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Klammerstrukturen und Topologie

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Innerhalb deutscher Sätze kann die Struktur der Verben einteilig oder zweiteilig sein. Die „konventionelle Standardform“ (Weinrich 1993, S. 40) sind zweiteilige Verben. Sie bilden aufgrund ihrer Zweiteiligkeit im Syntagma eine Klammerstruktur, die sogenannte Satz- oder Verbklammer. Sie gilt als das „wichtigste syntaxtypologische Merkmal des Deutschen“ (Nübling 2010, S. 91). Eine Satzklammer entsteht dadurch, dass ein einteiliges Verb durch ein Hilfs- oder Modalverb, das temporale, passivische oder modale Bedeutung ausdrücken kann, erweitert wird (vgl. 28 a–c). Den zweiten Bestandteil bildet dann jeweils ein zum Partizip oder Infinitiv umgebildetes infinites Verb.

1 a) Ich habe früher Cello gespielt.b) Sie wird von ihm unterstützt.c) Ich muss ihm helfen.

Auch ein weiteres Vollverb kann zur Bildung einer Verbklammer führen (29a). Außerdem können einteilige Verben durch Wortbildung – insbesondere Partikelverbbildung – erweitert und somit zu einem zweiteiligen ausgebaut werden.1 In finiten Verberst- und Verbzweitkonstruktionen steht im Präsens und Präteritum Aktiv eine solche Verbpartikel dann satzklammerbildend hinter dem Verbstamm (29b).

1 a) Ich lerne dich langsam kennen.b) Gertraud prüft die Ergebnisse nach.

Als Spezialform der Satzklammer lässt sich die Kopulaklammer auffassen. Sie besteht aus einem Kopulaverb (z.B. sein, bleiben) und einem Prädikatsnomen (30a) oder einem Prädikatsadjektiv (30b).

1 a) Sie ist bereits seit drei Jahren Vizerektorin.b) Sie war über das Ergebnis der Abstimmung froh.

Prinzipiell ist jedes Verb der deutschen Sprache grammatisch, vielfach auch lexikalisch zu einem zweiteiligen Verb erweiterbar. In Hinblick auf die Textanalyse ist bedeutsam, dass zwischen dem klammeröffnenden und dem klammerschließenden Element beliebig viele Satzglieder stehen können. Da aus der Bedeutung des ersten Prädikatteils in der Regel nicht sicher auf den zweiten geschlossen werden kann, bleibt die Bedeutung des Gesamtprädikats bis zum zweiten Teil offen. Somit wird Spannung erzeugt und der Rezipient bleibt aufmerksam:

Mit dem klammeröffnenden Element wird die Spannung erzeugt. Sie verstärkt sich in dem Maße, wie die Klammer mehr und länger (im Grenzfall bis zum Zerreißen) gedehnt ist. Mit dem klammerschließenden Element wird die Spannung abrupt wieder abgebaut. Dieses Zusammenspiel der Klammerelemente macht den Text ‚spannend‘. (Weinrich 1993, S. 30)

Eine besondere Klammerart ist die Adjunktklammer (oder ‚Konjunktionalklammer‘). Sie findet ihre Anwendung vor allem in untergeordneten Sätzen, bei denen das finite Verb in Letztstellung steht. Das klammeröffnende Element bildet dann eine Subjunktion, während das Verb die Klammer schließt (31).

Wir untersuchen Twitter-Posts, weil geschriebener Text im thematischen Zentrum der Tagung steht.

Die Satzklammer strukturiert vornehmlich die Topologie des deutschen Satzes, die darüber hinaus vergleichsweise flexibel und komplex ist. Zur Beschreibung der Wortstellung in Sätzen hat sich das sog. (Stellungs-)Feldermodell etabliert, das in seinen Anfängen auf DRACH (1937) zurückgeführt werden kann. Demnach lassen sich deutsche Sätze prototypisch in folgende Felder untergliedern.

Vorfeldlinke Satzklammer1. PrädikatsteilMittelfeldrechte Satzklammer2. PrädikatsteilNachfeld
SiehatMartin gestern ein Buchgeschenktnach langem Überlegen.

Im Falle einteiliger Verben bleibt in derartigen Konstruktionen der rechte Klammerteil unbesetzt. Da aber jedes einteilige Verb zu einem zweiteiligen erweitert werden kann, scheint es gerechtfertigt, für den rechten Teil der Satzklammer ein Nullelement anzunehmen.

Vorfeldlinke Satzklammer1. PrädikatsteilMittelfeldrechte Satzklammer2. PrädikatsteilNachfeld
SieschenkteMartin gestern ein BuchØnach langem Überlegen.

Bezogen auf die beiden Plätze der Prädikatsteile lassen sich damit drei Stellungsfelder unterscheiden. Vor dem finiten Verb befindet sich das ‚Vorfeld‘, nach dem infinitem Prädikatsteil das ‚Nachfeld‘ und zwischen den Prädikatsteilen das ‚Mittelfeld‘. Vor dem Vorfeld können Satzteile stehen, die nicht regulär ins Feldermodell integriert sind. Sie bildet dann ein ‚Vorvorfeld‘, z.B.:

Seinen Partner, den darf man doch wohl auf die Hochzeit mitbringen.

Im Vorvorfeld wird häufig ein neues Thema eingeführt. Elemente, die sich in dieser Position befinden, sind besonders exponiert. Im Vorfeld selbst darf in der Regel nur genau ein auf das Prädikat bezogener Satzteil stehen, ein Satzglied. Im Mittelfeld können null bis mehrere Satzglieder stehen, ebenso theoretisch im Nachfeld. In Bezug auf die Verteilung der Satzglieder ist grundsätzlich relevant, wo Subjekt und Objekt stehen. Befindet sich eines von beiden im Vorfeld, gilt die Reihenfolge ‚Subjekt vor Objekt‘ (33a) im Deutschen als Grundstellung. Die Objekt-Prädikat-Subjekt-Reihenfolge (33b) gilt dementsprechend als markiert und wird oft als „Ausdrucksstellung“ oder „Kontraststellung“ bezeichnet, auch wenn sie in bestimmten Kontexten neutral (vgl. Kap. 3.2.2) erscheinen kann (33c).

1 a) Er isst gerne Sashimi.b) Sashimi isst er gerne.c) Seine Kollegen haben ihn in ein japanisches Restaurant eingeladen. Sashimi isst er besonders gerne.

Wie die Beispiele zeigen, kann das Vorfeld damit der Thematisierung von Bekanntem wie auch der Hervorhebung von relevantem Neuen dienen.2 Das Vorfeld kann auch leer sein, beispielsweise bei elliptischen Aussagen (z.B. Fehlt nur noch, dass ich den Anschlusszug verpasse.) Eine solche Tilgung unbetonter Vorfeldelemente kann als typisch für die gesprochene Sprache angesehen werden, z.B.: Hilfst du mir nachher bei den Vorbereitungen? – Kann leider nicht. Die Besetzung des Vorfeldes unterliegt in grammatischer Hinsicht bestimmten Restriktionen3 und kann sehr unterschiedlich sein. So garantiert das Subjekt meistens die thematische Verknüpfung mit dem vorangegangenen Text, bereits vermitteltem Wissen oder bekanntem Vorwissen. Ebenso kann die Vorfeldposition durch untergeordnete Sätze wie einen Subjektnebensatz besetzt sein (z.B. Wer das Spiel gewinnt, qualifiziert sich für das Viertelfinale.). Mitunter wird das Nachverb in die Vorfeldposition gezogen, womit die lexikalische Information des Nachverbs besonders betont wird, z.B.: Gelogen habe ich doch gar nicht.

Auch die Besetzung des Mittelfeldes kann sehr stark variieren. Sie unterliegt nur wenigen Restriktionen und ist abhängig von der Informationsstruktur beliebig erweiterbar.4 In Bezug auf die Abfolge der Informationen sind Anordnungen vom weniger Wichtigen zum Relevanten, vom Allgemeineren zum Spezielleren typisch. Dies entspricht dem Prinzip, die Spannung gegen Ende des Mittelfelds bis zum rechten Teil der Satzklammer zu steigern (s.o.). So steht etwa ein Negator als äußerst bedeutendes Element für die Satzsemantik meist in enger Beziehung zum Kerninhalt des Mittelfeldes am Ende (34).

Der Schiedsrichter hat den Strafstoß nach langer Überlegung nicht gepfiffen.

Im Nachfeld der Satzklammer werden häufig zusätzliche Informationen und Nachträge platziert, die aufgrund von Dichte und Länge der Informationen im Mittelfeld nach hinten geschoben werden. Häufig handelt es sich auch um untergeordnete Sätze. Nebensätze, die mit der zweigliedrigen Konjunktion so dass eingeleitet werden, stehen immer im Nachfeld.

Im Deutschen gibt es neben den Satzklammern noch weitere Klammertypen. Eine davon ist die Nominalklammer, sie besteht aus mindestens einer Nominalphrase, also mindestens aus einem Substantiv oder Pronomen. Nominalklammern beginnen mit einem stark flektierten Element (wie dem bestimmten Artikel) und enden mit dessen Bezugsnomen, dem sogenannten Kernsubstantiv.5 Die Position zwischen diesen Elementen muss nicht gefüllt sein, kann jedoch auch so komplex ausgebaut sein, dass sie selbst wieder Phrasen wie beispielsweise eine Adjektivphrase enthält. Nominalklammern können im Vorfeld, Mittelfeld und Nachfeld von Sätzen stehen und mit wenigen Ausnahmen beliebig ausgedehnt werden. Innerhalb der Nominalklammer besteht Genus-, Numerus- und Kasus-Kongruenz (z.B. eine schöne Frau). Prädeterminierende Attribute können ihrerseits wieder determiniert werden (z.B. eine sehr schöne Frau). Ähnlich wie bei der Verbalklammer wird mit der Nominalklammer Spannung aufgebaut und wieder gelöst.

Die Nominalklammer ist eine Organisationsform des Kontextgedächtnisses und mit dieser Eigenschaft ein Analogon zur Verbalklammer. (Weinrich 1993, S. 356)

Mit jedem determinierenden Element wird beim Rezipienten eine Erwartungshaltung aufgebaut, weshalb auch bei der Konstruktion von Nominalklammern das Kontextgedächtnis der Rezipienten zu berücksichtigen ist. Mitunter schließen Nominalklammern eine weitere Nominalklammer ein:

klammeröffnender Artikelprädeterminierendes AttributklammerschließenderKern
DererfahreneSchiedsrichter
Diezu harteSpielweise
Diedem erfahrenen Schiedsrichter zu harteSpielweise

Auch intern ist die Nominalklammer nach dem Spannungsprinzip aufgebaut. Deshalb stehen Elemente, die die Bedeutung stärker determinieren, näher am Nomen.

Linguistische Stil- und Textanalyse

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