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Staats- und Verfassungsbegriff
ОглавлениеDer Historiker Polybios (ca. 200–120 v. Chr.) sah in der römischen Verfassung (politeia) einen wesentlichen Erfolgsfaktor der Römer, denen der Aufbau eines Weltreiches gelungen war. Die römische Republik besaß jedoch keine geschriebene Verfassung, sondern nur seit jeher überlieferte, traditionelle Regeln, die als mos maiorum (»Sitte der Vorfahren«) bezeichnet wurden: »Er [mos maiorum] enthielt alle das öffentliche Leben betreffenden Grundsätze über die Zuständigkeiten der Staatsorgane, die Regeln ihres Handelns und das Verhältnis zwischen Amt und Amtsträger, d. h. die Ämterordnung schlechthin.«7 Diese Dinge konnten im Konfliktfall auch durch Gesetze (lex/leges) geregelt werden, ohne dass die Gesetze aber je in ein einheitliches System integriert worden wären. Christian Meier spricht im Anschluss an Cicero (rep. 2,2 f.) von einer gewachsenen Verfassung und stellt fest:
»Die römische Republik kannte kein in rechtlichen Kategorien zu fassendes Institutionengefüge, das sich – unsern Verfassungen entsprechend – aus dem Ganzen ihrer Ordnung herauslösen ließe.«8
Neben dem Fehlen einer Verfassungsurkunde ist auch die Absenz eines prägnanten Staatsbegriffs bezeichnend. Im Zentrum stand der Begriff res publica, die »öffentliche Sache«, im Gegensatz zu res privata. Res publica bezeichnet aber auch den nichtmonarchischen Freistaat im Gegensatz zum regnum, dem »Königtum« mit absolutem Gewaltmonopol. Die Selbstbezeichnung der Römer lautet populus Romanus oder auch senatus populusque Romanus (SPQR) und umfasst das Gesamtvolk, also Patrizier und Plebejer, die der durch Rechtsgesetze gefügten Ordnung unterstanden. Der Name des Staates benennt somit nur den Souverän und enthält keinen Hinweis auf die Verfassungsform.9
Der Aufbau des Staates wurde von den Römern mit dem Begriff constitutio umschrieben. Diese enthält gemäß Cicero »erstens eine gewisse Ausgewogenheit der Rechte (aequabilitas), welche freie Männer nicht längere Zeit entbehren können, zweitens aber Stetigkeit (firmitudo), weil jene Grundformen leicht in die ihnen entgegengesetzten Fehler umschlagen, so dass aus dem König ein Gewaltherr wird, aus den Aristokraten (optimates) ein Parteiklüngel (factio), aus dem Volk eine Masse und ein wüstes Durcheinander, und weil die Grundformen selbst oft in neue Formen hinüberwechseln. Dies geschieht in dieser die Grundformen verbindenden, im rechten Maß gemischten Verfassung (permixta constitutio) in der Regel nicht außer bei großen Fehlern der führenden Männer. Denn es besteht kein Grund zu einer Umwälzung, wo jeder fest an seinem Platze steht und kein Abgrund lauert, in den er gleiten und stürzen kann« (rep. 1,69).
Cicero lehnt sich hier in den Auseinandersetzungen der späten Republik an das griechische Modell des Verfassungsumschwungs an, wie es Aristoteles im 4. Jh. v. Chr. formuliert hatte. Um den Wechsel der Verfassungen zu verhindern, ist es nötig, Teile der Monarchie, Aristokratie und Demokratie zu mischen (sog. Mischverfassungstheorie). Entscheidend sind »ihre Autorität kraft Alter und Bewährung, ihr die gesellschaftlichen und staatsorganisatorischen Kräfte ausbalancierendes Gleichmaß (aequabilitas), ihre die Freiheit bewahrende Aufgabe bzw. Funktion und ihre dauerhafte Beständigkeit (firmitudo).«10 Auch wenn diese Bedeutung von constitutio in der Antike nicht mehr weiterverfolgt wurde, war Cicero damit bereits in die Nähe des modernen Verfassungsbegriffs gerückt.11
Dieser wurde allerdings erst im 18. Jh. bedeutsam, als sich das Bürgertum gegen den monarchischen Absolutismus richtete. Im Kampf gegen Feudalismus und eigenmächtige Fürsten traten Forderungen nach Gleichheit und Menschenrechten ins Zentrum. Bei den daraus resultierenden Verfassungen handelte es sich um eigentliche »Herrschaftskompromisse«. Diese führten Frieden zwischen verschiedenen Konfliktparteien herbei, indem allgemein gültige Rechtsnormen festgelegt wurden.12 Die römische Republik und die darin herrschende Freiheit für den Einzelnen erhielten dabei Vorbildcharakter.