Читать книгу Späte Rache - Lydia Jablonski - Страница 13

Kapitel 1

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Aufseufzend lässt sich Matthew Mitchell auf den antiken, aber sehr bequemen Stuhl in seinem Hotelzimmer fallen. Es ist ein Hotelzimmer wie tausend andere zuvor. Luxuriös, nahezu verschwenderisch – doch es kann nicht ansatzweise ein Zuhause ersetzen. Matthew ist das völlig klar. Die Show vor ein paar Stunden war grandios. Dennoch möchte er nichts weiter, als mit seiner Frau schmusen, mit seinen Söhnen spielen und nicht im Rampenlicht stehen. Er will schlicht nichts anderes als er selbst sein.

Die Cobalt Steel Kings sind sich immer treu geblieben. All der Erfolg hat zwar ihre Leben verändert, aber nicht die Menschen, die auf der Bühne von tausenden kreischenden Mädchen bejubelt werden. Tief in sich drin ist Matthew einfach Matthew. Er stammt –ebenso wie sein Bruder Vincent- aus einfachen, aber herzlichen Verhältnissen. Aufgewachsen in einem Viertel Bostons, in das besorgte und reiche Eltern ihre Kinder nicht einmal einen Fuß hinsetzen ließen. Es war schwierig, aber es hat sie alle geprägt. Sie sind gewöhnt, für das, was sie wollen, hart zu arbeiten. Und es hat sich gelohnt. Heute sind die Cobalt Steel Kings weltbekannt, ihre Konzerte innerhalb kürzester Zeit ausverkauft, und noch immer wünschen sich tausende Frauen nichts sehnlicher, als ihren Favoriten einmal zu treffen.

Matthew startet seinen Laptop und loggt sich in Skype ein. Auf Tournee ist das die einzige Möglichkeit, seine Familie zu sehen. Leider erreicht er niemanden. Das macht ihn traurig. Er hätte ein Lächeln seiner Frau sehr nötig. Vermutlich ist sie mit David und Noah unterwegs und die drei haben eine Menge Spaß. Matthew beschließt, es ein wenig später noch einmal zu versuchen.

Seine Twittertimeline explodiert beinahe, weil er so viele Tweets bekommen hat. Aber es ist nichts Interessantes dabei. Er twittert ein kurzes „Guten Morgen“ und sieht zu, wie die Antworten seiner Fans im Sekundentakt aktualisiert werden. Er liebt sie alle. Jeden einzelnen von ihnen. Er weiß ganz genau, dass er ihnen seinen Erfolg verdankt. Dennoch nervt es ihn heute.

Noch einmal versucht Matthew erfolglos seine Frau zu erreichen. SMS und ein Anruf via Handy bleiben unbeantwortet. Er macht sich keine Sorgen, es wurmt ihn nur. Schließlich gibt er auf und beschließt, zur Abwechslung früh schlafen zu gehen. In ein paar Stunden, bei Morgengrauen, sind sie auf dem Weg in die nächste Stadt.

***

Es ist früher Nachmittag, als die Tourbusse und Ausrüstungstrucks vor der Arena in Hamburg halten. Der Tag verspricht stressig zu werden. Für Matthew, Vincent und Ian steht ein Interview bei einem lokalen Radiosender auf dem Programm. Preston und Howard promoten eine Spendenaktion zugunsten der Krebsforschung. Außerdem müssen sie alle den Soundcheck machen und am Abend das Konzert geben.

Preston macht als Erstes ein Fitnessstudio aus und widmet sich seinem täglichen Training. Er ist körperlich der Kleinste der Gruppe und dennoch der mit den meisten Muskeln und Tattoos. Howard, der Jüngste und Einzige mit blauen Augen, radelt rund um die Alster. Ian, Vincent und Matthew richten sich im Hotel ein. Wie immer stehen wartende Fans vor der Tür und hoffen auf ein Autogramm, ein Selfie oder gar ein kleines Küsschen. Natürlich werden sie nicht enttäuscht. Im Hotel haben die Männer für sich und ihre Crew fast eine Etage allein. Die Räume der Bandmitglieder liegen direkt nebeneinander. Matthew bezieht seinen Raum und geht als erstes unter die Dusche. Die Fahrt im Tourbus hat ihn geschafft. Sein 1,88m großer, trainierter und schlanker Körper ist eine Augenweide. Er hat rehbraune Augen und volle, sinnliche Lippen. Er ist ein wenig eitel, auch wenn er das nicht zugibt. Am längsten dauert es, seine fast schwarzen Haare zu bändigen. Sie sind nicht mehr so lang und lockig wie in den 90er Jahren, als er als Teenager die Massen begeistert hat, aber sie sind noch immer kräftig und er verteilt Gel und Pflegelotion sehr sorgfältig.

Frisch gestylt setzt er sich an seinen Laptop. Noch immer erreicht er seine Familie nicht. Er rechnet kurz um und stellt fest, dass es in Boston neun Uhr morgens ist. Wahrscheinlich sind die Jungs auf dem Weg zur Schule und Clarissa fährt sie. In Amerika liegen die Schulen zum Teil sehr weit vom eigentlichen Wohnort entfernt. Viele Kinder sind auf Schulbusse angewiesen. Matthew und Clarissa schicken ihre Söhne auf eine Privatschule. Die hat einen eigenen Shuttleservice, aber Clarissa besteht darauf, ihre Söhne selbst zu fahren. David kann es kaum erwarten, bis er endlich sechzehn ist und selber fahren darf. Noah genießt die Chauffeurdienste seiner Mutter noch. Matthew ärgert sich, denn gleich muss er los, um das Interview zu geben. Dann ist der Soundcheck. Anschließend gibt es ein schnelles Abendessen und danach ist Showtime. Da bleibt kaum Zeit zu skypen. Er seufzt. Dann muss er es nach der Show noch einmal versuchen. Er schaltet den Rechner ab und piept Kolja, seinen persönlichen Bodyguard an, damit er mit ihm zum Sender fährt.

***

Matthew, Vincent und Ian geben das Interview. Im Studio ist es sehr eng und entsprechend warm. Der Moderator, Fritz Schmitz, ist ein molliger Mittvierziger. Sein Lachen dröhnt durch das halbe Haus, trotz der Schalldämpfung des Senders. Er ist sehr sympathisch und erledigt seinen Job professionell.

„Hallo liebe Hörer, da sind wir wieder!“ lacht er in das Mikrofon, nachdem er den Regler für den Jingle heruntergedreht hat. „Bei mir sind aktuell Matthew und Vincent Mitchell sowie Ian Johnson! Für die, die es nicht wissen: Die drei attraktiven Männer sind Mitglieder der Boyband Cobalt Steel Kings, kurz CSK. Sie geben heute Abend in der Arena eines ihrer Deutschlandkonzerte und ich bin sicher, dass tausende von Frauen schon ganz aufgeregt sind!“ Er gibt ein Zeichen und alle sagen gleichzeitig „Hi“ in das Mikrofon vor ihnen.

„Wir von Radio Xtrem good machen es möglich: Es ist noch eines von den total ausverkauften, heiß begehrten VIP Tickets zu gewinnen. Damit ist eine Glückliche unter euch, die noch vor dem Konzert exklusiv die Band treffen darf und einen Platz in der ersten Reihe sicher hat. Liebe Damen, lasst euch diese einmalige Chance nicht entgehen! Ruft an und sagt uns, warum gerade ihr diejenige sein solltet! Unter allen Anrufern wird das Ticket verlost.“ Eine Pause entsteht, in der der Moderator noch einmal den Radio-Werbe-Jingle einspielt und die Telefonnummer angesagt wird.

„Während die Telefondrähte heiß laufen, nutze ich die Gelegenheit für ein paar Fragen. Also, erzählt mal: Wie lange seid ihr schon im Geschäft?“

Eine Dolmetscherin im Nebenraum übersetzt die Frage in die Knöpfe in den Ohren der Männer. Sie übersetzt auch die Antworten direkt auf den Äther.

„Schon ziemlich lange“, sagt Ian. Er ist meist der Wortführer der Band. „Uns gibt es bereits seit 1984. Damals hatten wir noch eine andere Besetzung als heute und wir hießen auch noch anders. Es waren fünf lange, harte Jahre Arbeit nötig, bis wir berühmt wurden. Seitdem sind wir, was wir sind.“

„Ihr wart getrennt, ist das richtig?“

„Ja, das stimmt!“ sagt Vincent. „1994 hatten wir alle das Bedürfnis, zur Ruhe zu kommen und unsere eigenen Projekte zu verwirklichen. Es war einfach genug.“

„Wir haben alle die Zeit für uns genutzt“, sagt Ian. „Matthew hat seine Solokarriere gestartet. Howard hat Musicals gemacht und am Broadway gespielt. Preston war mit der Gründung einer Familie beschäftigt. Vincent hat eine Farm. Und ich habe eine Band produziert und bin Schauspieler geworden.“

„Wow, da war euch ja nicht langweilig!“ lacht Fritz Schmitz. „Wie kam es zu der Wiedervereinigung?“

„Nachdem wir immer wieder von Fans gefragt wurden, ob wir nicht doch noch einmal etwas zusammen machen wollten, habe ich mehr und mehr gedacht Okay, warum nicht? – dann habe ich die Jungs angerufen und es war seltsam, aber wir hatten alle dasselbe Gefühl. Die Zeit war reif. Wir haben uns zusammengesetzt und ein neues Album produziert und es hat sich super angefühlt. Es ist definitiv das beste Album, dass wir je gemacht haben.“ „Stimmt!“ mischt sich Vincent ein „denn diesmal hatten wir so viel Zeit, wie wir wollten und die Musik kam aus uns heraus.“ „Wir sind erwachsener geworden. Ebenso wie unsere Fans.“ erzählt Ian weiter. „Im Frühjahr 2008 waren wir dann soweit, uns wieder dem Publikum zu stellen.“ „Das sind fünfzehn lange Jahre ohne euch. Hattet ihr keine Angst vor einer Niederlage?“ „Doch, klar!“ sagt Ian und grinst. „Vor der Wiedervereinigung im Fernsehen waren wir aufgeregt wie damals vor unserem ersten Konzert. Aber kneifen gibt es für uns nicht. Wir haben das durchgezogen.“ „Offenbar erfolgreich!“ lacht der Moderator. „Yeah, unsere Fans sind die Besten!“ ruft Ian voller Überzeugung. „Ich meine, wir waren so lange weg – aber unsere Fans waren die ganze Zeit da und haben gewartet. IHR SEID SPITZE!“ „YEAH!“ brüllen auch Matthew und Vincent in ihre Mikros. „Wir können nicht anders, wir müssen einfach immer wieder DANKE sagen!“ meldet sich Matthew zu Wort. „Ohne euch da draußen wären wir nicht hier. Ihr habt uns immer geholfen und ihr habt auf uns gewartet. Danke!“ „Nun wollen wir aber auch hören, was ihr so produziert habt.“ sagt Fritz in sein Mikro. „Liebe Hörer, hier kommt sie, die aktuelle Single der CSK: Skydriver!“ Damit dreht er die Regler für die Mikros herunter und die Musik herauf.

Nach dem Song dreht er die Regler wieder herum und sagt fröhlich: „Das war Skydriver von den Cobalt Steel Kings! Matthew, Vincent und Ian sind nach wie vor bei mir im Studio. Jungs, erzählt doch mal, was können eure Fans heute Abend erwarten?“

„Na, eine geile Show, was sonst?“ grinst Ian selbstbewusst. „So häufig wie bei dieser Tour haben wir noch nie die Kostüme gewechselt. Die Pyro- und Lightshow ist ein Knaller für sich. Und wie immer geben wir unser Bestes!“

„Das klingt vielversprechend. Natürlich werden wir von Xtreme good live auf dieser Welle übertragen! Und ja – ich höre gerade, wir haben eine Gewinnerin in der Leitung!“ Fritz drückt auf einen blinkenden Knopf. „Hallo, du bist auf Sendung! Wie heißt du und warum bist gerade du diejenige welche?“

„Hi ich bin Carla“, piepst es über den Äther „ich bin schon sechzehn und ich finde Vincent sooo süß und es ist mir egal, dass alle sagen, er sei schwul! Wenn er es wirklich ist, finde ich Howard total niedlich und Preston auch und….“

„Hey hey!“ unterbricht Fritz lachend „das ist wirklich toll Carla. Aber warum findest du die CSK so toll? Bist du nicht ein bisschen jung für die Band?“

„Na, ich kann ja nichts dafür, dass ich noch nicht geboren war, als sie berühmt wurden! Meine Mom stand total auf die Jungs und sie hatte Recht. Die Musik ist einfach toll und es ist mir auch egal, dass meine Freundinnen mich auslachen!“

„Das ist toll, Carla!“ mischt sich Vincent ins Gespräch ein.

„Selbstbewusstsein ist genau das, was man braucht im Leben! Wir freuen uns auf dich nachher!“

„Wow, ja, super, danke Vincent!“ strahlt Carla und man kann sie über den Äther kieksen hören.

„Dann viel Spaß heute Abend!“ unterbricht Fritz. „Bleib bitte noch in der Leitung, damit meine Kollegin deine Daten aufschreiben kann und du auch sicher an deine Karte kommst.“

Er regelt das Gespräch raus und wendet sich an die CSK.

„Was sagt ihr dazu? Eure Fans wachsen nach!“

„Jo, das ist superklasse!“ meint Ian. „Wir freuen uns immer, wenn Kinder oder Teenager uns mögen. Wir hoffen, ihnen genug Selbstbewusstsein zu geben, damit sie die Finger von Drogen lassen.“

„Ja, genau!“ stimmt Vincent zu. „Wir haben genug Teens gesehen, die auf die schiefe Bahn geraten sind. Wenn wir nur einen bewahren können, in dem wir Musik machen, hat es sich gelohnt!“

„Das waren schöne Abschlussworte.“ sagt Fritz. „Und unsere Zeit hier ist auch schon um. Vielen Dank, dass ihr hier wart und alle Hörer und das Team von Radio Xtreme good wünschen euch eine grandiose Show heute Abend!“

„Wir haben zu danken!“ sagt Ian. „Leute da draußen, wir sehen uns nachher! Let´s party!“

„Bye!“ rufen Ian, Vincent und Matthew noch in ihre Mikros, dann regelt Fritz die Musik ein und gibt ihnen ein Zeichen. Alle drei nehmen den Knopf aus dem Ohr und verabschieden sich von dem Moderator. Draußen wartet bereits der Shuttlebus, um sie zur Arena zu bringen.

***

„Bruderherz“, sagt Vincent zu Matthew hinten im Bus „ist alles okay bei dir?“

„Bei mir? Ja, klar, wieso?“

„Du bist still. Ich kenne dich. Was bedrückt dich?“

„Ach es ist nichts“, winkt Matthew ab. „Ich hab nur den Tourblues. Ich scheine Clarissa und die Jungs andauernd zu verpassen.“

„Weiter nichts?“ forscht Vincent und sieht seinen Bruder prüfend an.

„Nein, weiter nichts!“ sagt Matthew und lächelt.

Vincent nickt und nimmt Matthew wortlos in den Arm. Heimweh kennen sie alle. Es ist manchmal ein hartes Geschäft, auf Tour zu sein und jeder von den Jungs wünscht sich dann und wann einfach nur noch nachhause.


Späte Rache

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