Читать книгу Das Jahrhundert Ludwigs XIV. - Lothar Schilling - Страница 13

a) Der Klerus

Оглавление

Fast alle zeitgenössischen Darstellungen der französischen Gesellschaft des 17. Jahrhunderts folgten einem Gliederungsschema, das drei Stände vorsah. An erster Stelle wurde dabei meist der Klerus genannt, dem etwa 150.000 Menschen, 0,75% der Gesamtbevölkerung, angehörten. Der Klerus unterschied sich von den beiden anderen Ständen nicht zuletzt dadurch, dass man in ihn nicht hineingeboren wurde, da seine Mitglieder nach Kirchenrecht ehelos leben sollten. Kleriker wurde man idealerweise aufgrund innerer Berufung, zumindest aufgrund einer Entscheidung, die im 17. Jahrhundert freilich oft nicht vom künftigen Geistlichen, sondern von seiner Familie getroffen wurde.

Kleriker konnte im Prinzip jeder werden, vorausgesetzt, er konnte lesen und schreiben – was in der Praxis angesichts der begrenzten Alphabetisierung der Bevölkerung (I.5.b) den Kreis jener, die zum Klerus Zugang hatten, einschränkte. Kleriker entstammten mehrheitlich den wohlhabenderen Teilen des Dritten Standes oder dem Adel, doch gab es nicht wenige, die sich aus unterbürgerlichen oder bäuerlichen Milieus rekrutierten. Im Laufe des 17. Jahrhunderts wurde im Zuge der katholischen Reform die Ausbildung der Geistlichen erheblich verbessert (I.5.a). Um 1700 hatten fast alle Pfarrer in Frankreich ein Priesterseminar besucht und ein Examen abgelegt.

In den zeitgenössischen Darstellungen erschien der Klerus stets als der Stand mit dem höchsten Prestige. Den Geistlichen wurde nach den Vorstellungen der Zeit durch die vier niederen und die drei höheren Weihen ein spezifisches Charisma übertragen, der Zölibat galt als besondere Gnadengabe. Auch äußerlich hoben sich die Angehörigen des Klerus durch ihre Tonsur und ihre Gewänder von Laien ab. Ihre aus der Weihe und ihrer Lebensführung erwachsende Würde galt als Begründung für ihre Überordnung über die beiden anderen Stände.

Vorrechte des Klerus

Der Klerus verfügte über zahlreiche Standesrechte. So konnten Geistliche, von wenigen schweren, der königlichen Justiz vorbehaltenen strafrechtlichen Fällen (cas privilégiés) abgesehen, nur von Geistlichen verurteilt werden. Sie wurden nicht zur Miliz herangezogen und waren von kommunalen Abgaben und den meisten Steuern befreit. Andererseits gewährte der Klerus dem König regelmäßig freiwillige Abgaben (dons gratuits). Im Gegenzug verfügte er von 1625 an als einziger Stand über regelmäßig alle fünf Jahre zusammentretende, alle Geistlichen repräsentierende Versammlungen (assemblées du clergé), die dem König ihre Anliegen vortrugen und mit ihm über die Höhe des don gratuit verhandelten. Aufgebracht wurde diese Abgabe über die kircheneigene Verwaltung. Zudem verfügte der Klerus als einziger Stand mit der agence générale du clergé über eine Art Generalsekretariat, das auch als Interessenvertretung fungierte.

Auch was seine Einnahmen angeht, war der Klerus weitgehend unabhängig vom Königtum. Eine der beiden wichtigsten Einnahmequellen bildete die dîme (von lat. decima – ein Zehntel), eine eigentlich der Finanzierung des Kultus dienende, fast immer in Naturalien entrichtete Abgabe, die im Prinzip auf alle Einkünfte, faktisch nur auf landwirtschaftliche Erträge zu zahlen war. Der Kirchenzehnt, zu dessen Begründung sich die Kirchenrechtler auf das Alte Testament (Genesis 14,20) beriefen, ist bereits unter den Karolingern nachweisbar. Ob nur ertragreiche Anbauformen wie Getreide und Wein oder auch weniger ertragreiche wie der Gemüseanbau herangezogen wurden, variierte ebenso von Gegend zu Gegend wie die exakte Höhe der Abgabe. Die Bauern mussten die dîme meist unmittelbar nach der Ernte abliefern, wobei es zumal in Südfrankreich nicht selten zu Verweigerungen und Revolten kam.

Die zweite Haupteinnahmequelle des Klerus bildeten die Erträge jener Güter, die mit den jeweiligen kirchlichen Ämtern verknüpft waren (Benefizien). Die Kirche verfügte über große Ländereien, die zwischen 3,5% (Auvergne) und 20% (Picardie), im Landesdurchschnitt etwa 10% des Grundbesitzes ausmachten; zu jeder Kathedrale, jedem Kloster und jeder Pfarrstelle gehörten Besitztümer, deren Einnahmen den jeweiligen Amtsinhabern einen angemessenen Lebensunterhalt sichern sollten.

Soziale Heterogenität

Ungeachtet der Privilegien, die im Prinzip allen Geistlichen zustanden, war der französische Klerus des 17. Jahrhunderts sozial heterogen. Er war hierarchisch gegliedert, und damit gingen massive ökonomische Unterschiede einher. Eine klare Grenze verlief zwischen dem hohen Klerus, dem neben den Erzbischöfen, Bischöfen und den Kanonikern an Stiften und Domkirchen auch die Äbte und Äbtissinnen der großen Klöster angehörten, und dem niederen Klerus, den Pfarrern und Pfarrvikaren. Erstere verfügten in der Regel über sehr hohe Einnahmen, die nicht selten 100.000 livres im Jahr überstiegen. Der für die seelsorgerische Betreuung der Gläubigen zuständige Pfarrklerus hingegen war nicht selten arm, da die Einnahmen oft nicht jenen zukamen, die tatsächlich die geistlichen Ämter ausübten. Häufig sicherte sich der Bischof große Teile der in einer Gemeinde erhobenen dîme. Auch der Ertrag der kirchlichen Benefizien wurde umverteilt. Ebenso war es üblich, dass Personen Benefizien innehatten, die das betreffende Amt nicht ausübten, sondern dafür einen Vertreter bestellten, dem sie nur einen kleinen Teil der Einnahmen bezahlten. Um eine Mindestversorgung des Pfarrklerus sicherzustellen, wurde 1571 durch ein königliches Gesetz ein Mindestbetrag, die sogenannte portion congrue, festgelegt, die einem Pfarrstelleninhaber bezahlt werden musste; sie wurde 1629 angesichts der Geldentwertung von 120 auf 300 livres erhöht.

E

Die livre (das Pfund, von lat. libra – die Waage) war eine Rechenmünze auf Silberbasis; sie wurde in der Regel nicht geprägt. 1 livre entsprach 20 sous bzw. 240 deniers. Im Hochmittelalter verbreitete sich die livre parisis in Nordfrankreich, die ursprünglich den Wert eines Pfundes (409 g) Reinsilber repräsentierte. Im 15. Jahrhundert setzte sich die um ein Viertel leichtere livre tournois in allen Landesteilen durch. Zwar sank ihr Wert in den folgenden Jahrhunderten, doch blieb sie bis Ende des 18. Jhs. die wichtigste Rechengröße.

Herkunft der Kleriker

Nimmt man die Herkunft der Geistlichen in den Blick, verstärkt sich das Bild einer Zweiteilung des Klerus. Die Bischöfe waren wie auch die Äbte und Äbtissinnen der großen Klöster fast ausschließlich Adlige. Nur zu Beginn des 17. Jahrhunderts kann man (wegen der verschärften Anforderungen an die Qualifikation der Kandidaten) eine größere Zahl nichtadliger Ernennungen beobachten – meist aus Familien, die als officiers Zugang zu Bildung und Wohlstand hatten. Doch aufs Ganze gesehen dominierten zu ca. 90% Adlige. Für viele adlige Familien bildete die Besetzung hoher Kirchenämter ein wichtiges Element ihrer Familienpolitik, das ein standesgemäßes Leben ermöglichte und politischen Einfluss sicherte. Die Angehörigen der Dom- und Stiftskapitel entstammten meist wohlhabenden bürgerlichen Familien oder waren Kinder königlicher Amtsträger. Sie übernahmen oft kirchenpolitische oder administrative Aufgaben, wenn sie ihre Stelle nicht als Sinekure nutzten, als Amt also, das ihnen Einkünfte einbrachte, ohne dass sie dafür kirchliche Aufgaben wahrnahmen.

Im Pfarrklerus hingegen gab es im 17. Jahrhundert in Frankreich wegen der schlechten Dotierung der Stellen praktisch keine Adligen und nur wenige Angehörige der noblesse de robe; häufiger waren (zumal in den Städten) Söhne von Kaufleuten und örtlichen Magistraten. Auch die Landpfarrer stammten z. T. aus den Städten. Im Beauvaisis nördlich von Paris stellten sie 40% der curés, etwa 23% entstammten der ländlichen Oberschicht und immerhin 37% waren Söhne einfacher Bauern. Auch wenn sich diese Zahlen nicht verallgemeinern lassen, wird hier deutlich, dass die Kirche in der ständischen Gesellschaft Möglichkeiten sozialen Aufstiegs eröffnete.

Das Jahrhundert Ludwigs XIV.

Подняться наверх