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Einleitung

Michelangelo – wer denkt dabei nicht sofort an die überwältigende Bilderfülle in der Sixtinischen Kapelle in Rom, die den unvorbereiteten Besucher vor Ort fast erschlägt und ihn voll Erstaunen und Bewunderung vor der gewaltigen Leistung eines einzelnen Menschen, wenn auch eines so begabten und begnadeten Künstlers wie Michelangelo, zurück lässt. Diese Bilderwelt (Abb.1) verschließt sich jeglicher schnellen Interpretation – zumindest für die heutigen Menschen. Zu wenig Zeit verbleibt uns vor Ort, um sich der Sprache dieser Bilder zu öffnen. Und doch spürt der sensible Betrachter, dass diese Bilder nicht nur erzählende Wand- und Deckendekoration bedeuten, sondern dass in sie eine besondere Aussage vom Künstler hineingelegt wurde – eine Botschaft, die ihn zu dieser gewaltigen Kraftanstrengung bewegte, und die auch uns in unserer heutigen Lebenssituation angeht.

Das Werk Michelangelos umfasst jedoch nicht nur die Fresken in der Sixtinischen Kapelle, sondern es spannt sich – abgesehen von einigen Frühwerken – von der Pietà in Sankt Peter zu Rom, die seinen Ruhm begründete, bis hin zur nahezu unbekannten Pietà Rondanini in der Städtischen Kunstsammlung im Castello Sforzesco in Mailand, an der er bis kurz vor seinem Tod arbeitete. Dazwischen liegt ein langes Leben und eine großartige Schaffensperiode – ein Leben, in dem er nicht immer seinem Wunsche, ausschließlich Bildhauer zu sein, nachgehen konnte, sondern sich dem Willen der Päpste unterwerfen musste und es – wenn auch manches Mal nach anfänglich langem und intensiven Widerstand – letztlich auch tat. Diesem unnachgiebigen Willen der Päpste verdankt die Nachwelt nicht nur die Fresken in der Sixtinischen Kapelle – zunächst die Deckenfresken und dann, fast ein Vierteljahrhundert später, das Jüngste Gericht –, sondern auch die Vollendung des Neubaus von Sankt Peter in Rom, die er zwar nicht mehr erleben durfte, für dessen Kuppel er jedoch, als sich durch immer wieder eintretende Verzögerungen diese Entwicklung abzeichnete, in hohem Alter durch bindende Vorgaben und die Anfertigung eines Modells Vorsorge getroffen hatte.

Aber Michelangelo war nicht nur ein begnadeter Bildhauer, Maler und Architekt – er war auch ein genialer Dichter. An seinen Versen arbeitete Michelangelo wie am Marmor, dem er durch Wegschlagen und Wegnehmen die angestrebte Form gab. Es sind über dreihundert Gedichte, von denen einige an enge Freunde gerichtet waren und in seinem Freundeskreis hoch geschätzt wurden. Die überwiegende Mehrzahl seiner Gedichte diente jedoch der Aufnahme und Verarbeitung seiner Gedanken. Sie waren ursprünglich auch nicht zur Veröffentlichung bestimmt. Die Rauheit seiner Verse entsprach keineswegs dem damaligen Zeitgeist und doch hat der bedeutende zeitgenössische Dichter Francesco Berni bereits damals gesagt: „Ihr sagt nur Worte – er jedoch sagt Dinge.“ Heute helfen seine Gedichte, uns dem Verstehen seiner Werke und der darin enthaltenen Botschaft anzunähern.

Am Ende seines Lebensweges steht die Pietà Rondanini, zwar unvollendet, jedoch von erschütternder Aussagekraft und mit einer deutlichen Botschaft, die heute so aktuell ist wie kaum je zuvor.

Michelangelo – Der überhörte Weckruf

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