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Der Staatsanwalt deckt die Karten auf

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Der Staatsanwalt deckt die Karten auf

„Heute also erfolgt der Beschluss über meine Befreiung.“ Mit diesem Gedanken erwachte ich an einem Maitage, wie ich mich dessen noch heute genau erinnere. Ich begann mir vorzustellen, auf welche Weise man mir den Beschluss kundtun würde.

„Sie sollen zum Staatsanwalt“, unterbrach der Schließer meine Phantasien.

„Das ist der Freispruch“, war mein erster Gedanke, „der Mann hält Wort; sonderbar, dass das Gericht schon fertig ist mit seiner Beratung; es ist noch so früh am Tage“, überlegte ich auf dem Wege durch die Gefängniskorridore.

In der Kanzlei saß Herr v. Berg am Tische und neben ihm ein junger Schreiber; der Tisch war mit Aktenfaszikeln bedeckt.

„Heute hat, wie Ihnen bekannt“, wandte sich der Staatsanwalt an mich, „der Beschluss des Gerichtshofes über Ihre Freisprechung zu erfolgen. Bevor ich Ihnen den Beschluss verkünde, müssen wir wissen, ob Ihr Name in der Tat Buligin und ob Ihr Heimatsort Moskau ist, wie Sie behaupten?“

„Jawohl, ich bin Buligin aus Moskau“, antwortete ich. „Lesen Sie den betreffenden Bescheid vor“, befahl der Staatsanwalt seinem Schriftführer.

Dieser las mit gleichgültig trockener, amtsmäßiger Stimme ein Schriftstück vor, das augenscheinlich aus Moskau von irgendeiner Verwaltungsbehörde stammte. Das Schriftstück besagte klipp und klar, dass in Moskau keine Person dieses Namens vorhanden sei, auf die die Personalien passen? [Das hatte schon seine Richtigkeit. Der Pass auf den Namen Buligin war gefälscht; mein Genosse, der auf diesen Pass reiste, trug einen anderen Namen.]

„Was haben Sie dazu zu sagen?“ fragte Herr v. Berg kalt und höhnisch.

Ich fühlte, dass mir das Blut aus dem Gesichte wich und meine Knie zitterten. Aber ich beherrschte mich sofort und begann meine Verteidigung. Ich sprach schnell, erregt und überzeugend.

Es war mir sofort klar, dass ich vor der Entscheidung stand, ich fühlte den Boden unter meinen Füßen weichen. Die Befürchtungen, dass man sich mit der russischen Regierung verständigt hatte, erfüllten sich, und es galt den Kampf ums Leben. – Da ich schon oft diese Eventualität erwogen hatte, so war ich vorbereitet und hatte mir einen Verteidigungsplan zurechtgelegt.

„Hören Sie“, wandte ich mich an den Staatsanwalt, „ich erkläre Ihnen, dass ich Buligin bin, aber ich gestehe zu, dass ich nicht aus Moskau stamme, dass alle meine Aussagen in Bezug auf meine Personalien falsch sind. Ich war hierzu gezwungen in Anbetracht der Behandlung, die mir hier in Freiburg zuteilwurde, und in Anbetracht vor allem der in Russland herrschenden Zustände. Diese Zustände, die Sie nicht kennen, muss ich Ihnen schildern: Es ist nichts Seltenes bei uns, dass irgend ein junger Mensch der Gendarmerie denunziert wird, weil er ein in Russland verbotenes Buch besitzt; er wird verhaftet; aber nicht nur er, sondern man sucht aller Personen habhaft zu werden, die mit ihm verkehrten, deren Adressen man zufällig bei ihm fand; seine Wohnung wird von Spionen überwacht, man ergreift jeden, der in diese Wohnung kommt. Ganze Familien werden auf diese Weise verfolgt und beunruhigt, und das geringste ist noch, wenn den derart Beteiligten nur unendliche Scherereien entstehen; sehr oft können die unschuldigsten Menschen monatelang aus derartigen Gründen eingekerkert werden.

„Als ich nun aus der demokratischen Schweiz nach dem konstitutionellen Deutschland kam, ohne irgendwelche Absichten, die nach deutschem Gesetz ein Vergehen involvieren, musste ich sofort erfahren, dass die Art und Weise, wie man hier zu verfahren beliebt, wenigstens Ausländern gegenüber, sich nicht sehr von der in Russland üblichen unterscheidet. Ich erfuhr es am eigenen Leibe, dass man hier, ohne irgendwelche gesetzliche Formen einzuhalten, unter gänzlicher Ignorierung der ‚Garantien der Unantastbarkeit der Persönlichkeit’, jeden beliebigen Menschen durch gewöhnliche Polizeidiener verhaftet; die Polizei nimmt ohne richterlichen Befehl eine Aussuchung in meinem Hotelzimmer vor und behandelt mich, der ich mir in Deutschland nicht das geringste habe zuschulden kommen lassen, wie einen Verbrecher. Man steckt mich ins Gefängnis und lässt mich zwei Tage lang darin, ohne mich vor den Richter zu führen. Ja, man verhaftet – genau wie in Russland – eine junge deutsche Staatsbürgerin und schleppt sie ohne alles weitere ins Gefängnis. Ich hatte also keinen Grund, den Versicherungen des Untersuchungsrichters zu trauen, dass es sich hier nur um ein gesetzliches Gerichtsverfahren handelt, sondern ich musste annehmen, dass neben dem Gerichte die Polizeigewalt tätig ist, und dass diese sich mit den russischen Behörden verständige. – Das eben verlesene Schriftstück beweist, dass ich recht hatte. Nun wohl: Hätte ich dem Richter meine wirklichen Personalien mitgeteilt, so würden diese, wie sich jetzt zeigt, den russischen Behörden mitgeteilt worden sein, und natürlich hätte man diese auch benachrichtigt, dass man mich hier verhaftet hat, weil ich zwei Koffer voll in Russland verbotener Schriften mit mir führte. Die Polizei hätte also unfehlbar in der Stadt, woher ich stamme, ihr Spiel in der geschilderten Weise getrieben; man hätte die Meinigen belästigt, bei meinen Brüdern und Schwestern, die meine Anschauungen teilen, hätte man vielleicht verbotene Schriften gefunden, man hätte sie und vielleicht noch zahlreiche andere Personen in den Kerker geschleppt. – Russland ist kein Rechtsstaat, und deshalb musste ich mich hier in Deutschland vorsehen, dass nicht dort Unheil entsteht, wenn ich hier vor dem Gericht die Wahrheit sage.“

„Sie behaupten also“, sagte der Staatsanwalt mit unverhohlener Wut, „Sie seien Buligin, aber Ihr Heimatsort sei nicht Moskau, und Sie verweigern die Angabe Ihres wirklichen Heimatsortes?“

„Jawohl, ich weigere mich aus den angeführten Gründen.“

„Lesen Sie den nächsten Bericht vor“, gebot Herr v. Berg abermals, und der Schriftführer las:

„Der sich in Freiburg, im Großherzogtum Baden, befindende Häftling, der sich Buligin nennt, ist in Wirklichkeit niemand anders als Leo Deutsch, der in Gemeinschaft mit Jakob Stefanowitsch, abgesehen von anderen schweren Verbrechen, im Mai 1870 einen Mordversuch gegen Nikolaus Gorinowitsch verübt hat. Daher ersucht die Regierung Seiner Majestät des Kaisers von Russland durch ihren Gesandten die Regierung Seiner Hoheit des Großherzogs von Baden um die Auslieferung der beiden namhaft gemachten Personen. Gleichzeitig sieht sie sich verpflichtet, die Aufmerksamkeit der deutschen Behörden darauf zu richten, dass benannter Leo Deutsch schon mehrfach aus der Haft ausgebrochen ist; es wird daher ersucht, bei der Inhaftierung sowohl als bei dem Transport Leo Deutsch besonders scharf überwachen zu lassen.“

Ich habe das Schriftstück nahezu wortgetreu angeführt, denn obwohl seither nahezu zwei Jahrzehnte vergangen sind, ist es mir noch heute gegenwärtig.

„Alles ist aus!“ fuhr es mir durch den Sinn, und die düstersten Bilder tauchten vor mir auf...

„Was haben Sie hierauf zu erwidern?“ vernahm ich die trockene Frage des Staatsanwalts und sah, wie er boshaft triumphierend lächelte.

Ich raffte mich gewaltsam auf.

„Was mir da verlesen wurde“, sagte ich so ruhig wie mir irgend möglich war, „wundert mich durchaus nicht. Es entspricht genau dem, was ich über das Verfahren der russischen Regierung gehört habe. Das Spiel ist klar: wenn die russische Regierung eines harmlosen russischen Sozialisten habhaft werden will, der in einem Rechtsstaate verhaftet wurde, so wird diese Regierung nicht zugeben, dass der Betreffende der ist, für den er sich ausgibt, sondern sie wird ihm den Namen eines Deutsch oder irgendeiner anderen Persönlichkeit geben, die mit einer Gewalttat in Verbindung gebracht werden kann. Das ist nicht neu; so wurde zum Beispiel auf diese Weise Rumänien veranlasst, einen gewissen Katz auszuliefern, den man alsdann ohne jedes Gerichtsverfahren auf „administrativem Wege“, wie es bei uns heißt, nach Sibirien verbannt hat. Man will es augenscheinlich mit mir ebenso machen. Den besten Beweis, dass sich die Dinge so verhalten, sehe ich darin, dass in dem Schriftstück die russische Regierung nicht nur mich unter dem Namen Deutsch ausgeliefert haben möchte, sondern auch die Auslieferung des Stefanowitsch wünscht, obgleich dieser schon längst in Russland selbst verhaftet und zu Zwangsarbeit in den sibirischen Bergwerken verurteilt worden ist, und obgleich bei der Gerichtsverhandlung seine Beteiligung an dem Mordanschlag gegen Gorinowitsch überhaupt nicht in Frage kam. Es ist also klar: die russische Regierung verlangt die Auslieferung des Stefanowitsch, obwohl dieser bereits in ihrer Gewalt ist, weil sie bei der nächsten Gelegenheit wieder irgendeinen friedlichen Sozialisten als Stefanowitsch bezeichnen wird. Was ich gesagt habe, wird Ihnen Professor Thun bestätigen können, der nicht nur unsere Zustände im Allgemeinen, sondern auch unsere revolutionäre Bewegung genau kennt.“

Damit war das Verhör beendet. Als ich in meiner Zelle die Gedanken sammeln konnte, war ich vollständig niedergedrückt. Meine Auslieferung war sicher, es blieb mir noch die Hoffnung auf die Flucht. Aber auch diese Hoffnung war dahin, wie mir sofort klar wurde. Infolge des Hinweises der russischen Regierung auf mein „mehrmaliges“ Ausbrechen – in Wirklichkeit war ich nur zweimal ausgebrochen – hatte man sofort nach diesem Verhör einen besonderen Wächter an meine Tür postiert, der nicht von der Stelle wich und jede meiner Bewegungen beobachtete. Die übrigen Schließer waren natürlich gleichfalls instruiert, mich scharf zu überwachen, und, was früher niemals der Fall gewesen, der Oberaufseher Roth war bei dem beschriebenen Verhör und allen Gesprächen die ganze Zeit zugegen.

Sofort nach der Mittagspause wurde ich abermals dem Staatsanwalt vorgeführt. Er schien jetzt mir günstiger gestimmt zu sein, er behandelte mich, soweit es überhaupt bei diesem dürren Gesetzesmenschen möglich war, etwas milder. Professor Thun, erklärte er mir, habe meine Ausführungen bestätigt. Dann fuhr er fort: „Es ist möglich, dass man Sie zu Unrecht des Verbrechens beschuldigt, welches in dem Bescheid der russischen Regierung erwähnt wird, und ich bin bereit, Ihnen beizustehen, sich zu verteidigen. Sie müssen wissen, dass in Deutschland die Pflicht des Staatsanwalts nicht darin besteht, unter allen Umständen zu verdammen, sondern es ist seine Aufgabe, die Wahrheit zu erforschen und einen zu Unrecht Angeklagten zu befreien. Geben Sie mir also die Mittel an, die Sie zu Ihrer Verteidigung brauchen; ich werde, soweit es von mir abhängt, Ihnen beistehen.“

Diese Wandlung in dem Verhalten des Staatsanwalts war jedenfalls auf den Einfluss des Professors Thun zurückzuführen. Ich wusste wohl, dass eigentlich keine Hoffnung mehr vorhanden war, aber ich wollte die günstige Stimmung des Herrn v. Berg benutzen, um Zeit zu gewinnen. Verzögerte sich die Auslieferung, dann war vielleicht die Möglichkeit einer Flucht gegeben. Dankend nahm ich das Anerbieten des Staatsanwalts, mir die Verteidigung zu erleichtern, an und bat ihn, mir die Möglichkeit einer Verständigung mit meinem Rechtsanwalt und dem Übersetzer zu geben, da ich ohne Kenntnis des deutschen Rechtsverfahrens ihren Rat einzuholen wünsche. Vorderhand bot ich den Beweis an, dass ich der gesuchte Deutsch nicht sein konnte, da dieser meines Wissens in London weile und wohl bereit sein würde, dies zu bestätigen, wenn man ihn ausfindig mache. Ich hoffte durch Vermittlung des Professors Thun es so einzurichten, dass einer der russischen Flüchtlinge in London diese Rolle übernehme. Herr v. Berg erklärte mir, dass die Gewährung meines Gesuchs beim badischen Justizminister liege, an den er sich wenden werde. Damit war das zweite Verhör beendet.

Die Ereignisse nahmen jedoch jetzt ein reißendes Tempo an. Früher hatte ich oft wochenlang auf ein Verhör warten müssen und hatte einige Mal aus eigenen Stücken gefordert, vor den Untersuchungsrichter geführt zu werden, weil ich hoffte, auf diese Weise etwas über den Lauf der Dinge zu erfahren. Jetzt dagegen ging alles schneller, als ich wünschte. Am nächsten Tage wurde ich bereits wieder vor den Staatsanwalt beschieden. Diesmal befand sich in der Amtsstube außer Herrn v. Berg, dem Schriftführer, dem Aufseher Roth, der an der Tür Posto fasste, noch ein mir fremder Herr in der Uniform eines russischen Justizbeamten, mit einem glitzernden Orden im Knopfloch.

„Guten Tag, Deutsch! Kennen Sie mich nicht wieder?“ fragte dieser Unbekannte mich mit einschmeichelnder Stimme auf Russisch. „Ich bin Vertreter des Staatsanwalts am Petersburger Appellationsgerichtshof, Bogdanowitsch. [Es ist derselbe Bogdanowitsch, welcher nachher den Posten eines Gouverneurs in Ufa bekleidete und im Sommer dieses Jahres (1903) von den Revolutionären für seine grausame Unterdrückung der streikenden Arbeiter in Slatoust ermordet wurde.] Sie werden sich meiner wohl erinnern: als Sie in Kiew in Haft waren, war ich Vertreter des dortigen Staatsanwalts.

„Ich habe niemals in Kiew im Gefängnis gesessen“, antwortete ich, „und habe nicht das Vergnügen, Sie zu kennen, mein Herr,“ fügte ich gelassen hinzu. Ich hatte diesen Beamten in der Tat nie im Leben gesehen.

„Jawohl, es unterliegt keinem Zweifel, es ist Deutsch“, wandte sich Bogdanowitsch an seinen deutschen Kollegen. –

„Und ich behaupte, dass es nicht wahr ist“, erklärte ich.

„Wir werden jedoch jedenfalls Herrn v. Bogdanowitsch mehr Glauben schenken“, bemerkte Herr v. Berg, „und Sie werden an Russland ausgeliefert werden.“

„Es sei drum!“ sagte ich. „Sie werden damit der russischen Regierung Gelegenheit geben, noch einen Unschuldigen nach Sibirien zu verbannen.“

„Unschuldige werden bei uns niemals nach Sibirien geschickt!“ erklärte Bogdanowitsch mit Aplomb.

„O, nicht nur nach Sibirien verbannt man Unschuldige, sondern man schickt sie aufs Schafott!“ rief ich. „Sie, mein Herr, sagen, dass Sie der Staatsanwaltschaft in Kiew angehörten; es muss Ihnen also bekannt sein, oder vielleicht waren Sie selbst an dem Morde beteiligt, den man an einem unmündigen Knaben, dem Studenten Rosowski, vollbracht hat; er wurde gehängt, trotzdem das Standgericht selbst zugegeben hat, dass seine ganze Schuld darin bestand, eine Proklamation im Besitz gehabt und über deren Herkunft die Aussage verweigert zu haben.“ Rosowski wurde zu Beginn 1889 in Kiew hingerichtet.

„Rosowski wurde hingerichtet nicht nur, weil man eine Proklamation bei ihm gefunden, sondern weil er Mitglied der sozialistischen Partei war“, erklärte Bogdanowitsch lächelnd dem badischen Staatsanwalt.

„Nun sehen Sie!“ wandte ich mich an diesen, „bei Ihnen in Deutschland sitzen die Abgeordneten der sozialistischen Partei im Reichstag und nehmen somit an der Gesetzgebung des Staates teil; nach der Anschauung des russischen Staatsanwalts und unserer Regierung genügt es, wenn jemand der Angehörigkeit zur sozialistischen Partei verdächtig ist, ihn an den Galgen zu schicken, ohne dass dieser Verdacht erwiesen wäre.“

Die beiden Herren fanden nicht bald eine Erwiderung auf meine Worte. Auf den deutschen Juristen schien jedoch anfangs dieses wahrheitsgemäße Beispiel Eindruck gemacht zu haben. Andererseits aber sah ich, dass dem stolzen Herrn v. Berg die Anwesenheit des Staatsanwalts vom Petersburger Appellationsgerichtshof ungemein imponierte. Von Zeit zu Zeit vertiefte er sich in den Anblick des blitzenden Ordens an der Brust des Russen, und wenn er mit ihm sprach, lag in seiner Stimme eine mir bisher an ihm fremde Süßlichkeit, wobei er sich alle Mühe gab, den Namen Bogdanowitsch richtig herauszubringen, was ihm viel Schwierigkeiten zu bereiten schien und recht komisch wirkte. Wohl um sich dem Vertreter der russischen Justiz, der diesmal durchaus nicht in der Rolle des Wahrheit suchenden Gesetzesdieners erschien, im besten Lichte zu zeigen, bemerkte mir Herr v. Berg spitz:

„Ich sehe, dass Sie um Ausflüchte nicht verlegen sind und die Regierung Ihres Landes in recht düsteren Farben zu schildern versuchen. Aber was Sie auch gegen diese Regierung vorbringen mögen. Sie werden ihr ausgeliefert werden, und ich bin fest überzeugt, dass man Sie in Russland dem Gesetze gemäß behandeln wird.“

„O gewiss, gewiss!“ beeilte sich Herr Bogdanowitsch zu versichern.

Ich wurde in meinen Kerker abgeführt. Was ich während der nächsten Tage fühlte, brauche ich wohl nicht zu schildern, der Leser wird es sich ausmalen können, wenn er sich in meine Lage versetzt. Es war mir klar, dass jede Hoffnung auf Befreiung aussichtslos war; aber ich konnte mich noch immer nicht mit diesem Gedanken aussöhnen, und mein Hirn arbeitete immer wieder an neuen Fluchtplänen, obgleich ich mir sagen musste, dass es ganz vergebens war. Ich rechnete darauf, dass die Verhandlungen über meine Auslieferung noch einige Zeit in Anspruch nehmen würden, und machte mich daran, einen langen konspirativen Brief an meine Freunde zu verfassen, den ich durch Professor Thun abzusenden hoffte. Ehe ich damit fertig war, vergingen zwei oder drei Tage, und ich wurde abermals vor den Staatsanwalt zitiert, trotzdem es gerade Sonntag war. Man hatte es augenscheinlich sehr eilig.

„Unsere Regierung hat beschlossen, Sie auszuliefern“, eröffnete er mir, „doch unter der Bedingung, dass Sie in Russland vor ein ordentliches Gericht gestellt werden und nur wegen der Teilnahme an dem Mordversuch gegen Gorinowitsch zur Verantwortung gezogen werden. Ihr Gesuch um eine Unterredung mit dem Verteidiger und dem Übersetzer ist abschlägig beschieden.“

Nachdem er mir den Beschluss der badischen Regierung verlesen, erklärte mir Herr v. Berg, dass man mich noch am selbigen Tage nach Russland schaffen werde. Ehe ich ging, bemerkte ich, dass man mich in Russland jedenfalls vor ein Ausnahmegericht, ein „Kriegsgericht“, wie man es dort nennt, stellen würde und nicht vor ein ordentliches.

„Nun, das ist unmöglich, das wäre eine Verletzung des Vertrags, es widerspräche dem Völkerrecht“, erwiderte v. Berg.

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Leo Deutsch: Sechzehn Jahre in Sibirien

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