Читать книгу Krötenküssen - Luise Hennich - Страница 13
Kapitel 11: Aaron
ОглавлениеMein Vater beendete schließlich meine lautstarke Meditation. Er tippte mir auf die Schulter. Erschrocken fuhr ich herum und stellte das Getöse ab.
„Rasputin, tu mir einen Gefallen und pass ein bisschen auf den Kleinen auf. Ich muss noch mal weg und irgendwie scheint niemand anders Zeit zu haben.“
Der Kleine war mein kleinster Bruder. Aaron war vier und hielt zuweilen die ganze Familie auf Trab. Wenn es ging, vermied ich es, sein Babysitter zu sein, obwohl ich den Kleinen wirklich gern hatte. Er stand neben meinem Vater und sah zu mir auf. „Hey“, sagte ich. „Will dich heute niemand haben?“
Er nickte mit großem Ernst. „Das ist echt blöd für dich“, sagte ich ebenso ernst zu ihm.
Er nickte wieder. Aaron war kein Mann der großen Worte.
„Okay, du kannst bei mir bleiben, aber mach keinen Quatsch!“ Er nickte wieder.
„Dann ist ja alles klar“, unterbrach uns mein Vater. „Ich bin etwa in drei Stunden wieder da.“
Ich sah ihn erschrocken an. Was sollte ich drei Stunden lang mit dem Zwerg anfangen?
„Komm schon, dir wird schon was einfallen, womit du ihn beschäftigen kannst“, erwiderte mein Vater, als er meinen Blick sah.
Konnte er jetzt auch noch Gedanken lesen? Oder konnte er womöglich schon immer Gedanken lesen und es war mir nur nicht aufgefallen?
„Mach dir keine Sorgen, ich kann keine Gedanken lesen“, sagte er. Verwirrt sah ich ihn an. „Dein Blick hat bloß Bände gesprochen!”, sagte er grinsend und wandte sich zum Gehen.
Ich fühlte eine kleine Hand in meiner und blickte hinunter.
„Was willst du machen?”, fragte ich ihn.
„Weiß nicht“, antwortete er. Na, da hatte er wohl eine seiner kreativen Phasen.
Ich stellte mich stur. „Ich weiß auch nichts.“ Aaron blickte nachdenklich in die Ferne. Ich ließ seine Hand los und stellte den Presslufthammer, den ich immer noch fest umschlossen hielt, beiseite.
Schließlich drehte sich mein kleiner Bruder zu mir um, strahlte mich an und sagte nur ein Wort: „Pferde.“
Die „Pferde“ standen in einem der maroden Nebengebäude, das wir provisorisch zu einem Stall umgewandelt hatten und hatten schlechte Laune, als wir eintraten.
Ich hatte Aaron auf meine Schultern gesetzt, damit er nicht unter die Hufe geraten konnte und er genoss den Ausblick auf die drei graziösen Tiere. Seit er laufen konnte, war der Pferdestall sein bevorzugter Aufenthaltsort und wir mussten aufpassen wie verrückt, damit er nicht in einem unbeobachteten Moment alleine einen Ausflug hierher unternahm.
„Hallo ihr drei“, begrüßte ich die Grazien, die als Antwort nur ein mürrisches Schnauben von sich gaben. Offenbar missfiel ihnen ihre provisorische Unterkunft. Seit ich mich erinnern konnte, war meine Familie im Besitz dieser Tiere. Ein Hengst und zwei Stuten. Alle drei schwarz wie die Nacht und Nüstern so samtweich wie ein Pfirsich. Ich beugte mich über den Rand der Box und kraulte den Hengst zwischen den Ohren.
„Hey, Seraphim, sei nicht so schlecht gelaunt“, flüsterte ich ihm zu. Er spitzte die Ohren.
„Ich weiß, dass ihr das dauernde Umziehen hasst. Aber wenn alles klappt, dann können wir erstmal eine ganze Weile hier bleiben“.
Er antwortete mit einem belustigten Wiehern und die beiden Stuten hoben die Köpfe. „Doch, ich meine das ernst“, bekräftigte ich. „Ihr müsst bloß mitmachen.“
Aaron zappelte auf meinen Schultern. „Ich will mal streicheln“, maulte er und beugte sich weit nach vorne. Zu weit. Denn noch bevor ich ihn greifen konnte, verlor er das Gleichgewicht und fiel über meinen Kopf hinweg in die Pferdebox. Das hatte mir noch gefehlt. Er lag zwischen zwölf Hufen inmitten eines Haufens Stroh und grinste mich fröhlich an.
„Hab mir gar nicht weh getan“, verkündete er strahlend.
Für einen Moment erstarrte ich bei der Vorstellung, wie weh er sich tun würde, wenn einer der Hufe ihn traf. Aber auch die Pferde erstarrten in ihrer Box. Vorsichtig drehten sie die Köpfe und betrachteten den Winzling, der zwischen ihren Beinen lag. „Bleibt stehen wo ihr seid, ich hole ihn sofort raus“, rief ich mit leicht panischer Stimme und versuchte, das Gattertor zu öffnen. Es ließ sich nicht bewegen. Verzweifelt ruckelte und zerrte ich, aber es saß fest.
Ärgerlich trat ich gegen das Tor.
Ich versuchte, mich über das Gatter zu schwingen, doch während ich noch dabei war, mein rechtes Bein über das Hindernis zu bringen, schaute mich Nofretete verächtlich an, blähte die Nüstern und beugte sich dann vorsichtig zu Aaron hinab.
Sie beschnupperte sein Gesicht und schnupperte sich dann seinen Rücken entlang. Aaron kicherte.
„Hey, Nofretete, was wird das?”, rief ich, während ich auf dem Gatter saß. Nofretete beachtete mich mit keinem einzigen Blick.
„Hey, hey, hey“, stieß ich hervor, als sie plötzlich die Zähne bleckte. Doch dann kapierte ich, was sie vorhatte.
Unendlich vorsichtig packte sie Aaron am Hosenbund und hob ihn hoch. Er gluckste begeistert.
„Nofretete hebt mich hoch“, teilte er mir mit, als ob ich blind wäre.
„Stimmt“, antwortete ich knapp und verfolgte gebannt, wie Nofretete ihn ganz behutsam über das Gatter hob. Ich streckte die Arme aus und sie ließ ihn vorsichtig hinein gleiten. Sie bedachte mich noch mit einem verächtlichen Blick und drehte mir dann den Rücken zu.
„Äh, danke schön.“ Ich wusste nicht so recht, was ich sagen sollte.
„Das war sehr nett von dir.“ Sie schnaubte und begann, Hafer aus dem Trog zu fressen.
Ich wollte mich irgendwie erkenntlich zeigen.
„Wollt ihr mal ein bisschen an die frische Luft?“ Die drei sahen mich interessiert an. Eigentlich bevorzugten sie es, bei Nacht draußen zu grasen, aber durch unseren Umzug waren sie, was ihre Pflege anging, etwas zu kurz gekommen.
„Passt auf, ich versuche, dieses Gattertor zu öffnen und dann geht es los“. Mit aller Kraft drückte ich von unten gegen den Haken, aber er war wie fest geschweißt und bewegte sich keinen Millimeter.
Die drei beobachteten mich eine Weile mit stoischen Gesichtern. Schließlich trat Seraphim einen Schritt vor, beugte den Kopf über das Gatter und schnaubte zweimal vernehmlich auf die Verriegelung. Er sah mich an, ich sah ihn an und versuchte es ein weiteres Mal. Wie geölt glitt die Verriegelung auf. Hatten die Biester sich womöglich selber eingeschlossen? Ich beschloss, so tun, als sei nichts geschehen, öffnete die Box und setzte Aaron vorsichtig wieder auf meine Schulter.
„Kein Rumgezappel mehr!”, warnte ich ihn.
„Ja“, antwortete er kleinlaut und saß ganz still.
Seraphim schritt mit hoch erhobenem Kopf heraus und blieb vor mir in der Stallgasse stehen. Ich tätschelte seinen Hals und sah mich nach den Stuten um. Nofretete folgte ihm, blähte die Nüstern und blies mir einen Schwall warmen Atem ins Gesicht. Ich hustete.
„Was ist mit dir, Suzi Wong?”, fragte ich die zweite Stute, die unbeweglich in der Box stand. Suzi Wong war die jüngste der dreien und erst lange Jahre nach Seraphim und Nofretete zu uns gekommen, wie ich aus den Erzählungen meiner Eltern wusste. Obwohl das ja nun auch schon einige Zeit her war, hatte sie sich mit ihrem Leben unter Mensch noch immer nicht richtig angefreundet und zog es vor, des Nachts alleine ihre Bahnen zu ziehen. Ich war daher nicht verwundert, dass sie keine Anstalten machte, mit uns zu einem kleinen Ausflug aufzubrechen.
„Na gut, Suzi. Wenn du hier bleiben möchtest, dann schließe ich das Tor wieder.“ Sie schnaubte leise und bewegte eine Möhre spielerisch zwischen ihren Lippen.
Ich wandte mich zu den beiden anderen.
„Okay, ihr zwei. Lasst uns ein bisschen die Gegend erkunden.“
„Au ja, ausreiten“, krähte Aaron über mir.
„Du reitest mit mir zusammen auf Seraphim“, erklärte ich bestimmt. Obwohl er für seine vier Jahre schon ein geschickter Reiter war, wollte ich doch zumindest heute keine Risiken mehr eingehen.
„Ich kann selber reiten“, antwortete er empört. „Nichts da!”, konterte ich energisch, hob ihn von meiner Schulter, setzte ihn auf Seraphims Kruppe und schwang mich selber hinter ihn auf den Rücken des Tieres.
Ich war es gewohnt, ohne Zaumzeug und Sattel zu reiten. Meinen Halt fand ich in der Mähne und die Führung übernahmen ohnehin jedes Mal die Tiere. Wir verließen den Stall im Schritt, überquerten den Sonnen beschienen Hof und ritten durch das große Tor. Ich hörte Nofretete hinter uns schnauben. Seraphim drehte kurz den Kopf und bog dann vom Weg in die Wiese ab, die neben unserem Anwesen lag. Wir überquerten sie und gelangten auf den schmalen Pfad, der hinter dem Haus entlang führte. Unwillkürlich ließ ich meinen Blick schweifen, aber die Fee war nicht zu entdecken.
Die Pferde trotteten ein kurzes Stück den Pfad entlang, verließen ihn jedoch, als wir auf einen Waldweg stießen, der uns bergauf führte. Diesen Teil der Region hatte ich noch nicht erkundet, schließlich waren wir ja auch erst seit einigen Tagen hier, und so ließ ich mich auf die Entdeckungstour ein.
Aaron richtete sich vor mir auf und sah sich um, als wir den hellen Sonnenschein verließen und in das Dunkel des Tannenwaldes eintauchten.
„Das ist aber irgendwie gruselig hier.“
„Du musst keine Angst haben“, antwortete ich leicht belustigt.
„Warum?“
„Die einzigen, vor denen man sich gruseln sollte, sind wir.“
„Wieso das denn?”, fragte er mich empört.
„Nur so.“
„Du spinnst!“
Vielleicht hatte er Recht.
Wir ritten weiter den Berg hinauf und der Wald wurde immer undurchdringlicher. Seraphim und Nofretete schien es gut zu gefallen, denn sie ließen in regelmäßigen Abständen ein zufriedenes Schnauben hören. Das sanfte Geschaukel hatte mich schläfrig gemacht und mit halb geschlossenen Lidern döste ich ein wenig auf Seraphims Rücken. Plötzlich schlug mir unvermittelt gleißendes Sonnenlicht entgegen. Wir hatten eine Lichtung erreicht und schauten auf einen See, der sich völlig unerwartet vor uns auftat. Die Pferde blieben stehen.
„Guck mal, wir können baden!”, kreischte Aaron begeistert und zappelte vor mir herum. „Hey, langsam“, warnte ich ihn. „Sonst liegst du wieder unten.“ Aber er war schon mit einer geschmeidigen Bewegung von Seraphims Rücken geglitten und flitzte auf das Seeufer zu.
„Halt, nicht ins Wasser“, rief ich, während ich vom Pferd sprang, aber es war schon zu spät. Aaron hatte in Windeseile seine Schuhe abgestreift und stand bis zu den Knien im See.
„Guck mal, hier sind ganz viele kleine Fische“, rief er begeistert. „Beim nächsten Mal bringe ich meine Angel mit.“
„Aaron komm wieder her!” Ich stand am Ufer und versuchte, ihn aus dem Wasser zu locken, weil ich selber nur wenig Lust hatte, zu ihm hinein zu gehen. Bestimmt war der See noch ziemlich kalt. Immerhin hatten wir erst Frühling und noch keinen Hochsommer. Andererseits konnte Aaron noch nicht besonders gut schwimmen und wer wusste, wie tief so ein Bergsee war. Womöglich fiel das Ufer steil ab und er verlor den Boden unter den Füßen. Also konnte ich ihn auch nicht gut alleine im Wasser spielen lassen. Der kleine Unfall in der Pferdebox war schon genug für heute. Es fehlte noch, dass ich meinen kleinen Bruder auch noch vor dem Ertrinken retten musste.
Aaron machte jedoch keine Anstalten, wieder ans Trockene zu kommen. „Hier ist auch noch ein Krebs“, informierte er mich. „Aaron, nicht so weit vom Ufer weg“, ermahnte ich ihn. „Och, Mann“, maulte er.
Seufzend streifte ich meine Stiefel und Socken von den Füßen. Es hatte keinen Zweck. Der Knirps würde nicht von alleine aus dem Wasser kommen. Also tauchte ich vorsichtig einen Fuß ein und stieß einen kurzen Schrei aus.
„Was ist los?”, fragte er mich erschrocken.
„Das Wasser ist ja saukalt. Pass bloß auf, dass dir nicht die Zehen abfallen.“ Skeptisch sah er auf seine Füße. „Sind noch alle dran“, verkündete er.
„Na, dann ist ja alles gut“, stieß ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor und setzte meinen zweiten Fuß in das eiskalte Wasser. Langsam watete ich auf Aaron zu und stellte fest, dass das Ufer des Sees sanft abfiel und keine steile Kante auszumachen war. Ich konnte also beruhigt sein, was seine Sicherheit anging.
Ein großer Stein ragte aus dem Wasser und ich ließ mich auf ihm nieder. Aaron war ganz in sein Spiel mit den Wassertieren vertieft. Ich beobachtete ihn, wie er Flusskrebse mit der bloßen Hand fing, um diese zu betrachten und anschließend wieder vorsichtig ins Wasser gleiten zu lassen.
Bis heute wussten wir noch nicht, ob Aaron es auch konnte. Wir alle konnten es, mit Ausnahme meines ältesten Bruders. Das bedeutete für ihn, dass er ein normales Leben führen konnte, es bedeutete aber auch, dass er sich von uns trennen musste, um dies zu tun. Natürlich hatten wir den Kontakt nicht verloren, aber er lebte sein Leben und wir hatten nur gelegentlich Anteil daran. Er war Arzt und manchmal nahm er unsere Hilfe in Anspruch, wenn er mit seiner Schulmedizin nicht mehr weiter wusste.
Es zeigte sich meistens erst ab einem Alter von vier bis fünf Jahren, ob es vererbt worden war und fing mit kleinen Dingen an, die auch alltäglich sein konnten. Zum Beispiel, dass wilde Tiere uns gegenüber keine Scheu hatten und zutraulich auf uns zukamen.
Ich beobachtete Aarons Spiel mit den Flusskrebsen genauer. Einen nach dem anderen fischte er geschickt aus dem Wasser, indem er sich vorsichtig von hinten anpirschte, das Tier eine Weile beobachtete und dann pfeilschnell die kleine Hand nach ihm ausstreckte. Manche Krebse waren schneller als er und konnten ihm entkommen, aber er erwischte eine erstaunlich große Zahl von Tieren. Diese benahmen sich allerdings völlig normal, spreizten die Scheren und wanden sich, um seinem Griff zu entkommen. Wie es zu erwarten war, hörte ich schließlich einen spitzen Schrei. „Au, lass los!”, brüllte er und schüttelte seine rechte Hand, an der ein ziemlich großer Flusskrebs hing, der sich mit seiner Schere an Aarons kleinem Daumen festgeklemmt hatte.
„Warte, ich helfe dir“, rief ich ihm zu und erhob mich von meinem Stein.
Belustigt fing ich seine Hand ein, die immer noch wie verrückt kreiste, um den Krebs los zu werden. „Halt mal still“, sagte ich zu ihm und legte seine Hand samt Flusskrebs in meine linke. Mit der rechten nahm ich das Tier vorsichtig zwischen Daumen und Zeigefinger und zog ganz leicht an ihm. Sofort ließ er Aarons Daumen los. Aaron zog schmollend seine Hand zurück und das Tier lag ruhig in meiner Linken. Ich setzte ihn zurück ins Wasser und sah zu, wie es mit kräftigen Schlägen seines Schwanzes unter einem Stein verschwand. Ich konnte es.
„Zeig mal deinen Daumen“, befahl ich Aaron. Er hob ihn hoch und hielt ihn mir vor das Gesicht. Zwei kleine rote Stellen waren zu erkennen – die Abdrücke der Krebsschere.
„Tut schon gar nicht mehr weh!”, erklärte Aaron und wandte sich erneut dem Wasser zu. „Ich spiel jetzt lieber mit Muscheln, die können nicht beißen“, rief er mir über die Schulter zu.
Ich nahm meinen Beobachtungsposten auf dem Stein wieder ein und sah ihm zu, wie er mit bloßen Händen im Wasser umherfischte. Strahlend präsentierte er mir eine ziemlich große Muschel.
„Guck mal“, rief er zu mir hinüber. „Da ist bestimmt eine riesige Perle drin. Die kann ich dann Constanze schenken!” Aaron hatte eindeutig ein besseres Verhältnis zu unserer Schwester als ich.
„Aaron, ich glaube, Perlen findet man nur in Austern. Und das hier ist ja gar keine Auster!”, belehrte ich ihn. Er sah mich ungläubig an.
„Perlen kann man in allen Muscheln finden.“
„Nein, bestimmt nicht. Dann hätten ja alle Leute lauter Perlenketten um den Hals“, konterte ich. „Tu die Muschel lieber wieder zurück ins Wasser, wir wollen mal langsam wieder nach Hause reiten.“
„Nö, ich will erst die Perle raus haben.“ Aaron konnte sehr hartnäckig sein, wenn er sich erst einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte.
„Aaron, da ist bestimmt keine drin!“
„Ich will aber, dass da eine drin ist!“ Aaron sah mich grimmig an und stampfte mit dem Fuß auf. Hinter uns hörte ich Seraphim und Nofretete vernehmlich schnauben. Offenbar begannen sie, sich für unseren kleinen Disput zu interessieren.
Seufzend zückte ich mein Taschenmesser. „Also gut, wir machen die Muschel auf“, gab ich nach und nahm sie ihm aus der Hand. Widerstrebend ließ er sie los. Ich schob die Klinge zwischen die beiden Muschelhälften und drehte sie herum. Die Muschel sprang auf und ich blickte auf hellrosa Muschelfleisch.
„Siehst du“, wollte ich schon sagen, doch dann fehlten mir vor Verwunderung die Worte und ich starrte fassungslos auf die geöffnete Muschel in meiner Hand. Etwas versteckt unter einer zarten Haut lag eine große, weiße, wunderschöne Perle.
Wie konnte das sein? Ich war mir sehr sicher, dass man in keinem Bayrischen See eine Muschel finden konnte, die eine Perle dieser Größe produzierte, aber ich konnte mich natürlich täuschen. Biologie war noch nie meine große Stärke gewesen. Hatte ich mir insgeheim so eine Perle gewünscht? Bestimmt nicht! Aber Aaron hatte es sich gewünscht. Sehr sogar!
Ich sah meinen kleinen Bruder an, der neben mir stand und hoch zufrieden mit seinem Zeigefinger in der Muschel kramte, um die Perle herauszufischen.
„Die ist schön, was?“ Triumphierend blickte er zu mir hinauf, als er sie zwischen Daumen und Zeigefinger hielt.
„Allerdings“, antwortete ich. „Hast du dir sie so schön vorgestellt?“
„Ja, genauso habe ich mir sie vorgestellt.“
Aaron konnte es auch.