesen, zu verbittert, um zu beten.

Ben riss sich mit Gewalt aus seinen Gedanken und kehrte zu Jasmin zurück.

***

Jasmin wusste, sie hätte gar nicht hinsehen dürfen, als Ben-Yamin wieder hereinkam. Seine türkisblauen Augen würden sie noch ins Verderben ziehen! Sie lockten sie wie ein tiefes, sanftes Meer, in dem man gewillt war, für immer zu ertrinken. Den Blick von ihnen abzuwenden, fiel ihr wirklich schwer. Der Schleier, den sie trug, ließ ihre verräterischen Augen leider frei. Schnell griff sie in ihre Tasche und band sich zur Sicherheit noch ein durchsichtiges schwarzes Tuch um ihren Kopf, nichts Ungewöhnliches bei den reichen, verheirateten Frauen in der Hauptstadt des Königreiches.

Als Ben-Yamin wegsah, riskierte sie ein, zwei Seitenblicke, die er dank ihres Tuchs nie bemerken würde.

Er sah unverschämt gut aus. Sein Gesicht strahlte so viel Sanftmut und Mitgefühl aus, dass sie fast vergaß, zu was Männer imstande waren. Er war groß und muskulös, aber dennoch schlank und geschmeidig in seinen Bewegungen – besser hätte ein Mann gar nicht gebaut sein können.

Das neue Gefühl, dieses angenehme Ziehen und heiße Prickeln tief unten, wurde stärker.

Als sie jedoch erneut einen verstohlenen Blick riskierte, bemerkte sie nicht nur, dass er eine unerhört enge Hose anhatte. Nein, jetzt erkannte sie auch die mächtige Erektion, die sich von innen gegen seine Hose presste. Sie hörte, wie er leise mit Sarah sprach, zu leise für ihre Ohren, und dabei sah er – schon wieder – direkt zu ihr.

Bestimmt fragte er Sarah gerade, wie sie nackt aussah. Schließlich hatte er ja schon vorhin versucht, sie nackt zu sehen.

Das angenehme Ziehen und Prickeln wurde augenblicklich von Eiseskälte verschluckt und kurz darauf stand er bereits vor ihr. Da sie saß, war seine Erektion genau auf ihrer Augenhöhe. Leicht zu erraten, was er sich wünschte und vorhatte …

Ihre Hände fingen an zu zittern.

„Hast du schon was gegessen?“

„Nein“, brachte sie mit trockener Kehle hervor.

„Dann wird es höchste Zeit.“

„Du kannst bei Elia Essen holen, Ben“, bot Sarah an. „Ich habe heute Fenchel-Lachs-Quiche und einen Feldsalat mit Rucola und Ziegenkäsewürfeln zubereitet. Es ist noch genug übrig, auch von der Crème brulée.“

„Klingt lecker. Was meinst du, Jasmin?“

Sie nickte steif.

„Außerdem musst du todmüde sein. Normale Menschen schlafen um diese Zeit längst.“

Sie wusste inzwischen, dass ihr Gästequartier direkt neben dem von Ben-Yamin lag.

Ihr brach der Schweiß aus.

Hilfe suchend blickte sie zu Sarah.

„Ich könnte doch auch hier essen und schlafen.“

„Nein!“, bestimmte Ben-Yamin energisch, sein freundlicher Ton war schlagartig dahin.

Sie war lange genug eine Frau, um seinen deutlichen Wunsch herauszuhören, sie bei sich zu haben, und ihre Erfahrung hatte sie gelehrt, nach was es Männer dabei gelüstete.

In diesem Quartier wäre sie ihm hilflos ausgeliefert!

Das Dokument des Königs war doch nur eine Farce, das wussten sie beide!

Pure Verzweiflung, die in ihr hochkroch, gab ihr den Mut zu widersprechen: „Ich muss mich um Aisha kümmern!“

„Ben hat recht, Jasmin, du brauchst Ruhe“, meinte Sarah sanft.

Wie konnte diese nette Frau ihr nur die letzte Möglichkeit nehmen, in Sicherheit zu bleiben?

„Du hast Aisha die alten Kleider ausgezogen und sie gewaschen, soweit das ging, mehr kannst heute nicht für sie tun. Mach dir keine Sorgen. Sie liegt im Tiefschlaf, damit sie sich nicht bewegt, und deswegen wird sie weder aufwachen noch Schmerzen haben. Du hattest einen furchtbaren Tag, Jasmin. Du darfst jetzt auch mal an dich denken.“

Sie dachte die ganze Zeit an sich, denn dieser Tag würde vielleicht noch viel furchtbarer werden!

„Außerdem kommen hier öfters Männer rein, ohne anzuklopfen“, meinte Ben-Yamin unmissverständlich.

Sollte sie etwa mit ihm kommen, damit sie nicht anderen in die Hände fiel? Das hieß doch nur, er wollte sie für sich allein haben.

„Hier“, sagte er, hob als deutliches Signal ihre Tasche auf und reicht sie ihr.

Eigentlich müsste sie jetzt aufstehen und mit ihm gehen – offiziell war er ihr männlicher Verwandter, auf den sie zu hören hatte. Doch ihre Hände klammerten sich in eiskalter Furcht krampfhaft an den Stuhl.

Fünf Zeugen, raste es durch ihre Gedanken. Fünf weibliche Zeugen brauchte eine Frau im Land des Königs, um vor Gericht die Stimme eines Mannes aufzuwiegen. Fünf Zeuginnen die aussagten, dass sie den Mann nicht verführt hatte, was unter schwerer Strafe stand, sondern er sie vergewaltigt hatte. Doch wann waren bei Vergewaltigungen jemals fünf Frauen dabei? Anwesende Männer beteiligten sich entweder oder holten sich dabei einen runter. Und Beweise hätte sie auch keine. Sie wusste, dass Vampirblut alle Spuren beseitigen würde, wenn er sie zwang, es zu trinken.

„Du kommst jetzt mit mir, Jasmin!“, befahl Ben-Yamin abrupt, und bevor sie nachdenken konnte, war sie auch schon aufgestanden und losmarschiert.

Sie verwünschte diese Hörigkeit gegenüber Männern, die man den Mädchen von Kindesbeinen an einprügelte.

Der Weg durch die Flure war ein einziges Spießrutenlaufen. Alle Männer, die ihr begegneten, sahen sie an, lächelten ihr zu. Einer meinte sogar, sie hätten selten Damenbesuch hier.

Na großartig! Ihr König hätte sie auch gleich an ein hungriges Löwenrudel verfüttern können!

Diese anderen durften sich jedoch kaum Hoffnungen machen, denn dass dieser Ben-Yamin sie nicht teilen würde, spürte sie ganz deutlich.

Als er die Tür zu seinem und ihrem Quartier öffnete, war es mit ihrer Beherrschung vorbei. Sie stand wie angewurzelt da, unfähig, über die Schwelle zu treten.

„Hey, alles in Ordnung? Ist dir wieder schwindelig, Jasmin?“

Warum klang er nur so besorgt?

Sie schluckte und schüttelte den Kopf, suchte nach einem Ausweg.

„Ich – ich glaube nur nicht, dass ich jetzt etwas essen oder schlafen kann. Verzeihung, aber es wäre unhöflich, dir umsonst Mühe zu machen. Es wäre besser, ich kehre zur Krankenstation zurück.“

„Nein, auf keinen Fall“, sagte er energisch, fuhr dann aber freundlicher fort: „Das liegt am Adrenalin in deinem Körper, vielleicht auch am Blutdruckmittel. Was tust du denn sonst, um dich zu entspannen?“

„Schwimmen“, stammelte sie, überrascht von der Frage, „Ich schwimme für mein Leben gern. Im Wasser fühle ich mich einfach wohl.“ Und frei! Frei von begehrenden Männerblicken, deshalb auch frei vom Schleier, frei von schwarzer Kleidung, die sie immer wieder zum Schwitzen brachte und den frischen Wind nicht auf ihrer Haut spüren ließ.

Im Wasser fühlte sie sich völlig frei. Es gab keine Zwänge und das warme Wasser streichelte ihren Körper so sanft und umarmte sie so liebevoll wie sonst nichts auf der Welt.

„Eine Frau aus der Wüste, die gern schwimmt?“, fragte er mit offensichtlicher Neugier. Aber sie hatte nicht vor, seine Neugierde zu befriedigen, er würde ja doch nur nachhaken.

Aber Schwimmen war von klein auf etwas Besonderes für sie gewesen.

Ihre Familie wohnte in einem kleinen Fischerdorf am Meer, wo die Palmen bis an den Sandstrand wuchsen. Nachts, wenn alle schliefen, schlich sich ihre Mutter oft aus dem Haus und ging heimlich im Meer baden. Eines Nachts, als Jasmin noch ein kleines Mädchen war, lief sie ihr nach und wollte dann natürlich auch baden. Ihre Mutter und sie beschlossen, dass das ihr Geheimnis bleiben würde, denn sie badeten nackt, weil sie sich keine islamische Badebekleidung leisten konnten. Außerdem war zu dieser Zeit niemand am Strand, der sie hätte sehen können, und ohne lästige Kleider zu baden, war auch viel angenehmer. Mutter brachte ihr das Schwimmen bei und diese Zeiten nachts mit ihr zählten zu den schönsten ihrer Kindheit …

„Wenn du schwimmen willst, lässt sich das einrichten“, unterbrach Ben-Yamin ihre Gedanken. „Wir haben ein Schwimmbad im Haus.“

Sanft berührte Narben

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