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Die Mutter und wir

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Die Mutter, auf dem Lande aufgewachsen, konnte die Prügel nicht mehr vergessen, die sie einmal von der Pfarrersköchin bekam, weil sie dem Herrn Pfarrer vertrauensselig beichtete, daß sie mitschuldig sei am jähen Verschwinden seiner großen gelben Kaiserbirnen.

Seitdem war sie etwas mißtrauisch und besprach alles mit dem lieben Gott direkt, unter Umgehung aller Mittelspersonen.

Nun verbreitete sich aber eines Tages in unserm Hause das Gerücht von fremden Missionären, die, von weit her kommend, in der Kirche unsres Bezirkes die Beichte hörten. Sie sollten so ganz anders sprechen, so gütig und weise, und bald wieder weiterziehen.

Ich weiß nicht mehr, ob eine arme Frau, die neben uns, oder eine arme Frau, die ober uns wohnte, Mutter überzeugte, oder ob ihr nur die Tatsache so gefiel, daß die Missionäre von weit her kamen, um bald wieder fortzuziehen – kurz, sie beschloß, beichten zu gehen.

Ausnahmsweise wurde die Beichte abends abgehört, und wir Kinder blieben zum erstenmal allein. Wir hatten nämlich noch eine so gute Mutter, die sich nie von uns trennte, alles mit uns besprach und mit unsrer Freundschaft vollkommen zufrieden war.

Tagsüber hatten wir jedem Menschen, der es nur hören wollte, erzählt, daß unsre Mutter beichten gehe, und kamen uns sehr wichtig vor. Aber jetzt abends war es so still und dunkel, und wir bekamen Angst. Wir fühlten uns zwar verpflichtet, artig und brav zu sein; unter diesen beängstigenden Umständen aber waren wir geradezu gezwungen, Tiergarten zu spielen. Meine Schwester und mein Bruder wollten beide der Löwe sein. »Sie« wollte natürlich der König der Tiere sein, und es gelang ihr auch, meinen Bruder zu überzeugen, daß der Elefant größer wäre und daß er trompete. Bei mir gab es keine Wahl; ich konnte nur bellen.

Ich glaube nicht, daß diese Tierlaute, die wir jetzt ausstießen, sich wesentlich unterschieden haben, aber laut waren wir alle drei, sehr laut, fast markerschütternd.

Auf einmal klopfte es an die Wand, wir wurden still, da klopfte es wieder, und eine traurige Stimme sagte: »Seid doch ruhig; mein Kind, die Annerl, ist so krank!«

Viele Kinder wurden geboren, viele Kinder starben in diesem Armeleutehaus, es war nichts Besonderes für uns – aber jetzt durfte niemand sterben, wir waren allein, ohne Mutter. Wenn sie nicht wiederkäme? Oh, diese Angst!

Aber sie kam. Sie kam fröhlich und ruhig, setzte sich zu uns und erzählte.

»Also paßt auf, ich kniete nieder, machte das Kreuz und sagte: Hochwürdiger Herr, ich habe sicher viele Sünden begangen, aber ich weiß nicht mehr alle. Vielleicht fragen Sie mich, Hochwürden!«

»Wie lange waren Sie schon nicht beichten?« fragte er.

»Vierzehn Jahre, Hochwürden.«

»Ja, da können Sie freilich nicht mehr alles wissen, ich werde schon besser fragen«, und er war gar nicht böse.

»Sind Sie verheiratet?«

»Ja, Hochwürden, und damals vor vierzehn Jahren war ich beichten, das muß man so bei uns.« Ich dachte, er kommt von weit her, vielleicht weiß er das nicht. Er lächelte so ein bißchen und fragte weiter:

»Haben Sie Kinder?«

»Drei.«

»Sind die Kinder brav?«

»Gott sei Lob und Dank, Hochwürden; sehr brav sind sie und ganz gesund.«

Da lächelte er wieder, hob ganz langsam die Hand und sagte: »Eine Mutter, die drei brave, gesunde Kinder hat, kann nicht viele Sünden begangen haben«, und gab mir den Segen.

Mutter saß ruhig da, ganz erfüllt von ihrem schönen Erlebnis. Wir waren maßlos stolz. Auf einmal fiel ihr Blick auf uns, und sie schlug mit der Hand auf den Tisch und schrie laut und energisch: »Ihr braucht euch gar nichts darauf einzubilden, freche, ungezogene Fratzen seid ihr, damit ihr’s wißt, ich habe gelogen, jawohl, gelogen, so!«

Aber uns konnte sie nicht täuschen mit dieser pädagogischen Anwandlung; unter wildem Geschrei sprangen wir auf sie zu und wollten sie alle drei zugleich umarmen und küssen; sie wehrte sich vergeblich gegen den Überfall.

Da klopfte es wieder leise bittend an die Wand.

Drüben saß eine Mutter und weinte aus Angst, herüben saß eine Mutter und weinte aus Freude.

Von nun an spielten wir unentwegt »beichten gehen«. Mein Bruder war der Pfarrer, und meine Schwester kniete vor ihm und beichtete, daß sie zwölf ganz gesunde Kinder habe. Mein Bruder sagte: »Dann sind Sie gestraft genug!« und gab ihr seinen Segen.

Ich stand dabei und bellte. Ich konnte sonst noch nichts.

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