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Kapitel 10

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Nach dem zweiten Glas Wein stellte sich heraus, dass Jasmin Traubenlikör ebenfalls sehr mochte.

Vielleicht war das auch der Grund, warum sie sich in seiner Gegenwart mehr und mehr entspannt hatte, selbst wenn er die Lorbeeren dafür gern für seine Person geerntet hätte.

Er schenkte gleich noch einmal nach und meinte gedankenverloren: „Harem – das hört sich für mich wie ein Märchen aus Tausendundeine Nacht an.“

„Im Grunde genommen ist der Harem nur ein abgetrennter, geschützter Bereich für die Frauen.“ Sie zeigte auf die offene Tür zum Gästequartier. „Das dort ist sozusagen dein Harem. Es ist mein Frauenbereich, zu dem kein Mann Zutritt hat.“

„Ich dachte, die Wächter des Harems wären immer Eunuchen. Da kann ich wohl froh sein, dass ich für den Job keine Opfer bringen musste.“ Schmunzelnd griff er sich in den Schritt.

Jasmin wurde rot und blickte zur Seite.

„Das wäre schade“, flüsterte sie kaum hörbar, „du wirst bestimmt einmal die stärksten und schönsten Söhne zeugen.“

„Oder die hübschesten Töchter.“ Am liebsten mit dir, schoss es ihm unwillkürlich durch den Kopf und er wurde augenblicklich hart. Um sich nichts anmerken zu lassen, rückte er näher an den Tisch und fragte schnell: „Was machen Frauen eigentlich den ganzen Tag in einem Harem?“

Das Bild von einem Diwan, auf dem sich Jasmin genüsslich rekelte, stand ihm wieder vor Augen.

„Na ja, sie verwenden viel Zeit für ihre Schönheitspflege, lassen sich Friseure und Nagelstylisten kommen. Wenn sie Spaß haben wollen, spielen sie gern Wii, Playstation oder singen Karaoke, was sich manchmal furchtbar anhört …“

Sie mussten plötzlich beide lachen.

Das unbeschwerte Lachen verzauberte Jasmins Gesicht und er nahm sich vor, sie häufiger zum Lachen zu bringen.

„Außerdem lieben es die Frauen meines Königs, online shoppen zu gehen. Manchmal laden sie sich aus dem Internet auch heimlich Filme aus dem Westen herunter, die bei uns verboten sind …“

Er gewann den Eindruck, Jasmin redete nur von den anderen, aber sie war nicht wie die anderen Haremsdamen. Sie hatte nicht kreischend hinter jemandem Deckung gesucht, sondern den Mut gehabt, sich einem mörderischen Raubtier in den Weg zu stellen.

War es möglich, dass sie in dieser Situation gar nicht den Mann in dem Vampir gesehen hatte?

„Was ist mit dir, Jasmin? Was machst du so?“, hakte er schließlich nach.

„Anfangs habe ich auch Wii und das ganze Zeug gespielt. Es war lustig, aber bald wurde mir das zu stupide. Ich wollte mehr …“

Sie ließ den Satz in der Luft hängen und stachelte seine Neugier damit nur noch mehr an.

Wer war Jasmin? Was wünschte sie sich tief in ihrem Herzen und was verbarg sie dort mit aller Macht?

Jasmin hatte seinen Jagdinstinkt geweckt, auch wenn seine Beute in dieser Nacht nur Antworten sein würden, also hob er eine Augenbraue. „Ich bin neugierig.“

„Ich habe meine fehlende Schulbildung nachgeholt und einen Abschluss gemacht.“

Als er sie fragend ansah, erklärte sie: „In unserem Dorf konnte ich nur die Grundschule besuchen. Die nächste weiterführende Schule war zu weit weg, außerdem musste ich zu Hause mithelfen und – wurde früh verheiratet.“

Wütend unterdrückte er ein mörderisches Knurren, doch seine Miene bezüglich einer so frühen Heirat verriet wohl alles.

„Meine Eltern meinten es gut mit mir!“, protestierte Jasmin sofort, doch ihr bitterer Gesichtsausdruck sprach Bände.

„Mein verstorbener Mann kam aus dem reichen Nachbarstaat und war in ihren Augen sehr wohlhabend. Sie wollten, dass ich eine bessere Zukunft habe als in unserem Dorf, wo es weder fließendes Wasser noch klimatisierte Häuser gibt.“

Auch ohne Einzelheiten zu wissen, hätte er diesem Kerl am liebsten jeden Knochen einzeln gebrochen und dann seine Haut streifenweise abgezogen. Aber leider war ihr Ehemann schon tot und er wollte das Gespräch am Laufen halten. Deshalb hob er in einer beschwichtigenden Geste die Hände.

„Hey, ich hab keinen Ton gesagt, Jasmin. Bitte erzähl weiter.“

Sie atmete tief durch.

„Nach dem Schulabschluss habe ich mehrere Fernlehrgänge in unterschiedlichen Fremdsprachen absolviert. Leider habe ich aber nur zwei staatlich anerkannte Abschlüsse. Die Prüfungen dafür legte ich während eines Staatsbesuchs meines Königs in London ab.“ Einen Moment lang sah sie traurig zur Seite. „Bei allen anderen war es mir nicht möglich, persönlich zu den Prüfungen zu erscheinen.“

„Das erklärt wohl, warum du unsere Sprache so perfekt beherrschst“, warf er rasch ein, denn er mochte sie nicht traurig sehen.

„Um ehrlich zu sein, musste ich nicht so hart dafür lernen wie andere“, antwortete sie bescheiden. „Ich bin wegen dieses Zeichens anscheinend außergewöhnlich begabt. Das meint zumindest mein König.“

Sie schob ihren schwarzen Ärmel zurück und deutete auf die Innenseite ihres linken Handgelenkes, wo sich ihre Blüte der Ewigkeit befand. In den beiden Blättchen, die eine Symbiontin schon bei der Geburt kennzeichneten, hätten Menschen nur ein außergewöhnlich filigranes Branding gesehen, doch in den Augen eines Vampirs leuchteten sie fluoreszierend.

Ben fragte sich, welche Blüte sich wohl aus ihren Blättchen entwickeln würde, falls eine Symbiose mit einem Vampir entstand. Die war bei jeder Frau nämlich anders und es geschah nur dann, wenn bei beiden gleichzeitig, sowohl beim Vampir als auch bei der Frau, ein ganz bestimmter, komplexer Hormoncocktail im Blut bildete.

Einfacher gesagt: Die Chemie, die der menschliche Körper im Blut erzeugen musste, um die Symbiose in Gang zu setzen, wurde durch Liebe, Verliebtsein oder Leidenschaft ausgelöst. Erst sie brachte die Blüte der Ewigkeit zum Erwachen und war damit ein äußeres Anzeichen der starken, inneren Verbindung, die zwischen ihnen wuchs, und der beginnenden Symbiose. Aber so, wie Jasmin auf Männer reagierte, würde die Blüte sicher niemals erwachen.

Andererseits hätten die überlangen Ärmel die sicherlich ästhetische Blüte sowieso verdeckt, genau wie den Rest ihres wunderschönen Körpers, der sich unter schwarzen, konturlosen Tüchern verbarg. Für ihn war das schon fast ein Verbrechen.

„… deshalb begleite ich unseren König auch als Übersetzerin auf vielen seiner Auslandsreisen“, erklärte Jasmin gerade. „Zudem gibt mir das die Gelegenheit, etwas von der Welt zu sehen.“

Bei der letzten Bemerkung leuchteten ihre Augen geradezu, aber dann fügte sie leiser hinzu: „Leider sehe ich von der Limousine, den Hotels oder den Konferenzräumen aus kaum etwas von dem, was ich vorher im Internet entdeckt habe.“

Jetzt – er beschloss, jetzt wäre der richtige Zeitpunkt.

Für ihn war von großer Bedeutung, was sie ihm gleich antworten würde, und es hatte Einfluss auf die nächsten Tage. Aber damit Jasmin nichts ahnte, formulierte er seine Frage bewusst als lässige Nebenbemerkung.

„Wenn du drei Wünsche frei hättest, wie im Märchen, was würdest du dir wünschen, Jasmin?“

Sie bekam glänzende Augen und einen verträumten Blick – das kam sicher nicht nur vom dritten Glas Traubenlikör – und es gefiel ihm sehr, sie so zu sehen.

Endlich habe ich mal was richtig gemacht und war nett!

„Autofahren! Ich wünsche mir schon so lange, Auto zu fahren. Im Land des Königs ist es leider verboten, dass Frauen fahren lernen oder selbst ein Fahrzeug lenken – noch nicht mal den Bimmelzug im Zoo, am Frauentag.“

Frauen durften nicht Auto fahren? Würden sie den Männern sonst davonfahren oder was? Wobei – die Unfallstatistik dort wäre mal einen Blick wert …

„Meine Aufenthalte als Übersetzerin des Königs waren leider immer zu kurz, um im Ausland eine Fahrerlaubnis zu erwerben.“

„Und dein zweiter Wunsch?“

„Ich würde wahnsinnig gerne mal tauchen.“

Fragend sah er sie an „Aber du tauchst doch erstaunlich gut.“

Er hätte sich am liebsten auf die Zunge gebissen! Ein Glück, dass sie nicht nachfragte, woher er das wusste.

„Nein, ich meine so richtig, mit einem Atemgerät, im Meer, zwischen den Fischen und Korallen. Ich habe so viele Filme darüber gesehen – es muss fantastisch sein.“

Ihr sehnsüchtiger, verträumter Gesichtsausdruck war ein größerer Genuss als der Wein in seinem Glas und machte ihn beinahe süchtig. Er wollte sie unbedingt öfter so erleben.

„Mein dritter Wunsch wäre es, einmal in einer richtigen Disco zu tanzen mit künstlichem Nebel, Licht- und Soundeffekten.“

Jasmin musste wohl seinen verständnislosen Blick aufgefangen haben, denn sie erklärte ihm: „Bisher habe ich immer nur für mich allein getanzt. Diskotheken oder Nachtclubs sind bei uns verboten, und wenn es welche gäbe, wäre es sicher nicht erlaubt, dass ich ohne Ehemann dorthin gehe oder entsprechend leicht bekleidet in Gegenwart anderer Männer tanze. “

Mit leicht bekleidet meinte sie vermutlich ohne den schwarzen Stoffberg. Aber um ehrlich zu sein: Falls sie seine Freundin wäre, würde er sie auch nicht allein in die Disco lassen, wo eine Horde geiler Männer darauf wartete, eine Frau abzuschleppen – egal ob mit oder ohne Stoffberg.

War er am Ende etwa auch nicht besser, als jene arabischen Männer, die ihre Frauen nicht ohne männliche Begleitung aus dem Haus ließen?

Jasmin senkte ihren Blick wieder einmal zur Tischplatte und ergänzte leise: „Aber ich hätte auch zu große Angst, dass Männer Gefallen an mir finden und …“

Oh, sie würden ganz sicher Gefallen an ihr finden und er wüsste genau, was er mit denen anstellen würde …

Jasmin hatte die Arme um ihren Oberkörper geschlungen.

„Wie machen das die Frauen in eurem Land nur?“

„Sie tanzen sich die Seele aus dem Leib, lassen all ihre Gefühle raus und haben jede Menge Spaß.“

Jasmin fing an, sich leicht hin und her zu wiegen.

„Aber wenn …“

Ihm fielen tausend schmerzhafte Sachen ein, die er mit Kerlen tun würde, wenn … Doch er gab sich alle Mühe, ganz im Sinne von emanzipierten Frauen zu antworten: „In unserem Land wehren sich die Frauen und zeigen den Männern ihre Grenzen.“

„Und wie?“, stieß sie in einer Mischung aus Angst und Zorn aus, ohne dabei hochzusehen.

„Sie sagen deutlich, wenn sie etwas nicht wollen. Wenn es sein muss, verteilen sie auch mal eine Ohrfeige oder einen Tritt in die richtige Stelle.“

„Und das funktioniert bei euch?“, fragte Jasmin beinahe hoffnungsvoll und sah ihm dabei endlich in die Augen. Die abgrundtiefe Furcht, die er darin sah, machte ihn wütend.

Aber noch etwas anderes geschah: Ihm war, als würde sie mit ihren Augen über eine imaginäre Brücke gehen und bei ihm Schutz suchen. Unwillkürlich lehnte er sich ein Stück über den Tisch und hielt die Verbindung.

„Solange du bei mir bist, wird dich keiner anfassen, das schwöre ich dir.“

Ohne zu überlegen, waren die Worte direkt aus seinem tiefsten Inneren gekommen.

„Ich glaube dir“, hauchte Jasmin und hielt noch für einen Moment die Verbindung, bevor sie blinzelte und zur Seite schaute. „Aber was wäre, wenn …“

„Jasmin, wenn ein Mann eine gewisse Grenze überschreitet, ist das bei uns gesetzlich strafbar!“

Er brauchte seine ganze Beherrschung, um seinen Zorn zu unterdrücken und mit ruhigerer Stimmer weiterzusprechen.

„Es gibt natürlich Orte oder Umstände, in die sich eine Frau lieber nicht allein begeben sollte, aber das wissen sie.“

Jasmin schien sich förmlich in ihrem schwarzen Stoff verkriechen zu wollen, als sie zögernd fragte: „Liegt es an der Kleidung, wenn eine Frau … zumindest behaupten das viele in unserem Land.“

„Sag du es mir. Denn dann dürfte es in eurem Land ja keine Vergewaltigungen geben, oder?“

Sie riss den Blick zu ihm hoch, ein Ausdruck des Schocks lag auf ihrem Gesicht, während sie regelrecht erstarrte.

Treffer!

Doch Jasmin brauchte nicht lange, um sich wieder in den Griff zu bekommen. Sie erhob sich ruckartig – und schwankte.

Er war im Bruchteil einer Sekunde bei ihr und stützte sie am Arm.

„Lass mich los!“

„Ich wollte doch nur …“ Aber er ließ sofort los.

„Das schaffe ich allein.“

Sie hielt sich an der Stuhllehne fest und atmete tief durch.

„Danke, dass du mir das Abendessen gebracht hast. Es war ausgezeichnet.“

„Ich werde es Sarah ausrichten“, sagte er traurig, denn sie hatte ihm schon den Rücken zugewandt und ging zur Tür, die sie trennen würde. Zwei Herzschläge von Jasmin, dann war sie verschwunden. Der Schlüssel drehte sich im Schloss und er hörte, wie sie erneut etwas Schweres, vermutlich die Kommode, vor die Tür schob.

Sanft berührte Narben

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