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Das Gebäude der Polizeiinspektion stand vor ihm wie ein großer dunkler Kasten. Es war noch nicht einmal 7 Uhr 15 morgens und es goss in Strömen. Er wollte heute noch vor allen anderen Kollegen im Büro sein. Es war sein erster Arbeitstag seit Monaten.

Robert hatte den Aufzug benutzt. Er ging über den Korridor der 5. Etage und trat die Schuhe auf einer Gummimatte ab. Sein Regenmantel tropfte auf den abgenutzten Fußbodenbelag. In den anderen Büros brannte noch kein Licht. Aber als er die Schwingtür zum Kommissariat mit dem Fuß aufstieß, sah er am Ende des Korridors einen Lichtschimmer unter einer der Bürotüren. Jan war ihm offensichtlich zuvorgekommen.

„Moin, Jan. Hast du kein Zuhause?“

„Moin, Robert. Wenn du meine Bude kennen würdest, käme dir wahrscheinlich dieses Büro auch wie ein Luxusapartment vor.“

„Offizieller Dienstbeginn ist aber erst in einer Dreiviertelstunde.“

„So? Und was machst du dann hier?“

„Ich dachte, neuer Chef, neue Regel. Ich sollte vielleicht als Erster im Büro sein.“

„Was soll daran neu sein? Das hast du doch früher auch schon so gehalten. – Und? Tolles Büro, oder?“

Sie hatten sich ganz bewusst nicht für das wesentlich komfortablere Chefbüro entschieden, sondern waren nur eine Tür weitergezogen, um ein paar Quadratmeter mehr Raumfläche zu haben. Ihr bisheriges drohte ohnehin längst aus allen Nähten zu platzen. Jetzt hatten sie zumindest jeder einen eigenen Schreibtisch und konnten darunter ihre Füße ausstrecken, ohne dabei Gefahr zu laufen, sich gegenseitig ins Gehege zu kommen. Es roch überall noch nach frischer Malerfarbe und eine moderne Organisationstafel hatte die alte durchlöcherte Pinnwand ersetzt. Sogar zwei nagelneue PCs, die jeweils mit großen Flachbildschirmen ausgestattet waren, standen einsatzbereit zur Verfügung, was besonders Jans Herz höher schlagen ließ. Robert entdeckte beim ersten Rundblick zwei Blumentöpfe auf dem Fensterbrett, die jemand dort sehr dekorativ platziert hatte.

„Na toll“, meinte er überrascht, „Weihnachtsterne, meine erklärten Lieblingspflanzen. Mit so viel Fürsorge hatte ich, ehrlich gesagt, gar nicht gerechnet.“

„Das war sicher Frau Bulthaupt“, vermutete Jan. „Sie hatte wochenlang keinen Chef mehr, den sie betüddeln konnte. Jetzt hofft sie auf eine gute Zusammenarbeit mit uns. Ist doch eine sehr nette Geste, finde ich.“

„Ja, finde ich auch. - Übernimmst du das Gießen? Ich habe keinen grünen Finger. Bei mir vertrocknet immer alles.“

Jan und Robert konnten sich ein Schmunzeln nicht verkneifen.

„Schön, dass du wieder da bist“, bemerkte Jan. „Ehrlich, wir haben dich hier echt vermisst.“

„Glaub ich nicht.“ Robert tippte mit einem Bleistift auf die noch unbenutzte Schreibtischunterlage, dann wechselte er das Thema: „Sag mal, was ist eigentlich aus deiner Karriereplanung geworden? Du wolltest dich doch an der Uni Kiel bewerben, um Rechtspsychologie zu studieren.“

„Ach, das habe ich vorerst auf Eis gelegt.“

„Aber weshalb? Du hattest doch noch vor einigen Monaten davon gesprochen, dass du dich für den Polizeipsychologischen Dienst interessierst.“

„Ist irgendwie Schnee von gestern“, meinte Jan etwas kleinlaut.

„Was ist passiert?“

„Na ja, die Sache ist so. Ich hab´s mir inzwischen anders überlegt. Die Aufgaben des Polizeipsychologischen Dienstes beschränken sich ja nun mal nicht allein auf die Unterstützung der Dienststellen bei komplizierten Einsätzen, sondern hauptsächlich auf die psychologische Begutachtung von Kollegen. Diese Leute entscheiden über eine Polizeidienstfähigkeit. Jedoch Gutachten über Kollegen zu erstellen, und damit über Lebensläufe zu entscheiden, das ist vielleicht doch nicht so mein Ding.“

„Verstehe“, sagte Robert, „wahrscheinlich hast du an unsere »Bier-Uschi« gedacht. Stimmt’s?“

„Ja, hab ich auch, aber nicht nur. Außerdem kam mir jetzt noch diese vorzeitige Beförderung zum Kriminalobermeister in die Quere. Damit war ja nicht zu rechnen.“ Er hielt inne, so, als erwarte er, Robert würde etwas dazu sagen. Aber Robert sah ihn nur fragend an. „Deshalb wollte ich sowieso mit dir reden.“

„Schieß los.“

„Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich meine Beförderung allein dir zu verdanken habe. - Ist das so?“ Seine Worte klangen mehr wie eine Feststellung als eine Frage. Robert lächelte.

„Nee. Den dritten Stern hast du dir ganz redlich selbst verdient. Schließlich warst du es, der uns beiden aus der Patsche geholfen hat. Die Sache wäre ohne dein überlegtes Eingreifen völlig aus dem Ruder gelaufen. Selby hätte mich und sicher auch Lin erledigt. Soviel steht fest.“

„Du hast also nicht bei Radunski nachgeholfen?“

„Ach, woher denn!“, platzte es aus ihm heraus. „Unser Polizeipräsident war gar nicht zu bremsen. Er ist ganz zufrieden mit unserer Arbeit. Du siehst ja selbst. Jetzt haben wir sogar ein nagelneues Büro.“

„Was hat er eigentlich gesagt? Ich meine, er hat dich doch bestimmt in die Mangel genommen, oder?“

„Radunski ist natürlich sehr daran interessiert, dass wir Selbys Mörder finden. Er hat einfach nur Angst um sein Renommee. Die schlechte Presse bereitet ihm schlaflose Nächte. Versprochen habe ich ihm aber nichts. - Und mich als kommissarischen Kommissar einzusetzen, war auch seine Idee.“ Robert blätterte in der dünnen Akte herum, die ihm jemand auf den Schreibtisch gelegt hatte und die mit der Aufschrift »Sniper« versehen war. – „Konntet ihr inzwischen neue Erkenntnisse sammeln, die uns in diesem Fall weiter voranbringen?“

Jan zuckte mit den Schultern.

„Als sicher gilt nur eins, er hat ein PSG1 benutzt. Es gibt nach wie vor keinen einzigen Zeugen, der den Schützen vor, während oder nach seiner Tat gesehen hat. Die ausgewerteten Videoaufzeichnungen haben auch nichts ergeben. Ich hatte gehofft, durch die Überwachungskameras, die überall am Polizeigebäude installiert sind, eventuell Aufnahmen von ihm zu bekommen. Leider Fehlanzeige. Auch die damals eingeleitete Ringfahndung kam viel zu spät zum Einsatz, da wir hier alle zunächst völlig kopflos reagiert haben.“

Robert ließ seine geballte Faust gegen die Schublade eines Aktenschrankes krachen. „Das kann alles nicht wahr sein! Kein Mensch taucht irgendwo auf und verschwindet dann wieder, ohne eine Spur zu hinterlassen. So ein PSG1-Scharfschützengewehr hat einen Anschaffungspreis von mindestens 11.000 Euro. Sowas besitzt nicht jeder dahergelaufene Kleinkriminelle. Das hat mich die ganzen letzten Wochen ohne Unterbrechung beschäftigt. Verstehst du?“ Das kam nicht ungläubig heraus, sondern vielmehr erschöpft und frustriert.

„Er hat eine Spur hinterlassen“, erläuterte Jan trocken. „Das Dum-Dum-Geschoss. Es steckte unter der Kunststoffverkleidung der Bürodecke. Die Reste des Projektils sind allerdings nach Meinung unserer Ballistiker als Beweisstück völlig unbrauchbar, da es nur noch aus zerfetzten Metallsplittern besteht.“

„Unsere Ballistiker reden lauter Scheiß!“ Robert hielt inne und korrigierte sich. „Jedenfalls teile ich ihre Meinung nicht.“ Dann fuhr er in ruhigem und neutralem Ton fort. „Wir sollten die Splitter des Projektils ans Kriminaltechnische Institut beim BKA nach Wiesbaden einsenden. Die Experten dort liefern oft entscheidende Hinweise auf den Täter. Kannst du das noch heute veranlassen? Du weißt ja, die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.“

Jan grinste verlegen. „Ich wollte nur sagen, dass ich diese Option schon eingeleitet habe.“

„Ich hab´s irgendwie geahnt, Jan. Ich bin, ehrlich gesagt, heilfroh darüber, dass du dir die Sache mit dem Studium noch mal überlegt hast. - Und was ich auch noch sagen wollte: Ich weiß jetzt wieder, weshalb ich diesen Job hier so mag.“

„Und was ist der Grund?“

„Wir müssen hier nicht ständig lächeln, wie die Parfümverkäuferinnen bei Leffers. Wir können uns auch mal anschreien, ohne dass gleich der Polizeipsychologische Dienst vor der Tür steht.“

Es klopfte energisch an der Tür.

„Wenn man vom Teufel spricht“, witzelte Jan grinsend.

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