Читать книгу Ein Fohlen für Doria - Lise Gast - Страница 10
ОглавлениеDer Platz war asphaltiert, Autos und Pferdeanhänger standen am Rande unter großen Bäumen, man hörte Gewieher und das dumpfe Poltern, mit dem Pferde die schrägen Klappen der Transporter herunterstampften. Überall wurde gerufen, gerannt, gelacht, geschimpft. Von den drei Richtern, die inmitten des Platzes standen, ertönten Anweisungen durch den Lautsprecher; es roch nach gebratener Wurst. Mitten auf dem Platz war ein großes Dreieck aus Sägespänen gestreut, auf dem die Pferde einzeln vorgeführt wurden, erst stehend, dann im Schritt und im Trab. Manche galoppierten auch; dann mussten die Leute, die sie führten, mitrennen und die Zuschauenden lachten. Hunde schnüffelten herum oder verbissen sich wütend ineinander, von ihren Herrchen auseinander gerissen und gescholten. Kinder liefen in die Mitte des Kreises und mussten zurückgeholt werden, die Erwachsenen rannten und schwitzten. Bekannte begrüßten einander, alle waren wach und aufgeregt und interessiert, es herrschte eine richtige Jahrmarktsstimmung.
Peter und Dori waren mit den Rädern gekommen, hatten diese an die Bäume gelehnt und drängelten sich in die erste Reihe der Zuschauer um alles genau zu sehen und mitzuerleben. Stutenschau, ein großes Fest für alle, denen Pferde am Herzen liegen.
„Jetzt die Reitponys. Fahren Sie ein!“, ertönte es aus dem Lautsprecher.
„Fahren!“, prustete Peter. „Als ob die Wagen hätten!“
„So sagt man aber“, verwies ihn Dori aufgeregt, „das heißt so. Da, guck – Himmel, sind die schön!“ Sie deutete auf eine Reihe von halbgroßen Pferden, die jetzt zur Mitte geführt wurden. Es waren zwei helle mit schwarzweißer, gestutzter Mähne, Norweger, dann ein Dunkelfuchs, ein paar braune und ein Schimmel. Drei der Ponys hatten Fohlen bei Fuß, die hochbeinig und noch wollig bepelzt neben den Müttern herliefen, von Erwachsenen oder Kindern geführt. Sie machten Bocksprünge und wehrten sich gegen die Führenden, hopsten, sperrten sich mit den Vorderbeinen, manche rannten los, dass die Führenden kaum mitkamen, es war ein toll bewegtes Bild.
Nach den Reitponys kam noch eine größere Stute, kein Pony, mittelbraun mit großer weißer Blesse über Nase und Maul. Deren Fohlen war außer Rand und Band. Ein großer Junge führte es oder versuchte es zu führen. Es tanzte auf den Hinterbeinen, wickelte sich den Strick, der am Halfter befestigt war und den der Junge hielt, blitzschnell ein paar Mal um den Hals, weil es sich wie ein Kreisel drehte, warf sich auf die Erde und zappelte wie verrückt. Der Junge beugte sich hinunter um den Strick zu entwirren, da wieherte die Stute nach ihrem Kind. Das sprang auf und ihr nach. Der Junge wurde mitgerissen, stolperte und fiel lang hin, hielt den Strick noch, schließlich ließ er ihn los. Das Fohlen raste jetzt mitten in die Zuschauer hinein, die auseinander spritzten. Schon war es auf der Straße und auf und davon.
Dori und Peter hatten ganz nahe der Stelle gestanden, an der das Fohlen den Kreis der Zuschauer durchsprengt hatte. Geistesgegenwärtig rannten sie ihm jetzt hinterher, Dori immer ein paar Schritte voraus. Obwohl die Autos wegen all dem Trubel langsam fuhren, war es für das Tier doch gefährlich, zwischen ihnen herumzuspringen. Es musste aufgehalten und sicher zurückgeführt werden.
„Donner! Donnerwetter!“, brüllte der Besitzer der Mutterstute. Sein Sohn hatte sich mittlerweile aufgerappelt und spurtete ebenfalls dem Fohlen hinterher, immer wieder „Donner! Donner!“ rufend. Die Zuschauer lachten. Sie hatten gut lachen, ihnen gehörte das Fohlen nicht. Aber den Ruf „Donner! Donner!“ nahmen sie auf, man hörte ihn jetzt von allen Seiten. Donner, von Dokterant und aus der Domina, so sagt man. Und wenn irgendein Name auf ein Pferd passte, dann „Donner“ auf dieses Fohlen. Das aber begriffen Peter und Dori erst später.
Jetzt rannten sie wie die Jagdhunde hinter ihm her. Das Fohlen folgte der Autostraße, die hier abbog zum Freibad der kleinen Stadt. Wie der Wind sprangen Dori und Peter die Straße entlang, ein Auto überholte sie vorsichtig, der Fahrer schien Spaß an der Jagd zu haben.
„Donner! Donner!“, riefen noch ein paar von den Zuschauern. Peter und Dori schrien schon lange nicht mehr mit den anderen mit. Sie brauchten die Luft zum Rennen.
Die Straße führte geradewegs auf das Gebäude zu, das zum Freibad gehörte und die Straße sozusagen abschloss. Durch eine Absperrung, an der links der Schalter für die Kasse lag, konnte man auf die Wiese vor dem Freibad gelangen. Das Fohlen hielt drauf zu und Dori schickte ein Stoßgebet zum Himmel, dass dort geschlossen sein möge. Das war es zwar nicht, aber gerade im richtigen Moment kam ein dicker Mann durch den schmalen Eingang und versperrte ihn mit seiner Leibesfülle. Das Fohlen bremste seinen Lauf, brach dann nach rechts aus, schoss an Dori und Peter vorbei und die Straße zurück, auf der es gekommen war.
Hier kam ihm ein Radler entgegen; er fuhr sehr schnell, sah das Fohlen und versuchte seitlich auszuweichen. Aber es gelang ihm nicht mehr. Donner rannte genau in ihn hinein.
Nun lagen beide auf der Erde, daneben das Fahrrad. Dori kniete schon bei Donner, hob seinen Kopf, der seitlich im Staub lag, und jammerte unaufhörlich: „Donner! Aber Donner! Was machst du denn!“ Peter war nun auch heran. Der Radfahrer versuchte stöhnend sich aufzurichten.
„Ihr könnt doch ein Pferd nicht einfach auf der Straße rumjagen“, zeterte er, „ich zeig euch an! Mein neues Rad ... und hier –“ Er wies ein zerschundenes Knie vor. Dori dachte: Wenn’s weiter nichts ist ... Denn sonst schien nichts kaputt zu sein. Der Lenker des Fahrrades war nur verdreht. Dori nahm das Vorderrad sachverständig zwischen die Knie und drehte den Lenker zurück. Aber der Junge bestand darauf, Schadenersatz zu bekommen.
„Ich zeig euch sonst an!“
„Ist ja gar nicht unseres“, sagte Peter empört und Dori fühlte einen Stich im Herzen. Er sagte das so zufrieden, weil er meinte, nun könnte ihnen nichts passieren. Sie aber – ja, wenn es ihres wäre ...
„Gib nicht so an, wir sprechen mal mit dem Besitzer“, sagte sie also möglichst freundlich. „Komm mit, ich zeig ihn dir.“
Die Nase des Jungen blutete jetzt auch. Er wischte daran herum, was sein Gesicht nicht gerade verschönerte. Peter versuchte Donner zu halten. Der war schon wieder aufgesprungen und wollte los, vermutlich zur Mutter. Er war nur schwer zu halten, zwar trug er ein Stallhalfter, aber der Strick musste auf dem Platz geblieben sein. Peter zog deshalb den Gürtel aus seiner Hose und befestigte ihn am Halfter, wobei das Fohlen dauernd ruckte und störte. Es war kaum zu schaffen. Schließlich aber zogen sie doch, das Fohlen führend, das Fahrrad schiebend, auf den Platz zurück.
Da kam ihnen schon der Besitzer entgegen, rot wie eine Mohnblume und schnaubend vor Wut.
„Auch noch jemanden umrennen und Schaden anrichten! Du kommst zum Metzger, dass du es weißt!“
„Nein!“, jammerte Dori und der große Junge mit dem Fahrrad sah auch sehr entsetzt aus.
„Weil es mich umgerannt hat? Aber ich ... es konnte ja nichts dafür ... ich will ja gar nichts –“ Auch Peter bettelte: „Nein, bitte, bitte nicht!“
„Es kommt zum Metzger, dass ihr es wisst“, tobte der Besitzer, „ihr habt ja keine Ahnung, was es schon alles angerichtet hat! Zäune zerbrochen und die Futterkiste ruiniert und zwei Kälber halb totgejagt Es ging –“ weiter und weiter, was er vorbrachte, die Kinder konnten gar nicht alles verstehen.
„Lasst es gut sein, er tut immer so, regt sich auf wie verrückt, im Grunde meint er es nicht so“, sagte der Sohn halblaut und gab Dori einen Rippenstoß, „er hat noch keins zum Metzger gebracht.“
„Du bist überhaupt schuld, du, Jörg“, schrie der Vater weiter, „kannst nicht mal ein Fohlen halten!“
„Lasst ihn brüllen“, murmelte Jörg und befestigte den Strick erneut an Donners Halfter. „So, jetzt gehst du gefälligst brav mit mir.“
Die Stutenschau nahm ihren Fortgang. Donner, etwas erschöpft von der Rennerei, lief jetzt neben seiner Mutter her, von Jörg geführt, und die Richter beurteilten Mutter und Kind. Dann kamen andere Pferde in den Ring. Dori pirschte sich an den Transporter heran, zu dem Donner und seine Mutter gehörten. Der Besitzer war nicht da, wohl aber Jörg. Dori sah zu ihm auf.
„Wird dein Vater ihn auch bestimmt nicht ...“
„Er hat eine Stinkwut“, sagte Jörg und kaute auf einem Strohhalm herum, während er Donner nachdenklich ansah. „Wir hatten uns sowieso eine kleine Stute gewünscht und keinen Hengst. Die hätten wir großgezogen. Am besten, wir lassen Vater erst mal in Ruhe. Manchmal kommt er mit der Zeit zu sich und wird wieder ansprechbar, vergisst, was er vorher gesagt hat. Manchmal aber –“
„Bleibt er dabei?“, fragte Dori angstvoll.
„Ja. Er ist nun mal ein Choleriker – warum fragst du?“
„Ach, ich ... ich meine ... ehe Donner zum Metzger muss, würde ich –“ Sie stockte.
„Ihn kaufen?“, fragte Jörg und lachte. „Hast du denn so viel Geld?“
„Ich hab –“
„Und könntest du ein Pferd unterbringen? Das kann man nicht in die Vitrine stellen, auch nicht in einen kleinen Vorgarten. Wohnt ihr auf dem Land?“
„Ich ... ich bin nur zu Besuch hier“, stotterte Dori. „Aber Geld hab ich. Ich habe immer auf ein Pferd gespart.“
Jörg fragte nicht, wie viel Dori hatte, und Dori wagte nicht zu fragen, was ein Fohlen kostete. Sie sahen einander an.
„Mir wärs ja lieb, wenn Donner in gute Hände käme“, sagte Jörg nachdenklich. „Behalten tun wir ihn nicht. Ich geb dir meine Adresse, auch die Telefonnummer. Und du mir deine ...“ Er sprach mit ihr wie mit einer Erwachsenen. Dori schrieb ihre Ferienadresse auf einen Zettel.
Jörg las, was sie geschrieben hatte. „Auf dem Schlosshof wohnt ihr? Na, da habt ihr ja Platz.“
Sie wagte nicht zu sagen, dass der ehemalige Pferdestall längst zum Atelier geworden war, dass der Schlosshof zwar noch Schlosshof hieß, aber kein Bauernhaus mehr war. Sie nahm den Zettel mit seiner Anschrift und steckte ihn ein. Dabei hatte sie das Gefühl, als könne sie nun nicht mehr zurück.
Wenn man nicht zurück kann, muss man vorwärts gehen, hatte Mutter ihr einmal gesagt. Dori war es, als hörte sie Mutters Stimme.
„Komm, Peter“, murmelte sie und stieß ihn in die Seite. Vom Ring her hörte man ein helles Wiehern.