Читать книгу Nordwest Bestial - Lene Levi - Страница 15

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Der Leichenwagen fuhr vor. Die beiden Bestatter mussten, bevor sie das Grundstück betreten durften, sich ebenfalls Schutzanzüge und Atemmasken überziehen. Die restliche Flüssigkeit war bereits aus dem Whirlpool abgelassen worden. Das ganze Bild des darin zurückgebliebenen Inhalts rief selbst bei den Bestattern, die tagtäglich mit Leichen zu tun hatten, heftige Reaktionen hervor. Die beiden Toten und alle die von ihnen abgefallenen Bestandteile wurden in Leichensäcke gelegt, dann auf den Hof getragen und in ihrem schwarzen Fahrzeug verstaut.

Robert fragte sich ernsthaft, wie abgebrüht er eigentlich schon war. Dieses Gewaltverbrechen war derart brutal und zugleich auch mit großer Umsichtigkeit ausgeübt worden, dass es jeden empfindsamen Menschen in die Flucht geschlagen hätte. Vermutlich war es eine Art innerer Schutzmechanismus, der das Schlimmste in seinem Gehirn abwehrte. Eins war ihm jedoch klar. Wer auch immer es gewesen sein mochte, der die beiden Menschen in heißer Jauche gar kochte, es musste jemand gewesen sein, der einen grenzenlosen Hass auf seine Opfer gehegt hatte. Einige Details deuteten sogar auf einen Ritualmord hin. Er verdrängte das schreckliche Bild aus seinem Kopf.

Ein heftiger Windstoß wirbelte an der Hauswand entlang und peitschte ihm unversehens einige Hagelkörner ins Gesicht. Einen Moment ließ es ihn trotz seines Pullovers und der darüber gezogenen Schutzkleidung frösteln. – Der kalte Schauer kam aus seinem Inneren. Da war sie also doch, diese menschliche Regung. Er spürte sie ganz deutlich. Sie hatte ihn wie eine heftige Böe erfasst, und ihn für einen kurzen Moment aus seiner affektartigen inneren Gefühlsstarre herausgerissen. Hier, genau an dieser Stelle, wo er jetzt stand, hatte sich erst vor wenigen Stunden etwas Unglaubliches abgespielt. Robert sah in das leere Poolbecken, dann auf seine Hände. Sie waren ganz ruhig. Und schon machte sich wieder dieses Gefühl von Ratlosigkeit in ihm breit.

Umso mehr bewunderte er Lin. Sie war bei ihrer Arbeit scheinbar emotionslos und dabei absolut analytisch vorgegangen. Jeder ihrer Arbeitsschritte ergab einen Sinn und baute auf dem jeweils vorausgegangenen auf. Er ging zu ihrem Wagen hinüber und beobachtete von außen, wie sie sich ihrer Schutzkleidung entledigte.

Als sie ihn bemerkte, winkte sie ihm zu. „Was dagegen, wenn ich mich dem Leichenwagen anschließe? Ich habe hier nichts mehr zu tun, außerdem möchte ich noch vor Einbruch der Dunkelheit in Oldenburg eintreffen. Vielleicht schaffe ich es ja auch noch, einen ersten Blick auf die Leichen zu werfen.“

„Und der Sturm?“, fragte Robert.

„Ich pass schon auf. Wollt ihr etwa noch hierbleiben?“

„Ja. Wir müssen morgen ohnehin die Spurensicherungsarbeiten im Haus fortführen. Heute ist das nicht mehr zu schaffen. Der Kollege Bloemer war so nett und hat uns angeboten, bei ihm in Goldenstedt zu übernachten.“ Er überlegte kurz. „Du könntest ja auch noch bleiben, oder?“

Er betrachtete sie eindringlich, wusste aber genau, dass es zwecklos war, Lin etwas auszureden, wenn sie sich bereits entschieden hatte.

„Fahr vorsichtig, Liebes. Und ruf mich an, wenn du angekommen bist.“

Er griff nach ihrer Hand. Ihr Gesicht war ein wenig blass, aber sie wirkte nicht gestresst. Robert verspürte dennoch ein leichtes Unbehagen, als ihr Wagen kurz darauf über den Kiesweg rollte und nach wenigen Minuten aus seinem Sichtfeld entschwand. Ob es sich bei den beiden Toten tatsächlich um Hendrik de Groot und seine Ehefrau Sophia handelte, würde sicher erst nach der Leichenschau im Rechtsmedizinischen Institut festzustellen sein.

Er richtete seinen Blick hinauf zu den Wipfeln der kahlen Bäume, deren knorrige Äste selbst der starke Wind kaum etwas anhaben konnte. Er entdeckte an einer der oberen Astverzweigungen eine zerfetzte Plastiktüte, die sich dort verfangen hatte. Sie sah aus wie eine zerfledderte Fahne, die im Wind hin und her gerissen wurde. Das flatternde Geräusch des Plastikfetzens nervte ihn. Dieser herumfliegende Abfall schien inzwischen die ganze Welt zu umhüllen. Ein erschreckender Gedanke. Er schüttelte den Kopf und öffnete die Fahrertür des Streifenwagens, um sich im Fond vor Wind und Regen zu schützen. Als er das Autoradio einstellte, liefe gerade eine Sondersendung. Es wurde berichtet, dass am späten Nachmittag der Orkan »Xaver« die deutsche, niederländische und die dänische Nordseeküste erreichen würde.

Die Suchtrupps hatten die nähere Umgebung nach auffindbaren Beweismitteln durchforstet und waren inzwischen zu ihren Fahrzeugen zurückgekehrt. Polizeiobermeister Bloemer hatte sie tatkräftig unterstützt, da er die Wege durch die aktiven Teile des Moores und alle darin lauernden Gefahren gut kannte. Wer diese Pfade verließ, lief immer Gefahr zu versinken. Aber die Ausbeute der Spurensucher war dennoch auf den ersten Blick mager ausgefallen: einige durchnässte Zigarettenkippen, unzählige Einkaufstüten, ein abgebrochenes Küchenmesser und jede Menge Verpackungsmaterial aus Kunststoff. Ob auch nur eines dieser Fundstücke später irgendeine Relevanz erlangen könnte, würde einzig und allein die genauere Untersuchung im Labor entscheiden. Dennoch hatten sie jeden Gegenstand an Ort und Stelle fotografiert, säuberlich in Beweismaterialbeutel eingetütet, nummeriert und mit den genauen Fundortangaben versehen.

Als Robert die Ausbeute betrachtete, stellte er fest, dass die allgemeine Stimmung bei allen seinen Leuten einen ersten Tiefpunkt erreicht hatte. Auch bemerkten die Kollegen erst jetzt, dass sie unter ihren nicht atmungsaktiven Overalls völlig durchgeschwitzt waren und plötzlich im nasskalten Wind zu frösteln begannen. Aus ihren Gesichtern war deutlich abzulesen, dass sie für heute genug hatten. Doch dann kam Jan auf die Gruppe der Männer zugeeilt und rief ihnen ganz aufgeregt zu: „Das müsst ihr euch unbedingt ansehen. Die Kollegen Dröge und Holzkämper haben was Interessantes zwischen dem Abfall in der blauen Papiertonne entdeckt.“

Er hielt einen Beweismittelbeutel hoch, in dem sich Papierschnipsel befanden.

„Wir stellen ab sofort alle weiteren Arbeiten ein“, forderte Robert sein Team auf. „Der Orkan bricht bald los. Hast du schon mal in den Himmel gesehen?“

Die Beamten stiegen in ihre Einsatzfahrzeuge.

„Und was wird aus dem Hund?“, erkundigte sich Jan, „Der hat ja bestimmt seit gestern nichts mehr zu fressen gekriegt.“

„Den nehmen wir natürlich mit“, antworte Robert. „Immerhin ist er im Augenblick unser einziger Zeuge. Vielleicht ist Wim ja auch so eine Art Mantrailer-Hund. Wer weiß?“

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