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Römische Geschichtsschreibung
ОглавлениеDie römische Geschichtsschreibung begann erst am Ende des 3. Jhs. v. Chr. und ist deshalb für die Frühzeit unzuverlässig. Der erste Historiker war Fabius Pictor, der eine Geschichte Roms seit den Anfängen schrieb.2 Diese war auf Griechisch verfasst und somit für ein gebildetes Publikum gedacht, wobei die lateinische Prosa in dieser Zeit generell noch wenig entwickelt war. Fabius Pictor berichtete ausführlich über die Zeitgeschichte ab dem ersten Punischen Krieg (264 v. Chr.), wusste für die älteren Epochen aber nur zu erzählen, was die mündliche Überlieferung bewahrt hatte. Diese umfasste eine heroisch ausgeschmückte Gründungsphase und war für die Folgezeit dürftig bzw. im Sinne bedeutender Familien gefärbt, wobei sie Fabius Pictor auch mit seinen eigenen Vorstellungen ergänzte. Das Geschichtswerk selbst ist zudem gar nicht erhalten, sondern nur durch die spätere Verwertung bei Livius (59 v. Chr.–17 n. Chr.) und Dionysios von Halikarnassos (ca. 54 v. Chr.–8 n. Chr.) bekannt, die vom Standpunkt der augusteischen Zeit interpretierten.3
Der römische Epiker Ennius schritt zu Beginn des 2. Jhs. v. Chr. in seinem fragmentarisch erhaltenen Gedicht Annales die sagenhafte römische »Geschichte« vom Fall Trojas bis zu Cato dem Censor (184 v. Chr.) ab.4 Mit Polybios aus Achaia erhalten wir kurz darauf zwar eine fundierte historische Darstellung, die sich aber einzig auf die Zeit von 264–146 v. Chr. bezog und nur zu einem Drittel erhalten ist. Seit der Mitte des 2. Jhs. v. Chr. traten in Rom dann Lateinisch schreibende Annalisten auf. Ihre Bezeichnung leitet sich von annales ab, weil die Autoren die Ereignisse Jahr für Jahr berichteten. Dabei folgten sie ganz dem Schema des Fabius Pictor und hatten kaum ältere Überlieferungen zur Verfügung.5
Livius lieferte in seiner Geschichte (Ab urbe condita libri CXLII) in augusteischer Zeit auch für die Frühzeit plausibel erscheinende, anschauliche Darstellungen und lässt ein eigenes Urteil, aber keine kritischen Analysen erkennen. Er übte nach wie vor die Methode der annalistischen Vorgänger aus, die aus dem Erfahrungshorizont ihrer eigenen Zeit rekonstruierten, und fand aufgrund seines besseren Stils Anerkennung. Der griechischsprachige Dionysios stellte die römische Geschichte von den Anfängen bis zum ersten Punischen Krieg dar und begründete Roms Aufstieg ebenfalls im Sinne der augusteischen Machtpolitik. Dennoch ist er gerade für die Zeit vom Galliersturm (387 v. Chr.) bis zum Ausbruch der Punischen Kriege eine wichtige Quelle, da insbesondere für das 3. Jh. v. Chr. Teile im Werk des Livius fehlen.
Am Anfang der Aufzeichnungen ist ein von den Priestern verfasster Festkalender (fasti) anzunehmen, der die Gerichtstage (fas) bezeichnete und im weiteren Verlauf möglicherweise die Namen der römischen Beamten umfasste. Zudem hielt der Pontifex Maximus angeblich von Anfang an auf öffentlichen Tafeln einzelne Ereignisse mit religiöser Bedeutung fest (annales), wie etwa Sonnen- und Mondfinsternisse oder Getreideteuerungen (Cic. de orat. 2,52; Gell. 2,28,4 = FRH 3 F 4,1). Der Ursprung der kalendarischen Aufstellungen ist jedoch unklar. Falls Verzeichnisse aus der Frühzeit vorlagen, dürften diese im Galliersturm untergegangen sein. Eine schriftliche Form des Kalenders ist erst am Ende des 4. Jhs. v. Chr. bezeugt, als die Plebejer ins Pontifikat eindrangen und die Aufzeichnungen für einen größeren Kreis bedeutend wurden (Cic. Mur. 25; Liv. 9,46,5; Plin. nat. 33,17).6 Die pontifikalen Annalen lassen sich konkret allerdings nicht weiter als bis ins mittlere 3. Jh. v. Chr. zurückverfolgen. Zudem wurden sie schon um 125/120 v. Chr. vom Pontifex Maximus P. Mucius Scaevola zum Abschluss gebracht (Cic. de orat. 2,52), wobei sie forthin in 80 »Büchern« (annales maximi) greifbar waren (Serv. Aen. 1,373).7
Die weitere Verwendung von Pontifikalannalen und annales maximi für die Geschichtsschreibung bleibt grundsätzlich fraglich. Schon von Cato, der eine römische Geschichte von den Anfängen bis 149 v. Chr. in lateinischer Prosa verfasste, wurden die Verzeichnisse übergangen (Gell. 2,28,5 = FRH 3 F 4,1), da er darin für die »Ursprünge« Roms (origines) offenbar keine Aufschlüsse gefunden hatte. In der späten Republik trat eine Liste mit den eponymen Jahresbeamten (Konsulliste bzw. fasti) hinzu, die aber erst in augusteischer Zeit zu den fasti consulares und fasti triumphales vervollständigt wurde. Der Annalist C. Licinius Macer machte sich im 1. Jh. v. Chr. auf die Suche nach älteren Magistratsverzeichnissen, die er im Iuno-Moneta-Tempel auf Leinen gefunden haben soll (libri lintei).8 Falls diese tatsächlich existierten, dürften sie erst seit der Mitte des 2. Jhs. v. Chr. geführt worden sein. Daher ergibt sich sogar der Verdacht, dass der Kalender in Form der fasti, also mit magistratischen Listen versehen, gar nicht von den Priestern verfasst wurde, sondern ein Produkt der Annalisten des 2. Jhs. v. Chr. darstellte.9
Eine zuverlässige Überlieferung über die Frühzeit lag somit nirgends vor. Die Annalverzeichnisse können auf die Geschichtsschreibung jedenfalls nur eine beschränkte Wirkung ausgeübt haben. Vielmehr dürften die Erinnerungen der Senatoren als Quelle gedient haben. Diese folgten ganz den Gesetzmäßigkeiten der oral tradition, bei der die Verhältnisse der Anfangszeit so gestaltet wurden, wie sie in der eigenen Gegenwart als ideal galten.10 Es kam zu Dramatisierungen und Beschönigungen im Sinne der prominenten Familien, die ihre glorreiche Vergangenheit ins Zentrum rückten, sowie zur Verrechtlichung ursprünglicher Zustände aus dem Erfahrungshorizont der späteren Republik.