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Frührömische Gesellschaft und Sozialstruktur
ОглавлениеGemäß Livius (1,8,3–7) hatte Romulus die politischen Grundstrukturen festgelegt, welche die Königsherrschaft mit zwölf Liktoren und Amtsdienern, die Volksversammlung (concilium) sowie den Senat (consilium) aus 100 Senatoren (patres) umfassten, deren Nachkommen Patrizier (patricii) hießen. Demnach wäre er für die Scheidung von Patriziern und Plebejern verantwortlich gewesen und hätte das Patriziat als Führungsschicht festgelegt. Anschließend sei es aufgrund von Frauenmangel zum Raub der Sabinerinnen gekommen (Liv. 1,9).
Wie sich der »Adel« genau ausbildete, ist unklar. Die Grabfunde sind im frühen 1. Jt. v. Chr. relativ einheitlich und deuten wenig soziale Differenzierung an. Erst im 8. Jh. v. Chr. sind reichere Bestattungen in der Art von Fürstengräbern fassbar.37 In Rom ist die Zuwanderung von Sabinern zu vermuten, die sich möglicherweise auf den Quirinal niederließen. Deren Sippen (gentes) der Fabii und Aurelii gingen dann in die Lateinisch sprechende Gemeinschaft ein. Zuletzt soll die gens Claudia im Jahre 504 v. Chr. vom Sabinerland nach Rom gekommen sein (Liv. 2,16). Eventuell bildete sie das letzte Geschlecht, das unter die Patrizier aufgenommen wurde.38
Die Patrizier waren Grundbesitzer, stellten die Reiterei und formierten sich dementsprechend als Herrenschicht. Sie waren in gentes eingeteilt, für welche sich die Zahl der Klienten (clientes) als ausschlaggebend erwies. Die Bezeichnung clientes geht auf cluere, »auf jemanden hören«, zurück. Die Klienten bildeten die bäuerliche Unterschicht und standen in einem Treueverhältnis (fides) zu ihrem patronus. Während die Klienten zu Dienstleistungen für den patronus verpflichtet waren, garantierte dieser persönlichen Schutz und stellte seinen Getreuen bei Bedarf ein Stück Land zur Verfügung.39 Somit bestand eine wirtschaftliche und privatrechtliche Abhängigkeit, die um 450 v. Chr. auch durch das Zwölftafelgesetz geregelt wurde. Die gens Claudia hatte Anfang des 5. Jhs. v. Chr. angeblich 5000 Familien in ihrer Gefolgschaft (App. reg. 12; Plut. Publ. 21); ebenso viele Klienten sollen auch die Fabier besessen haben, was allerdings in beiden Fällen übertrieben erscheint.40
Die Gruppe der Klienten ist grundsätzlich der Plebs zuzurechnen. Plebs bedeutet »Menge, Masse« und stammt von ple-/plenus: »voll, füllen«. Damit bildet sie einen Gegenpol zu den Familienclans der Patrizier. Zusammengesetzt war die Plebs aus Klienten, freien Bauern, Händlern und Gewerbetreibenden.41 Die Plebejer wurden wohl erst in der frühen Republik als eigene Gruppe rechtlich abgetrennt, als sich auch die Patrizier zu einem eigenen Stand formierten und gegenüber Neuzugängen abschlossen. Damit wurde zugleich ein Gegensatz heraufbeschworen, der erst in einem langwierigen Prozess ausgeglichen werden konnte, dem Geburtsadel aber weiterhin gewisse Privilegien zusicherte.
Die Patrizier kennzeichneten sich durch Standesabzeichen und übernahmen alle politischen und religiösen Funktionen. Ausschlaggebend dafür war eine existenzielle Bedrohung von außen, verursacht durch verschiedene Bergvölker, die in die Ebene drängten – aber auch durch das benachbarte Veji, das die selbstlos kämpfenden Fabier dezimiert haben soll (Liv. 2,50; Dion. Hal. 9,22; Ov. fast. 2,195–242).42 Dennoch förderten die Auseinandersetzungen weiterhin die Etablierung einer Elite, welche die militärische Abwehr organisierte. Die Plebejer als ihre Untergebenen waren daher ebenfalls gezwungen, sich zu einigen. Sie begannen am Anfang des 5. Jhs. v. Chr., sich selbst als politische Gemeinschaft zu formieren und den Patriziern Zugeständnisse abzuringen, sodass sich daraus ein »Ständekampf« entwickelte. Unglaubwürdig ist, dass anfänglich ein Eheverbot zwischen Patriziern und Plebejern bestand, gegen das sie sich zur Wehr setzen mussten (Zwölftafelgesetz 11,1; Liv. 4,1).43
Die römische Gesellschaft kannte also einerseits eine einfache hierarchische Gliederung in eine Art Adel und Volk, das aber heterogen zusammengesetzt war. Gleichzeitig bestand eine starke horizontale Gliederung, aufbauend auf den Familien, die eine zentrale Rolle spielten, und in weitere Verbände (gentes, curiae,tribus) eingebunden waren. Die familia umfasste alle Hausgenossen, darunter auch die Sklaven. Sie bildete nicht nur eine gesellschaftliche, sondern auch eine ökonomische und kulturelle Einheit. Familienvorstand war der pater familias, der die auctoritas besaß, also unbeschränkte Macht über Ehefrau, Kinder, Sklaven und familiäre Güter (res familiaris). Bei ihm lagen demnach die Administration des Familienbesitzes (bonorum administratio), die Bewirtschaftung der Familiengüter und die Regelung der rechtlichen Geschäfte, darunter der Eintritt und Austritt aus der Familie im Falle von Heiraten.44
Die Sklaven (servi), deren Zahl zunächst bescheiden gewesen sein dürfte, waren in den Familienverband eingegliedert, stellten aber auch Objekte (res) von Kauf und Verkauf dar. Im Falle von Verarmung konnte ein römischer Familienvater sogar seine eigenen Söhne verkaufen (Zwölftafelgesetz 4,2). Bei Zahlungsunfähigkeit drohte nämlich die Schuldknechtschaft bzw. die Haft mit dem eigenen Körper (nexum), was den Übergang in den Besitz des Gläubigers bedeutete (mancipium/mancipatio; Zwölftafelgesetz 3,2. 5).45 Später gelangten insbesondere Kriegsgefangene in die Sklaverei, sodass ein eigentlicher Sklavenmarkt entstand.46
Die Familien wurden aufgrund von Blutsverwandtschaft zu Sippen (gentes) zusammengefasst. Die gentes hatten einen Gentilkult und einen Gentilnamen, der neben dem Individualnamen verwendet wurde, z. B. Q. Fabius Maximus aus der gens Fabia. Die Geschlechter waren in drei tribus und 30 curiae zusammengefasst (coviria = Männervereinigung; Liv. 1,13,6), die je einen Vorsteher (curio maximus) hatten.47 Die curia hatte sakrale Funktionen und war zugleich eine Organisationform für die Volksversammlung (comitia curiata).48 Diese bestätigte auch noch in der späteren Republik die höchsten Beamten in ihrer Amtsgewalt (lex curiata de imperio). Im Krieg bestand eine Kurienordnung, bei der jede curia zehn Reiter (decuria) und 100 Infanteristen (centuria) stellte (Liv. 1,13,8). In ihrer Gesamtheit bildeten die Kurien mit 300 Reitern und 3000 Infanteristen ursprünglich eine Legion. In der Königszeit waren die Kurien zudem in drei Personenverbände (tribus) vereint, wobei jede Tribus zehn Kurien hatte. In der frühen Republik waren diese Verbände durch die vier städtischen Tribus (Palatina, Collina, Esquilina, Suburana) ersetzt, zu denen in der näheren Umgebung 17 ländliche Tribus traten (Liv. 2,21,7).49