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Ein Familienstreit

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Bei uns zu Hause wurde immer gestritten: sind wir mit Andreas Hofer verwandt oder nicht?

Mein Vater sagte »ja«, die Mutter »nein«. Mein Bruder sagte »ja«, meine Schwester einmal »ja«, einmal »nein«.

Da wurde mir die Sache zu dumm und ich schrieb an den ältesten Bruder meines Vaters; das war im Jahre 1910.

Lieber Onkel! Wenn Du willst, daß Friede herrscht in der Familie Obertimpfler, so schreibe mir bitte etwas Näheres über unsere Abstammung. Schreibe klipp und klar, ob wir mit Andreas Hofer verwandt sind oder nicht.

Wenn möglich recht klar, auf klipp lege ich weniger Wert.

Gruß, Deine Nichte Lina.

Ich gebe das Antwortschreiben auszugsweise, aber wörtlich wieder.

Liebe Nichte! Wir stammen aus einer alten Sarntaler Bauernfamilie. Es existieren dort heute noch der Obertimpfler-Hof und der Untertimpfler-Hof (ober und unter einem Tümpel). Zu erfragen: Bezirksgericht Sarnthein.

(Der Onkel wollte wohl Bezirksamt schreiben, oder sollte die Familie dem Bezirksgericht bekannt gewesen sein?)

Die Schreibweise der Namen hat sich im Laufe der Jahre geändert. Obertümpler – Obertümpfler – Obertimpfler.

Die Obertimpfler sind in Tirol und Niederösterreich eine ziemlich verbreitete Familie, dagegen sind die Untertimpfler recht schütter geworden. Im Jahre 1904 bestanden noch in Lienz im Pustertal, in der Hauptstraße, zwei fast einander gegenüberliegende Geschäfte, deren eines auf seiner Firmentafel Obertümpfler, das andere Untertümpfler firmierte; zur großen Erheiterung der durchfahrenden Reisenden. Unsre Familie stammt vom Obertimpfler-Hof.

(Klar, sonst würden wir ja Ober- vom Untertimpfler-Hof heißen und kein Mensch würde sich auskennen!)

Unsre Großväter, also Deine Urgroßväter, waren beide Tischler und sind zur Zeit der Gründung von Theresienfeld bei Wiener Neustadt eingewandert.

(Soviel ich weiß, war es die Kaiserin Maria Theresia, die damals Bauern, welche auch ein Handwerk konnten, herlockte.)

Unser Großvater, also Dein Urgroßvater, und sein Bruder waren sehr hagere, hochgewachsene Männer von nahezu zwei Meter Höhe, mit scharfgeschnittenen Gesichtern und Hakennasen. Wir sind schon alle mißraten, weil unsere Väter alle kleine Weiber zu Gesponsinnen hatten.

(Natürlich sind die Frauen schuld! Wenn sie schon alle Tischler waren, werden sie doch einen Zollstab gehabt haben –, hätten sie sie halt vorher gemessen!)

Der Großvater, also Dein Urgroßvater, lernte als Tiroler Alpenkind mit dreißig Jahren lesen und schreiben und gründete 1800, also vor ungefähr hundertfünf Jahren, ein Tischlergeschäft in Wiener Neustadt.

(Wieso ungefähr hundertfünf Jahre? 1800 bis 1910 sind doch hundertzehn Jahre; mit wieviel Jahren hat denn dann der liebe Onkel eigentlich rechnen gelernt?)

Die Obertimpfler, die ich im Jahre 1864 in Tirol kennenlernte, erzählten, daß wir durch die Familie Speckbacher mit Andreas Hofer entfernt verwandt sind. Unsere Großmutter, also Deine …

(Ja, ja, jetzt kenne ich mich schon aus!)

… Urgroßmutter war eine geborene Weygandt und stammte aus einer verarmten Zweiglinie der Grafen Weygandt und jammerte noch mit achtzig Jahren um ihr verlorenes Adelsdiplom.

(Oh, eine gräfliche Urgroßmutter taucht auf! Aber was ist mit dem Andreas?)

Was die Verwandtschaft mit Andreas Hofer anbelangt, müßtest Du Dich selbst weiterkümmern, wir haben eine Tante gehabt, die mit Speckbachers und Hofers noch näher verwandt war.

Es grüßt

Dein Onkel Nikolaus.

Also was ist jetzt? Die Sache ist doch mehr klipp. Soll ich weiter suchen?

Meine Mutter, eine geborene Ockermüller, ließ die Obertimpfler nicht gelten, sie riet mir ab.

Sie war überzeugt, daß sich die Obertimpflerischen mit den Speckbacherischen und Hoferischen nur patzig machen.

Die Obertimpfler kamen von einem Tümpel her, sie aber stammte aus Sieghartskirchen, einer bekannt trockenen Gegend. Bei der Gräfin zuckte sie nicht einmal die Schulter, ein Zeichen höchster Verachtung.

Ich schrieb also hin und andere schrieben her. Es wurde sehr viel hin und her geschrieben, und schließlich hielt ich ein Dokument in Händen, in dem stand zu lesen:

TRAUUNGSSCHEIN

Wiener Neustadt … 1805

Bräutigam: Johann Obertimpfler, Tischlermeister. Braut: Magdalena Weygandt … Köchin aus Wien. Und dazu die Bemerkung: Da unsere Matriken nur bis 1780 reichen, bitte sich an das Diözesan-Archiv in Wien zu wenden.

Ich habe mich nicht gewendet und will auch sagen warum. Mir ist es heute ganz egal, ob meine Urgroßmutter eine echte adelsstolze Gräfin oder ob sie nur eine schlichte Köchin war, oder sonst etwas.

Aber ob sie eine Gräfin war, die mit dem Fuß aufgestampft und ausgerufen hat:

»Ich will a Köchin werden und wenn sich alle meine Ahnen auf den Kopf stellen!«

Mich interessiert nur eines, was mir aber kein Dokument mehr beweisen kann: Hat sie gut gekocht? Und was hat sie gekocht?

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