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b) Darstellungsebenen und zeitlicher Rahmen

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Versteht man Frankreich nicht als naturgegebene politische Einheit, sondern als Produkt von Herrschaft und Politik, kommt man kaum umhin, jenen Faktoren besonderes Augenmerk zu schenken, die diese Entwicklung vorangetrieben haben. Eine Geschichte Frankreichs in der Frühneuzeit kann zumal die königliche Politik schwerlich aussparen. Nun bedeutet politische Geschichte weder die ausschließliche Konzentration auf die Hauptakteure noch die Beschränkung auf die Oberfläche der Ereignisse. Daher sollen im ersten Teil zunächst Grundlagen der politischen, sozialen und institutionellen Ordnung Frankreichs vorgestellt und dabei auch Faktoren der longue durée einbezogen werden, ehe im zweiten und dritten Teil die Rolle Frankreichs im sich formierenden europäischen Staatensystem und die Hauptphasen der inneren Entwicklung behandelt werden.

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Der Begriff der longue durée wurde von den Historikern der französischen Annales-Schule eingeführt. Er bezeichnet langfristig wirksame strukturelle Gegebenheiten, deren Bedeutung gegenüber den mittelfristig wirksamen Konjunkturen und den punktuellen Ereignissen betont werden soll.

Das „lange“ 17. Jahrhundert

Den zeitlichen Rahmen der Darstellung bildet das „lange“ 17. Jahrhundert. Es beginnt 1598, als mit dem Edikt von Nantes nach fast vier Jahrzehnten des religiösen Bürgerkriegs Frankreich im Innern vorläufig befriedet wurde. Das Edikt von Nantes war zugleich Ausdruck der Konsolidierung der Herrschaft Heinrichs IV., eines Königs, der als ehemaliger Führer der protestantischen Partei erst 1593, vier Jahre nach seinem Regierungsantritt, zum katholischen Glauben übergetreten war. Mit Heinrich IV. gelangten die Bourbonen auf den französischen Königsthron, jene Linie der Kapetinger, die Frankreich bis zum Ende der Monarchie 1792 regierte. Die Konsolidierung der Regierung Heinrichs IV. markiert zudem den Beginn einer zwar mehrfach durch Krisen unterbrochenen, aber doch langfristig wirksamen Stärkung der monarchischen Autorität, die schließlich in den ersten Jahren der persönlichen Regierung Ludwigs XIV. ihren Höhepunkt erreichte. Der Tod dieses Königs im Jahre 1715 stellt einen Einschnitt dar, in dessen Gefolge die politische Ordnung der französischen Monarchie erheblichen Veränderungen unterworfen war – u. a. deshalb, weil sie sich nun bald einer aufgeklärt-kritischen Öffentlichkeit gegenübersah.

„Zeitalter des Absolutismus“?

Für viele geschichtsbewusste Franzosen ist die hier behandelte Zeit bis heute das Grand Siècle, das große Zeitalter, in dem Frankreich zur führenden Macht Europas aufstieg, in dem ein bis heute als „klassisch“ bezeichneter Kunststil entwickelt und zahllose Repräsentationsbauten errichtet wurden, die den Glanz dieses Zeitalters sinnfällig zu machen scheinen. Diese Deutung geht im Übrigen bereits auf das Zeitalter der Aufklärung zurück, auf Voltaires 1751 zuerst in Berlin veröffentlichtes Werk „Das Jahrhundert Ludwigs XIV.“ (Le siècle de Louis XIV), das bis heute als Gesamtdarstellung dieser Zeit unverzichtbar ist – der Titel des vorliegenden Buches versteht sich als Reverenz gegenüber diesem großen Werk. Freilich bleibt zu fragen, auf welchen ökonomischen, sozialen und politischen Voraussetzungen dieser Erfolg beruhte und wie teuer er erkauft war. Ähnlich verhält es sich mit einem weiteren prägenden Kennzeichen der hier behandelten Epoche, ohne das die Vorstellung des Grand siècle kaum denkbar ist: dem zwar an ältere Traditionen anknüpfenden, aber doch neu akzentuierten Anspruch des französischen Königs, als absoluter Monarch nicht nur von der Zustimmung ständischer Repräsentativorgane, sondern auch von den Gesetzen entbunden zu sein. Die historische Forschung hat aus diesem Befund lange gefolgert, die genannte Zeit könne gerade mit Blick auf Frankreich als „Zeitalter des Absolutismus“ gedeutet werden. In jüngerer Zeit haben Historiker gegen diesen Ansatz massive Einwände erhoben. Die folgende Darstellung verzichtet bewusst darauf, die Epoche a priori im Zeichen des Absolutismus zu behandeln; stattdessen soll am Ende die Frage nach der absolutistischen Signatur dieses Zeitalters bilanziert werden.

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Als Absolutismus bezeichnet man in der Geschichtswissenschaft eine Regierungsform, in der ein Herrscher dem Anspruch nach über unumschränkte Gewalt verfügt. Der Begriff im engeren Sinne ist an die monarchische Staatsform gebunden und bezeichnet v. a. eine auf Zentralisierung und Intensivierung der Herrschaft angelegte Ausprägung des frühneuzeitlichen europäischen Fürstenstaates sowie die durch sie geprägte Epoche des 17. und 18. Jahrhunderts. In jüngerer Zeit wurde auf die unklare zeitliche Abgrenzung und die Unschärfe des Begriffs sowie auf die begrenzte Wirksamkeit des Absolutismus jenseits der Zentralsphäre hingewiesen. Kritisiert wird ferner die Unterschätzung der Handlungsautonomie von Untertanen und Eliten wie auch der Abhängigkeit frühmoderner Herrschaft von Konsens und Kooperation. Dennoch besteht weitgehend Einigkeit, dass vom Spätmittelalter bis zum 18. Jahrhundert in Europa in großer Breite Diskurse und Performanzen zu beobachten sind, die auf die Überhöhung des Monarchen abzielten und dessen Ungebundenheit in den Vordergrund rückten; vgl. IV.

Das Jahrhundert Ludwigs XIV.

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