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b) Der Adel
ОглавлениеWie der Klerus schloss auch der Adel eine Vielfalt unterschiedlicher Lebensformen ein. Die Zeitgenossen waren sich nicht immer einig, wer als adlig zu gelten hatte, und so überrascht nicht, dass auch die Zahl der Adligen nicht genau bestimmt werden kann. Marschall Vauban schätzte den französischen Adel 1707 auf etwa 260.000 Personen. Für das 16. und 17. Jahrhundert fehlen belastbare Angaben, doch kann als sicher gelten, dass die Zahl der Adligen zu Beginn des Jahrhunderts höher lag als an dessen Ende. Denn in den Kriegen Ludwigs XIV. kamen relativ viele Adlige zu Tode; zeitgleich wurde zudem mit großer Härte eine Adelsreformation durchgeführt, bei der Adlige, die keinen formellen Adelsnachweis erbringen konnten, ihren Adelsrang verloren. Damit wurde der bis dahin verbreiteten Praxis ein Riegel vorgeschoben, Personen, die seit längerer Zeit einen adligen Lebenswandel führten und womöglich Heiratsverbindungen mit Adligen eingingen, in den Adel aufzunehmen – einer Praxis, die zeigt, dass die Adelsqualität lange Zeit nicht eindeutig definiert war.
Adlige „Ehre“
Nach der überlieferten Dreiständelehre zeichneten den Adel spezifische Tugenden und Verhaltensmuster aus, er war Träger einer spezifischen „Ehre“ (honneur), die noch der aufgeklärte Philosoph Montesquieu als wichtigste Triebfeder (ressort) monarchischer Verfassungen bezeichnete. Im Mittelpunkt des adligen Ehrbegriffs stand die Befähigung zum Dienst für König und Vaterland – im Extremfall unter Einsatz von Leben und Eigentum. Als Dienst in diesem Sinne wurde seit dem Mittelalter der Dienst mit der Waffe verstanden; er bildete den Kern des Selbstverständnisses des alten Schwertadels (noblesse d’épée). Mit diesem Dienst verknüpft war ein weiteres Kennzeichen des Adels: seine Verfügung über Lehen. Für den Schwertadel waren Adelszugehörigkeit und Lehnsinhaberschaft tendenziell deckungsgleich. Die Bedeutung des Lehnsystems als Bindeglied zwischen dem Monarchen und den Eliten des Königreichs weit über das Mittelalter hinaus kann kaum überschätzt werden, obwohl der Besitz eines Lehens während der Frühneuzeit kein exklusives Adelskennzeichen blieb.
Im Rahmen des Lehnsystems standen die Adligen als Vasallen in einem besonderen Treueverhältnis zum König als ihrem obersten Lehnsherrn. Diese Treue äußerte sich in – meist militärischer – Hilfeleistung (lat. auxilium), traditionell in Form der Teilnahme am allgemeinen Lehnsaufgebot, dessen militärische Bedeutung freilich seit dem späteren Mittelalter zurückging. Im 16. und frühen 17. Jahrhundert kommandierten höhere Adlige oft Söldnerheere, die sie auf eigene Kosten anwarben, um sie dem König zur Verfügung zu stellen, nicht selten aber auch, um damit eigene politische Ziele zu verfolgen. Unter Ludwig XIV. gelang es der Krone, die politisch-militärische Eigenständigkeit adliger Heeresführer, die gelegentlich auch vor Rebellionen nicht zurückschreckten, zurückzudrängen und die Armee in stärkerem Maße zu „verstaatlichen“. Die Bereitschaft zum Waffendienst für König und Vaterland äußerte sich nun v. a. in der Bereitschaft zum Kriegsdienst als Berufsoffizier.
Nach traditionellem Verständnis gehörte zu den Pflichten des Lehnsmanns auch die Bereitschaft, dem Lehnsherren mit Rat zur Seite zu stehen (lat. consilium), eine Vorstellung, aus der große Adlige lange die Verpflichtung des Königs ableiteten, sie an der Regierung des Königreichs zu beteiligen – die definitive Beseitigung dieser Mitsprache des Hochadels nach der Fronde gehört zu den wichtigen verfassungspolitischen Weichenstellungen des 17. Jahrhunderts.
Privilegien des Adels
Der besondere Dienst des Adels für König und Vaterland begründete zahlreiche Privilegien. So waren Adlige wie Geistliche von der Einquartierungspflicht ausgenommen. Von großer materieller Bedeutung war zudem die weitgehende Befreiung von der im Norden Frankreichs üblichen taille personnelle, also von der auf Haushaltsvorständen lastenden direkten Steuer. In Südfrankreich, wo die direkte Steuer als Grundsteuer (taille réelle) erhoben wurde, waren nur die von alters her als adlig qualifizierten Liegenschaften befreit. Als 1695 angesichts des Finanzbedarfs der Monarchie eine Kopfsteuer, die capitation, eingeführt wurde, galt sie auch für Adlige.
Adlige hatten zudem ausschließlichen Zugang zu herausgehobenen Hofämtern und den königlichen Militärschulen und wurden bei der Rekrutierung der königlichen Garde bevorzugt. Angehörige von Familien, die einen Adelsnachweis bis mindestens 1400 führen konnten, hatten zudem freien Zugang zum königlichen Hof – ob sie es sich leisten konnten, längere Zeit dort präsent zu sein, steht auf einem anderen Blatt. Bei Ständeversammlungen war der Adel als Stand bevorrechtigt vertreten – ein Sachverhalt, an dem sich bekanntlich 1789 die Kritik des Dritten Standes entzündete. Weiterhin galten für Adlige verkürzte Studienzeiten und erleichterte Prüfungsbedingungen an der Universität.
Von erheblichem Gewicht waren schließlich die Gerichtsprivilegien. Adlige mussten Zivilsachen nicht vor den niederen Gerichtsinstanzen ausfechten, sondern konnten sich sofort an das Gericht des bailliage bzw. der sénéchaussée (I.6.c) wenden, was nicht nur eine gewisse Sicherheit vor unfundierten Urteilen bot, sondern v. a. dann zum Nachteil der Prozessgegner gereichte, wenn diese nicht die Mittel hatten, sich juristisch vertreten zu lassen. In Strafsachen konnten Adlige verlangen, nur von einem der königlichen Obergerichte vorgeladen zu werden. Gerichtsstand für die hochadligen pairs war die um Standesgenossen erweiterte große Kammer des parlement de Paris. Andererseits verfügten viele Adlige über eine eigene seigneuriale Gerichtsbarkeit.
Da Adlige jederzeit zum Dienst für König und Vaterland bereit sein sollten, mussten sie abkömmlich sein. Ihnen war deshalb jede auf Lebensunterhalt gerichtete berufliche und zumal manuelle Tätigkeit untersagt. Zulässig war die Bewirtschaftung des eigenen Gutes und die Vermarktung der dort produzierten Erzeugnisse. Allerdings unterlag diese Tätigkeit klaren Regeln; so galt es als nicht standesgemäß, den Pflug zu führen oder Güter zu pachten. Auch Handel sowie die meisten handwerklichen Arbeiten waren unzulässig. Die Tätigkeit als Arzt fiel nicht unter das adlige Berufsverbot, die des Anwalts war umstritten. Insgesamt bedeutete das Erwerbsverbot eine klare Einschränkung der wirtschaftlichen Entfaltungsmöglichkeiten des Adels.
Selbstverständnis des Adels
Was machte einen Adligen aus? Die Definition des Adels war im Rahmen eines historischen Prozesses erfolgt, an dem v. a. der um soziale Abgrenzung ringende Adel selbst und das um seine Loyalität ringende Königtum beteiligt waren. Nach der Selbstdefinition des Adels spielte zunächst das Alter der jeweiligen Familien eine maßgebliche Rolle. Dies wird deutlich im Umgang mit geadelten Personen bzw. Familien. Nach adligem Verständnis bedeutete die Nichtadligkeit (roture) nicht nur einen inferioren Rechtsstatus, sondern einen Makel, der nicht einfach durch die Nobilitierung getilgt werden konnte. Mit diesem Selbstverständnis verknüpft war die Überzeugung, Adlige verfügten über Eigenschaften, die nicht erlernt, gekauft oder verliehen werden könnten, sondern vererbt und durch standesgemäße Erziehung zur Entfaltung gebracht werden müssten. Blut und Abstammung bildeten zentrale Bestimmungselemente des adligen Selbstverständnisses. Sie sind mit den Rassenideologien des späten 19. und 20. Jahrhunderts nicht gleichzusetzen, u. a., weil race keine Volksrasse, sondern die Abstammung einer kleinen Elite bezeichnete, weisen aber in einigen Punkten auf sie voraus. Die noblesse de race, wie sie sich nannte, verwies stolz auf die Reinheit ihres Blutes, auch wenn im Frankreich der Frühneuzeit die Kriterien für adlige Abstammung lockerer waren als im Reich.
Auch die adlige Ehrvorstellung war eng mit dem Konzept der race verknüpft, wurde als erblich verstanden und haftete nicht nur der Person, sondern auch der Familie an. Der Adlige war verpflichtet, sich seinem ererbten Rang entsprechend zu verhalten und die ererbte Ehre zu verteidigen. So erklärt sich, dass es bei Fragen der Sitzordnung und anderen Präzedenzfällen häufig zum Konflikt kam, dass das Duellwesen trotz ausdrücklicher Verbote bis zur Revolution kaum eingedämmt werden konnte und Adlige nicht selten den Tod einer Verletzung ihrer Ehre vorzogen.
Leitbild des honnête homme
Neben diesem traditionellen standesspezifischen Verhaltensmodell, zu dessen Kern der heroische Gewalthabitus zählte, entwickelte sich seit dem Beginn des 17. Jahrhunderts in der Pariser Aristokratie ein alternatives Handlungsmuster, dessen institutionellen Rahmen die zumeist von Frauen geleiteten Geselligkeitszirkel (salons) bildeten, angefangen mit der chambre bleue der Marquise de Rambouillet (ab 1618). In den Pariser Salons galt der Verhaltenskodex der mondänen Höflichkeit (politesse mondaine), der gewaltsamen Konfliktaustrag ausschloss und alle Teilnehmer zu wechselseitiger Anerkennung als ebenbürtige Angehörige der „guten Gesellschaft“ (bonne compagnie) verpflichtete, wodurch die zwischen ihnen bestehenden Rangunterschiede zeitweilig außer Kraft gesetzt waren. Die Reputation eines homme bzw. einer femme du monde ergab sich nicht aus adliger Herkunft, sondern wurde daran gemessen, wie überzeugend er bzw. sie soziale Tugenden wie esprit (Geist), gaieté (Frohsinn) und amabilité (Liebenswürdigkeit) vorlebte – Tugenden, die in ihrer Gesamtheit das Ideal des honnête homme konstituierten. Die mondäne Soziabilität stellte somit eine neue Option für die aristokratische Selbstinszenierung jenseits des Dienstes „für König und Vaterland“ dar und behielt diese Funktion – trotz des zeitweiligen Niedergangs der Pariser Salons zu Zeiten der kulturellen Hegemonie des ludovizianischen Hofes (III.3.c) – bis zur Französischen Revolution. Andererseits bildete das „über-ständische“ Leitbild des honnête homme eine latente Herausforderung für die kollektive Selbstlegitimation des Adels als Gemeinschaft der Edelgeborenen.
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Das Konzept des honnête homme, das durch die Aneignung des Hofmann-Ideals der italienischen Renaissance in Frankreich eingeführt wurde, löste sich im Verlauf des 17. Jahrhunderts aus seinem höfischen Kontext und wandelte sich zum Idealbild eines Virtuosen der gewaltfreien, egalitären und selbstzweckhaften Geselligkeit. Damit konnte die Figur des honnête homme als Leitbild der Pariser Salonkultur und Gegensatz zur Welt des Versailler Hofes dienen. Zugleich ermöglichte die prinzipielle Universalität dieses Rollenmodells die Integration von Gelehrten und Literaten nicht-adeliger Herkunft. Für die französischen Aufklärer der ersten Generation bildete dieses Rollenmodell die entscheidende Orientierungshilfe bei ihrer Suche nach Autonomie und half ihnen, die Pariser Salons und damit die Meinungsführerschaft innerhalb der französischen Eliten zu erobern.
Aufstieg in den Adel und Nobilitierung
In Frage gestellt wurde das auf Abstammung beruhende Selbstverständnis des französischen Adels auch durch die Tatsache, dass es immer wieder gelang, in diesen Stand aufzusteigen. Dies konnte stillschweigend erfolgen, wenn Familien über Generationen adelsmäßig lebten und von ihrer Umgebung als adlig anerkannt wurden. Oft genügten dafür drei Generationen. Die Grundlage bildete meist der Erwerb eines „adligen“ Landguts und ein entsprechender, von Zeugen bestätigter Lebensstil, so dass womöglich sogar ein ausdrücklicher Adelsbrief (lettre de noblesse) beim König erwirkt werden konnte. Im 15. und frühen 16. Jahrhundert gelang relativ vielen Familien auf diesem Wege der Aufstieg, die Forschung spricht von der noblesse facile, einem leicht zu erwerbenden Adel. Im 17. Jahrhundert indes war dieser Weg kaum mehr gangbar, da das Königtum aus fiskalischen Gründen den Aufstieg kontrollierte und jede Usurpation des Adelstitels unter Strafe stellte. Auf der anderen Seite sorgte auch das Königtum dafür, dass Personen bzw. Familien in den Adel aufstiegen. Adelserhebungen waren Ausdruck des spezifischen Adelsverständnisses der Krone, das gegenüber dem auf Abstammung gründenden Selbstverständnis des Adels die Verdienste um die Monarchie in den Mittelpunkt rückte. Häufig geadelt wurden etwa Finanzmakler, denen eine wichtige Funktion bei der Aufbringung des ständigen Geldbedarfs der Krone zukam.
Ämterkauf und Amtsadel
Neben dem stillschweigenden Aufstieg und der Adelserhebung durch den König bildete die Nobilitierung durch die Übernahme bestimmter Ämter einen weiteren Zugang zum Adel. Auf diesem Wege entstand spätestens im 16. Jahrhundert ein eigener, vom alten Adel lange bekämpfter Adelszweig, der als noblesse de robe (Dienstadel) bezeichnet wurde. Zu den Ämtern, die entweder sofort oder nach Ausübung über drei Generationen hinweg den Adelstitel einbrachten, zählten die großen Ämter in der unmittelbaren Umgebung des Königs (I.6.c). Hinzu kamen die wichtigeren Ämter in der königlichen Justiz und in der Finanz- und Steuerverwaltung, ferner kommunale Ämter in den großen Städten des Königreichs (I.6.d). Diese Ämter waren größtenteils käuflich, denn im 15. Jahrhundert hatte die Krone aus fiskalischen Gründen die Ämterkäuflichkeit eingeführt. Die Zahl der officiers stieg im Laufe der Frühneuzeit ständig an – von ca. 4.000 im Jahre 1515 auf 46.000 um die Mitte des 17. Jahrhunderts – mit weiter steigender Tendenz. Immer neue Ämter wurden geschaffen, um die wachsenden Aufgaben des sich bildenden Staates zu bewältigen, aber auch, um Finanzengpässen begegnen zu können. Trotz heftiger Kritik der Generalstände und mehrerer Versuche der königlichen Politik, den einmal eingeschlagenen Weg zu verlassen, erwies sich diese Entwicklung als unumkehrbar. Heinrich IV. führte 1604 sogar offiziell die Erblichkeit der gekauften Ämter ein, die gegen die jährliche Zahlung einer Gebühr (der sog. paulette) garantiert wurde, sofern der als Erbe vorgesehene Amtsnachfolger die notwendige Qualifikation (etwa ein juristisches Studium) vorweisen konnte.
Für jene Ämter, die Zugang zum Adel verschafften, bedeutete die Einführung der Erblichkeit, dass sich deren Inhaber ähnlich wie die noblesse d’épée als erblicher Stand formieren konnten, dessen Mitglieder in der Regel untereinander heirateten. Wie der Schwertadel beanspruchte auch der Amtsadel, einen besonderen Dienst für König und Vaterland zu leisten, der eine besondere Ehre und eine gesellschaftliche Sonderstellung begründete – mit dem Unterschied, dass dieser Dienst einer akademischen Qualifikation bedurfte. Die Angehörigen der robe vertraten demnach ein Qualifikation und Verdienst in den Mittelpunkt rückendes Adelsideal. Hier liegt eine der Ursachen für zahlreiche, im 16. und zu Beginn des 17. Jahrhunderts ausgetragene Konflikte zwischen Amts- und Schwertadel. Im weiteren Verlauf des Jahrhunderts entspannte sich freilich das Verhältnis; parallel dazu erfolgte eine Feudalisierung des Amtsadels, dessen Mitglieder sich nicht selten erfolgreich um Lehen bemühten.
Binnengliederung und Lebensformen des Adels
Über die genannten Unterschiede des Ursprungs und der Aufgaben hinaus umfasste der Adel eine große Vielfalt unterschiedlicher sozialer und ökonomischer Lebensformen. Zumal der Schwertadel war in sich hierarchisch gegliedert. Vereinfachend kann man drei Hauptgruppen unterscheiden:
Die Spitze der Adelshierarchie bildeten die ducs et pairs, die sich aus den Angehörigen weniger großer Geschlechter und den Prinzen von Geblüt (princes du sang) rekrutierten und traditionell den Anspruch erhoben, vom König bei der Führung der Geschäfte regelmäßig konsultiert zu werden – ein Anspruch, der nach der Fronde kaum noch erfüllt wurde. Prinzen von Geblüt waren alle männlichen Abkömmlinge des Stammvaters des Königsgeschlechts, Hugues Capet, die einer legitimen Ehe entstammten und somit theoretisch befähigt waren, den Thron zu erben. Den ducs et pairs zugerechnet wurden auch die Angehörigen einiger ausländischer fürstlicher Häuser, die als Franzosen anerkannt worden waren – so die Fürsten von Guise, die einer jüngeren Linie des Hauses Lothringen entstammten, ferner die Fürsten von Kleve, die durch Erbgang Fürsten von Nevers geworden waren, sowie die aus Mantua stammenden Gonzaga. Nicht wenige ducs et pairs waren ranghohe Geistliche, so dass dieser Kreis, der um 1600 etwa 20 Personen umfasste, etwa zur Hälfte aus Kardinälen, Bischöfen oder Äbten bestand. Dessen weltliche Angehörige hatten nicht nur einen Großteil der höchsten Ämter bei Hofe und im Militär inne, aus ihrer Mitte rekrutierte sich auch ein Teil der gouverneurs (I.6.d). Dank ihrer bedeutenden Einkünfte, die sie aus ihren Lehen, aus ihren Ämtern, aber auch aus königlichen Pensionen bezogen, vermochten sie große Klientelnetzwerke zu unterhalten, die ihnen erheblichen Einfluss verschafften. Während aus dem Kreis der ducs et pairs bis zur Fronde immer wieder Führer adliger Revolten gegen die Krone hervorgingen, stellten sie unter Ludwig XIV. keine akute Gefährdung der königlichen Macht mehr dar.
Unterhalb der ducs et pairs gab es eine breite, regional unterschiedlich zahlreiche, auch ökonomisch nicht homogene seconde noblesse, deren wichtigstes gemeinsames Kennzeichen darin lag, dass ihr Einfluss regional begrenzt war. Soweit Provinzialstände bestanden, waren diese Adligen hier vertreten; auch einzelne Obergerichte wie etwa jenes der Bretagne wurden von Angehörigen dieser Gruppe dominiert, der eine wichtige Rolle als Vermittler zwischen der königlichen Gewalt und örtlichen Eliten zukam. Die königliche Politik konnte auf die Kooperation des Provinzadels bei der Steuerbewilligung und -aufbringung nicht verzichten. Auf gesamtstaatlicher Ebene indes stellte die seconde noblesse – anders als die ducs et pairs – von vornherein keinen Gegenpart der Krone dar.
Die meisten Adligen gehörten freilich keiner der beiden Gruppen an, sondern waren einfache Landadlige. Diese hobereaux lebten meist allein vom Ertrag der von ihnen selbst bewirtschafteten Güter, wenn es ihnen nicht gelang, mittlere Offiziersränge im königlichen Heer zu bekleiden. Ihre ökonomische Lage war bereits zu Beginn des 17. Jahrhunderts oft prekär und verschlechterte sich weiter; gegen Ende lebten nicht wenige hobereaux mit ihrer Familie von einem jährlichen Einkommen, das dem eines Dorfpfarrers vergleichbar war. Damit war ein adelsgemäßes Leben kaum möglich, so dass nicht wenige ihren Adelsrang verloren – ein weiterer Grund für den Rückgang der Zahl der Adligen. Angesichts des Missverhältnisses zwischen Adelsprätention und materiellen Möglichkeiten, aber auch wegen ihrer Provinzialität wurden diese Adligen zum Gespött des Hofadels, der die unmittelbare Umgebung des Königs und seiner Familie bildete.
Hofadel
Dieser Hofadel, der parallel zur örtlichen Fixierung des Königshofs (I.6.b) als Empfänger und Vermittler königlicher Gunsterweise zu Einfluss gelangte, passt insofern nicht in die skizzierte Adelshierarchie, als ihm Personen unterschiedlicher Herkunft angehörten: Ducs et pairs standen Personen gegenüber, die dem Provinzadel oder (selten) dem lokalen Adel entstammten, aber auch Angehörige der noblesse de robe, die ihren Rang einem Amt in der Zentralverwaltung verdankten. Selbst wenn sie dem Schwertadel entstammten, beruhte die herausgehobene soziale Stellung der Hofadligen nicht auf ihrer Abstammung, sondern auf ihrer Nähe zum König, weshalb sie nicht selten ihrerseits von Angehörigen des Schwertadels, die bei Hofe keine herausragende Stellung hatten erlangen können, mit Verachtung gestraft wurden. Das berühmteste Beispiel dafür ist der Herzog von Saint-Simon, der unter Ludwig XIV. in Ungnade gefallen war. Seine Memoiren, die das Leben in Versailles mit großer Gehässigkeit analysieren und kommentieren, werden bis heute von Historikern, die sich mit dem königlichen Hof befassen, als zentrale Quelle genutzt.
Fasst man zusammen, ist hervorzuheben, dass der Adel Personen mit unterschiedlichem juristischem Status und erst recht mit unterschiedlichen materiellen Möglichkeiten umfasste und keineswegs unberührt blieb von gewissen Formen sozialer Mobilität. Auffällig für das 17. Jahrhundert ist ferner, dass dem Königtum bei der Kontrolle und Zuweisung des Adelsrangs wie auch bei der Rangabstufung innerhalb des Adels eine deutlich größere Bedeutung zukam als zuvor. Damit einher ging ein Bedeutungszuwachs des königlichen Hofes, der in einem vorher nicht gekannten Maße als Zugangstor zu finanziellen und politischen Ressourcen fungierte. Dies wiederum veranlasste nicht wenige wohlhabende Adlige, Wohnsitze in Paris oder Versailles zu nehmen, um gegebenenfalls über die Angehörigen des Hofes Zugang zum König zu erlangen. So entstand neben der traditionellen Adelshierarchie eine weitere, unsichtbare Hierarchie zwischen jenen Adligen, die nah am politischen Geschehen waren und Zutritt zum Hof hatten, und jenen, von denen es am Hofe Ludwigs XIV. hieß, man sehe sie nie (ceux qu’on ne voit jamais).