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Der weihnachtlich dekorierte Lamberti-Markt war um diese Zeit gut besucht. Obwohl es noch am Morgen und den ganzen Vormittag über wie aus Kübeln gegossen hatte, zeigte sich jetzt plötzlich das unberechenbare norddeutsche Wetter wieder von seiner schönsten Seite. Der strahlend blaue Himmel verbreitete zwar keine vorweihnachtliche Stimmung, inspirierte aber dafür viele Oldenburger zu einem Spaziergang über den Markt.

Über hundert Verkaufsbuden boten zwischen Rathausmarkt und Schlossplatz ihre Waren an. Weil kein echter Schnee zur Verfügung stand, wurde dieser auf den Dächern der Holzbuden durch künstliche Imitate ersetzt. Geboten wurde auch in diesem Jahr wieder das übliche: Glühwein und Kinderpunsch, gebrannte Mandeln, kandierte Früchte und andere überzuckerte Leckereien. Die Leute drängten sich über die Achtern- und Lange Straße in Richtung Schlossplatz. Die ganze Innenstadt schien auf den Beinen zu sein. Unbeeindruckt von der an ihm vorüberziehenden Menschenmenge stand an einer Hausecke einer der wenigen noch existierenden Oldenburger Originale. Der hagere Mann hatte sich über seine Schulter einen roten Umhang und eine halbakustische Gitarre gehängt und vor seinem Gesicht baumelte eine Mundharmonika an einem Halterungssteg. Der Straßenmusikant erinnerte mit seiner Sonnenbrille und seinem blassen Gesicht ein wenig an jenen blonden Schlagersänger, der mit unsagbar vielen Schrammel- und Schunkelliedern bereits jahrzehntelang ein Millionenpublikum beglückte. Aber dieses stadtbekannte Original gab an der Häusing keine nachgespielten Rocksongs oder deutsches Liedgut von sich. Es waren vielmehr feingewebte, manchmal in sich unschlüssige Eigenkompositionen, die er mit eigenen Texten ausstaffierte, die aber kaum jemand verstand, weil seine geheimnisvolle Lyrik durch den mickrigen, batteriegespeisten Verstärker ständig übertönt wurde. In der ganzen Stadt war er unter dem Namen Friedemann bekannt. Manchmal spendierten die Geschäftsinhaber in der Fußgängerzone ihm einen kleinen Obolus, unter der Bedingung, dass er weiter zur nächsten Straßenecke ziehen sollte, da sie seine Auftritte nicht länger aushielten. Als Robert ihn vor der Häusing entdeckte, warf er ihm eine Zwei-Euro-Münze auf den Pinketeller.

Jan und Robert waren auch auf dem Weg zum Lamberti-Markt. Dort sollte ein offizielles Treffen mit niederländischen Kollegen stattfinden. Robert freute sich auf Frau Commissaris Kuperus von der Regiopolitie Groningen. Die Polizeidienststellen von Oldenburg und Groningen pflegten eine gemeinsame Tradition. Jedes Jahr zur Adventszeit fand ein Kollegenaustauch statt. In Oldenburg patrouillierten einige niederländische Streifenpolizisten durch die Fußgängerzone und in Groningen versahen im Gegenzug Oldenburger Beamte ihren Dienst. Ähnlich hielten es auch viele Weihnachtsmarktbesucher. Unzählige Oldenburger bevölkerten an den Adventstagen die Innenstadt von Groningen, währenddessen Niederländisch auf dem Lamberti-Markt zur Hauptsprache wurde.

„Sag mal, kennst du dich zufällig in der Hierarchie der niederländischen Polizei aus?“ Jan nickte und begann sofort aus dem Effeff die Dienstgrade aufzusagen: „Agent, Hoofdagent, Brigadier, Adjudant, Inspecteur, Hoofdinspecteur, Commissaris - und ganz weit oben steht der Hoofdcommissaris.”

Ein Ausdruck ungläubigen Erstaunens breitete sich auf Roberts Gesicht aus, was so viel wie Respekt signalisieren sollte. Dann aber fuhr er sich mit der rechten Hand über den Rand seiner Schirmmütze und blieb vor einem Ladengeschäft stehen. Einen Augenblick kämpfte er mit sich, doch dann triumphierte das Verlangen, sich mit kritischen Blicken im Spiegelbild einer Schaufensterscheibe zu betrachten. „Weißt du, ich frage mich nämlich schon die ganze Zeit, wie ich die Kommissarin korrekt ansprechen soll. Bei uns ist ein weiblicher Kommissar ja normalerweise eine Kommissarin. Wie aber spricht man eine niederländische Kommissarin an?“ Robert empfand seine Figur beim Anblick des Spiegelbildes absolut unvorteilhaft.

„Das ist eigentlich ganz einfach“, antwortete Jan, „Wenn es sich um eine Kommissarin handelt, wird sie als 'vrouwelijke Commissaris' angesprochen. Verstehst du: 'De commissaris is een vrouw'.“

Robert zwinkerte hinter seinen Brillengläsern. „Und das alles weißt du, auch ohne zuvor das Internet-Orakel zu befragen? - Alle Achtung!“

Robert redete weiter. Er strich sich mit einer Hand über den Bauch.

„Ich bin einfach viel zu fett geworden in letzter Zeit. Ich sehe aus wie eine uniformierte Presswurst!“ Dann wandte er sich von dem Spiegelbild ab und brummte frustriert: „Wenn dieser bescheuerte Anlass überstanden ist, wandert meine Uniform sofort mit ein paar Mottenkugeln in den Schrank zurück. Sowas steht mir einfach nicht.“ Aus seinem Augenwinkel sah er, wie sich Jan amüsierte.

„Ist das dort drüben nicht unser Informationsstand?“ Jan hielt eine Hand über seine Stirn. Er hatte am nördlichen Ende des Schlossplatzes einen Zelt-Pavillon entdeckt. Nebenan waren auf beiden Seiten Einsatzfahrzeuge aufgestellt, links ein protziger blau-silberner E-Klasse-Mercedes der Oldenburger Polizei und rechts ein in den niederländischen Landesfarben blau-weiß-orange gestreifter Funkstreifenwagen der Regiopolitie Groningen. Vor dem Zelt-Pavillon wimmelte es nur so von Uniformierten. Aus der Mitte des blauen Pulks ragte der Kopf des Oldenburger Polizeipräsidenten Joachim Radunski heraus, der gerade ein Podium bestieg und irgendetwas über Lautsprecher ankündigte. Als sie sich dem Pavillon genähert hatten, entdeckten sie auch eine blonde Frau, die offenbar Amélie Kuperus sein musste. Sie war wie eine Bienenkönigin von ihren niederländischen Kollegen umringt, die deutlich an den grellleuchtenden gelben Streifen auf ihren Uniformen zu erkennen waren. Amélie Kuperus trug ein dunkelblaues Käppi, was sogar recht chic wirkte. Sie war vielleicht Mitte 40, hatte ein markantes aber freundliches Gesicht und trug eine auf Taille maßgeschneiderte Uniform.

„Schon knuffig, unsere Nachbarn“, sagte Robert. „Das Uniformmodell ‚bewaffneter Briefträger‘ hat sich dann wohl durchgesetzt.“ Jan grinste. Er kannte längst Roberts tiefsitzende Abneigung gegenüber jeglicher Uniformierung.

Polizeipräsident Radunski sprach gerade in ein Mikrofon und verkündete voller Begeisterung den Marktbesuchern, dass der Polizei in Niedersachsen gemeinsam mit der Regiopolitie Groningen nun sehr bald mit einem neuentwickelten automatischen Kennzeichen-Lesegerätes ein wirkungsvolles Instrument zur Verfügung stehe, das im Kampf gegen die grenzübergreifende Kriminalität zum Einsatz kommen werde. Dabei deutete er auf ein elektronisches Gerät, das einer herkömmlichen Radarfalle sehr ähnlich sah. Dann hielt Radunski inne, so als erwarte er, dass sich ein Applaus seiner wenigen Zuhörer einstellen würde. Aber niemand rührte auch nur eine Hand.

Er versuchte, seine Würde wiederzufinden, indem er sich das Haar zurückstrich und demonstrativ ein Lächeln zeigte. Dann forderte er seine niederländische Kollegin mit einem Handzeichen auf, zu ihm aufs Podium zu kommen. Als er jedoch bemerkte, dass Amélie Kuperus keinerlei Anstalten machte, setzte er seine Rede unbeirrt fort: „Die Funktionsweise dieses High-Tech-Gerätes ist ebenso kompliziert wie effektiv: Eine Videokamera scannt die Kfz-Kennzeichen der kontrollierten Fahrzeuge ein und gleicht sie in Bruchteilen von Sekunden mit den Fahndungscomputern in beiden Ländern ab. Sollte ein gesuchtes Fahrzeugkennzeichen, das in den Fahndungslisten registriert ist, auf diese Weise entdeckt werden, erhält die Besatzung des Streifenwagens ein Signal auf einem Bildschirm und kann blitzschnell erkennen, aus welchem Grund das Fahrzeug ins Visier genommen worden ist.“

Er hob beide Arme, als wolle er mit dieser Geste versuchen, seine Zuhörer in die verheißungsvollen Segnungen dieser technischen Meisterleistung einzuweihen. „Ich verspreche Ihnen, liebe Oldenburger Bürgerinnen und Bürger: Drogendealer, Autoschieber oder Bankräuber werden es zukünftig noch schwerer haben, sich dem langen Arm des Gesetzes zu entziehen.“

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