Читать книгу Hey Joe - Leon Lichtenberg - Страница 12

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Am Samstagabend hatte Jo Manuela zu Hause abgeholt. Ihre Mutter war ausnahmsweise anwesend und hatte ihn an der Tür gleich in die Mangel genommen. „Herr Bauer, meine Tochter ist erst siebzehn Jahre alt, und ich sehe es gar nicht gerne, dass sie abends mit einem Jungen weggeht. Sie müssen mir versprechen, dass sie spätestens um zehn Uhr wieder zurück ist.“ Eigentlich lohnte sich die ganze Aktion kaum. Jo hatte sich gedacht, mit ihr zuerst in den Jazz-Club zu fahren und anschließend noch ein Stündchen im Auto zu knutschen. Aber das war in der kurzen Zeit kaum noch möglich.

Mehr als Knutschen war bei Manuela im Augenblick sowieso nicht drin. Das hatte sie ihm unmissverständlich deutlich gemacht. Sie wolle sich durch zu frühen Verkehr ihre Zukunft nicht verbauen, hatte sie zu ihm gesagt. Er hatte nicht genau verstanden, was sie damit meinte, hatte es aber akzeptiert. Die Dinge würden sich vermutlich sowieso von alleine entwickeln – wie auch immer.

Bei Manuelas Mutter hatte Jo das Gefühl, dass sie ihn nicht leiden konnte. Vielleicht hatte jede Mutter einer Tochter in diesem Alter Angst um ihr Kind, das war grundsätzlich verständlich. Aber Jo hatte den Eindruck, es ginge auch um ihn ganz persönlich. Vielleicht wusste sie schon mehr über ihn als er dachte. Und der Junge aus einfachem Elternhaus war vermutlich nicht der Umgang, den die kulturbeflissene Dame sich für ihre Tochter so vorstellte.

Sie fuhren also in den Jazz-Club. Eine Gruppe von uralten Daddys aus New Orleans gab ein Blues-Konzert. Das war echt Klasse Musik, die auch Manuela gefiel. Sie klatschte begeistert mit. Für sie war es vermutlich ein wohltuendes Kontrastprogramm zu dem, was sie im Fahrwasser ihrer Mutter sonst so kulturell zu erleiden hatte.

In der Pause unterrichtete Jo dann Jürgen über seine Erfahrungen bei der Bewerbung in Hannover. Manuela war immer an seiner Seite. Sie hatte ihren Arm um seinen Körper gelegt und schaute ihn häufig von der Seite an. Die war echt süß. Jo war stolz, mit einem so hübschen Mädchen auftreten zu können.

Kurz vor zehn mussten sie dann auf ihr Drängen das Lokal verlassen und den Heimweg antreten. Vor der Garage in Langenheide blieb sie dann aber noch sitzen, und sie küssten sich noch lange. „Es ist schön, dass ich dich habe“, sagte Jo zum Abschied. Als sie dann an der Haustür klingelte, bemerkte Jo, dass sich eine Gardine bewegte.

Am Montag stand Manuela schon auf dem Parkplatz vor der Schule, als er mit seiner alten Kiste eintraf. Das war ungewöhnlich; normalerweise sprachen sie erst in der großen Pause miteinander und dann auch nur kurz. Bei der kurzen Episode vor der Garage hatte Jo am Samstag eine mittlere Katastrophe ausgelöst, jedenfalls klang das so aus dem Munde seiner Freundin. Sein Fiat hatte nämlich auf dem Pflaster einen Ölfleck hinterlassen. Das war an sich nicht außergewöhnlich, denn der Motor war mittlerweile so undicht, dass er ständig und überall leckte. Als Sofortmaßnahme hatte Jo eine Dose mit Motoröl im Kofferraum, um bei Bedarf oben für Nachschub zu sorgen. Außerdem hatte er hinter dem Rücksitz eine Pappe, die er bei längeren Aufenthalten unter den Motorblock legt. Am Samstagabend hatte er aber wirklich nicht daran gedacht. Dass Manuelas Mutter einen übertriebenen Reinlichkeitsfimmel hatte, war ihm schon bei seinen Besuchen im Haus aufgefallen. Und nun war er gleichermaßen als Täter und Opfer in diese Obsession hineingezogen worden.

Auf das Innere des Hauses schien sich dieser Spleen nicht zu beschränken. Denn obwohl Sonntag war, an dem man ungeschriebenen Gesetzen folgend nicht draußen durch körperliche Arbeit auffiel, hatte sie mehrfach versucht, mit einem Schrubber und Seifenlauge den Fleck zu entfernen. Allerdings war immer noch eine dunkle Stelle zurückgeblieben. Daraufhin musste der Vater ebenfalls noch am Sonntag die betroffene Waschbetonplatte herausnehmen und durch eine neue aus seinem Lager ersetzen. Das wiederum hatte auch keine befriedigende Lösung ergeben, denn die neue Platte war im Verhältnis zu den schon vorhandenen zu hell. Offensichtlich war damit der guten Frau das ganze Wochenende völlig vermiest worden. Manuela hatte darunter zu leiden. Wenn sie es auch nicht so deutlich formulierte, so hatte Jo doch den Eindruck, dass der Umgang mit ihm aus Sicht der Mutter zukünftig möglichst unterbleiben sollte. Jo meinte, er würde das schon wieder geradebiegen, aber Manuela machte einen etwas panischen Eindruck.

Als er dann in seine Klasse kam, gab es eine weitere Neuigkeit, die das gesamte Gymnasium irgendwie in Aufruhr gebracht hatte. „Hast du schon mitbekommen, dass wir jetzt ein Negermädchen an der Schule haben, Bauer?“ Mit diesen Worten wurde er gleich von Jens an der Klassentür empfangen. „Sieht scharf aus, so ein kleines wildes Tier!“ Yvonne wusste mehr darüber. Clarissa, so hieß das Mädchen, war mit ihrer Mutter aus Hessen gerade nach Lüdecke umgezogen. Die war jetzt als Narkoseärztin am Kreiskrankenhaus eingestellt worden. Vonnes Vater hatte das alles eingefädelt. Er hatte früher mal bei dem Vater der Frau in Gießen Medizin studiert.

„Die war dann wohl so eine Ami-Hure, wenn sie ein Negerkind hat“, meinte Jens, der sich dabei auf die Kenntnisse seines Vaters bezog. Die anderen konnten mit dieser Aussage nicht viel anfangen. Jens ergänzte: „Die hat sich mit einem Neger von den Ami-Soldaten eingelassen, versteht ihr das nicht.“

In der großen Pause war das dunkelhäutige Mädchen dann der Hingucker. Yvonne hatte es sich zur Aufgabe gemacht, ihr die Einführung in der Schule etwas zu erleichtern und sich um sie zu kümmern. Da hatte der Wunsch ihres Vaters sicherlich auch eine Rolle gespielt. Zusammen mit Jule hatten sie Clarissa in die Mitte genommen und untergehakt. So hatten sie dann auf dem Schulhof ihre Runden gedreht. Es war auffällig, dass an diesem Tag besonders viele Gruppen, vor allem der Jungs, ihre Runden in entgegengesetzter Richtung machten, um so einen Blick auf das fremdartige Wesen zu werfen.

Dazu muss erwähnt werden, dass man in Lüdecke praktisch keine Erfahrungen mit Negern hatte. Wenn die Tommies Manöver machten, sah man schon mal unter den englischen Soldaten einen Dunkelhäutigen. Jo hatte mal einen gesehen, der war so richtig schwarzbraun wie er das überhaupt nicht für möglich gehalten hatte. Clarissa aber war gar nicht so dunkel, eher so milchschokoladenbraun, eben ein Mischling. Es war klar, dass sie auf jeder Runde von allen angegafft wurde. Sie nahm das scheinbar gar nicht mehr wahr. Die drei Mädchen waren in ein Gespräch vertieft und lachten dabei. Jo fand es eigentlich auch blöd, sie anzustarren. Er redete mit seinen Klassenkameraden, und als sie auf die Mädchengruppe trafen, schaute er im letzten Augenblick nur einmal ganz kurz auf, um sich einen Eindruck zu verschaffen. Sie war groß und schlank gewachsen. In der engen Jeans und einer kurzen Jacke sah sie knackig aus, da hatte Jens nicht zu viel versprochen. Das Besondere aber war ihre Frisur. Sie hatte so viele Haare auf dem Kopf wie Jo es noch nie bei einem Menschen gesehen hatte, jedenfalls nicht lebendig vor sich. In der ´pardon´ (vielleicht war es aber auch die Konkret) hatte er ein Bild von Angela Davis gesehen, einer amerikanischen Frau, die gegen die Rassentrennung in den USA kämpfte und jetzt in Frankfurt studierte. Die hatte auch so einen Ballon aus schwarzen, krausen Haaren auf dem Kopf.

In der zweiten Pause kam dann Manuela zu Jo. Sie hatte sich mittlerweile wieder etwas beruhigt. Sie erzählte ihm, dass Studienrat Päffken im Geographieunterricht gemeint habe, dass neue Mädchen würde sicherlich nicht lange an der Schule bleiben. „Für negroide Menschen ist das mitteleuropäische Klima völlig ungeeignet, außerdem bringen sie in den seltensten Fällen genügend Intelligenz für ein deutsches Abitur mit“, war seine Begründung dafür. Manuela hielt das für eine gewagte Aussage; Jo hatte keine Meinung dazu.

Am Nachmittag war er noch einmal von zu Hause aus nach Lüdecke in einen Blumenladen gefahren. Er wusste nicht genau, was ein angemessenes Präsent für Manuelas Mutter sein könne, um den Ärger etwas verfliegen zu lassen. Die Verkäuferin hatte ihm den Zweig einer Orchidee empfohlen. Der hatte mindestens zehn lila Blüten und sah sehr exklusiv aus. Er bekam gegen Austrocknung ein mit Wasser gefülltes Plastikröhrchen übergesteckt. Dann wurde er in eine durchsichtige Schachtel auf weißes Seidenpapier gelegt. Das kostete Jo die für ihn nicht unbeträchtliche Summe von sechs Mark fünfzig. Damit fuhr er dann nach Langenheide.

Vorsichtshalber ließ er seinen Wagen an der Straße auf einem Grünstreifen stehen und ging den Rest zu Manuelas Haus zu Fuß. Natürlich sah er sofort die hellere Platte auf der Garageneinfahrt. Dramatisch schlimm sah es seiner Meinung nach nicht aus. Nach ein paar Regenschauern wäre vermutlich kein Unterschied zu den anderen Platten mehr zu sehen. Er machte einen Bogen um die neue Platte und klingelte. Manuelas Mutter öffnete die Tür. Sie sah aus wie immer, so als ob sie gerade vom Friseur gekommen wäre. „Wie die deutsche Sparausgabe von Doris Day“, dachte er kurz.

„Guten Tag Frau Bölling. Ich habe von Manuela gehört, dass ich Ihnen am Wochenende viel Ärger bereitet habe. Das tut mir aufrichtig leid. Ich versichere Ihnen, dass das bestimmt auch nie wieder vorkommen wird. Ich würde mich freuen, wenn sie diese kleine Aufmerksamkeit zur Entschuldigung annehmen würden. Ich weiß schon, dass ich den Schaden damit natürlich nicht ungeschehen machen kann. Wenn ich sonst noch irgendetwas in dieser Angelegenheit zur Wiedergutmachung tun kann, dann lassen sie es mich bitte wissen“. Jo hatte ein solches Feuerwerk abgeschossen, dass die Mutter dagegen natürlich auf verlorenem Posten stand. „Oh was für eine schöne Orchidee“, flötete sie, „so schlimm war es nun auch wieder nicht. Aber gerade im letzten Jahr haben wir hier die neuen Platten bekommen.“

Manuela war nicht zu sehen. Mittlerweile hatte sich Frau Bölling wieder gefangen. Eigentlich hatte sie Jo nicht so freundlich begegnen wollen. „Herr Bauer, ich weiß nicht so recht, ob für Manuela der Umgang mit Ihnen das Richtige ist. Sie hat mir erzählt, sie sei mit Ihnen Samstag im Jazz-Club gewesen. Das ist eigentlich nicht die Musik, die wir für angemessen halten. In unserem Haus wird eher die ernste Musik gepflegt. Außerdem muss ich Ihnen sagen, dass Manuela mit ihren siebzehn Jahren für ein flüchtiges Abenteuer zu jung ist. Da müssen wir unsere schützende Hand über sie halten.“

Er hatte es doch gewusst. Die Alte wollte sie beide auseinander haben. „Das weiß ich doch, und Sie können ganz sicher sein, dass ich das in jedem Fall respektiere.“ Jo wollte sich hier keine Blöße geben. Da Manuela immer noch nicht aufgetaucht war, verabschiedete er sich höflich von ihrer Mutter. „Frau Bölling, Sie können sich ganz sicher auf mich verlassen!“ Das hieß erst einmal nicht viel, aber hinterließ dennoch einen beruhigenden Eindruck, wie er glaubte. Auf dem Weg zurück zu seinem Auto sah er Manuelas Vater, wie er gerade in einen Baulaster steigen wollte. Der winkte ihm fröhlich zu. Das Problem schien nur die Mutter zu sein.


Hey Joe

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