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Kapitel 7: Das Wiedersehen
ОглавлениеEigentlich hatte mich Tante Rosie nach Schulschluss wieder mit ihrem schicken Flitzer abholen wollen, aber unerwartet fielen die letzten beiden Stunden aus. Ich überlegte, ob ich Bescheid geben und dann auf sie warten sollte, entschied mich aber, zu Fuß nach Hause zu gehen.
Der etwa halbstündige Weg, den ich ansonsten viel schneller mit dem Rad zurücklegte, würde mir Gelegenheit geben, nach diesem ereignisreichen Vormittag meinen Gedanken nachzuhängen und die Geschehnisse noch einmal in Ruhe für mich zu rekapitulieren.
Gedankenverloren machte ich mich auf den Weg, durchquerte das Städtchen und erreichte bald den Ortsrand. Hier entschloss ich mich, nicht der Bundesstraße zu folgen, sondern die reizvollere Alternative, die sich nur Fußgängern bot, zu wählen. Ich bog in einen Feldweg ein, der zwischen blühenden Wiesen und Äckern hindurch bis zur Rückseite unseres Gartens zu führte.
Ich war schon oft dort entlanggegangen, hatte aber, wie es mir schien, die Schönheit der Gegend noch niemals richtig bemerkt. Erst heute fiel mir auf, wie idyllisch die Landschaft war, in der ich lebte, und ich betrachtete die Natur um mich herum plötzlich mit anderen Augen. Die Mittagssonne schien heiß vom Himmel und tauchte alles in ein gleißend helles Licht, das die roten Mohnblumen und die blauen Kornblumen, die den Wegesrand säumten, leuchten ließ. Nie zuvor hatte ich bemerkt, wie viele Schmetterlinge die Wiesen bevölkerten. Heute schienen es tausende zu sein, die über den Blüten schwebten.
Ich schlenderte in der heißen Sommersonne dahin und freute mich darauf, Tante Rosie wieder zu sehen. Ich überlegte, ob sie es geschafft hatte, ihre diversen Kartons auszupacken und ich war neugierig, zu sehen, wo sie ihren ganzen Krempel verstaut hatte.
Bald schon erreichte ich den verlassenen Eulenhof und wurde unvermittelt durch schreckliches Getöse daran erinnert, dass das Gelände ja gar nicht mehr verlassen war. Offenbar kam hier mindestens ein Presslufthammer zum Einsatz, denn die sommerliche Mittagsruhe wurde durch ohrenbetäubenden Lärm unterbrochen. Mein Weg führte hinter dem Grundstück entlang, so dass ich unmittelbar an der Rückseite des Haupthauses vorbei ging und mich dem immer lauter werdenden Krach näherte. Die Fenster des Erdgeschosses waren weit geöffnet und ich konnte nicht anders und musste hinein sehen, um festzustellen, was die Ursache dieses infernalischen Lärms war. Auf Zehenspitzen versuchte ich, einen Blick zu erhaschen. Unglücklicherweise war ich nicht groß genug, um über die Fensterbank hinweg zu sehen. Ich sah mich suchend um und entdeckte in einem kleinen Gebüsch neben dem Weg einen groben Holzklotz, den ich kurz entschlossen zum Fenster trug. Er machte einen etwas morschen Eindruck, würde mich aber für einen Moment tragen können. Vorsichtig stellte ich mich auf ihn und hatte nun einen wackeligen Blick ins Haus.
Das Zimmer war voll gestapelt mit einer Unmenge von Umzugskisten. Es erinnerte mich sehr an den Flur an diesem Morgen bei mir zu Hause, denn auch hier war nur ein einziger schmaler Pfad zu erkennen, der sich zwischen den Kisten entlang schlängelte. Ein Grund für den Lärm war allerdings nicht zu sehen.
Ich schleppte meinen Holzklotz weiter und spähte durch das nächste Fenster. Der Krach wurde lauter, aber auch hier konnte ich keine Ursache erkennen. Der Raum war vollständig leer; lediglich ein alter Kronleuchter hing von der Decke. Mir war, als schwanke er ein wenig unter den Druckwellen des Lärms.
Am dritten Fenster wurde ich schließlich fündig. Hier war es so laut, dass ich mir die Ohren zuhalten musste. Tatsächlich war ein Presslufthammer die Ursache allen Übels. Wenn die neuen Nachbarn vorhatten, auf diese Art und Weise das ganze Haus umzubauen, dann konnte das ja für die nächste Zeit ein gedeihliches Miteinander werden. Ärgerlich platzierte ich meinen Holzklotz und starrte in den Raum. Ich erkannte inmitten einer Staubwolke einen Mann, der in schwarzer Jeans und mit entblößtem Oberkörper und Ohrenschützern dabei war, ein großes Loch in die vordere Zimmerwand zu stemmen. Seine lockigen schwarzen Haare fielen ihm dabei bis auf die Schultern und trotz meines Ärgers konnte ich nicht umhin, einen bewundernden Blick über seinen muskulösen Rücken schweifen zu lassen. Mein Blick fiel über seine Beine auf seine Füße, die in klobigen schwarzen Stiefeln mit silbernen Beschlägen steckten.
Mir wurde klar, um wen es sich hier handelte. Entweder war mein Retter von heute morgen ein Bauarbeiter, der hier einen Job erledigte oder er war mein neuer Nachbar. Auf jeden Fall war er gerade dabei, eine Wand einzureißen.
Gedankenverloren betrachtete ich ihn, wie er mit ruhigen, kräftigen Bewegungen das Loch in der Wand Zentimeter und Zentimeter vergrößerte. Er schien vollkommen vertieft in seine Arbeit und im Gegensatz zu mir, schien ihm auch der infernalische Lärm nichts auszumachen. Mal abgesehen davon, dass er Ohrenschützer trug und ich nicht. Ein so schnelles Wiedersehen hatte ich nicht erwartet und ich war unschlüssig, ob ich mich zu Erkennen geben sollte. Vielleicht wollte er mich ja gar nicht kennen lernen, schließlich war er am Morgen abgehauen, noch bevor ich den kleinsten Dank loswerden konnte. Außerdem war es dank seines Presslufthammers praktisch unmöglich, ihn auf mich aufmerksam zu machen. Aber ein bisschen Gucken konnte ich mir erlauben. Also lehnte ich mich mit den Armen auf das Fensterbrett, stützte mein Kinn in die Hände und sah ihm zu, wie er seine Abbrucharbeiten vorantrieb.
Ein Wackeln meines Holzklotzes schreckte mich aus meinen Betrachtungen. Ich sah hinab und entdeckte einen kleinen braunen Hund, der neugierig mit beiden Vorderpfoten auf meinem Klotz stand und an meinem Fuß schnupperte.
„Hey, mein Freund, der Klotz ist nicht groß genug für uns beide“, rief ich ihm halblaut zu.
Der Hund wedelte mit dem Schwanz, machte aber keinerlei Anstalten, seinen Platz zu räumen. Eigentlich hatte ich ja auch lange genug meinen Retter angestarrt. Ich warf einen letzten Blick ins Haus und hatte mit einem Mal ein schlechtes Gewissen. Schon zum zweiten Mal an diesem Tage beobachtete ich heimlich denselben Typen. Und zum zweiten Mal an diesem Tage schien er meinen Blick in seinem Rücken zu bemerken, denn plötzlich verstummte der Lärm, er nahm seine Ohrenschützer ab und noch bevor ich sehen konnte, ob er sich zu mir umdrehte oder nicht, zerbrach meine morsche Stehhilfe. Ich stürzte mit einem leisen Aufschrei zu Boden und lag neben dem Fenster inmitten von Gräsern und Brennnesseln.
Der kleine Hund machte einen erschrockenen Sprung zur Seite und begann neben mir zu kläffen. Ich versuchte ihn zu beschwichtigen, aber es war zu spät. Eine Stimme näherte sich dem Fenster und rief:
„Wolf, verdammt. Was machst du auf dem Weg? Geh zurück ins Haus“.
Na, Humor hatte er ja. Wie konnte man diesen Winzling Wolf nennen? Verzweifelt versuchte ich, Wolf zu beruhigen, damit er nicht noch mehr Aufmerksamkeit auf sich und damit auch auf mich zog. Ich legte den Zeigefinger auf die Lippen, machte: „pschtt“ und dabei mit der anderen Hand das Zeichen für „Platz“. Wie durch ein Wunder war er sofort still und legte sich eng neben mich. Nur sein Hecheln drang jetzt noch an mein Ohr und ich spürte seinen warmen Hundeatem in meinem Gesicht.
Über mir am Fenster hörte ich ein Geräusch.
„Bitte“, sandte ich in Gedanken ein Stoßgebet gen Himmel. „Lass ihn nicht hinaus sehen“.
Ich schmiegte mich so eng wie möglich an die Hauswand und betete, dass Wolf, im wahrsten Sinne des Wortes, die Schnauze hielt. Er hielt sie tatsächlich und ich konnte hören, wie das Fenster geschlossen wurde. Sekunden später begann der Presslufthammer erneut sein zerstörerisches Werk. Gottlob, er hatte mich nicht entdeckt. Erleichtert richtete ich mich wieder auf, klopfte den Staub von Hose und Jacke und entdeckte ein paar schmerzende Blasen an meinem Arm, die die Brennnesseln hinterlassen hatten. Immerhin war es besser, sich mit einer kleinen Reaktion meines Immunsystems aus der Affäre zu ziehen, als mit einem irreparablen Imageschaden.
Als ich zu Hause ankam, war Tante Rosie mit Wotan im Garten. Sie hatte es sich auf der Wiese in einem Liegestuhl im Schatten bequem gemacht; neben ihr stand auf einem kleinen Tischchen ein fast volles Glas Orangensaft und auf ihrem Bauch lag ein aufgeschlagenes Buch. Ihre Brille saß schief auf dem Kopf. Ein leises Schnarchen ließ mich vermuten, dass meine Tante fest eingeschlafen war. Wotan lag zu ihren Füßen und hatte seinen monumentalen Kopf auf die Pfoten gebettet. Er öffnete ein Auge und wedelte dann gelangweilt und träge mit dem Schwanz. Neben ihm stand eine leere Dose Würstchen. Scheinbar hatte Tante Rosie einen Weg ins sein Herz gefunden – der schien ja offensichtlich über den Magen zu führen. Ich beugte mich hinab und tätschelte ihn kurz.
Verschwitzt und durstig wie ich war, griff ich nach Tante Rosies Orangensaft. In einem Zug leerte ich das Glas, um gleich darauf die Reste, die ich noch im Mund hatte, im hohen Bogen wieder auszuspucken. Die Farbe des Getränkes trog. Zwar war in diesem Glas sicher etwas Saft, aber der größte Teil der Mischung bestand bestimmt nicht aus Orangen. Misstrauisch schnupperte ich an dem leeren Glas. Wodka! Na super! Wieso standen hier denn am helllichten Tag hochprozentige Getränke im Garten rum?
Wotan war aufgestanden und sah mich interessiert an. Vor meinen Füßen im Gras war eine Cocktail-Pfütze, die langsam versickerte.
„Hey, lass das“, rief ich, als Wotan genüsslich begann, die Pfütze aufzuschlecken. Mürrisch sah er zu mir auf, drehte sich um und nahm seinen Platz neben dem Liegestuhl wieder ein.
Tante Rosie reckte sich und gähnte vernehmlich. Sie öffnete die Augen.
„Kindchen, was machst du denn schon hier?”
Erschrocken griff sie nach ihrer Brille.
„Ich hatte eher Schluss und bin zu Fuß gegangen“, antwortete ich und stellte so beiläufig wie möglich mein Glas zurück auf den Tisch.
„Oh Gott, hast du etwa meinen Drink ausgetrunken?“ Tante Rosie sah mich entsetzt an.
„Äh, ja, ich glaube, der war etwas zu stark für mich.“
„Das möchte ich meinen. In deinem Alter solltest du überhaupt noch keinen Alkohol trinken.“
„Wollte ich auch nicht. Das sah wie Orangensaft aus.“ Ich versuchte, sie streng anzusehen.
„Aber auch in deinem Alter sollte man vielleicht nicht mitten am Tag Alkohol trinken.“
Sie sah mich einen Moment lang an.
„Ja, du hast Recht. Das ist eine schlechte Angewohnheit, die ich aus den USA mitgebracht habe. Vielleicht ist die hier in Gesellschaft einer jungen Dame nicht angebracht. Du musst ein bisschen Geduld mit mir haben, ich muss mich erst wieder eingewöhnen.“
Ich hoffte im Stillen, dass Tante Rosie nicht ein kleines Alkoholproblem aus ihrer alten Heimat mitgebracht hatte.
Laut sagte ich: „Kein Problem. Am besten, du schläfst nicht mehr neben deinen halbvollen Gläsern ein, dann kann ja nichts passieren.“
„Na, es ist ja nicht immer Schnaps drin“, erwiderte sie leichthin und setzte sich auf.
Ich bemerkte, dass ich einiges von Tante Rosies teuflischer Mischung getrunken hatte, denn ich fühlte, wie meine Beine schwer wurden. „Ich glaube, ich muss mich mal kurz setzen“, sagte ich und ließ mich in einen Gartenstuhl fallen.
Tante Rosie sah mich besorgt an.
„Ach Gott, Kind. Du hast ja heute auch noch nichts Richtiges gegessen.“
Ich erinnerte mich, dass mein Frühstück ziemlich abrupt beendet worden war und seither hatte ich nichts mehr zu mir genommen. Das fehlte gerade noch: ein Glas Wodka auf leeren Magen. Ich sah zu meiner Tante hinüber, die nun auf der Kante ihres Liegestuhls saß und schwankte. Aber auch der Stuhl selber schwankte; zumindest schien es mir so. Eine nähere Analyse der Situation ergab, dass weder meine Tante noch ihr Stuhl schwankten, sondern ich selber.
„Tante Rosie, ich glaube, ich muss mal ein bisschen schlafen“, brachte ich mit Mühe hervor. Meine Zunge schien plötzlich gelähmt und ich hatte Mühe, deutlich zu sprechen.
„Also, Mia, am besten, du legst dich in den Liegestuhl und ich mache dir in der Zwischenzeit mal was Richtiges zu essen.“
Tante Rosie war aufgestanden und fasste mich am Oberarm. Ich stellte mich auf die Beine, und schaffte es mit Mühe, einigermaßen würdevoll die paar Schritte bis zur Gartenliege zu gehen. So graziös wie möglich ließ ich mich hineingleiten und schloss erleichtert die Augen. Ich spürte Wotans große Schnauze auf meinem Schoß und hörte meine Tante noch sagen, dass sie nun mal kurz in der Küche verschwinden würde, bevor ein seliger Schlummer mich einhüllte.
Ein dunkles Knurren riss mich aus meinen Träumen.
Verwirrt öffnete ich die Augen und brauchte einige Augenblicke, um zu verstehen, warum ich auf einer Liege in unserem Garten lag. Nicht verstehen konnte ich allerdings, warum die Sonne bereits hinter dem Horizont verschwunden und der Garten in sanftes Licht gehüllt war. Oh Gott, hatte ich etwa den ganzen Nachmittag verschlafen? Warum hatte Tante Rosie mich nicht geweckt? Im Grunde waren diese Fragen absolut nebensächlich neben der Frage, warum Wotan mit hoch gezogenen Lefzen und gesträubtem Nackenfell neben mir saß und knurrte wie der Teufel.
Ich richtete mich auf und blickte umher, um den potentiellen Feind ausfindig zu machen. Mein Blick schweifte suchend über den Rasen, aber ich konnte nichts erkennen, was Wotans Wut gerechtfertigt hätte.
Dieser hatte sich währenddessen zu seiner vollen Körpergröße aufgerichtet und stand nun neben mir. Geifer lief aus seinem Maul. Langsam setzte er sich in Bewegung und näherte sich zögerlich - Meter um Meter – einem großen, alten Apfelbaum, der mitten auf der Wiese stand. Etwa einen Meter vor dem dicken Stamm blieb er mit gebleckten Zähnen stehen.
Mühsam erhob ich mich aus meinem Liegestuhl und unterdrückte einen Schmerzenslaut. Mein Schädel brummte gewaltig und mir war noch ein bisschen schwindlig.
„Doofer Hund“, murmelte ich vor mich hin, während ich mich auch auf den Weg zum Apfelbaum machte.
„Mach nicht so ein Theater, mir tut der Kopf weh“, rief ich zu ihm hinüber. Wotan beachtete mich nicht und stand weiter geifernd vor dem Baum. Inzwischen war auch ich dort angekommen.
„Wotan, falls hier eine Katze im Baum sitzt, dann lässt du sie bitte leben; noch ein Drama halte ich heute nicht mehr aus.“
Aber irgendwie wirkte Wotan nicht so, als hätte er eine Katze entdeckt. Er machte einen merkwürdig zögernden Eindruck und ich nutzte die Gelegenheit, um einen Blick hinter den Baumstamm zu werfen, ehe Wotan sich selber dazu entschloss.
Mein Blick fiel auf einen kleinen braunen Hund, der mir bekannt vorkam. Erst vor wenigen Stunden hatten wir zusammen zwischen Brennnesseln gelegen. Wenn Wotan seiner ansichtig wurde, war das sein sicheres Ende.
„Wolf, was machst du denn hier?”, entfuhr es mir. „Schnell, mach, dass du nach Hause kommst.“ Mit einem schnellen Griff packte ich Wotans Halsband und versuchte, ihn von Wolf fern zu halten. Wolf sah mich treuherzig an, wedelte mit dem Schwanz und kam hinter dem Baum hervor.
Mir blieb vor Schreck das Herz stehen.
„Aus, wage es nicht!”, brüllte ich Wotan an. Vor meinem geistigen Auge sah ich schon, wie Wolf zwischen Wotans riesigen Kiefern verschwand. Doch dieser stellte zu meinem großen Erstaunen das Knurren ein, legte sich auf den Boden und sah Wolf unverwandt an.
„Wolf, mach, dass du weg kommst“, versuchte ich, die Gunst der Stunde zu nutzen und dem kleinen Hund meines Lebensretters das Leben zu retten.
Wolf hingegen schien vollkommen unbeeindruckt von Wotans Anblick und machte Schwanz wedelnd auf kurzen Beinen einen Schritt auf ihn zu. In der rechten Hand hielt ich noch immer Wotans Halsband und mit der freien linken Hand versuchte ich Wolf daran zu hindern, uns näher zu kommen, indem ich vor ihm in der Luft auf und ab wedelte. Wolf ignorierte meine Hand geflissentlich und marschierte weiter auf Wotan zu.
Ich hielt den Atem an, als er Schwanz wedelnd vor Wotans riesigem Maul stehen blieb. Wotan blieb liegen, streckte seinen Kopf und schnupperte ganz vorsichtig an seinen Ohren. Wolf machte noch einen weiteren Schritt und stand nun neben Wotans Schultern. Nur mit Mühe konnte der kleine Hund überhaupt über den Rücken des liegenden Fellmonsters schauen. Das schien ihn aber nicht zu stören, denn nun begann er seinen riesenhaften Artgenossen zu umrunden. Der Winzling marschierte um Wotan herum, und ließ sich Zeit, um an allen für ihn wichtigen Körperteilen ausgiebig zu schnuppern.
Ich stand schreckensstarr daneben und erst als mir schon ein wenig schwindlig wurde, dachte ich wieder daran, Luft zu schnappen. Wotan schien ebenso erstarrt zu sein wie ich. Mit angelegten Ohren ließ er diese Leibesvisitation geschehen.
Wolf hatte seinen Rundgang beendet und stand nun genau vor Wotans riesiger Schnauze. Doch statt den Winzling mit einem Bissen zu verschlingen, robbte Wotan vorsichtig, ganz vorsichtig ein kleines Stückchen nach hinten. Es sah beinahe so aus, als hätte er Angst vor Wolf. Nein, das konnte beim besten Willen nicht sein! Doch es wurde noch unglaublicher.
Sprachlos beobachtete ich, wie Wotan sich auf den Rücken drehte und Wolf spielerisch mit seinem winzigen Maul die riesige Kehle seines Gegenübers umfasste. Eine klare Unterwerfungsgeste des Fellmonsters! Vielleicht hatte der Hund doch mehr von Tante Rosies Cocktail aufgeschleckt, als ich gesehen hatte. Oder hatte er etwa einen eigenen Cocktail bekommen?
Wolf ließ von Wotans Kehle ab und dieser blieb zitternd auf dem Rücken liegen. Der Hund musste zum Arzt. Irgendwas war mit ihm überhaupt nicht in Ordnung.
Wolf schien von meinem Hund, diesem Riesenfeigling genug zu haben, denn plötzlich sprang er auf und begann über den Rasen zu toben. Wotan sah ihm reglos zu, wie er mehrere Runden um den Apfelbaum drehte.
Er war gerade auf der Höhe des Gartentores, als sich dieses öffnete.
„Alter, da bist du ja“, hörte ich eine männliche Stimme sagen und zum dritten Mal an diesem Tag sah ich meinen Lebensretter.