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Kapitel 3: Flügelschlag
ОглавлениеWir kehrten am frühen Nachmittag von unserem Ausflug zurück und der Rest des Tages verging ohne weitere Aufregung. Ich verbrachte das meiste davon in einem Liegestuhl in der Sonne.
Als es dunkel wurde, zog ich mich mit einem Glas Milch und einem Teller voller Brote auf mein Zimmer zurück. Ich öffnete die Balkontür und eine Brise lauwarmer Abendluft strömte mir entgegen.
War mein Zimmer ansonsten eher schlicht ausgestattet, so war der große Balkon, der sich über die gesamte Vorderfront des Hauses erstreckte, doch ein Luxus, den ich – jetzt, da der Frühling begonnen hatte – immer mehr zu schätzen lernte. Ich trat hinaus, rückte einen Stuhl zurecht und ließ mich mit meinem Abendbrot auf den Knien darauf nieder.
Mein Zimmer befand sich auf der linken Seite des Hauses, so dass ich über den Garten hinweg den verlassenen Eulenhof sehen konnte. In der Dämmerung wirkte er noch größer als am Tage. Bestimmt war er mal ein imposantes Anwesen gewesen. Das zweistöckige Haupthaus wurde von großen Stallungen flankiert. In der Mitte des Hofes lag ein Brunnen, der von einer alten Linde beschattet wurde. Ich versuchte mir vorzustellen, wie Menschen und Tiere die Häuser und Stallungen bevölkert hatten, die nun dunkel und leblos dalagen. Vielleicht waren in früheren Zeiten elegant gekleidete Damen auf rassigen Pferden im Morgengrauen mit ihren Begleitern zur Jagd aufgebrochen und abends mit reicher Beute zurückgekehrt. Ich stellte mir vor, wie Lachen und Musik durch den Hof klang, wenn die Jagd ihren Ausklang fand und hörte das Schnauben der Pferde, die von gut aussehenden Stallburschen abgesattelt wurden.
Hörte?
Da war wohl meine Fantasie mit mir durchgegangen. Außer dem Zwitschern einiger eifriger Amseln war nichts zu hören. Ich lauschte noch einmal angestrengt in das immer dunkler werdende Zwielicht aber ein Pferdeschnauben war nicht auszumachen.
„Vielleicht hätte ich mich doch mit Kathi verabreden sollen, statt hier alleine rum zu sitzen“, murmelte ich. Nun fing ich auch noch an, mit mir selber zu reden, nicht genug, dass ich nicht vorhandene Pferde schnauben hörte.
Ich stellte meine Brote und meine Milch beiseite und griff nach meinem Handy.
„Hier ist der Anschluss von Katharina Hempel. Leider bin ich zurzeit nicht erreichbar. Wenn du eine Nachricht für mich hast, dann sprich bitte jetzt! Piiiieep!“
Frustriert legte ich auf. Was sollte ich für eine Nachricht hinterlassen? „Hallo Kathi, es ist Samstagabend, halb zehn, ich sitze auf meinem Balkon und höre Pferde, die nicht da sind. Da dachte ich, es ist vielleicht besser, irgendwas mit dir in diesem langweiligen Kaff zu unternehmen, als hier blöde rum zu sitzen.“
Mürrisch steckte ich mein Handy in die Hosentasche, als es plötzlich zu vibrieren begann. Ich schaute auf das Display: „Kathi ruft an“, stand dort in großen Buchstaben.
„Hi“, sagte ich in den Apparat.
„Hi Mia, ich habe das Klingeln nicht schnell genug gehört. Hier ist es tierisch laut!“, hörte ich Kathis Stimme aus gewaltigem Hintergrundlärm hinaus.
„Wo bist du denn?“
„Wir sind im Mister X, hast du Lust, noch zu kommen?“
Das Mister X war die hiesige Dorfdisco, die ich bisher immer erfolgreich gemieden hatte. In Hamburg hätte ich in so einen Laden keinen Fuß gesetzt. Bier und Drugs und aufgebretzelte Provinztussis. Konnte ich echt nicht brauchen.
„Wer ist wir?”, fragte ich daher misstrauisch.
„Martin und Frank sind auch hier. Komm doch noch rüber, wenn du magst.“
Martin und Frank gingen in unsere Klasse. Die beiden waren mir noch nie besonders aufgefallen, waren aber auch nicht unsympathisch, wenn man über ihren ausgeprägten bayrischen Dialekt mal hinweg sah. Kathi kannte die beiden seit ihrer gemeinsamen Kindergartenzeit und hing ziemlich oft mit ihnen ab. Seufzend erhob ich mich von meinem Stuhl. Die Alternative, den Abend alleine im Haus zu verbringen, war auch nicht besonders reizvoll und der Weg zur Disco war nicht weit. Ich entschloss mich, mich auf mein Fahrrad zu schwingen und hinüber zu radeln.
Wotan blickte mich erwartungsvoll an, als ich meine Jacke anzog und meinen Schlüsselbund in die Tasche gleiten ließ.
„Du musst hier bleiben.“
Er legte den Kopf schief.
„Nun guck nicht so. Ich kann nicht den ganzen Abend hier rum sitzen, ich muss noch ein bisschen unter Leute. Das ist ja bekanntlich nichts für dich. Mach mal ein Nickerchen, bis ich wieder da bin.“
Ich tätschelte noch kurz seinen Kopf und zog die Haustür hinter mir zu.
Mein Fahrrad stand angelehnt neben der Gartenpforte. Ich schob es hindurch und schwang mich auf den Sattel. Inzwischen war es völlig dunkel geworden und der schmale Pfad, der von unserem Haus bis zur Hauptstraße führte, war nicht beleuchtet. Ich schaltete das Fahrradlicht ein. Es brannte nicht. Verflixt, ich hatte vergessen, dass ich die Birne in der Vorderlampe wechseln wollte. Vorsichtig und langsam setzte ich mich in Bewegung, um auf dem holperigen Weg nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Mit Mühe erreichte ich die Hauptstraße und bog rechts auf den Radweg ab. Hier gab es eine anständige Straßenbeleuchtung und ich trat kräftig in die Pedale. Ein bisschen komisch war es schon, so spät abends alleine neben der Landstraße zu fahren.
In wenigen Minuten erreichte ich das Mister X.
Es war so voll, wie die Stimmkulisse am Telefon hatte vermuten lassen. Ich schob mich durch das Gedränge zwischen angetrunkenen und schwitzenden Menschen hindurch, bis ich Kathi sah, die sich anmutig auf der Tanzfläche bewegte. Ich beneidete sie um diese Grazie, die mir leider völlig ab ging. Elfengleich wiegte sie sich zum Takt der Musik. Mein Tanzstil war eher der eines Tanzbären; wenn man überhaupt einen Vergleich wagen wollte. Vor ihr gab Frank sein Bestes; wirkte aber mit seinen unbeholfenen Verrenkungen bestenfalls unfreiwillig komisch.
Ich blickte mich um und suchte nach Martin. Er saß nicht weit von der Tanzfläche entfernt an einem kleinen runden Tisch und hielt ein Glas Bier in der Hand. Er hatte mich bereits gesehen und gestikulierte wild zu mir herüber.
„Schön, dass du noch gekommen bist“, begrüßte er mich brüllend, als ich mich zu ihm durchgedrängelt hatte.
„Hier ist heute Abend der Teufel los“, fügte er noch in der gleichen Lautstärke hinzu und verstummte dann. Ich setzte mich neben ihn und versuchte erst gar nicht, gegen den Lärm anzuschreien. Also saßen wir schweigend nebeneinander und betrachteten die Gestalten auf der Tanzfläche.
Martin leerte sein Glas und brüllte mir plötzlich unvermittelt mit maximaler Lautstärke ins Ohr: „Magst ein Bier?“
„Lieber eine Cola“, schrie ich ohne Umschweife zurück. Meine Stimme schien mir nicht gewachsen für den Austausch von Höflichkeiten. Martin erhob sich und schritt Richtung Theke. Ich blickte ihm nach, wie er im Getümmel verschwand und ließ meinen Blick wieder Richtung Tanzfläche schweifen.
Die beiden anderen waren nicht mehr zu sehen. Während ich die Tanzfläche systematisch mit den Augen nach ihnen absuchte, spürte ich eine Hand auf meiner Schulter und blickte erschrocken auf. Kathi stand neben mir und lachte mich an. Ich hatte ihr Kommen nicht bemerkt. Sie bewegte die Lippen und ich versuchte, mein Ohr so nah wie möglich an ihren Mund zu bringen.
„Hey, Mia, ich hab dich gar nicht kommen sehen. Bist du schon lange da?”, konnte ich mit Mühe verstehen.
„Ich sitze hier schon eine Weile“, brüllte ich zurück.
„Allein?”, glaubte ich zu hören und versuchte mit wilden Handzeichen Kathi klar zu machen, dass Martin auf dem Weg zur Bar war und vermutlich gleich zurückkehren würde.
Kathi und Frank setzten sich zu mir an den Tisch.
„Wie kommt es, dass du hier heute Abend noch aufschlägst?”, schrie Kathi mir zu. „Meine Eltern sind heute Morgen abgereist und mein Kindermädchen ist noch nicht da. War mir zu einsam zuhause“, brüllte ich zurück.
„Wo sind sie denn hin, deine Eltern?”, wollte Frank wissen.
„In die Antarktis“, erwiderte ich so laut ich konnte. Frank sah mich an, als ob er mich nicht richtig verstanden hätte. Er schüttelte den Kopf und sagte laut:
„Was? Wo sind sie hin? Ich habe Antarktis verstanden.“
„Ant-ark-tis“ brüllte ich noch einmal. Frank sah Kathi ungläubig an, doch diese nickte und schrie: „Verrückt was, die reisen ans Ende der Welt und lassen Mia hier allein zurück.“
Irgendwie kam es mir plötzlich selber unwirklich vor und ich bemerkte, dass ich es den ganzen Tag über vermieden hatte, über die Unwiderruflichkeit dieser Entscheidung nachzudenken.
Gerade als ich mir ausmalte, dass meine Eltern in diesem Moment wahrscheinlich schlappe zehntausend Kilometer von mir entfernt dabei waren ihre Fellhandschuhe rauszukramen, kam Martin zurück und hielt in der einen Hand ein großes Bier, in der anderen eine Cola. Entschlossen nahm ich das Bier und trank einen großen Schluck. Martin blickte irritiert. „Ich dachte, du wolltest kein Bier!“, sagte er, kippte die Cola hinunter und machte sich erneut auf den Weg zum Tresen. Der Typ war wirklich unerschütterlich. Wenig später stand er mit einem frischen Bier vor mir und prostete mir zu.
Kathi und Frank blickten uns an und machten Zeichen, dass sie sich erneut Richtung Tanzfläche begeben wollten. Martin sah mich erwartungsvoll an und stellte sein Glas ab. Ich schüttelte abwehrend den Kopf. Das fehlte mir noch, mich hier auf der Tanzfläche zum Affen zu machen! Doch Martin ließ nicht locker. „Nun komm schon“, brüllte er mir ins Ohr. „Unterhalten kannst dich hier eh’ nicht.“
Unzweifelhaft hatte er Recht. Eine Unterhaltung war nicht möglich und den Abend damit zu verbringen, sich gegenseitig anzuschweigen, war auch keine Alternative. Mit mehr als gemischten Gefühlen erhob ich mich und folgte Martin auf die Tanzfläche. Zum Glück, war es hier so voll, dass meine unrhythmischen Bewegungen sicher nicht weiter auffallen würden. Am Rand der Tanzfläche machte ich ein paar unsichere Schritte zum Takt, den ich zu hören glaubte, und dann ging das Licht aus.
Schlagartig verstummte die Musik, und es war stockdunkel im Mister X. Spitze Schreie ertönten und die Menschen erstarrten für einen kurzen Augenblick. Reflexartig griff ich nach Martins Hand, und zog ihn mit mir von der Tanzfläche. Ich hörte, wie Bewegung in die dunkle Menschenmasse kam und versuchte, mich zu erinnern, in welcher Richtung der Ausgang lag. Doch ich hatte die Orientierung verloren.
„Wo geht es raus?”, fragte ich Martin. „Hier entlang“, antwortete er und begann, uns durchs Dunkle zwischen den anderen Körpern hindurch zu manövrieren. Ich folgte ihm im wahrsten Sinne des Wortes blind und wir tasteten uns langsam an Tischen und Theken vorbei zur Tür. Inzwischen hatte sich eine Art Menschenströmung gebildet, die dieselbe Richtung einschlug, so dass wir nach einer Ewigkeit, die wahrscheinlich nur einige Minuten dauerte, einen frischen Windhauch aus der geöffneten Tür spürten, der uns schließlich ins Freie geleitete.
Martin ließ meine Hand los und wir atmeten erleichtert auf. Doch irgendetwas war immer noch nicht richtig. Ich blickte mich irritiert um und versuchte herauszufinden, war es war. Ich schaute rüber auf die gegenüberliegende Straßenseite und sah – nichts! Das war es! Das Licht war nicht nur im Mister X ausgefallen, auch draußen war es stockdunkel. Die Straßenbeleuchtung war aus, die umliegenden Häuser lagen im Dunkeln und selbst die Ampeln zeigten kein Signal mehr. Nur der Vollmond beleuchtete die Szene und setzte uns alle in ein fahles, weißes Licht.
Ich versuchte angestrengt, Kathi und Frank irgendwo zu entdecken. Plötzlich hörte ich eine Stimme, die meinen Namen rief. Es war Kathi.
„Hey Kathi, wir sind hier!”, antwortete ich und zog Martin in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war.
„Wenn ich schon mal einen Fuß auf die Tanzfläche setze, geht gleich das Licht aus“, versuchte ich einen Scherz, als wir endlich neben Kathi und Frank standen.
„Aber warum geht das Licht in der ganzen Stadt aus, so schlecht tanzt du nun auch wieder nicht“, grinste Frank mich an.
„Was nun?”, fragte Kathi.
Ich fühlte mich mit einem Mal schrecklich müde. „Ich mache mich auf den Heimweg“, erklärte ich. Die drei sahen mich an.
„Im Dunkeln?”, fragten sie mich wie aus einem Munde. „Es war ja auch dunkel, als ich hergekommen bin.“ Ich schaltete die Taschenlampe meines Smartphones an und suchte in ihrem Lichtkegel nach meinem Fahrrad. Im trüben Licht entdeckte ich es dort, wo ich es abgestellt hatte.
„Wollt ihr etwa hier warten, bis das Licht wieder angeht? Wer weiß, wie lange das dauert.“ Ich wandte mich meinem Fahrrad zu und holte es aus dem Ständer. Schiebend näherte ich mich wieder den dreien. „Dein Licht brennt nicht“, bemerkte Kathi. Stimmt, daran hatte ich nicht mehr gedacht. Das Mondlicht war zwar ungewöhnlich hell an diesem Abend, aber ich war mir nicht sicher, ob es ausreichen würde, um den Weg nach Hause zu finden.
„Ohne Licht kannst du nicht alleine fahren. Ich begleite dich“, schlug Martin zu meiner Überraschung vor. So ritterlich hatte ich ihn nicht eingeschätzt. Aber unter diesen Umständen nahm ich sein Angebot, mit seinem gut beleuchteten Rad vor mir her zu fahren, gerne an.
Gemeinsam machten wir uns auf den Weg und hatten schon bald die Ortschaft hinter uns gelassen. Ich heftete mich an Martins Rücklicht und war froh, einen leuchtenden Fixpunkt vor mir zu haben. Zwar war Martin noch nie bei uns zu Hause gewesen, aber ich war nicht überrascht, zu sehen, dass er meinen Heimweg kannte. In so einer kleinen Stadt war es wahrscheinlich schon vor meiner Ankunft bei meinen Mitschülern bekannt gewesen, wo ich wohnen würde.
Bald erreichten wir die Abzweigung, die von der Landstraße zu unserem Haus führte.
Martin machte Anstalten abzubiegen, doch ich rief ihm zu, dass ich es nun alleine schaffen würde. Schließlich hatte ich diesen Abschnitt ja auch auf dem Hinweg ohne Licht bewältigt. Martin sah mich skeptisch an. Ich bestand jedoch darauf, das letzte Stück alleine zu fahren, rief Martin noch: „Danke schön fürs Bringen“ zu und bog in den holprigen Feldweg ab. Martin rief mir: „Dann bis Montag“ zurück und machte sich auf den Heimweg.
Für einige Augenblicke hörte ich noch das immer leiser werdende Quietschen seiner Fahrradkette, bis ich schließlich allein im Dunkeln zurückblieb. Eine Wolke hatte sich vor den Mond geschoben und die Dunkelheit kam mir mit einem Mal undurchdringlich vor. Vorsichtig trat ich in die Pedale und holperte von einem Schlagloch ins nächste. Seufzend hielt ich mein Rad an, und stieg ab. Es hatte keinen Sinn zu fahren; bei diesem Versuch würde ich mir womöglich den Hals brechen. Ich beschloss, das Rad die wenigen hundert Meter bis zur Haustür lieber zu schieben.
Im Dunkeln schien der Weg kein Ende zu nehmen. Angestrengt spähte ich nach vorne, um die Silhouette unseres Hauses auszumachen, konnte jedoch außer undurchdringlicher Finsternis nichts entdecken. Plötzlich kamen mir Zweifel, ob ich überhaupt in den richtigen Seitenweg abgebogen war. Meinem Gefühl nach hätte ich schon längst bei unserer Gartenpforte sein müssen und der Weg zu unserem Haus war auch nicht derartig Schlagloch übersät. Die Erkenntnis durchzuckte mich wie ein Blitz. Ich war auf dem Weg zum Eulenhof und stand wahrscheinlich gerade kurz vor der Hofeinfahrt.
„Mist“, schimpfte ich laut vor mich hin. „Wie dämlich muss man sein, um seinen eigenen Nachhauseweg nicht zu finden!“
Entnervt drehte ich mein Rad, als mich ein leises, pfeifendes Geräusch zusammenzucken ließ. Ich lauschte erschrocken. Das Pfeifen schien über mir im Nachthimmel zu sein. Angestrengt spähte ich hinauf, konnte aber nichts erkennen.
Vielleicht war eine Eule auf der Jagd. Womöglich bewohnten doch noch einige das verfallene Gemäuer. Es hieß vermutlich nicht ohne Grund Eulenhof.
Energisch schob ich mein Rad Richtung Hauptstraße. Auf Naturbeobachtungen mitten in der Nacht hatte ich echt keine Lust. Die Eule schien sich jedoch von mir nicht gestört zu fühlen, ich konnte hören, wie sie in einiger Entfernung ihre Kreise zog, denn das Pfeifen wurde mal lauter und mal leiser. Offenbar hatte aber das Tier Lust auf ein paar Menschenbeobachtungen, denn mit einem Mal hatte ich das Gefühl, dass es direkt auf mich zu segelte. Unwillkürlich zog ich den Kopf ein, und für einen unwirklichen Moment fürchtete ich, die nächtliche Beute einer überdimensionalen Eule zu werden, so nah schien sie zu sein. Im nächsten Augenblick hörte ich ein Niesen und das Geräusch verschwand in der Nacht. Niesen? Konnten Eulen niesen?
Eine Gänsehaut kroch meinen Rücken hinauf. Eulen konnten nicht niesen. Es gab zwei Möglichkeiten: Entweder ich hatte mir das Niesen eingebildet oder ein niesendes Tier war über meinen Kopf hinweg geflogen. Beide Möglichkeiten erschreckten mich in gleichem Maße. Sollte ich mir tatsächlich nicht vorhandene Geräusche einbilden, so war es sicherlich ratsam, einen Arzt aufzusuchen. Sollte aber tatsächlich ein niesendes Tier über meinen Kopf hinweg geflogen sein, so wollte ich es heute Nacht keinesfalls näher kennen lernen. So schnell ich konnte, schob ich mein Rad durch das unwegsame Gelände und erreichte wieder die Landstraße. Erleichtert schwang ich mich auf meinen Sattel und fuhr die Straße entlang, bis ich die richtige Abzweigung zu unserem Haus erreichte.
Schon von weitem konnte ich lautes Bellen hören. Ich holperte und stolperte mit meinem Rad dem tröstlichen Geräusch entgegen und war echt froh darüber, dass Wotan zu Hause war.