Читать книгу Späte Rache - Lydia Jablonski - Страница 16

Kapitel 4

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Als Matthew aufwacht liegt er auf dem Rücken. Er stellt schnell fest, dass er sich nicht viel bewegen kann. Er liegt auf einer speckigen Matratze, seine Hand- und Fußknöchel stecken in stählernen Schellen, die wiederum mit Ketten an Ringen im Betonboden befestigt sind. Eigentlich werden daran schwere Waren befestigt, die sich nicht anders halten lassen. Matthews Arme und Beine sind von ihm gestreckt. Außerdem hat er ein großes Stück Stoff als Knebel im Mund. Eine Selbstbefreiung ist unmöglich. Matthew sieht sich um, soweit das möglich ist. Er liegt in einer Ecke, die Wände sind aus Wellblech. Über ihm sind ein paar Meter Luft, an der Decke hängen Neonröhren. Etwa zwei Meter neben ihm stehen eingestaubte Paletten mit Kartons darauf. Sie verdecken seine Sicht, so dass er nicht sehen kann, wie viel Platz dahinter ist. Auch an der Wellblechwand gegenüber stehen Paletten. Außerdem ist in der Wand ein winziges Fenster, total verdreckt und milchig. Oben an der Wand sind ein paar kleine Fenster, gerade groß genug für einen Menschen. Sie sehen aus, als seien sie seit langem nicht bewegt worden. Durch ein dreckiges Oberlicht und das milchige Fenster scheint die Sonne und lässt ein paar Staubkörner in ihrem Strahl tanzen. Matthew vermutet, dass er in einer Art Lagerhalle ist. Eine Menge Gerümpel liegt herum. Eine Tür oder ein Tor kann er nicht entdecken.

Mühsam zerrt Matthew an den Fesseln. Es ist sinnlos. Sie sind aus massivem Stahl und geben keinen Millimeter nach. Mit sehr viel Anstrengung schafft er es, den Stoff mit der Zunge aus seinem Mund zu schieben. Erleichtert atmet er durch. Dann holt er tief Luft und schreit aus Leibeskräften um Hilfe. Er schreit eine ganze Weile doch es tut sich gar nichts. Offenbar hört ihn niemand.

Schließlich gibt er auf. Er muss seine Stimme schonen, sie ist sehr empfindlich. Andererseits, wer weiß schon, wann und ob er wieder singen kann? Der Gedanke erschreckt ihn bis tief ins Mark.

„Wo bin ich überhaupt?“ fragt er sich halblaut. Matthew versucht sich zu erinnern, wo er als Letztes war. Stimmt, das Hotel in Hamburg. Ob er wohl immer noch in Hamburg ist? Ob die Anderen ihn schon vermissen? Himmel, in Hamburg geben sie zwei Konzerte! Dann suchen die Anderen ihn bestimmt. Matthew hat noch nie ein Konzert verpasst. Wieder schreit er um Hilfe, aber es ist und bleibt sinnlos. Wo auch immer er ist, es ist offenbar niemand in der Nähe.

Nach einer Weile hört Matthew quietschend eine Tür aufgehen. Sie fällt ins Schloss und er kann am Geräusch erkennen, dass es eine Metalltür ist. Schnell nähern sich schwere Schritte. Ein Mann stellt sich vor ihn. Er trägt eine schwarze, wollene Skimaske. Sein Kreuz ist breit, doch er ist nicht sehr groß und seine Kleidung sieht verwaschen aus. Seine Stimme ist tief. Er spricht Matthew in fließendem Englisch an, so gut wie akzentfrei.

„Na, endlich aufgewacht?“

„Wer sind sie? Was soll das hier alles? Wo bin ich hier?“

„Du stellst zu viele Fragen!“ sagt der Täter. „Das mag ich nicht.“

„Mir doch egal. Ich mag hier auch nicht gefesselt liegen! Was wollen sie?“

„Schnauze!“ herrscht der Entführer ihn an. „Wenn hier einer redet, bin ich das.“

„Mir verbietet niemand das Wort!“ erwidert Matthew stur. Woher er in seiner Lage den Mut zu diesen Worten nimmt, kann er selbst nicht erklären. Er denkt nicht darüber nach. Sein Sturkopf hat die Kontrolle übernommen. Der Entführer zieht eine Pistole aus der Jackeninnentasche.

„Das sehe ich anders.“

Er hält Matthew die Waffe auf die Brust. Matthew wird blass und nickt stumm. Sein Mut ist wie weggeblasen.

„Sieh mal, du kannst ja auch still sein“, höhnt der Täter. „Ich werde deine Fesseln lösen. Da hinten steht ein Eimer, da kannst du dich erleichtern. Hab dir sogar was zu essen mitgebracht. Anschließend rufen wir deinen Bruder an. Und wehe dir, du machst Mätzchen! Dann schieß ich dir ins Knie. Klar?“

„Ja, klar“, antwortet Matthew leise und schluckt. Der Täter holt einen Schlüssel aus der Hosentasche und schließt die Stahlfesseln auf.

„Beweg dich!“

Mühsam erhebt Matthew sich. Er reibt sich automatisch die Gelenke und muss langsam aufstehen, um seinen Kreislauf nicht zu sehr zu belasten.

„Wird das heute noch was?“ herrscht der Täter ihn an. „Mach zu, ich hab doch nicht ewig Zeit!“

„Schon gut“, wiegelt Matthew ab. Es ist unglaublich demütigend, unter Aufsicht auf Klo zu gehen. Er fühlt sich wie ein 2-jähriger. Der rostige Eimer mit ein wenig Wasser darin fördert keine Sympathie. Dennoch fordert der Körper sein Recht.

„Komm wieder rüber“, verlangt der Täter. „Es gibt Essen!“

Matthew geht hinüber und der Täter macht ihm mit einer knappen Geste klar, dass er sich auf die Matratze setzen soll. Matthew tut, wie ihm geheißen. Der Entführer hat immer noch die Waffe in der Hand und er zielt nach wie vor auf ihn.

„Na also. Geht doch!“ Er holt eine Plastikdose aus einer Sporttasche. Außerdem eine Plastikflasche mit Wasser. Er gibt ihm die Dose. Matthew öffnet sie und findet zwei Scheiben Brot mit Belag. Außerdem einen kleingeschnittenen Apfel.

Matthew spielt mit dem Gedanken an einen Hungerstreik, verwirft ihn aber schnell wieder. Er braucht seine Energie noch. Kurz bevor er in das Brot beißt, hält er inne.

„Das ist nicht vergiftet!“ knurrt der Täter, als könne er Gedanken lesen. „Ich will dich nicht umbringen. Noch nicht.“

Matthew findet das alles andere als beruhigend, aber er hält besser den Mund und beißt in das erstaunlich leckere Brot hinein. Erst jetzt merkt er, wie viel Hunger er hat. Schnell verschlingt er die Mahlzeit. Auch die Flasche mit dem halben Liter Wasser hat er schnell geleert. Der Täter nickt befriedigt. Dann reicht er Matthew ein sehr einfaches Handy.

„Ruf deinen Bruder an. Die Nummer hast du im Kopf, das weiß ich. Sag ihm, er soll keine Polizei einschalten und 10 Millionen Dollar in bar auftreiben. Nicht nummeriert. Einzelheiten zur Übergabe kriegt er später. Und mach keinen Mist!“ Dabei drückt er Matthew die Waffe wieder auf die Brust. Dieser nimmt zitternd das Handy entgegen. Aus dem Kopf wählt er Vincents Nummer, allerdings schafft er es erst im dritten Versuch. Vincent geht nahezu sofort ans Telefon.

„Mitchell.“

„Vincent, ich bin es.“

„Matthew! Um Himmels willen! Wie geht es dir? Wo bist du?“

„Keine Zeit. Ich bin entführt worden. Treib bitte irgendwo 10 Millionen in bar auf. Keine Serie. Keine Polizei. Bitte, mach keinen Mist. Ich hab echt Angst.“

„Wo bist du? Geht es dir gut?“

In diesem Moment nimmt der Täter Matthew das Handy weg und unterbricht die Verbindung.

„Genug gequatscht.“

Matthew ist den Tränen nahe. Er kann sich sehr gut vorstellen, wie Vincent gerade zusammenbricht. Nun macht er sich auch noch um ihn Sorgen. Die beiden sind wie Zwillinge. Sie haben immer aufeinander aufgepasst. Der Täter unterbricht Matthews düstere Gedanken.

„Leg dich wieder hin! Ich hab noch einiges zu erledigen und keine Zeit, hier dauernd den Babysitter zu spielen!“

„Nein, bitte, nicht wieder fesseln!“

„Schnauze halten habe ich gesagt!“ schreit der Täter wütend und schlägt Matthew ohne jede Vorwarnung mit der Faust ins Gesicht. Sein Kopf fliegt unkontrolliert zur Seite und einen Augenblick lang sieht er Sterne. Seine Lippe platzt auf und blutet, aber er stellt zu seiner Erleichterung fest, dass noch alle Zähne da sind, wo sie hingehören. Er legt sich vorsichtig hin, der Druck der Waffe auf seiner Brust wird fester. Brutal reißt der Täter an Matthews Gelenken und fesselt sie wieder in die Stahlschellen.

„Mach´s Maul auf!“

Er drückt Matthew die Kiefer auseinander und schiebt den Stoffknebel dazwischen. Dann holt er aus der Sporttasche eine Rolle Isolierband und klebt einen großzügigen Streifen über das halbe Gesicht.

„Du hast dich letztes Mal auch von dem Ding befreit. Das Risiko kann ich nicht eingehen. Ich muss jetzt los. Bis später!“

Damit nimmt der Täter seine Sachen und lässt Matthew allein.

Späte Rache

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