Читать книгу Alte Schulden - Lisa Scott - Страница 7
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Оглавление»Kommt schon, Mittagessen! Lasst uns gehen«, hörte Judy Carrier die anderen Partnerinnen der Kanzlei rufen, während sie sich ihre Sommermäntel und Taschen schnappten. Es war der erste wirklich warme Tag nach einem langen Winter, und offensichtlich waren auch Anwälte nicht immun gegen Frühlingsgefühle. Mit Ausnahme von Judy ergriff die gesamte Belegschaft der Kanzlei Rosato & Associates aus Philadelphia die Flucht. Nur sie blieb an ihrem Schreibtisch sitzen, um einen Artikel über das Kartellgesetz zu entwerfen, obwohl die Sonne die Zitate aus Präzedenzfällen von ihrem Computerbildschirm radierte und das Geplauder im Flur sie ablenkte. Man kann nur schwerlich arbeiten, wenn man lauscht.
Plötzlich streckte Anne Murphy, die sich selbst nur Murphy nannte, den Kopf durch Judys offene Tür. Sie war eine der neuen Partnerinnen. Ihre Lippen waren fachmännisch mit Konturenstift umrandet und ihre dunklen Haare zu dem für sie typischen, gepflegt wirkenden Knoten zurückgebunden. »Kommst du mit zum Essen?«, fragte sie.
»Danke, nein.« Judy war im Zweifel immer für den Angeklagten, aber es bereitete ihr Mühe, eine Frau zu respektieren, die ihre Lippen mit einem Stift umrandete, so als kolorierte sie ein Malbuch. Judy selbst trug kein Make-up, und die tägliche Dusche erfüllte bereits ihre Vorstellung von ›gepflegt ‹. »Ich habe schon gegessen.«
»Na und? Komm schon, du bist seit Wochen nicht in die Mittagspause gegangen.« Murphy schien freundlich zu lächeln, obwohl Judy den Verdacht nicht loswurde, dass das nur an ihrem Konturenstift lag. »Draußen ist es herrlich. Schließ dich uns auf einen Spaziergang an.«
»Ich kann nicht, danke. Ich muss über den Simmons-Fall noch einen Artikel schreiben.«
»Du kannst nicht einmal spazieren gehen? Um Gottes willen, heute ist Freitag.«
»Keine Zeit für einen Spaziergang. Ich kann wirklich nicht«, sagte Judy und wusste, dass der Teil mit dem Spaziergang Quatsch war. Murphy ging nie spazieren, sie ging einkaufen, und solche Einkaufsbummel weckten in Judy immer den Wunsch, Amok zu laufen. Was stimmte nur nicht mit diesen Nachwuchsanwältinnen? Judy konnte keine Einzige von ihnen leiden. Die hatten ihren Abschluss allesamt an der juristischen Fakultät der Ally McBeal-Uni gemacht und glaubten, Anwältin zu sein hieße, Röcke zu tragen, mit denen man nur knapp die juristische Definition von ›Erregung öffentlichen Ärgernisses‹ verfehlte. Es war ihnen nicht ernst mit dem Gesetz, und das war das Einzige, womit es Judy ernst war. Im Stillen nannte sie sie schlicht Murphys Anwälte.
»Na gut. Tja, dann überarbeite dich mal nicht.« Murphy tätschelte die weiße Raufasertapete zum Abschied und zog sich klugerweise zurück. Judy lauschte auf die vertrauten Geräusche, mit denen sich das Büro leerte. Das Getratsche wanderte in Richtung Aufzugtüren und wurde immer leiser. Die Aufzugkabinen summten, während sie nach unten glitten, um Anwältinnen in die Sonne zu bringen. Rosato & Associates war eine kleine Kanzlei, nur neun weibliche Anwälte und ein paar Angestellte, und in der nächsten Stunde würden alle Anrufe, die die Empfangsdame nicht beantworten konnte, als Voicemails weitergeleitet. E-Mails würden ungeöffnet bleiben und Faxe würden in grauen Ablagekörben landen. In der Kanzlei wurde es still, nur gelegentlich klingelte ein Telefon, und Judy spürte, wie sich ihr ganzer Körper in mittäglicher Schläfrigkeit entspannte, wie ein langer, tiefer Atemzug, bevor die nachmittägliche Geschäftigkeit einsetzte.
Sie war sich bewusst, dass sie sich jetzt eigentlich einsam fühlen sollte, aber das tat sie nicht. Es gefiel ihr, allein zu sein. Sie nippte am Kaffee aus einem Styroporbecher, umgeben von Entscheidungssammlungen des Bundesgerichtshofs, aufgehäuften Kopien von Gerichtsprotokollen, Zetteln mit hingekritzelten Notizen und der Korrespondenz, die ihren Holzschreibtisch und das Anbauelement zu ihrer Rechten vollständig bedeckten. Ihr Büro war klein, es hatte die übliche Größe für eine Kanzleipartnerin der mittleren Ebene bei Rosato, aber durch diesen Papierwust wirkte es wie eine Schuhschachtel. Judy machte das nichts aus. Sie hielt ihr Büro nicht für unordentlich, sondern einfach nur für voll. Außerdem empfand sie es als sehr angenehm, von all ihren Sachen umgeben zu sein. Niemand braucht ein heimeliges Nest mehr als ein Anwalt. Schriftstücke, Memoranden, Lehrbücher der juristischen Fakultät, Novellen und die Kopien der Straf- und Zivilrechtsfälle des Bundesgerichtshofs füllten die Regale an der Wand ihr gegenüber und auch hinter ihr unter dem Fenster. Drei große Aktenschränke nahmen die Seitenwand ein, ihre Regalbretter aus Holzimitat verborgen unter zwanzig dicken Faltakten zu Moltex gegen Huartzer, einem gewaltigen Kartellfall, der förmlich überquoll. Ein Turm an potenziellen Beweisstücken für das Gerichtsverfahren auf dem letzten Schranksegment drohte jeden Tag umzukippen. An den Wänden hingen Fotos von Hunden, Pferden und ihrer Familie, die Zertifikate ihrer Gerichtszulassungen und die Preise, die Judy als Herausgeberin einer juristischen Zeitschrift und als Abschlussrednerin ihres Jahrgangs gewonnen hatte, sowie ihre Diplome von der Stanford University und der Boalt Law School. Judy war die wahre Rechtsgelehrte der Kanzlei, darum herrschte in ihrem Büro zwar immer noch das Chaos, allerdings ein höchst gelehrtes.
Und ihre Freundin Mary war nicht da, um am Chaos herumzumeckern. Mary DiNunzio arbeitete mit Judy zusammen, seit sie beide ihren Abschluss an der juristischen Fakultät gemacht hatten, aber nach ihrem letzten Mordfall genehmigte sich Mary jetzt eine Auszeit. Judys Nest fühlte sich seitdem nicht mehr sehr heimelig an. Judy nippte nachdenklich am Kaffee, lehnte sich in dem ergonomisch korrekten Stuhl, dessen Polster ihr in Rücken und Schultern drückten, zurück und schlug, die Beine übereinander, die kräftig und wohl geformt, aber absolut unbekleidet waren. Judys Ansicht nach trugen nur Republikanerinnen Strumpfhosen, und jetzt, in Marys Abwesenheit, hatte sie auch diese Gewohnheit abgelegt. Judy und Mary waren praktisch in nichts . einer Meinung, nicht einmal bezüglich Murphys Konturenstift.
Aus einem Impuls heraus zog Judy die mittlere Schreibtischschublade auf und wühlte sich durch Kugelschreiber, bunte Heftklammern und Kleingeld, bis sie den roten Stift fand, mit dem sie normalerweise Aktensätze korrigierte. Dann suchte, sie in der Schublade nach dem Taschenspiegel, den Mary ihr geschenkt hatte. Judy prüfte in diesem Spiegel sonst lediglich, ob sie nach dem Essen Mohn zwischen den Zähnen hatte, aber jetzt, den roten Stift in der Hand, musterte sie aufmerksam ihr Spiegelbild in dem großen Viereck:
Aus dem Spiegel sah ihr eine breitschultrige junge Frau entgegen, die in ihrem hellblauen Kostüm, gelbem T-Shirt und mit ihren kunstvollen Silberohrringen vor den Reihen der Rechtsbücher etwas fehl am Platz erschien. Ihr Haar war naturblond, fast buntstiftgelb, und in Kinnhöhe in gerader Linie abgesäbelt. Das Gesicht war groß und rund und erinnerte sie immer an einen Vollmond. Ihre Augen waren groß, von einem hellen Blau und ebenso ungeschminkt wie ihre Lippen – keine Mascara betonte ihre Wimpern. Ihre Stupsnase war klein. Ein ehemaliger Freund war nicht müde geworden, ihr zu sagen, wie schön sie sei, doch wann immer Judy sich im Spiegel betrachtete, dachte sie nur Ich sehe aus wie ich selbst, und das genügte ihr.
Ihr Spiegelbild runzelte die Stirn. Judys Lippen waren weder besonders voll noch besonders schmal und ganz normal rosafarben. Hmmm. Judy hob den roten Korrekturstift an ihre Lippen. Die Farbe passte perfekt. Und sie war eine gewandte Künstlerin. Judy musterte sich im Spiegel, wie sie den Stift zum Mund führte, die Spitze anfeuchtete und ihre Oberlippe umrandete. Die rote Farbe roch merkwürdig und fühlte sich kalt an, aber der Stift war stumpf genug, um nicht zu kratzen. Sie zog sowohl um die Oberlippe als auch um die Unterlippe eine exakte Linie. Dann runzelte. sie neuerlich die Stirn.
Gar nicht übel. Man sah die rote Linie, aber ihr Mund wirkte größer, was dieser Tage, in der Lippen wie Schlauchboote vorherrschten, ja als gutes Zeichen galt. Sie lächelte ihr Spiegelbild an und wirkte sofort freundlicher, auf eine Pseudo-Murphy- ›Ich-ignoriere-jedes-Telefonklingeln‹-Art und Weise. Offenbar waren Büro-Utensilien als Make-up-Ersatz nicht zu schlagen. Vielleicht sollte sie sich ihre Augenlider mit einem Marker bemalen. Und ihre Fingernägel mit Tipp-Ex lackieren. Wer sagt, Anwältin zu sein mache keinen Spaß? Sie legte den Stift nieder, nahm den Hörer zur Hand und wählte eine Nummer.
»Wie sehe ich aus?«, fragte Judy, als Mary sich meldete.
»Ich habe deine Nachricht über den Sherman Act bekommen. Hör auf, mich wegen des Sherman Acts anzurufen.«
»Hier geht es nicht um den Sherman Act. Kartellrecht ist einfach. Konturenstifte sind hart.«
»Murphy war wieder da, was?«
»Sie versuchte, freundlich zu sein, also habe ich sie weggeschickt.«
»Warum isst du nicht mal mit ihr zu Mittag?«
»Ich mag sie nicht, und sie isst nicht zu Mittag. Wenn ich sie mögen würde und wenn sie zu Mittag essen würde, dann würde ich auch mit ihr um die Häuser ziehen. So bin ich hier geblieben und habe meine Lippen nachgezogen. Was hältst du davon?«
Judy küsste die Luft über dem Hörer, und Mary spöttelte. »Du solltest neue Freunde finden.«
»Nein, ich sollte hier sitzen und einen Artikel schreiben und du solltest aufhören, herumzutrödeln und deinen Hintern wieder an die Arbeit hieven.«
»Es geht mir gut, danke der Nachfrage«, schnaubte Mary, obwohl Judy das Lächeln in ihrer Stimme heraushören konnte. Das Lächeln stammte nicht von Revlon oder gar Dixon Ticonderoga, sondern kam ausschließlich aus einem wunderbar großen Herzen, und Judy spürte Schuldgefühle in sich aufsteigen. Versuchter Mord war nicht zum Lachen.
»Tut mir Leid. Wie fühlst du dich, altes Haus?«
»Ziemlich gut für jemanden, der zwei Kugeln abbekommen hat.«
Judy zuckte zusammen. Sie hätte Mary beinahe verloren, für immer. Darüber wollte sie lieber nicht nachdenken.
»Brauchst du irgendetwas? Mit dem Taxi bin ich in fünfzehn Minuten bei dir. Soll ich dir etwas bringen?«
»Danke, nein.«
»Sicher?«
Mary schnaubte. »Dir tut die freche Bemerkung Leid, stimmt’s? Wenn ich dich nicht besser kennen würde, käme ich glatt auf den Gedanken, du fühlst dich schuldig.«
»Ich?« Judy lächelte. Dieser Witz hatte bei ihnen beiden schon Tradition. Mary, die italienische Katholikin, war auf Schuldgefühle abonniert, und Judy wusste, dass dieses Abonnement niemals auslaufen würde. »Weit gefehlt. Schließlich komme ich aus Kalifornien.«
»Du solltest dich aber schuldig fühlen. Du hast dich über jemanden mit einem Sauerstoffgerät lustig gemacht. Was für eine Art von Freundin bist du überhaupt?« Mary lachte, aber ihr Lachen verlor sich in einem überraschenden Ausbruch von Lärm im Hintergrund. Es klang wie eine laute Unterhaltung zwischen Männern. Mary erholte sich im Haus ihrer Eltern in South Philly, und die DiNunzios, die Judy vergötterte, waren ein altes italienisches Ehepaar, das in aller Stille lebte, zumindest solange Mr. DiNunzio sein Hörgerät trug. Für gewöhnlich waren die einzigen Hintergrundgeräusche im Reihenhaus der DiNunzios die unermüdlichen Wiederholungen von Novenen.
»Was ist das für ein Lärm?«, fragte Judy. »Wieder eine wilde Party bei den DiNunzios?«
»Das willst du gar nicht wissen.«
»Doch, will ich.« Es klang nach einem recht heftigen Tumult, und die Männer stritten sich jetzt lauthals. Judy runzelte die Stirn. »Ist etwas passiert?«
»Das wirst du mir nicht glauben.«
»Wetten, dass doch?«
»Die Freunde meines Vaters sind hier. Du hast Tony-vom-anderen-Ende-des-Viertels doch mal getroffen.«
»Der Typ, mit dem dein Vater zusammen Zigarren kauft?«
»Das könnte auf jeden zutreffen, aber ja«, erwiderte Mary, während der Streit im Hintergrund eskalierte.
»Was zur Hölle war das?«
»Fuß.«
»Das klang nicht nach einem Fuß, mehr wie eine Stimme.«
»Fuß ist sein Spitzname. Genauer gesagt, Tony Zweifuß. Er brüllt. Er ist ziemlich leicht erregbar für einen Achtzigjährigen.«
»Tony Zweifuß? Was ist das denn für ein Name? Jeder hat doch zwei Füße.«
»Frag mich nicht. Er ist der andere Freund meines Vaters. Sie regen sich alle über Tauben-Tony auf.«
Judy lächelte. »Gibt es auch jemanden, der nicht Tony heißt?«
»Bitte. Hier halten sich momentan zehn italienische Männer auf. Es ist mehr als wahrscheinlich, dass drei davon Tony heißen, zwei Frank und einer im Gefängnis landet. Tauben-Tony wurde eben verhaftet. Dabei hätte ich auf Dominic gewettet.«
»Verhaftet? Weswegen?«
»Mord.«
Judys Lippen formten einen unvollkommen rot nachgezeichneten Kreis.
»Mord?«
»Meine Mutter lässt dich übrigens grüßen.«
»Mord?« Judy spürte, wie sich ihr Puls beschleunigte. »Ein Freund deines Vaters wurde wegen Mordes verhaftet? Dein Vater ist doch so um die fünfundsiebzig, oder? Wie alt ist dieser Tony? Und wen hat er angeblich umgebracht?«
»Du kannst nicht einfach von Tony sprechen, du musst Tauben-Tony sagen, und der ist an die achtzig. Er ist in Italien aufgewachsen und hat angeblich einen anderen alten Mann umgebracht, der ebenfalls aus Italien kommt. Ich wollte gerade herausfinden, was vorgefallen ist, als du angerufen hast.«
Judys Augen blinzelten vor Überraschung. Zum ersten Mal seit Monaten fühlte sie sich hellwach. »Hat Tauben-Tony einen Anwalt?
»Moment mal. Du klingst interessiert. Du darfst nicht interessiert sein.«
»Warum denn nicht?« Judy rutschte auf ihrem furchtbaren Schreibtischstuhl ein Stück nach vorn. Mord war besser als Kartellrecht. Klick. Auf der zweiten Leitung kam ein Anruf durch, aber sie ignorierte ihn. Anrufe zu ignorieren gelang ihr mit etwas Übung immer leichter. »Natürlich darf ich mich dafür interessieren. Der erste Verfassungszusatz gibt mir das Recht, interessiert zu sein.«
»Mein Vater wollte, dass ich dich anrufe, aber ich glaube nicht, dass du diesen Fall übernehmen solltest.«
»Dein Vater will es?« Judys Puls legte noch einen Zahn zu. Sie würde alles tun, um Marys Vater zu helfen, umso mehr, wenn es um etwas ging, worauf sie ohnehin Lust hatte.
»Ja, aber ich will es nicht, und ich habe jetzt keine Zeit, um mit dir zu streiten. Hier tobt gerade La Traviata. Ich muss auflegen.«
»Gib mir deinen Vater, Mary.«
»Nein. Erinnerst du dich an den letzten Mordfall, den wir übernommen haben? Schüsse allenthalben. Kugeln, wohin man auch sah. Anwälte sind auf so etwas nicht vorbereitet. Halte dich an den Sherman Act. Außerdem habe ich meinem Vater schon gesagt, dass Bennie es nicht erlauben wird.«
»Warum sollte sie es nicht erlauben? Wir übernehmen jetzt doch Mordfälle. Und außerdem befindet sich unsere Chefin gerade nicht im Haus, sondern bei einer Zeugenbefragung. Ich werde mich später entschuldigen, falls sie wirklich dagegen sein sollte. Lass mich nicht betteln, nun gib mir schon deinen Vater!«
»Nein.« Im Hintergrund brach der Lärm erneut los, und Judy konnte hören, wie Marys Vater sich dem Telefon näherte.
»Komm schon, Mary, lass mich mit deinem Vater reden!« Plötzlich herrschte Stille, und Judy sah Mary vor sich, wie sie mit ihrer Hand die Muschel zuhielt, denn der Streit der Männer wurde leiser und die Stimme von Mariano DiNunzio drang nunmehr gedämpft an ihr Ohr. »Mr. D., sind Sie das?«, rief Judy und versuchte dabei, wenn irgend möglich, durch Marys Hand hindurchzubrüllen. »Was ist los, Mr. D.?«
»Judy, Gott sei Dank, dass du anrufst!«, sagte Mr. DiNunzio plötzlich am anderen Ende der Leitung. Judy nahm an, dass er Mary den Hörer einfach aus der Hand genommen hatte. »Die Polizei hat meinen Freund verhaftet. Sie haben ihn in die Stadt gebracht. In Handschellen.« Mr. DiNunzios Stimme klang vor Betroffenheit wie erstickt, und Judy empfand tiefes Mitleid mit ihm. Ihr wurde unvermittelt der Ernst der Situation bewusst.
»Was ist passiert?«
»Sie sagen, er habe einen Mann getötet, aber das würde er nie tun. Das kann er gar nicht. Das würde er nicht.« Mr. DiNunzio räusperte sich. Judy konnte förmlich hören, wie er sich zusammenriss. »Ich würde nie um so etwas bitten, um solch einen Gefallen, für mich. Du weißt das. Aber für meinen Freund, meinen compare. Er steckt in Schwierigkeiten.«
»Was immer Sie brauchen, das bekommen Sie, Mr. D.«
»Ich kenne dich, du bist ein gutes Mädchen. Eine kluge Anwältin. Du kennst all die Tricks und Kniffe. Du arbeitest hart, wie meine Mary. Willst du seine Anwältin werden, Judy? Bitte?«
»Natürlich will ich das, Mr. D.«, erwiderte Judy, und sie hatte ihre Worte noch gar nicht ganz ausgesprochen, da griff sie schon nach ihrer Aktentasche.
Gleich darauf steckte sie ihre nackten Füße in ein Paar klobige gelbe Clogs.