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Mein Bruder Karl

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Mein Bruder (Karl Forest) wurde, wie es in alten Bauernfamilien Sitte ist, kaum geboren, schon zum Pfarrer bestimmt.

Der Leser ahnt bereits Böses – erraten –, er wurde Schauspieler.

Der Übergang vollzog sich nicht gewöhnlich.

Zunächst besuchte mein Bruder das Gymnasium, und die Familie lebte ruhig dahin, nichts ahnend von den umstürzlerischen Sehnsüchten eines mißratenen Sprößlings.

Nur einmal fragte der Professor meine Mutter: »Was soll denn Ihr Sohn werden?« – »Pfarrer«, sagte meine Mutter stolz. »Ich glaube eher, Schauspieler; als ich neulich etwas verfrüht in die Klasse kam, stand er auf dem Katheder und kopierte mich – na, wenn Sie da nur keine Überraschungen erleben.«

Diese Geschichte wurde vorläufig als »lustige Geschichte« von der Familie weitererzählt.

Die Überraschung kam bald.

Als meine Mutter sich wieder einmal nach den Fortschritten ihres Sohnes erkundigen wollte, erfuhr sie, daß er dem Gymnasium nicht mehr angehöre.

Die Überraschung überstieg alle Erwartungen.

Was war geschehen?

Mein Bruder hatte das Schulgeld zwar immer in Empfang genommen, aber es nicht im Gymnasium, sondern in der Theaterschule eingezahlt.

Er hatte seinen Beruf gewechselt und vergessen, der Familie davon Mitteilung zu machen.

Dieser Fall von Vergeßlichkeit war so schwer, daß die Großmutter zugezogen werden mußte.

Unsre Großmutter war sehr streng; als Hausfrau des »Schwarzen Adlers« in Fünfhaus war sie an und für sich schon eine Respektsperson, aber als Großmutter war sie unbeschränkte Herrscherin in der Familie.

Ihre Urteile als Richterin waren gefürchtet und unangreifbar. Um so mehr, als sie sie sofort und persönlich vollstreckte. Aber dieser außergewöhnliche, noch nie dagewesene Fall erforderte außergewöhnliche Maßnahmen, und die wurden von meiner Großmutter getroffen.

Mein Bruder wurde zu einem Schlosser in die Lehre gegeben.

Der renitente Geist sollte durch körperliche Leiden niedergekämpft werden.

Experimente mißglücken öfter. So auch hier.

Der biedere Schlossermeister, der sich dazu hergegeben hatte, die Sehnsucht durch Hämmern zu vertreiben, erschien eines Tages bei meiner Mutter.

»Sie, Frau«, sagte er, »das geht net, ich hab gestern Ihrem Sohn zwa schwere Traversen zum Tragen geben; wie er fort war, hab i mir denkt, der Gstudierte (wie er meinen Bruder verächtlich nannte) kann vielleicht zammbrechen, und bin ihm auf der Straßen nachgangen, wissen S’, was der gmacht hat? Gschlagene drei Viertelstunden – i lüg net – is er bei einer Säuln gstanden, die schweren Traversen am Rücken, und hat alle Theaterzetteln auswendig glernt, ich hab glaubt, das Kreuz bricht ihm ab. Sagen Sie, Frau, haben Sie kein Herz im Leib?«

So wurde mein Bruder Schauspieler!

Ob er die schweren Traversen dieses Berufes auch nicht gespürt hat und immer noch gläubig auf Theaterzettel starrt?

Wir wollen es hoffen!

Seinen Werdegang kann ich nicht schildern, aber leicht hat er es sicher nicht gehabt; der Schrecken, als Pfarrer unbeweibt durch das Leben gehen zu müssen, war so groß, daß er einigemal mehr, als nötig gewesen wäre, geheiratet hat – das sind Traversen, die jeder spürt!

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