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ОглавлениеEine solche Szene hatte Judy in keinem der Besprechungsräume der Kanzlei Rosato & Associates je gesehen – noch in irgendeiner anderen Kanzlei. Um den glänzend polierten Tisch aus Walnussholz saß ein Trio angeschlagener italienischer Achtzigjähriger, in zerknitterten und blutbefleckten Hemden hinter stärkenden Tassen Kaffee. Frische Notizblöcke lagen unbeachtet in der Mitte des Tisches, daneben die gespitzten Bleistifte, jederzeit einsatzbereit. Das hochmoderne graue Konferenztelefon blieb unberührt. Ein Panoramafenster, das sich über die ganze Längsseite des Raumes zog, gab den Blick frei auf die moderne Skyline mit Wolkenkratzern aus Granit und Säulen aus Spiegelglas. Und obwohl es in der ganzen Stadt keine bessere Aussicht gab, waren die alten Männer am Tisch viel zu angeschlagen, um beeindruckt zu sein. Judy besah sich den Schaden, während sie extra starkes Schmerzmittel austeilte. Wenigstens musste niemand ins Krankenhaus. Das Kinn von Mr. DiNunzio hatte einen bösen Aufwärtshaken abbekommen und schwoll jetzt unselig an, aber es musste nicht genäht werden, und Mr. DiNunzio hatte gleichermaßen ausgeteilt wie eingesteckt. Tony Vom-anderen-Ende-des-Viertels hatte trotz seines Gewichts eine überraschende Agilität bewiesen, indem er als Erster auf den Angriff des Coluzzi-Clans reagierte, und dies besonders gereizt, als ihn jemand einen »fetten Mistkerl« nannte.
Frank hatte eine klaffende Wunde über dem rechten Auge, glücklicherweise hatte die Blutung aufgehört. Er war der effektivste Kämpfer auf der Lucia-Seite gewesen, hauptsächlich deshalb, weil er so groß und muskulös war – und nicht zuletzt, weil er der einzige Mann unter siebzig war. Beinahe wäre unter seinen Schlägen der viel schwergewichtigere John Coluzzi k.o. zu Boden gegangen, als eine gemischte Truppe aus Sicherheitsbeamten des Gerichtsgebäudes und uniformierten Cops im Gerichtssaal aufgetaucht war, herbeigerufen von einem hysterischen Commissioner. Die Cops beendeten die Schlägerei, trennten die sich bekriegenden Stämme und drohten damit, alle einzubuchten, wenn sich die Kampfhähne nicht sofort in ihre jeweiligen Bezirke von South Philadelphia verzogen. Es war nur deswegen kein Lucia im Gefängnis gelandet, weil sie eine Blondine mit ziemlich großer Klappe im Gefolge hatten, deren Zugehörigkeit zum Anwaltsstand kaum zu erkennen war.
Judy schloss die Flasche mit Schmerzmittel und beobachtete, wie Frank Pflaster kreuzweise auf den kahlen Schädel von Tony Zweifuß klebte, der sich – wie nicht anders zu erwarten – darin hervorgetan hatte, den Coluzzis gegen das Schienbein zu treten. Unglücklicherweise war die Hornbrille bei dem Kampf zu Boden gegangen und ruhte nun zerbrochen in seiner Hemdtasche; durch den dünnen Stoff war das dunkle Gestell auszumachen. Was Judys Anteil an der Schlacht betraf, so hatte sie sich an den Spielfeldrand verbannt wiedergefunden. Offenbar betrachteten die Coluzzis sie für eine Art Schweiz. Nachdem sie in dem Durcheinander einen von Bennies braunen Pumps verloren hatte, was eigentlich kein großer Verlust war, half sie den Cops, die Schlägerei zu beenden. Tauben-Tony war nur deshalb unversehrt, weil er noch in der Studiozelle gesessen und an dem Faustkampf gar nicht teilgenommen hatte. Judy dachte gerade neu über ihre Einstellung zu Kautionsverhandlungen via Fernsehübertragung nach. Es war doch eine hervorragende Sache, wenn Italiener daran beteiligt waren.
Judy stand am Kopfende des Tisches. »Jetzt kommt die Lektion. Zuerst einmal, wir hatten verdammt viel Glück, dass der Richter Tauben-Tonys Kaution nicht aufgehoben hat, und ich hoffe, Sie alle wissen das. Sie müssen einfach begreifen, dass wir diesen Fall nicht auf eine solche Weise handhaben können. Ich bin vielleicht etwas schwer von Begriff, aber allmählich habe auch ich es kapiert: Die Lucias hassen die Coluzzis, und die Coluzzis hassen die Lucias. Aber darauf kommt es jetzt nicht an. Ich kann und werde Tauben-Tony nicht verteidigen, wenn Sie sich nicht unter Kontrolle haben.« Judy war es nicht gewöhnt, so herrisch zu sein, aber allmählich gefiel ihr diese Powerfrau-Sache, obwohl ihre Version davon sich eher anhörte wie die Anweisungen einer Sportlehrerin. Sie wünschte, eine Trillerpfeife an einer Kordel hinge ihr um den Hals, in den Schulfarben. »Sie müssen einfach viel langfristiger denken, als Sie das bisher getan haben. Sie dürfen nicht ständig Ihren Gefühlen nachgeben.«
Tauben-Tony blinzelte. Mr. DiNunzio blickte ernst. Tony Zweifuß ließ den Kopf hängen.
Frank lächelte, trotz des blauen Fleckens, der sich auf seinem rechten Wangenknochen ausbreitete. Er stand am anderen Ende des Tischs, die Hände auf die Lehne von Tauben-Tonys Stuhl gestützt. »Muss ich Sie daran erinnern, dass wir unverschuldet da hineingeraten sind?«
»Und muss ich Sie daran erinnern, dass das Leben Ihres Großvaters hier auf dem Spiel steht?« Judy sah, wie sein Lächeln verschwand. »Begreifen Sie es endlich: Italiener zu sein ist nicht länger eine Entschuldigung für schlechtes Benehmen. Jedenfalls nicht für mich. Von jetzt an machen wir es auf meine Weise, und zwar in jeder Hinsicht, sonst muss sich Tauben-Tony jemand anderen suchen, der ihn vertritt.«
Tauben-Tony hörte auf zu blinzeln, und seine Mundwinkel sanken gen Süden.
»Tauben-Tony, hören Sie mir zu.« Judys Stimme wurde weicher, denn selbst Sportlehrerinnen haben ein Herz. »Verstehen Sie, was ich damit sagen will?«
»Judy, wir nicht fangen Kampf an. Coluzzi fangen Kampf an.« Er ballte seine Hand zu einer knochigen Faust und fuchtelte damit durch die Luft. »Sie schlagen, dann wir schlagen.«
Tony Zweifuß nickte zustimmend, ebenso Tony Vom-anderen-Ende-des-Viertels, und Judy wurde klar, dass sie eine harte Nuss zu knacken hatte.
»Tonys. Meine Herren. Bitte. Ich will dieses ›die haben angefangen ‹ von Achtzigjährigen nicht hören. Sie sind erwachsene Männer, keine kleinen Jungs. Sie sollten es allesamt besser wissen, aber Sie haben es noch immer nicht begriffen.« Als Judy sich selbst reden hörte, fragte sie sich, wann wohl die Völkerballstunde begann. »Hier handelt es sich nicht um eine Schulaufführung oder einen Schulkampf, nicht einmal um einen Krieg. Dies ist ein Rechtsfall. Eine Angelegenheit des Gesetzes.«
»Im Verlauf eines Krieges«, konstatierte Frank kühl und nippte an seinem Kaffee. Judy setzte von neuem an.
»Mag sein. Aber entweder befehlige ich diesen Krieg oder Sie machen ohne mich weiter.« Sie nahm ihre Aktentasche und ging auf die Tür des Besprechungszimmers zu, für den Fall, dass Tauben-Tony das Wesentliche nicht begriffen haben sollte. Die Tatsache, dass es ihr eigener Besprechungsraum war, den sie sich zu verlassen anschickte, war ein vernachlässigbares Detail angesichts der Nachdrücklichkeit ihrer Demonstration. Wenn sie so weitermachte, würde sie zur Biologielehrerin befördert und dürfte bald Eileiter in Form von Elchgeweihen an die Tafel zeichnen. »Wir machen es auf meine Weise oder ich bin draußen.«
»No! Judy!«, rief Tauben-Tony, seine Stimme dünn vor Angst. Sie drehte sich an der Tür um, auf dem Absatz eines Pumps, was für sich allein schon eine bemerkenswerte Varieteenummer war.
»Wollen Sie, dass ich Ihre Anwältin bleibe?«, wollte sie wissen, und sein sonnenverbrannter Kopf wackelte auf und ab.
»Sì, sì!«
»Sie werden sich anständig benehmen?«
»Sì, sì!«
»Keine Kämpfe mehr?«
»Sì, sì!«
»Sie versprechen es, wie schon zuvor? Ich habe mir über dieses Versprechen so meine Gedanken gemacht, vorhin im Gerichtssaal.«
Tauben-Tony nickte weiter. »È vero. Ich versprechen.«
»Und alle Lucias müssen sich an die Regeln halten, Tauben-Tony. Alle Leute im Zuschauerraum, heute im Gerichtssaal. Das ganze Viertel, das ganze verdammte Dorf, das ganze Team. Verstanden? Keine Kämpfe mehr! Sonst bin ich weg.«
»Sì, sì!«
Mr. DiNunzio stand erregt auf. »Geh nicht, Judy. Du hast Recht, mit allem, was du gesagt hast. Ich werde dafür sorgen, dass es keine Kämpfe mehr gibt. Ich schwöre es, Gott ist mein Zeuge.« Die restlichen Tonys sahen angemessen zerknirscht aus der Wäsche. »Gut, Sie haben gewonnen, keine Kämpfe mehr«, sagte Tony Zweifuß und blinzelte unglücklich ohne seine Brille. Tony Vom-anderen-Ende-des-Viertels gestikulierte widerwillig seine Zustimmung.
Judy sah Frank an, der immer noch an seinem Kaffee nippte. »Nun?«
»Was nun?« Frank stellte seinen Styroporbecher auf den Tisch. »Ob ich verspreche, nicht zu kämpfen, wenn sie sich auf meinen Großvater stürzen? Die Antwort ist nein.«
»Sind Sie verrückt?« Judy ließ frustriert ihre Aktentasche fallen. »Sie sind nicht mehr in Neapel. Das Jahr 1900 ist lange vorbei. Sie sind in Philadelphia im neuen Jahrtausend. Wir haben jetzt das Internet, E-Books und Boygroups. Microsoft und Britney Spears. Niemand muss in dieser Stadt mehr zum Brunnen laufen, wenn er Wasser will. Niemand muss seine Socken mit der Hilfe von Steinen waschen. Wenn sich jemand auf Ihren Großvater stürzt, dann rufen wir verdammt noch mal die Polizei!«
»Polizei nicht gut!«, empörte sich Tauben-Tony und schlug mit seiner festen kleinen Faust auf den Tisch. »Io non sono Napoletano!«
Judy konnte das nicht übersetzen. »Was hat er gesagt?«, fragte sie Frank.
Frank lächelte über den Ausbruch, diesmal offensichtlich belustigt. »Er ist beleidigt, weil Sie meinen, er komme aus Neapel. Er hält die Neapolitaner allesamt für Diebe.«
Judy stöhnte. »Ist das auch alles, was Sie aus meinen Worten herausgelesen haben?«
»Nein, aber ich bin dennoch nicht Ihrer Meinung«, erklärte Frank ohne eine Spur von Vorwurf in seiner Stimme. »Sie sagen, dies sei ein Rechtsfall, aber wenn ich sage, dass er inmitten eines Krieges stattfindet, dann meine ich das auch so. Sie glauben, dass es Regeln und Gesetze gibt, aber eine Vendetta steht außerhalb des Gesetzes. Eine Vendetta kümmert sich nicht um Raum und Zeit, und die Blutrache hörte im Jahr 1900 nicht auf. Sie ist so modern wie die Erinnerungen der Coluzzis und der Lucias, die in einer anderen Zeit, in einem anderen Land aufgewachsen sind und deren Lebensstil noch sehr lebendig ist – für sie, für ihre Söhne und für ihre Enkel.«
»Wollen Sie die Vendetta verteidigen?«
»Nein, ich will sie erklären. Diese hier zumindest. Sie müssen verstehen, was hier los ist, bevor Sie meinen Großvater vertreten können.«
Judy war vorübergehend sprachlos. Frank hatte das Blatt gewendet, und das gefiel ihr nicht besonders. In seiner Stimme lag Autorität, aber sie durfte ihn nicht gewinnen lassen, Tauben-Tony und sich selbst zuliebe nicht. Franks Worte griffen das Gesetz an, in dem sie ausgebildet worden war, an das sie glaubte und das sie mittlerweile sogar liebte. Judys Sprachlosigkeit dauerte einige Augenblicke lang an, was ihr Sorgen bereitete.
»John und Marco Coluzzi werden das nicht einfach auf sich beruhen lassen, Judy. Sie werden ihn sich vorknöpfen wollen. Das wird todsicher als Nächstes geschehen. Was soll ich dann tun? Er ist mein Großvater. Und Ihr Mandant.«
Judy warf die Arme in die Luft. »Wenn das stimmt, warum habe ich ihn dann eben auf Kaution aus dem Gefängnis gehölt? Warum haben wir ihn nicht in der Zelle gelassen?«
»Nein, wir haben schon das Richtige getan. Im Gefängnis wäre er in noch größerer Gefahr. Draußen kann ich ihn beschützen, und es ist meine Aufgabe, ihn zu beschützen. Ihre Gesetze werden nutzlos sein.«
»Warum?«
»Weil die Coluzzis zu schlau für Ihre Gesetze sind. Bisher waren sie das stets. Sie haben Geld und Macht, und wenn wir es zulassen, werden sie sich auf ihn stürzen. Ihre Gesetze können jemand nur festsetzen, nachdem er gemordet hat, und manchmal nicht einmal dann.«
Tauben-Tony nickte traurig. »È vero«, sagte er, und Judy verstand es sofort. Es klang wie das lateinische Wort veritas. Wahrheit. Beide Männer verstummten, den Mund in identischer Entschlossenheit zusammengepresst, und ihre Lucia-Augen funkelten düster. Großvater und Enkel sahen sich ähnlich, wie Ähnlichkeiten in Gesicht und Gestik eben manchmal eine Generation überspringen, so ähnlich, dass Judy bestürzt war. Vielleicht stimmte es, was sie sagten. Sie hätte das nie geglaubt, wenn sie nicht mit eigenen Augen das Handgemenge im Gerichtssaal gesehen hätte. Und wenn dieser ganze Vendetta-Wahnsinn der Wahrheit entsprach, dann würde Tauben-Tony ermordet werden, lange bevor sein Verfahren begann.
»Nun gut«, sagte Judy plötzlich zu Frank. »Ich gestehe ein, dass Ihr Großvater womöglich in Gefahr schwebt. Wir müssen in diesem Fall ermitteln, um eine Verteidigung aufzubauen. Wir müssen uns nach vorn bewegen. Also beschützen Sie ihn auf Ihre Weise, und ich beschütze ihn auf meine. Sie schlagen nur zurück, wenn Sie ihn schützen müssen, und ich bediene mich des Gesetzes.«
Frank lächelte erleichtert. »Wollen Sie darauf wetten, wer gewinnen wird?«
»Ich darf Ihr Geld nicht nehmen«, erklärte Judy. »Und jetzt lassen Sie uns gehen.«
Judy hing per se keiner Religion an, aber sie glaubte an das Karma, an Krispy Kreme Doughnouts und an Vincent van Gogh. Genauer gesagt war sie sicher, es nur ihrem überragenden Karma zu verdanken, dass ihre Chefin nicht in der Kanzlei war, als sie mit ihren übel zugerichteten Mandanten eintraf. Sie hoffte, die Reserven ihres Karmas würden ausreichen, um den Besprechungsraum ebenso problemlos zu verlassen. Sie hatte wieder ihre gelben Clogs angezogen, um bei ihrer Flucht besser voranzukommen – und auch, weil sie so offensichtlich mehr ihrem Stil entsprachen.
Sie öffnete die Tür des Besprechungsraums einen Spalt breit und prüfte nach, ob die Luft rein war. Eine rechteckige, offene Begegnungsfläche mit einem schicken blauen Teppich, um die hufeisenförmig die Büros der Anwältinnen angeordnet waren, vor denen die Schreibtische der Sekretärinnen standen, durch Trennwände voneinander abgeschirmt wie im Dilbert-Comic. Drucker druckten. Tastaturen klickten. Die Juristinnen quasselten. Die Sekretärinnen machten die eigentliche Arbeit. Alles war in Ordnung. Und weit und breit keine Chefin.
Judy schlich sich mit Frank und Mr. DiNunzio an der Seite aus dem Besprechungsraum. Die Drei Tonys – was nach einem Opern-Trio klang, das sie aber nicht waren – folgten ihnen auf den Fersen. Die Sekretärinnen wandten ihre Blicke demonstrativ zur Seite, als die Verletzten an ihnen vorüberschlichen, wie man als anständiger Mensch ja auch nicht zum Gaffer bei einem Autounfall wird, aber die Juristinnen gafften ihnen unverhohlen hinterher. Murphy und Murphys Anwälte verbummelten ihre Zeit im Flur und bekamen große Augen, als Judy sich näherte. Murphys konturierte Lippen öffneten sich, als sie Frank entdeckte, obwohl sich Judy nicht sicher war, ob ihre Reaktion auf die Tatsache zurückzuführen war, wie gut er aussah, oder dass er trotz einer klaffenden Wunde so gut aussah.
»Das sind meine Mandanten«, sagte Judy zu Murphys Juristinnen, als sie vorüber kamen. »Bitte nicht sabbern, starren, mit dem Finger zeigen oder lachen. Sagt einfach ›Auf Wiedersehen‹.«
Murphy streckte Frank eine manikürte Hand entgegen. »So etwas würde ich nie tun. Sie müssen Frank Lucia sein. Ich habe Sie im Fernsehen gesehen.«
»Ja, das hast du«, sagte Judy. Das Handgemenge im Gerichtsgebäude hatte es bis in die Nachrichten geschafft. »Und jetzt sag brav ›Auf Wiedersehen‹.«
»Hallo«, sagte Murphy zu Frank und ignorierte Judy. Sie schüttelte Franks Hand, und er schüttelte zurück, was Judy mit Missfallen zur Kenntnis nahm. »Sie haben im Gerichtssaal ja eine beachtliche Show hingelegt. Alle haben sich geprügelt, sogar draußen noch, als die Cops versuchten, Sie zu trennen. Der Nachrichtensprecher meinte, es sei der heftigste Kampf gewesen, den es dort jemals gab.«
Frank lächelte. »Er wollte nur bescheiden sein.«
Murphy lachte, ebenso ihre Freundinnen, deren Aufgabe das war. Übrigens die einzige Aufgabe, für die sie qualifiziert waren. Judy hatte genug davon.
»Tja, wir müssen jetzt gehen. Verabschieden Sie sich.«
»Willst du mich denn gar nicht vorstellen?«, fragte Murphy.
Judy biss die Zähne zusammen. Murphy hatte natürlich kein Interesse daran, Die Drei Tonys kennen zu lernen.
»Frank Lucia, das ist Murphy. Sie benützt nur diesen einen Namen. Niemand weiß, warum. Jetzt lassen Sie uns gehen.«
»Schön, Sie kennen zu lernen«, sagte Frank zu Murphy, während Judy seinen Arm nahm. Sie wollte Bennie aus dem Weg gehen und, ja gut, sie war ein wenig eifersüchtig auf Murphy. Sie hatte das Recht, mehr als einen Beweggrund für ihr Handeln zu haben. Schließlich war sie eine komplexe Persönlichkeit.
Judy schleppte Frank in Richtung Empfang, gefolgt von Den Drei Tonys, die Judy nicht länger an eine Gesangsgruppe erinnerten, sondern vielmehr an diese städtischen Lastwagen mit der Aufschrift LANGSAMES FAHRZEUG. Abgekämpft schlurften sie über den vornehmen Teppich, und obwohl Judy Mitleid mit ihnen hatte, wollte sie einfach nur weiter. Sie hatten es beinahe bis zum Empfang geschafft, als Judys Karma-Reserven erschöpft waren.
»Genau die Anwältin, die ich sehen wollte!«, dröhnte Bennie, während sie geschäftig in die Kanzlei stürmte, die schwere Aktentasche und zwei Zeitungen unter dem Arm. Sie blieb kurz stehen, stellte sich Frank und dem Langsamen Fahrzeug vor und lächelte ihnen zu. Das Lächeln blieb wie eingefroren, als sie eine Zeitung unter ihrem Ellbogen hervorzog und sie Judy reichte. »Judy, ich muss in mein Büro, aber ich dachte, du möchtest das sicher gern lesen. Vielleicht klebst du es in dein Tagebuch. Und der Artikel ist sehr informativ. Scheint so, als ob sich dein Boxunterricht langsam bezahlt macht.«
»Danke«, sagte Judy, den Mandanten zuliebe, und schlug die Daily News auf, Philadelphias größtes Revolverblatt. STRAFRECHT EINMAL ANDERS verkündete die Schlagzeile, und darunter prangte ein Foto, auf dem sie und Frank von Sicherheitsbeamten aus dem Strafgerichtsgebäude geführt wurden. Sie beide gaben ein schönes Paar ab, kam es Judy in den Sinn, aber das schien irgendwie nicht der rechte Zeitpunkt, so etwas auszusprechen. »Ja, die Kautionsverhandlung ist etwas aus dem Ruder gelaufen.«
»Offensichtlich. So etwas solltest du nicht zu oft machen, Judy. Tätlichkeiten und Körperverletzung in einem Gerichtsgebäude, meine ich.« Bennie wandte sich an Frank, und immerhin lächelte sie dabei noch. »Um es kurz zu erklären: Wir von Rosato & Associates begehen unsere Straftaten für gewöhnlich allein in den Räumlichkeiten der Kanzlei.«
Frank lächelte grimmig. »Geben Sie Judy nicht die Schuld. Ich bin dafür verantwortlich, und sie hat uns bereits eine Strafpredigt gehalten. Ich weiß, das war für unseren Fall nicht hilfreich. Es wird nicht wieder vorkommen. Tut mir Leid.«
Bennie wischte seine Worte mit einer Handbewegung beiseite und ging weiter. »Kein Grund, sich zu entschuldigen«, rief sie über ihre Schulter zurück. »Nicht, wenn Sie gewonnen haben.«
»Haben wir«, rief Frank ihrem Rücken nach, und während Bennie ihrem Büro entgegeneilte, zeigte sie mit dem Daumen nach oben.
Judy und die drei Senioren sahen ihr staunend hinterher, bis Judy klar wurde, dass sie sich wieder in Bewegung setzen mussten. Sie nahm sich auf dem Weg nach draußen ihre Telefonnotizen von der Theke der Empfangssekretärin und überflog die hellrosa Zettel auf dem Weg zum Aufzug. Drei waren von gegnerischen Anwälten in ihrem Zivilrechtsfall, einer von der Rechtsabteilung der Firma Huartzer und einer von Mary. Sie würde erst mal alle ignorieren, bis auf die von Huartzer und von Mary. Ihre E-Mails blieben ungelesen, ihre Voicemail unabgehört.
Sie hatte Italiener zu verteidigen.