Читать книгу Ein Fohlen für Doria - Lise Gast - Страница 18
ОглавлениеWo steckst du denn, Dori?“, fragte Tante Ulle. „Ich habe so viel zu tun. Johannisbeeren abstielen ... Ja, das mussten wir auch, als wir Kinder waren. Da, guck“, sie deutete auf eine große Schüssel, die auf dem Sitzplatz vor der Küche stand, „das schaffe ich nicht allein.“
Peter saß schon mit saurem Gesicht da und stielte Beeren ab. Dori setzte sich daneben. Sie mochte Johannisbeeren nicht. Erst schmeckten sie ganz gut, aber dann kriegte man einen ganz wunden Gaumen davon. Gerade kam Großmutter über den Hof.
„Na, so fleißige Kinder ...“, sagte sie und lachte ein wenig. „Da kann ich mich ja nicht lumpen lassen und muss mit ran!“
Wenn Großmutter dabei war, wurde es gleich besser. Sie konnte so gut erzählen. Und sie gab ganz offen zu, dass sie früher auch wütend gewesen war, wenn sie helfen musste. Einmal war sie auf die Idee gekommen, dass die Spatzen ihr eigentlich die Arbeit abnehmen könnten. Da nahm sie heimlich den Spatzenschreck weg, der in Form eines Katzengesichts über den Johannisbeersträuchern aufgehängt war, grüne, funkelnde Augen hatte und Furcht erregend glitzerte. Aber ihre Mutter kam dahinter und es gab ein großes Strafgericht.
Am schönsten aber erzählte sie von ihren Reisen.
„Ich bin überall dorthin gefahren, wo es Pferde gibt“, sagte sie und lächelte Dori an, „ich wollte immer die Heimat der Pferde kennen lernen. Nach Ostpreußen fuhr ich zuerst – dort sind ja die Trakehner her, die Pferde mit der Elchschaufel, ihr kennt sicherlich den Brand. Später habe ich dann andere Länder besucht. Auf den Shetlandinseln war ich, wo die ganz kleinen Pferde herstammen, die jetzt oft für Kinder gekauft werden. Dort wachsen die Kinder ja geradezu mit Ponys auf. Wenn sie ganz klein sind, die Kinder, setzt man sie in einen Korb und hängt den über den Pferderücken, auf eine Seite den Korb, auf die andere irgendetwas ebenso Schweres. Und dann führt man die Ponys umher, weil man mit dem Kinderwagen nicht gut vorwärts käme; es gibt dort nämlich keine asphaltierten Wege. Jedenfalls war es damals so, als ich dorthin kam. Später reiten die Kinder; sie sitzen mit gespreizten Beinen auf dem Ponyrücken und halten sich an der Mähne fest. Shetlandponys haben ja ganz dicke Mähnen. Die Kinder müssen in der Balance sitzen, denn ihre Beine sind noch zu kurz, als dass sie Knieschluss haben könnten. Dort hättest du aufwachsen mögen, gelt, Dori?“
Dori sah Großmutter ein wenig misstrauisch an. Ahnte sie etwa ...
Aber Großmutter fuhr fort, freundlich und ruhig: „Auch nach Norwegen zog es mich. Ihr wisst ja, wie die Norweger aussehen: hellgelb mit schwarzweißer Mähne, die man so kurz schneidet, dass sie aufrecht steht. Schön sieht das aus, nicht wahr? Und wenn man es geschickt macht, die Mähne in der Mitte etwas länger lässt und im Bogen schneidet, dann sieht es aus, als trüge das Pferd den Hals schön gebogen. Auch bei den Haflingern war ich. Sie stammen aus Südtirol und sind Gebirgspferde, etwas größer als Norweger. Sie haben einen Schuss Araberblut in sich. Herrlich sieht es aus, wenn ihre Mähnen, hell, zu mahagonifarbenem Fell, stäubend über dem Hals stehen! Es gibt auch da größere stämmige und elegante kleinere Tiere. Haflinger fand ich immer hinreißend. Auch in Andalusien bin ich gewesen, Westernpferde habe ich in Amerika gesehen –“
„Auch geritten?“, fragte Dori atemlos.
„Auch das. Zugerittene Westernpferde sind gar nicht so schwer zu reiten, wie man denken sollte, obwohl sie sehr schnell sind. Aber sie stehen auf den Meter ... Und dann Island und seine Pferde! Es sind ja Ponys, aber sie tragen auch Erwachsene. Sogar schwere Männer. Sie sind jetzt oft zu finden hier bei uns, weil sie genügsam sind und auch nicht jeden Tag geritten werden müssen. Sie bewegen sich selbst, sind noch halbe Wildpferde. Ihr habt bestimmt schon welche gesehen, nicht wahr? Nach Island bin ich mit dem Schiff gefahren, jetzt fliegt man, damals hatte man noch mehr Zeit. Oh, das war etwas für mich! Da kann man reiten, Stunden und Stunden ...“
„Wie lange braucht man denn mit dem Schiff?“, fragte Peter. Er hörte also auch zu. Großmutter antwortete:
„Neun Tage. Mit dem Flugzeug heute neun Stunden. Aber zu Schiff ist es wunderschön.“
„Bist du seekrank geworden?“, wollte Dori wissen. Großmutter lachte.
„Und wie! Mehr als einmal. Aber ich konnte es trotzdem nicht lassen. Ich hatte mich in Island verliebt, in das weite, weite Land. Zum Reiten ist es wunderbar. Immer Höhen und Täler, Seen, überall Schafe, keine Menschen. Da kann man reiten und reiten, bis man satt ist ... Ich hatte mir damals gewünscht einmal so lange zu reiten, bis ich selbst sagte: Jetzt reicht’s.“
„Und hast du das gesagt?“
„Eigentlich nie. Weder gesagt noch gedacht. Aber ich ritt im Pulk und die anderen hörten am Abend auf.“
„Wärst du auch in der Nacht, im Dunkeln, weitergeritten?“, fragte Dori. Großmutter lachte.
„Dort wird es gar nicht dunkel im Sommer und ich war im Sommer dort. Es bleibt in der Nacht so hell wie am Tag ... Unglaublich! Man kann nachts fotografieren, ohne Blitz, wie hier am hellen Mittag. Dafür ist es dann im Winter immerfort dunkel, das könnt ihr euch wahrscheinlich auch nicht vorstellen. Manche Leute vertragen es auch nicht und meinen, sie werden verrückt. Wer dort geboren ist, ist natürlich daran gewöhnt ... Aber im Sommer ist es herrlich. Und was man alles zu sehen bekommt! Wasserfälle und Geysire – das sind natürliche Springbrunnen, die hoch in den Himmel schießen. Und heiße Quellen. Da gibt es im Freien Bäder, die so warm sind, dass man darin baden kann, während die Luft so kalt ist, dass die Leute in gefütterten Anoraks oder Pelzjacken herumlaufen. Ja, wir haben Bilder davon gemacht, ich zeig sie euch mal. Und die Pferde gehen vorwärts, dass es eine Freude ist, immer schnell, niemals Schritt. Auch bergab, was man doch hier nie tut, daran muss man sich erst gewöhnen. Manche tölten, habt ihr davon schon gehört? Das ist ein rasend schneller Schritt, der so gut wie überhaupt nicht wirft. Man reitet dort immer fünfzig Minuten, die letzten zehn davon im Galopp. Das ist ein Genuss! Dann dürfen die Pferde zehn Minuten ausruhen.“
Großmutter erzählte noch mehr. Wie sie in Schulen gewohnt hatten – im Sommer sind dort Ferien – und frühmorgens heiß gebadet hatten in Bädern, in denen das Wasser aus der Erde gesammelt wird. Wie sie an die Vulkane herangeritten waren und – immerhin von weitem, denn Pferde mögen Feuer nicht – die Hexenküche der letzten Feuerausbrüche angesehen hatten, glühende Lava, in der es noch knisterte ...
Die Johannisbeeren waren fertig, ohne dass die Kinder es so recht gemerkt hatten. Mutter lobte ihre Hilfe sehr. Großmutter erbot sich das Abendessen zu machen, damit Mutter beim Einkochen bleiben konnte. Auch das lobte Mutter und bedankte sich.
Am anderen Tag lobte sie nicht mehr und da war auch nichts zu loben. Es gab Zeugnisse und sie waren verheerend ausgefallen. Peter war nur probeweise versetzt und Dori gar nicht, sie musste die Klasse wiederholen; es wimmelte nur so von Fünfen bei ihr und eine Sechs hatte sie auch. Tante Ulle schalt, dass die beiden ganz klein und hässlich dastanden.
„Von jetzt an geht keiner mehr weg, ehe die Schularbeiten bis aufs Letzte fertig sind“, bestimmte Tante Ulle, „und wenn ich keine Zeit habe nachzusehen, dann tut es Großmutter.“
Sie war ganz außer sich. Dazu kam, dass ihr Mann, gerade heimgekommen, gleich wieder fort musste auf eine längere Reise. Dori kannte ihn noch nicht und wurde ihm vorgestellt als „neue Tochter“. Gottlob verschwieg Tante Ulle, wie diese Tochter in der Schule war. Großmutter tröstete.
„Ich sehe jetzt nach den Schularbeiten, du kannst dich darauf verlassen, Ulle“, sagte sie und dabei blinzelte sie den Kindern zu. Zunächst waren ja große Ferien, da gab es keine Schularbeiten.
„Aber wenn es regnet, wird gelernt“, sagte Großmutter noch und versuchte streng auszusehen, „damit ihr nach den Ferien einen guten Start habt. Wo steckt ihr eigentlich immer den halben Tag?“
„Wir radeln“, erwiderte Dori mit schlechtem Gewissen und da sie mit den Fahrrädern zur Schmetterlingswiese fuhren, war es nicht einmal richtig gelogen. Doch, es war gelogen und sie schämte sich auch dafür. Aber sie konnte doch nicht verraten ...
Dori hatte Sorgen. Es war ihr gelungen, Donner so weit zahm zu machen, dass er „Fuß gab“, sich also gefallen ließ, wenn man ihm ein Bein anhob. Darauf hatte sie den Schmied des Dorfes gebeten zu kommen und Donner die Hufe auszuschneiden; sie wusste vom Reitverein her, dass man das von Zeit zu Zeit tun muss. Der Schmied kam auch und Donner benahm sich erstaunlicherweise ganz leidlich. Einmal flog Dori, die „aufhielt“, allerdings ein Stück in die Wiese hinaus, als er ausschlug, aber sie verbiss die Tränen – sie hatte sich mächtig an einem Baumstumpf wehgetan, auf dem sie landete – und versuchte dem Schmied zuzulächeln, als er fragte:
„Schlimm?“
„Gar nicht“, stammelte sie und er tröstete:
„Junge Pferde sind halt junge Pferde. Das wird heute nicht das letzte Mal gewesen sein, dass du einen abbekommst.“
Das war ja nun kein schöner Trost. Immerhin ging das Ganze gut vorbei. Dann aber schickte der Schmied eine Rechnung. Und Dori hatte nichts, wirklich gar nichts mehr in ihrem Sparpferd.
„Kannst du mir was pumpen?“, fragte sie Peter. Der sah sie misstrauisch an.
„Viel?“, fragte er.
Sie nannte die Summe. Er zögerte.
„Ich wollte mir doch so ein Auto kaufen –“
„Aber erst müssen wir den Schmied bezahlen, sonst wendet der sich womöglich an deine Mutter!“
„Frag doch Haakon“, riet Peter. Dori klopfte mit dem Zeigefinger an die Stirn.
„Haakon anpumpen! Wo er Donner seine Weide abfressen lässt!“
Freilich, das ging nicht.
„Und Großmutter?“ Peter wollte sein Geld nicht herausrücken.
„Großmutter? Vielleicht ...“
Dori überlegte. Als sie noch daheim war, hatte sie mit ihrer Mutter ein Abkommen getroffen: Außer dem Taschengeld konnte sie sich, wenn sie wollte, noch etwas dazuverdienen: beispielsweise mit Fensterputzen, was Mutter nicht gern tat. Pro Fenster hatte sie zwei Mark bekommen. Warum sollte das hier nicht gehen?
Sie ging zu Großmutter.
„Soll ich dir die Fenster putzen?“, fragte sie, kaum dass sie da war. Großmutter wunderte sich.
„Findest du sie so schmutzig?“ Alles war natürlich zum Einzug blitzsauber gemacht worden.
„Das nicht. Aber zu Hause ... also bei meiner Mutter, da habe ich es auch gemacht.“
„Schön, dann putz!“
Großmutter saß an ihrem kleinen Schreibtisch und schrieb Briefe. Auf den Fensterbrettern standen Blumentöpfe mit Blüten aller Farben und Formen. Dori räumte sie vorsichtig herunter und suchte sich dann, was sie brauchte: ein Wolltuch, ein Spray.
„Sprayen soll man eigentlich nicht, da geht die Luft um die Erde herum kaputt“, meinte sie nachdenklich und besah die Dose und die Gebrauchsanweisung. Großmutter sah auf und lachte.
„Solches Spray kannst du ruhig nehmen. Es wird mit der Hand bedient, siehst du, so –“ sie machte es vor, „und schadet der Stratosphäre nicht. Aber es ist gut, dass du darüber Bescheid weißt. Woher eigentlich?“
„Von Mutter. Sie hatte mal ein Buch mitgebracht, das hieß: ‚Denk an die Enkel!‘ Auch über das Waldsterben stand etwas darin. Ist das wirklich so schlimm, wie sie schreiben?“, fragte sie ängstlich.
„Sehr schlimm“, erwiderte Großmutter. „Man muss etwas dagegen tun um es aufzuhalten, und zwar bald, so schnell wie möglich!“
„Schadet das auch Tieren?“, fragte Dori leise.
„Natürlich. Tieren und Menschen und allem ...“ Dori schwieg. Die Schmetterlingswiese war von Wald eingerahmt. Ob ihr Donner davon krank wurde? Sie rieb und rieb das Fenster, es ging zum Park des Schlosses hinüber. Dort standen die Bäume noch frisch und grün. Sollten sie auch sterben müssen?
„Das hast du aber schön gemacht, ich danke dir“, sagte Großmutter in ihre Gedanken hinein und nahm aus einer Schublade eine Tafel Schokolade, die sie Dori reichte. „Hier!“
Dori zögerte sie zu nehmen. Großmutter merkte es. „Na? Kein Schokoladenfreund?“ Dabei sah sie Dori so freundlich und lieb an, dass diese sogleich versicherte:
„Doch, doch, danke!“ Hinterher ging sie über den Hof, nachdenklich, das Geschenk in der Hand.
„Hach, du hast Schoko!“ Peter kickte einen Fußball vor sich her und kam auf sie zu.
„Ich mag keine, willst du?“, fragte Dori.
„Klar. Gib her!“
„Aber nur gekauft!“
„Bei dir tickt’s wohl. Iss sie selber!“, schrie Peter und rannte schon wieder seinem Ball nach. Dori ärgerte sich.
Na ja, das hätte höchstens eine Mark gebracht. Bei Mutter bekam sie zwei für ein Fenster.
Vielleicht bei Tante Ulle? Die durfte nur nicht fragen, wofür sie sparte. Dori trödelte ins Haus und während sie noch überlegte, kam Tante Ulle ihr entgegen.
„Ach, Tante Ulle, ich –“
„Ja? Weißt du, wo Peter ist?“
„Der spielt Fußball. Du, Tante Ulle, ich möchte mir gern Geld verdienen“, sagte Dori mit einem Anlauf, „jetzt, in den Ferien. Weißt du irgendwas?“
„Ja. Ich wollte gerade Peter anspitzen. Meine Hügelbeete müssen dringend gejätet werden. Willst du? Komm, ich zeige sie dir.“
Sie lief Dori voran dem Garten zu. Dori folgte ihr nicht sehr begeistert. Gartenarbeit? Aber es ging ja um Donner!
Es stellte sich heraus, dass die Arbeit nicht schwer, aber langweilig war. Der Boden war schwarz und locker, das Jäten des Unkrauts machte keine Schwierigkeiten, erforderte nur viel Geduld. Und das bei der Hitze ...
„Aber genau muss es sein! Nicht oben abreißen, sondern richtig rausziehen.“ Tante Ulle machte es vor.
So was war daheim in der Stadtwohnung nicht vorgekommen. Dori hockte sich hin, zupfte, fragte: „Ist das Unkraut? Und das?“
Tante Ulle erklärte es ihr, dann lief sie davon. Tante Ulle lief immer, sie ging nie langsam. Dori seufzte. Sie hatten nicht einmal ausgemacht, wie viel sie bekommen würde ...