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Verhör in Bezug auf die Ermordung des Generals Mensenzeff

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Verhör in Bezug auf die Ermordung des Generals Mensenzeff

Ich wurde in ein komfortabel eingerichtetes Zimmer geführt, wo Staatsanwalt Kotljarewski auf einem Fauteuil vor einem großen Tische saß und in Akten blätterte.

„Ich habe hier einige Schriftstücke, die sich auf Sie beziehen“, erklärte er mir und begann vorzulesen.

„Anfangs August 1878“, las er, „hat die Witwe des ermordeten Barons Heyking, Adjutant des Gendarmeriekorps, in der Nähe der Wohnung des Generals Mesenzeff zwei junge Leute bemerkt, die dem General auflauerten ...“ [Mesenzeff, General der Gendarmerie, ist am 17. August 1878 von den Revolutionären auf offener Straße in Petersburg getötet worden.] Einen dieser jungen Leute nun wollte die Baronin in mir wiedererkannt haben. Am nächsten Tage will sie die beiden abermals auf der Lauer gesehen haben, als sie mit ihrem Cousin, dem Baron Berg, spazieren ging. – Dann kam ein Schriftstück, in dem der Baron Berg die Aussagen der Dame bestätigte.

Es gab eine Zeit – im Jahre 1878 und 1879 –, wo meine Person die Phantasie zahlreicher Menschen aufs lebhafteste beschäftigt haben muss, und viele gaben sich dazu her, mir die Urheberschaft oder die Teilnahme an Vorgängen, die damals an allen Enden Russlands vorkamen, anzudichten. Diese Phantasien fanden den Weg auch in die Presse, und ich selbst war zuweilen erstaunt, wenn ich in den Zeitungen las, was ich alles zuwege gebracht haben sollte; ich kam mir vor wie der leibhaftige Rinaldo Rinaldini (Rinaldo Rinaldini ist eine literarische Figur aus Christian August Vulpius’ Roman Rinaldo Rinaldini, der Räuberhauptmann, der 1799 in Leipzig in drei Bänden erschien). So weiß ich mich zu erinnern, dass am 25. Mai 1878, als ich noch im Kerker saß, in Kiew eine reiche Gutsbesitzerin ermordet wurde; es handelte sich wohl um einen Raubmord. In der darauffolgenden Nacht wurde Baron Heyking erschossen, und in der Nacht vom 27. auf den 28. Mai floh ich mit zwei Genossen aus dem Gefängnis. Bald konnte ich in den Zeitungen lesen, dass nach Ansicht besonders scharfsinniger Leute sowohl die Gutsbesitzerin als der Baron Heyking von keinem anderen umgebracht sein können als von mir selbst! Danach hätte ich also zweimal das Gefängnis verlassen müssen, um in den beiden Nächten zwei Menschen umzubringen, wäre jedes Mal wieder in den Kerker zurückgekehrt, um schließlich in Gesellschaft zweier Kameraden zu verduften.

Auf dem gleichen Niveau absoluten Unsinns befand sich die Aussage über meine Teilnahme an dem Attentat gegen General Mesenzeff. – Nachdem Kotljarewski mir die Schriftstücke verlesen, fragte er, was ich dazu zu sagen hätte.

„Es scheint, dass die Regierung den Plan nicht aufgibt, mich in Sachen zu verwickeln, die im Auslieferungsvertrag nicht erwähnt sind“, sagte ich. „Ich weigere mich also, irgendwelche Fragen zu beantworten, die sich auf andere Anklagen beziehen.“

„Nun, wenn Sie die Aussage verweigern, lassen wir das“, meinte in aller Seelenruhe Kotljarewski und klappte seine Akten zusammen. „Ich kann Ihnen übrigens sagen, dass ich den Aussagen dieser Herrschaften gar keine Bedeutung beimesse. Soviel ich weiß, waren Sie bereits im Auslande, als Mesenzeff ermordet wurde.“

Ich bejahte. Er schien große Lust zu haben, mich trotzdem noch zu Aussagen in dieser Angelegenheit zu bewegen, da ich aber darauf nicht einging, begann er bald über gleichgültige Dinge zu plaudern. Unter anderem wollte er auch unsere sozialistische Propaganda und unsere Anschauungen erörtern, als ich ihm aber einige Schnitzer nachwies, gestand er, dass ihm unsere Schriften unbekannt waren.

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Leo Deutsch: Sechzehn Jahre in Sibirien

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