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Kapitel 8: Rasputin

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Wie heute morgen war er ganz in schwarz gekleidet. Die Stiefel hatte er gegen schwarze Chucks getauscht und der Mantel fehlte. Offenbar war es zu heiß für ein vollständiges Punker-Outfit. Er trug immer noch die Jeans, die er bereits am Mittag getragen hatte, als er noch mit einem Presslufthammer beschäftigt war. Allerdings hatte er sich nun ein altes T-Shirt übergestreift, das auf schwarzem Grund rote Schriftzeichen in Runenform trug. Offenbar hatte das T-Shirt auch aktiv daran Teil gehabt, Wände einzureißen, denn es war über und über mit Staub bedeckt.

Der kleine Hund kam mit Mühe vor seinen Füßen zum Stehen. Lässig beugte er sich hinab und tätschelte Wolf kurz den Kopf, dann kam er hinüber zu Wotan und mir, kraulte ihn hinter den Ohren und wandte sich dann mir zu.

„Hallo, das hätte mich mir denken können, dass Wolf im ersten unbeobachteten Moment zu euch rüber läuft. Er ist der neugierigste Hund der Welt.“

Ich stand wie angewurzelt und starrte ihn an, während er das Fellmonster hinter den Ohren kraulte, als wäre es die normalste Sache der Welt. Wolf sprang fröhlich um die beiden herum.

„Hallo“, stammelte ich.

„Du streichelst meinen Hund.“

Irritiert sah er erst mich an, dann meinen Hund, dann wieder mich.

„Wotan lässt sich eigentlich nicht von Fremden anfassen. Und eigentlich wollen Fremde ihn auch gar nicht anfassen.“

„Ach so“, antwortete er und klopfte Wotan beiläufig auf die Rippen.

„Ich mag Hunde. Die merken das.“

Ich fragte mich, ob ich vielleicht noch immer unter der Wirkung von Tante Rosies Drink stand, und das Ganze hier vielleicht nur träumte: Das Fellmonster hatte Angst vor einem Hund, der von der Größe her noch nicht einmal eine halbe Mahlzeit für ihn war, dann ließ er sich von einem fremden Punker streicheln, der mir zu allem Überfluss auch noch das Leben gerettet hatte. Und ich stand blöd rum und machte komische Bemerkungen. Bestimmt war dies alles nur ein Traum, aus dem ich gleich erwachen würde.

Aber es kam schlimmer.

„Ach, Mia, bist du endlich aufgewacht“, rief meine Tante von der Terrassentür herüber. „Meine Güte, das hat aber lange gedauert, bis du deinen Rausch ausgeschlafen hattest.“

Das konnte doch alles nicht wahr sein. Was sollte er von mir denken? Dass ich nicht vernünftig schlucken konnte und mich am helllichten Tag zu Hause betrank? Zum Glück hatte er mich wenigstens nicht dabei erwischt, wie ich ihn heimlich beobachtete hatte; sonst wäre das Gesamtbild noch um die Eigenschaft neugierig erweitert worden.

Er grinste mich an und kraulte Wotan weiter hinter den Ohren.

„Also, du bist Mia.“ Er hielt mir seine Hand entgegen. „Ich bin Rasputin.“

Er räusperte sich und machte eine kurze Pause bevor er weiterredete.

„Ich wollte nur schnell den Hund holen.“

„Du hast mir heute das Leben gerettet“, stammelte ich, ohne seine Hand zu ergreifen. Das klang ja auch nicht viel geistreicher als meine erste Bemerkung.

„So dramatisch würde ich das nicht sehen“, erwiderte er mit einem Lächeln und zog seine Hand wieder zurück.

„Und dann warst du plötzlich weg“, ergänzte ich tonlos. Warum war ich nur plötzlich so befangen?

„Ich musste mich beeilen“, antwortete er, als wäre es das Normalste der Welt, jemanden vor dem sicheren Erstickungstod zu retten und dann zur Tagesordnung überzugehen. Sicher gab es viele Dinge, die für Mister Cool wichtiger waren, als mein kleines Leben.

„Trotzdem danke. Das war sehr nett von dir.“ Wie blöde klang das denn?

„Wir haben Besuch – das habe ich ja gar nicht gesehen.“ Tante Rosie war mit großen Schritten den Gartenweg entlanggekommen und stand nun neben uns.

„Oh, Sie sind doch der beherzte junge Mann von heute Morgen.“ Sie lächelte ihn an und stutzte dann plötzlich. „Hoffentlich denken Sie jetzt nicht, meine Nichte wäre dem Alkohol verfallen. Mia rührt das Zeug normalerweise nicht an. Das ist alles meine Schuld. Ich hätte besser aufpassen müssen.“

Er sah mich an und hob fragend eine Augenbraue.

„Ich glaube, Rasputin möchte gar nicht die ganze Geschichte hören, Tante Rosie.“

„Rasputin, was für ein schöner und seltener Name. Ich bin Rosemarie Young. Sehr nett Sie kennen zu lernen. Ich stehe tief in Ihrer Schuld!“ Sie ergriff seine rechte Hand und schüttelte sie lange und heftig.

Tante Rosies Umgangsformen retteten die verfahrene Situation und ich gewann Stück für Stück meine Fassung zurück, während sie sich wieder und wieder überschwänglich für meine Rettung bedankte.

„Wie kommt es, dass wir Sie nun so unerwartet bei uns begrüßen können? Wollten Sie sehen, wie es Mia geht?“

„Äh, nein. Ehrlich gesagt, wollte ich nur unseren Hund wieder nach Hause holen. Wir sind nebenan eingezogen und Wolf hat die erste Gelegenheit genutzt, um die Gegend zu erkunden. Auf der Suche nach ihm bin ich in Ihren Garten geraten.“

Erst jetzt bemerkte Tante Rosie den winzigen braunen Hund, der neben Wotan stand.

„Wie kommt es, dass dieser Winzling nicht von Wotan gefressen wurde? Und wieso sind Sie eigentlich noch am Leben. Mir wurde dieser Hund als eine Art Tötungsmaschine vorgestellt.“

„Also, ich komme mit Hunden ganz gut klar.“ Das schien mir allerdings auch so. Mister Cool hatte offenbar wirklich ein Händchen für unsere vierbeinigen Freunde.

„Na, wie auch immer, auf jeden Fall haben wir nun die Gelegenheit, uns bei Ihnen angemessen zu bedanken.“

Als ob sie das nicht schon hinlänglich in der letzten Minute getan hätte!

Tante Rosies ausschweifende Dankbarkeit schien ihn tatsächlich in Verlegenheit zu bringen und er kraulte, wie es mir schien, Hilfe suchend noch immer Wotans Ohren.

„Schon okay, das war doch keine große Sache.“

„Keine große Sache, nun schmälern Sie Ihre Tat mal nicht! Wenn Sie nicht gewesen wären, müsste ich womöglich meine Nichte am anderen Ende der Welt aufstöbern und ihr vom Ableben ihrer mir anvertrauten Tochter berichten. Und das nachdem ich noch nicht einmal zwei Tage meiner Sorgfaltspflicht nachgekommen bin.“

Nun sah er vollends verwirrt aus.

„Meine Eltern sind für ein Jahr an den Südpol gereist. Meine Tante soll auf mich aufpassen“, versuchte ich zu erklären.

„Was mir nur bedingt gelingt, wenn man bedenkt, dass Mia heute morgen beinahe erstickt wäre und sich dann heute Mittag so betrunken hat, dass sie den Rest des Tages verschlafen hat“, warf Tante Rosie ein. „Ich hoffe nur, dass es nicht so weiter geht.“

Rasputin sah uns beide an, als würde er den Hund, dessen Kopf er noch immer tätschelte, für den vernünftigsten in dieser Runde halten. Wotan hatte sich inzwischen neben ihm niedergesetzt und schien sich ausgesprochen wohl zu fühlen in seiner Gegenwart.

„Geht es dir gut?”, fragte er.

„Mir geht es gut, vielen Dank“, erwiderte ich so würdevoll wie möglich, um zu retten, was an dieser verfahrenen Situation noch zu retten war.

„Junger Mann, wollen Sie nicht vielleicht mit uns zu Abend essen? Sie würden uns die Gelegenheit geben, uns ihnen als ganz normale Nachbarn zu präsentieren.“

Das konnte doch nicht Tante Rosies Ernst sein, ihm nun auch noch unser völlig verwüstetes Haus zu präsentieren. Zumindest war nicht damit zu rechnen, dass sie ihren Umzugswagen voll Utensilien bereits verstaut und so unser Haus wieder begehbar gemacht hatte. Womöglich kam er in diesem Chaos noch zu Fall und verletzte sich. Das würde dann der krönende Abschluss dieses Tages sein.

„Tante Rosie, ich glaube, wir sollten Rasputin nicht mit unserem Chaos behelligen“, entfuhr es mir, ehe ich den Gedanken noch zu Ende gedacht hatte. Wie um alles in der Welt hörte sich das denn nun schon wieder an?

„Ach Kindchen, das ist doch nicht so dramatisch. Wir werden schon noch ein Plätzchen für unseren Gast finden“, antwortete meine Tante gelassen. Aus ihrer Antwort schloss ich, dass sie das Chaos des Vormittages noch nicht beseitigt hatte.

Rasputin sah mich fragend an.

„Meine Tante ist erst gestern eingezogen und hatte noch keine Zeit, ihr Mobiliar einzuräumen. Es ist noch etwas unordentlich bei uns“, versuchte ich zu erklären und setzte hinzu: „Normalerweise ist bei uns natürlich alles tipp-topp.“

War heute eigentlich der Abend der dämlichen Bemerkungen? Was hatte dieser Typ an sich, dass ich kein vernünftiges Wort mit ihm wechseln konnte?

„Nein, lassen Sie mal“, sagte er zu Tante Rosie. „Wenn es bei Ihnen genauso chaotisch ist, wie bei uns, dann will ich auf keinen Fall stören. Das ist doch sehr lästig, wenn Sie dann noch Besuch zum Essen haben.“

Bestätigend nickte ich in Tante Rosies Richtung, doch diese ließ sich nicht beirren.

„Nein, nein, Sie sind unser Gast“, sagte sie bestimmt. „Ich habe schon etwas zu essen für Mia und mich vorbereitet. Wo zwei satt werden, reicht es auch für drei.“

Energisch winkte sie ihm, ihr zu folgen und ging schnellen Schrittes Richtung Terrassentür.

Rasputin sah mich an. „Ist es gestattet?“

„Klar“, sagte ich möglichst gönnerhaft.

„Du hast bestimmt Hunger, nachdem du heute schon eine ganze Wand eingerissen hast.“

Er sah mich überrascht an und ich hätte mir am liebsten auf die Zunge gebissen. Nun hatte ich mich auch noch verplappert. Als ob er jedes Wort verstanden hätte, drehte sich Wolf, der wie selbstverständlich voran lief, zu mir um und ließ ein kurzes Kläffen hören. Ich nutzte diese kurze Ablenkung und ergänzte: „Na das sieht man doch. Du hast noch überall Mörtelstaub hängen.“

„Meine Güte, du bist aber eine scharfe Beobachterin“, sagte er und klopfte seine Kleidung ab. Hustend trat er aus einer Staubwolke und folgte Wolf, der fröhlich durch die Terrassentür sprang. Wotan blieb winselnd davor stehen und blickte mich vorwurfsvoll an.

„Was ist los mit dir? " fragte ich ihn ungeduldig. Sein ängstliches Getue ging mir langsam auf die Nerven. „Komm jetzt mit rein!”, befahl ich energisch.

Doch das Fellmonster verschwand mit eingekniffenem Schwanz unter dem Terrassentisch.

Auch gut.

Ich ließ den Feigling zurück und betrat das Wohnzimmer.

War am Morgen die Unordnung im Haus schon bemerkenswert gewesen, so war sie nun kolossal. Die ehemals verschlossenen Umzugskartons, die sich im Flur gestapelt hatten, waren nun weitgehend geöffnet, aber noch nicht ausgeräumt, so dass wir ungehinderte Sicht auf Tante Rosies Besitztümer hatten.

Ich sah Rasputin, wie er sich geschickt durch diesen Irrgarten schlängelte und Tante Rosie in Richtung Küche folgte. Ausgerechnet vor einem geöffneten Karton mit weißen, schwarzen und roséfarbenen Dessous holte ich ihn ein und glaubte ein kurzes Grinsen auf seinem Gesicht auszumachen, ansonsten ließ er sich höflicherweise keine Regung anmerken.

Wolf saß schon Schwanz wedelnd vor dem Esstisch, als wir die Küche betraten.

Der riesige grüne Schirm von Tante Rosies Stehlampe beherrschte wie am Morgen die Szene. Allerdings war sie nun eingeschaltet und beleuchtete die Stereoanlage, die immer noch auf dem Esstisch ihrer Bestimmung harrte. Lediglich der Computer war auf den Fußboden umgezogen und blockierte nun den Zugang zur Mikrowelle.

„Ach Kindchen, irgendwie bin ich heute nicht dazu gekommen, meine Sachen einzuräumen. Rasputin, ich hoffe, sie sind nicht zu anspruchsvoll. Wenn Sie so freundlich wären, die Musikanlage etwas zur Seite zu rücken, dann haben wir alle ausreichend Platz.“

Rasputin grinste mich an und hob erstaunlich mühelos Tante Rosies Stereoanlage vom Tisch. Er sah sich kurz im Raum um und entschied dann, diese neben den Computer auf den Boden zu stellen.

Tante Rosie hatte derweil drei Teller aus dem Hängeschrank über der Spüle genommen und diese nebst Besteck auf dem Tisch platziert. Überraschender weise köchelte tatsächlich Essen auf dem Herd und ein appetitlicher Duft strömte herüber.

„Ich hoffe, ihr mögt Coq-au-vin. Das ist eine meiner Spezialitäten“, erklärte meine Tante, während sie eine große Kasserolle vom Herd hob und zum Tisch trug.

„Oder sind Sie Vegetarier?”, fragte sie in Richtung Rasputin gewandt.

„Nein, nein“, versicherte dieser hastig. „Hühnchen in Rotwein ist eines meiner Lieblingsgerichte.“

„Na, dann Kinder, langt mal tüchtig zu.“ Tante Rosie sah Rasputin an.

„Junger Mann, Sie sind doch bestimmt noch keine zwanzig. Darf ich Sie fragen, ob Sie noch zur Schule gehen?“

Rasputin schaute von seinem Teller hoch, den er gerade mit einer ansehnlichen Portion beladen hatte. „Ich bin 19.“

Ich war Tante Rosie recht dankbar für diese Information, denn ich hatte mich bereits selber gefragt, wie alt der Typ eigentlich war. Mit seiner kraftvollen Statur und seinem üppigen Haar war er schwer zu schätzen. Neunzehn, nun ja, dann ging er ja vielleicht auch noch zur Schule.

„Ein Jahr muss ich noch“, antwortete er mit vollem Mund. „In der nächsten Woche steige ich im Gymnasium ins laufende Schuljahr ein.“

Ich musste husten. Damit hatte ich nicht gerechnet, ihn nun womöglich täglich auf dem Schulhof zu sehen. Erschrocken sahen er und meine Tante zu mir herüber. „Alles in Ordnung“, hustete ich. „Ich habe mich nur ein bisschen verschluckt.“

„Passiert dir das öfter? Dann solltest du vielleicht mal zum Arzt gehen!”, stellte Rasputin sachlich fest.

„Nein, nein“, hüstelte ich rasch. „Eigentlich verschlucke ich mich sonst nie.“

Rasputin sah mich zweifelnd an und öffnete zu einer Entgegnung den Mund, griff dann aber in seine Hosentasche und zog ein vibrierendes Handy hervor.

„Hey“, er hielt es an sein Ohr und lauschte. „Ja, ich bin gleich da“, war sein einziger Kommentar, bevor er das Gespräch beendete.

„Ich muss leider los“, sagte er zu Tante Rosie. „Danke für das Essen.“

Tante Rosie sah ihn enttäuscht an. „Wie schade, ich hätte gerne noch etwas mit Ihnen geplaudert und gegessen haben Sie auch fast nichts. Sie müssen mir versprechen, dass wir das noch mal wiederholen.“

Rasputin war schon aufgestanden und hatte Wolf mit einem kurzen Wink zu sich heran befohlen.

„Mach's gut, Mia. Immer schön kauen!“

Bevor ich noch etwas erwidern konnte, war Mister Cool aus der Tür.

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