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Allererste Kindheitserlebnisse

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Es sind dies: ein blindes Pferd, eine Brennesselstaude und die erste Lüge, die ich zu begreifen suchte.

Meine Eltern hatten für ihr Geschäft ein blindes Pferd gekauft, weil es billig war.

Dieses Pferd liebte ich sehr, denn es erweckte die erste Empfindung in mir, über die kindliche, egoistische »Ich-Liebe« hinaus.

Das Tier war so fromm und gut, und es erkannte mich schon von weitem an der Stimme. Ich versuchte, an seinen Beinen hinaufzuklettern, um es streicheln zu können, da spitzte es die Ohren und rührte sich nicht, um mir nicht wehzutun. Jeden Abend wartete ich, bis es müde und erschöpft nach Hause kam, um ihm »Gute Nacht« zu sagen.

Ich wollte, ich hätte mein ganzes Leben so ergeben, treu und pflichterfüllt gelebt wie dieses Pferd. Ein so schönes Beispiel hatte mir da das Leben unvergeßlich ins Herz geprägt. Das Leben tut wirklich alles, um sich verständlich zu machen; es gibt Beispiel um Beispiel, aber wir verstehen es nicht oder verstehen es zu spät.

Dieses liebe, arme Pferd, so gütig wie eine Kreatur nur sein konnte, es liebte mich sicher auch, liebte mich so tief, wie eine Kreatur eben lieben kann.

Eines Abend wartete ich vergeblich. Es kam nicht. Es kam nie mehr, es war gestolpert und hatte sich ein Bein gebrochen wurde vom Roßfleischhändler gekauft und wiederverkauft.

Dies war der erste wilde Schmerz meines Kinderherzens. Und es war so schwer zu verstehen. Warum kam kein Doktor? Warum lag es nicht im Bett, bekam es keine Umschläge, nicht süße Chaudeau? Warum sagen die Großen, man mußte es erschießen; ich hätte es schon gesund gepflegt – wie schwer war dies alles zu verstehen?!

Die zweite unvergessene Erfahrung war körperlicher Art. Nur mit einem kurzen Kinderhemd bekleidet, fiel ich von einer Gartenbank in hohes Brennesselgestrüpp; vergeblich suchte ich mich zu befreien. Es war der erste wilde Körperschmerz.

Damals mußte ich annehmen, daß Tiere gut, Blumen oder Pflanzen aber böse sind und kleine Kinder nicht lieben – und für ein Kind ist doch alles so schwer zu verstehen.

Warum nur für ein Kind?

Ich verstehe es heute noch nicht, warum sich die Brennesseln so wehren; wer tut ihnen etwas?

Das gute, brave Pferd liebte, wurde geliebt und wurde erschossen.

Die bösen Brennesseln lieben niemanden, werden von niemandem geliebt und von allen in Ruhe gelassen!

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