Читать книгу Ein Fohlen für Doria - Lise Gast - Страница 9
ОглавлениеHeiner war weder ein Wackelkopp noch fuhr er eine alte Schleuder. Er gefiel Dori gleich und der Wagen gefiel Peter sogar sehr. Keine Rostlaube, wahrhaftig nicht, sondern ein Jaguar. Nur mit Mühe unterdrückte Peter seine Begeisterung.
Am nächsten Morgen ging es wirklich los, bei herrlichem Wetter. Es war sonnig und noch nicht zu heiß, das Verdeck des Wagens war zurückgeschlagen und Dori und Peter genossen das Sitzen im offenen Wagen. Das Vergnügen hatten sie nicht alle Tage!
Rolands Freund erwies sich als lustiger Geselle.
„Wohin, meine Herrschaften?“, fragte er, als sie den Schlossberg hinuntergefahren waren. „Bitte nur nicht in ein Museum oder gar in zwei oder drei. Das fände ich entsetzlich. Als ich so alt war wie ihr, musste ich mit meinen Eltern sonntags immer ins Museum ... Auch nicht in Kirchen, bitte schön! Das ist was für den Winter. Ich warte auf Vorschläge.“
Kirchen und Museen hatten die beiden auch nicht vorgehabt. Sie lotsten Heiner zunächst ins „Blühende Barock“ nach Ludwigsburg, was ihm sehr gut gefiel, und planten dann das Weitere anhand der Karte. Dori zog es natürlich zum Reitverein, aber den konnten sie sich für den Schluss aufsparen. So fuhren sie in die Altweibermühle in Tripstrill, rollten sich durch das drehende Fass, schwankten über hin und her wackelnde Brücken und rutschten die riesenlange, blanke Rutschbahn an die fünfzig Mal hinunter, nie ohne vor angstvollem Entzücken zu kreischen oder wenigstens zu quietschen. Heiner lud sie dann zu einem großen Eis ein, das Dori sich wie gewohnt in bar erbat. Schließlich ruhten sich die drei im Auto von all den Aufregungen aus, die die Mühle bot.
„Nur nicht nach Hause, da wären wir ja dumm“, meinte Peter, der alle diplomatische Zurückhaltung aufgegeben hatte, „vielleicht könnten wir ja auf die Schmetterlingswiese gehen? Dort war ich ewig nicht und sie muss jetzt sehr schön sein. Im Winter übrigens auch – überhaupt immer. Ja, dorthin! Da war Dori auch noch nicht.“
„Was ist denn das für eine Wiese?“, fragten Dori und Heiner wie aus einem Mund.
„Hach, was Tolles. Nicht weit von zu Hause. Man kann gut zu Fuß hingehen von uns aus. Aber das merkt ja niemand, dass wir so nahe sind. Also da ist ein Mann im Dorf, der hat das Grundstück gekauft, ein flaches Tal, wie eine Schale, ringsum Wald, ganz verschwiegen. Eigentlich wollte er sich dort ein Haus bauen und darin wohnen, aber das hat die Baupolizei nicht genehmigt. Eingezäunt hatte er es schon und nun baute er einen Stall hinein, einen, der nur drei Wände hat, das gilt nicht als Haus. Vorn ist der Stall mit einem Querbalken zu verschließen, aber das ist gar nicht nötig. Er ist offen und hat oben einen Heuboden. Was damit ist, verrate ich nicht. Wollen wir hin? Ich fände das wunderbar.“
„Und warum heißt sie Schmetterlingswiese?“, fragte Heiner. Peter wurde immer eifriger.
„Der Besitzer dieser Wiese meint, man müsste etwas tun, damit die Schmetterlinge nicht aussterben. Überall sind die Gärten jetzt abgeschleckt und sauber, ein Grashalm neben dem andern, kein Gänseblümchen, kein Löwenzahn, keine Brennnessel. Ja, gerade Brennnesseln werden ausgerottet und sie seien so wichtig, sagt er. Es gibt Schmetterlinge, zum Beispiel Pfauenaugen, die legen ihre Eier nur in Brennnesseln und wenn es keine mehr gibt, sterben sie aus. Er lässt also die Schmetterlingswiese ganz und gar so wachsen, wie sie will, mit Unkraut und allem, was von allein wächst, und stellt im Sommer nur seine Rinder dorthin. Die können fressen, was sie mögen, und Wasser haben sie auch. Er hat eine Quelle so gefasst, dass sie in einen großen runden Bottich mündet, den hat er gemauert und dort trinken die Rinder. Man kann sich auch dort waschen, es ist eine Überlaufstelle da, sodass das Wasser sich immer erneuert. Und viel Seife nimmt man eben nicht, man muss ja Rücksicht nehmen auf die Tiere.“
„Was dir sicher ein großes Opfer ist!“ Dori lachte. In den Tagen, die sie nun schon hier war, hatte sie bemerkt, dass Peter Seife überhaupt nicht leiden konnte. Er ging darum herum wie um ein giftiges Reptil.
„Also los, zur Schmetterlingswiese“, sagte Heiner vergnügt, „hoffentlich bringt uns der Bulle nicht um, wenn wir kommen.“
„Der Bulle! Dort steht doch kein Bulle! Rinder hat er dort.“
„Ist ein Bulle kein Rind?“, fragte Heiner.
„Mal gewesen. Unter Rindern versteht man Jungvieh. Sobald die Kälber nicht mehr saugen, werden sie dorthin gebracht.“
Sie fuhren los. Peter franzte, es ging durch ein paar Dörfer, dann übers Feld auf einem schmalen, aber auch asphaltierten Weg. Überall fahren die Bauern jetzt mit ihren Treckern und so werden alle Wege asphaltiert oder geschottert. Zum Radfahren war der Asphalt ja gut, aber zum Reiten zum Beispiel – und Dori dachte bei allem und jedem ans Reiten – natürlich nicht. Sie sagte es.
„Hast ja noch kein Pferd“, brummte Peter.
„Später, wenn du mal eins hast, gibt es vielleicht Reitwege mit Sand“, tröstete Heiner, „im Frankfurter Stadtwald ist das auch so. Dort, wo die Reitwege anfangen, ist als Wegweiser ein Hufeisen auf einen Pfosten genagelt. Ist das nicht hübsch?“
Am Waldrand hielten sie. Peter führte sie noch ein Stück zu Fuß weiter und guckte an den Bäumen hoch. „Hier – nein, hier noch nicht.“
Endlich schien er gefunden zu haben, was er suchte: den Einstieg zur Wiese, einen schmalen Trampelpfad, der sehr steil bergab führte.
„Wenn es nass ist oder geschneit hat – vielen Dank! Dann kommt man am besten runter, wenn man sich auf den Hosenboden setzt und rutscht“, erklärte er, während er vorsichtig als Erster hinunterzuklettern begann, seitlich, Tritt um Tritt, während er sich rechts und links am Gebüsch festhielt. Dori folgte, hinter ihr Heiner. Es war wirklich nicht einfach ohne auszurutschen hinunterzukommen, schließlich aber war die Talsohle erreicht. Sie öffneten ein Gattertor und nun ging es nur noch sanft bergab, durch hohes Gras, das man eigentlich nicht zertreten durfte, wie Dori sofort sagte. So gingen sie hintereinander und jeder trat in die Fußstapfen seines Vordermannes. Ein Apfelbaum blühte, Bienen summten und Schmetterlinge, die der Wiese den Namen gaben, taumelten darüber hin. Noch ein Stück weiter und sie entdeckten den Stall. Der Balken war zurückgeschoben, man konnte also hinein. Peter, der jetzt voranlief – er war stolz den andern alles zeigen und erklären zu können –, kletterte sofort seitlich eine Leiter hoch.
„Los, kommt, hier ist was zu sehen!“
Heiner und Dori folgten ihm. Und wahrhaftig, da gab es was zu sehen. Der Heuboden war nur zur Hälfte mit Heu gefüllt, die andere Hälfte als Stübchen eingerichtet. Ein altes Sofa stand da, am Fenster ein Tisch, davor ein Stuhl. An einer Wand ein Regal mit Töpfen und Pfannen, ein kleiner Spirituskocher, alles wirkte sauber und ein bisschen wie in einer Puppenstube.
„Ach, ist das hübsch, ist das hübsch“, rief Dori entzückt, „hier möchte ich wohnen, mal eine Woche oder zwei oder den ganzen Sommer!“
„Das haben schon manche getan“, erzählte Peter, „einer hat seine Doktorarbeit hier geschrieben und zwei junge Leute haben ihre Hochzeitsreise hierher gemacht.“
„Und woher kamen die? Aus Berlin? Aus Java? Oder vielleicht aus Kanada?“, fragte Heiner.
Peter sah ihn nur verblüfft an. Heiner erklärte:
„Beim Reisen kommt man doch immer irgendwoher und reist irgendwohin.“
„Ausgerechnet Kanada!“ Peter lachte. „Sie kamen aus unserem Ort, sonst hätte ich es ja gar nicht wissen können.“
Er kramte in einer Ecke, kam dann mit einem dicken Buch zurück.
„Das ist das Gästebuch. Da müssen wir auch reinschreiben und, wer kann, ein Gedicht machen oder eine Zeichnung. Ihr könnt es ja mal ansehen. Der Mann, dem das Ganze hier gehört, ist ein witziger Kerl. Er erlaubt, dass man hier wohnt und kocht, man kann auch übernachten. Er stammt nicht von hier, sondern aus Schweden oder Norwegen, genau weiß ich das nicht, jedenfalls aus Skandinavien. Dort ist es so ähnlich mit den Jugendherbergen. Man zieht von einer zur anderen, kann Feuer machen um die Sachen zu trocknen, kann übernachten, Hauptsache, man verlässt die Hütte so, wie man sie vorfand. Das ist Ehrensache und alle richten sich danach. Manche Leute lassen auch Kaffee dort oder Schokolade, sozusagen als Dank, oder was sie sonst spendieren wollen. Es kann ja auch sein, dass einmal sehr Erschöpfte da ankommen. Dort wird überhaupt nicht gestohlen. Er hat mir erzählt, dass einer einmal seine Armbanduhr in solch einer Hütte vergessen hatte. Er wanderte weiter nach Norden, der Vogelfluglinie nach, und Wochen später denselben Weg zurück. Als er wieder in die Jugendherberge kam, hing seine Uhr an einem Band von der Decke herunter, sodass jeder sie sehen konnte. Und was glaubt ihr: Sie ging! Jeder, der dort übernachtete, hatte sie aufgezogen, aber keiner nahm sie mit. Gut, nicht?“
„Klasse!“, fand Dori und auch Heiner nickte.
„Einmal haben wir auch hier übernachtet, meine Brüder und ich“, erzählte Peter, „mit noch einem Freund von mir. Wir beide waren noch klein, vier vielleicht. Meine Brüder wollten im Heu schlafen und wir beide auf dem Sofa, das reichte für uns, wenn wir die Beine einzogen. Wir krochen also darauf und deckten uns zu. Da bollerte es auf einmal an die Wand, die zum Heuboden führt, und eine tiefe Stimme schrie: ‚Üch bün der Hoilige Goist!‘ Es war mir ein bisschen unheimlich, das muss ich schon sagen, aber mein Freund fürchtete sich nicht.
‚Heiliger Geist, du Scheißbock!‘, schrie er und darauf musste der, der geklopft hatte, so lachen, dass wir ihn erkannten. Roland war es, mein ältester Bruder. Er kann auch herrliche Gruselgeschichten erzählen.“
Später guckten sie sich draußen um. Auf der Wiese grasten zwei Rinder, die bald neugierig herankamen. Als Heiner eine Tafel Schokolade aus der Tasche zog, wollten die Rinder auch etwas davon und reckten ihm ihre glatten, nassen Mäuler entgegen.
Es war ein schöner Tag und Peter und Dori bettelten, Heiner solle morgen wieder etwas mit ihnen unternehmen. Aber der hatte versprochen am nächsten Tag mit Mutter zu fahren. Auf einen Familienausflug hatte Peter jedoch keine Lust. Er sagte das ganz offen. Dori widersprach.
„Deine Mutter ist nett, tu nicht so garstig“, sagte sie. „Sie backt uns sogar Waffeln.“
„Na und?“
Ich hätte auch gern eine Mutter, die mit roten Backen am Herd steht und Waffeln backt, die Schürze voll Mehl, dachte Dori, sagte es aber nicht. Es gibt Sachen, die spricht man nicht gern aus, weil sie dann sofort anders klingen, schärfer, vielleicht sogar böse. Aber denken muss man sie manchmal.
„Gar nicht und“, sagte sie also patzig und dann brachen sie auf.