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Kapitel 10

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Ein neuer Versuch, aber auch diesmal nahm Sophie nicht ab. Verdammt, das war völlig untypisch für sie, dass sie nicht ans Telefon ging.

»Was ist los?«, fragte Laurin und sah Nadine über den Rand der Tageszeitung hinweg an.

»Ach nichts.«

»Du hast doch was.«

Nadine seufzte. »Sophie nimmt nicht ab.«

Laurin schmunzelte. »Du bist schrecklich neugierig.«

Sie zuckte mit den Schultern, als könne sie dieser Vorwurf nicht treffen. »Und wenn schon, ich will ja nur wissen, dass es ihr gut geht! Ist das zuviel verlangt?«

Es war eigenartig, wie alles begonnen hatte und ausgerechnet jetzt musste sie daran zurückdenken. Als neugierige Teenager waren Nadine und Sophie als dicke Freundinnen mit dem Erwachen ihrer Sexualität ganz versessen darauf gewesen, alles anders zu machen als die anderen Mädchen ihres Alters. Es war beinahe wie eine Art Wettbewerb gewesen. Sie wollten reifer sein, erfahrener, mutiger als ihre Altersgenossinnen und sie wollten vor allem das Besondere, den ultimativen Kick. Auf was für ein Abenteuer sie sich dabei einlassen und wie es ihre sexuellen Bedürfnisse schon früh verändern würde, davon hatten sie natürlich keine Ahnung gehabt. Und wenn, dann würden sie im Nachhinein betrachtet, vermutlich alles wieder ganz genauso machen. Zumindest Sophie.

Statt sich um ihre Hausaufgaben zu kümmern, stöberten sie stundenlang im Internet und nahmen gierig alles auf, was man dort über Sex erfahren konnte. Nicht alles war erfreulich. Ehe sie sich versahen, gerieten sie auf Seiten, die sie lieber nicht geöffnet hätten und die ihnen verdeutlichten, wie gefährlich die Welt sein konnte. Abhalten weiter zu machen konnte sie dies dennoch nicht. Ihre Neugierde und ihre Abenteuerlust waren so groß, zumal sie sich gegenseitig anstachelten, dass sie alles erforschten und ansahen, was es an sexuellen Praktiken dort zu finden gab. Mit klopfendem Herzen, manchmal peinlich berührt, oftmals mit hochroten Köpfen vor Aufregung, stieg ihre Erlebnis- und Risikobereitschaft von Mal zu Mal. Überhaupt, sie waren nicht nur schön, sondern auch klüger als andere Mädchen. Demzufolge geschahen die schlimmen Dinge sowieso immer nur den anderen.

Die Folge ihrer Überheblichkeit war, dass die ersten zarten Erfahrungen mit Jungen ihres Alters längst nicht ihre Erwartungen erfüllten. Die Freundinnen redeten freizügig über alles und ihr Verlangen wurde immer größer, anderes auszuprobieren, was weit über Blümchensex hinausging, erwachsen und zugleich aufregend wie ein Abenteuer war.

Es war schließlich Sophie gewesen, die den Anstoß gab, sich aufreizend anzuziehen, als verführerische Lolitas ihr Glück in einem SM-Club zu versuchen, den sie beim Surfen auf Seiten ihrer Stadt entdeckt hatte. Nadine war einverstanden, aber der Realität nahe, schreckte sie plötzlich zurück. Träumen, Hoffen, Wünschen – das war etwas anderes, das war so fern. Aber sich der Situation wirklich stellen, mit einem Unbekannten, der erfahrener war als sie selbst, sexuelle Praktiken ausüben, die sie nur vom Lesen, von Fotos und Videos kannten, das war nicht nur erregend, sondern auch beängstigend. Es dauerte ein paar Tage, ehe ihre Freundin sie an der Ehre gepackt und zu wenigstens einem Versuch überredet hatte.

Rückblickend konnte Nadine nur den Kopf darüber schütteln, wie naiv und auch leichtsinnig sie die Sache angegangen waren. Wie aufgeputzte Püppchen, auf den höchsten Absätzen, die ihre Schuhe hergaben, mit den engsten und freizügigsten Klamotten, die jede von ihnen im Kleiderschrank fand, hatten sie sich an einem Samstagabend von einem Taxifahrer zu dem SM-Club fahren lassen. Der Mann hatte sie durchdringend gemustert und kurz nachgefragt, ob die Adresse tatsächlich richtig wäre, sie dann jedoch ohne weiteren Kommentar chauffiert.

Der Türsteher, ein großer muskulöser Mann in schwarzer Lederkleidung, musterte die drei von oben bis unten und verzog den Mund zu einem hämischen Grinsen. »Was wollt ihr denn hier Kinder? Fasching ist längst vorbei.«

»Fasching?«, spie Sophie verächtlich hervor. Ich kann nichts dafür, wenn Sie nicht up-to-date sind. Können wir jetzt gefälligst da rein?« Nadine sah ihre Freundin für ihr unerschütterliches Selbstbewusstsein bewundernd von der Seite an.

Der Mann lachte, erst leise, dann schwoll sein Lachen zu einem bebenden Orkan an, der seinen ganzen Oberkörper schüttelte. Er strich sich seinen dichten Schnauzbart nach links und rechts zur Seite, schaute von einer zu anderen, lachte noch einmal dröhnend und schließlich drehte er sich zu Nadines Verblüffung um und hielt ihnen die Tür auf.

»Wenn ihr unbedingt wollt – aber beklagt euch nicht, wenn man euch mehr, als euch lieb ist, an die Wäsche geht.«

Mit hocherhobenem Kopf, den Rücken aufrecht durchgestreckt, stolzierte Sophie an ihm vorbei, ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen. Nadine hatte Mühe, ihr auf ihren hohen Stiftabsätzen zu folgen. Die Tür fiel hinter ihnen schwer ins Schloss und sie hatte plötzlich das Gefühl, dass sie einen großen Fehler machten und sich direkt in die Höhle der Löwen begaben.

Die Eindrücke, die in der nächsten Sekunde auf sie einstürmten, waren überwältigend. Ein paar Stufen führten hinunter in einen Raum, der nur partiell gut genug beleuchtet war, um Genaueres zu sehen. Wie weit die Räumlichkeiten sich ausdehnten, war auf den ersten Blick nicht zu erkennen.

Vorwiegend schwarz gekleidete Frauen und Männer, alle um einige Jahre älter als Sophie und ihre Freundin, manche sogar so alt wie ihre eigenen Eltern, standen paarweise oder in Gruppen herum. Mehrere fast nackte junge Männer knieten mit demütig gesenktem Kopf dazwischen, einer mit einer schwarzen Maske, die sein ganzes Gesicht bedeckte. Nadine war so erschrocken, trotz der Fotos, die sie im Internet gesehen hatte, dass sie diesen Anblick nie mehr vergaß.

Ein paar Frauen, mit eng geschnürten Korsagen und teils nackten Brüsten, eine mit verbundenen Augen, eine andere mit einem roten Knebel im Mund. Nadine wusste nicht, wohin sie zuerst schauen sollte. Ein Mann hatte seine Hand auf den Kopf der Frau gelegt, die neben ihm am Boden kniete, und kraulte sie fast liebevoll in den Haaren und bei Nadine keimte zu ihrer eigenen Überraschung der Wunsch auf, diese Frau zu sein.

Die Tops präsentierten sich stolz, aufrecht, einer hielt eine zusammengerollte Peitsche in der Hand, ein weiterer eine Leine, an deren anderem Ende ein junger Mann demütig kniete, bekleidet nur mit einem Hauch von Lendenschurz, der nicht mehr war, als ein lederner, nach unten gerichteter Käfig für seinen Penis … am liebsten hätte Nadine auf der Stelle kehrt gemacht und wäre wieder hinaus gerannt. Zu viele Eindrücke, schöne und erschreckende. Das hier war nicht die Anonymität des Internet. Das hier war live. Wenige Sekunden genügten, um ihr Angst zu machen, um ihr das Gefühl zu geben, hier vollkommen deplatziert zu sein. Aber diese Blöße durfte sie sich nicht geben, während Sophie ihr stolz wie eine Königin voranging, als verkehre sie täglich in diesem Etablissement, und Nadine ihr mit glühenden Wangen folgte.

Das alles lag nun schon solange zurück, dass es aus einem anderen Leben zu sein schien. Vergessen waren Ängste oder Bedenken, die unbeholfenen Versuche, es bei den ersten Erlebnissen dem Top recht zu machen. Vergessen das erste Erleben der Praktiken, von denen sie bis dahin nur eine ungenaue Vorstellung gehabt hatten. Heute war sie diejenige von ihnen beiden, die mutiger war und die Herausforderung suchte, wohingegen Nadine ihre romantische Ader entdeckt hatte.

Wie ihr bisheriges Leben und die Entwicklung ihrer Sexualität wohl verlaufen wäre, wenn sie damals nicht diesen Schritt in eine Welt der Unterwerfung und Dominanz gewagt hätten? Nadine wusste es nicht. Alle beide waren sie naiv, leichtsinnig und übermütig gewesen, und hatten erst im Laufe der Zeit begriffen, in welche Gefahr sie sich begeben hatten und wie gut es das Schicksal mit ihnen meinte, das ihnen nie etwas Schlimmes widerfahren war. Wie leicht hätten sie in die Fänge von Mädchenhändlern geraten und in einem Bordell landen können.

Sie hoffte von ganzem Herzen, dass Sophie jetzt den Herrn gefunden hatte, der sie zu nehmen verstand.

Dein, Sein, Mein

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