Читать книгу Späte Rache - Lydia Jablonski - Страница 20
Kapitel 8
ОглавлениеDie Sonne scheint erneut durch das dreckige Milchglas, als Matthew aufwacht. Er fühlt sich wie durch den Fleischwolf gedreht. Sein rechtes Bein brennt wie Feuer und pocht als hätte jemand ein Schlagzeug darin versenkt. Jeder Atemzug tut höllisch weh, und er wird das Gefühl nicht los, dass ihm ein oder zwei Rippen zumindest angeknackst sind.
Er liegt wieder auf der dreckigen Matratze. Seine Hand- und Fußgelenke sind angekettet, gut gesichert mit stabilen Schlössern, die Gliedmaßen wie schon zuvor von sich gestreckt. Die Ketten sitzen sehr eng und die kleinste Bewegung lässt sie in die Haut einschneiden. Außerdem hat Matthew einen mit Isolierband befestigten Knebel im Mund.
So weit wie möglich betrachtet er sich. Seine Beine sind aufgeschürft und die Hose hängt in Fetzen. Carl und Ralph müssen ihn rücksichtslos über das Pflaster geschleift haben. Diesen Schmerz bemerkt Matthew jedoch kaum, die Schusswunde und die Rippen machen ihm genug zu schaffen. Sein Oberschenkel ist mit einem Handtuch verbunden. Wenigstens kann er so aller Wahrscheinlichkeit nach nicht verbluten. Matthew stöhnt leise in den Knebel hinein. Der Schmerz ist wirklich infernalisch.
Matthew ist klar, dass Ralph und Carl nach seinem Fluchtversuch keinerlei Rücksicht mehr auf ihn nehmen werden. Nicht, dass es ein Spaß wäre, stundenlang nahezu bewegungsunfähig gefesselt herumzuliegen. Aber nun, da er seine Entführer gegen sich aufgehetzt hat, fragt Matthew sich panisch, ob er überhaupt noch eine Chance hat, hier lebend herauszukommen.
Da er Tageslicht sieht, ist ihm klar, dass das Konzert ohne ihn stattfand. Was haben die Anderen den Fans gesagt? Hat das Konzert überhaupt stattgefunden? Ist nun die ganze Stadt auf der Suche nach ihm? Matthew hofft, dass alles noch geheim ist. Er möchte sich nicht ausmalen, was passiert, wenn Carl und Ralph den Druck der Öffentlichkeit im Nacken haben.
Die Metalltür quietscht und Männerschritte nähern sich. Ralph bleibt neben der Matratze stehen. Sein gemeines Grinsen lässt Matthew in Angstschweiß ausbrechen.
„Carl ist nicht da. Ich habe Anweisung, dich am Leben zu lassen. Wie gesagt, ich habe noch eine Rechnung mit dir offen“, sagt Ralph drohend. „Es war ein großer Fehler, mich anzugreifen. Ich wollte mich mit dir einigen, aber du musstest mir wehtun. Nun, jetzt werde ich dir wehtun!“ Ralph zieht wieder die Machete aus der Scheide am Gürtel und bohrt die Spitze unter Matthews Kinn. Dessen Augen weiten sich angsterfüllt.
„Auf was möchtest du verzichten? Finger hast du doch genug, oder? Ich denke, dein Bruder wird sich freuen, wenn er einen Teil von dir für immer bei sich tragen kann. Oder willst du ihn etwa behalten?“
Matthew kann durch den Knebel nichts erwidern.
„Ich kann dir auch einfach ein Ohr abschneiden. Du hast ja zwei davon.“
Matthew ist so entsetzt, dass er nicht einmal die Augen schließen kann. Er starrt Ralph panisch an.
„Eigentlich finde ich es schade, dass du mir nicht antworten kannst“, meint Ralph. „Aber Carl hat gesagt, ich darf dich auf keinen Fall irgendwie befreien. Andererseits – ich falle auf deine Sprüche nicht herein. Also denke ich, ich kann zumindest den Knebel rausnehmen. Dann kannst du schreien und betteln, das höre ich doch so gern!“
Das gemeine Grinsen ist gerade dämonisch geworden.
Ralph zieht brutal das Isolierband ab. Dann holt er den Stoff aus Matthews Mund. Dieser verspürt das dringende Bedürfnis, sich selbigen mit Reinigungsmittel auszuspülen, aber ist nicht seine Hauptsorge. Ihm ist heiß und kalt zugleich. Wie ein schlingender Dämon hat sich lähmende Angst breitgemacht.
Ralph streicht mit der Machetenspitze ein wenig über Matthews Brust. Matthew spielt mit dem Gedanken, tatsächlich zu betteln, aber er weiß nicht, ob das richtig ist. Vielleicht heizt es Ralph nur an und er tut ihm erst Recht weh. Außerdem hat Matthew trotz seiner beschissenen Lage noch einen Rest Stolz, der ihn irgendwie davon abhält, sich noch mehr zu erniedrigen.
Ralph zieht das T-Shirt aus Matthews Hosenbund und fährt mit der Machete darunter. Dann ratscht es einmal und das Shirt ist in zwei Teile zerlegt.
„So ist es besser“, flüstert Ralph. „Du bist wirklich hübsch! Fast schon schade, diesen schönen Körper mit Narben zu übersehen. Aber was sein muss, muss sein!“ Er ritzt einen langen Schnitt vom Hals bis zum Bauchnabel. Matthew schreit automatisch auf vor Schmerz. Der Schnitt ist nicht tief, er blutet nicht einmal. Aber er brennt wie Feuer.
„Ja, schrei du nur!“ haucht Ralph. Matthew beißt sich auf die Zunge. Warum hat er Schwäche gezeigt? Genau das will der offenbar Perverse neben ihm doch.
Ralphs Hand wandert langsam über Matthews Brust. Mit der Fingerspitze fährt er den Schnitt entlang. Seine Augen bekommen einen glasigen Ausdruck und er beginnt schwer zu atmen. Ralph hat eine sadistische Ader und einen latenten Hang zu Männern. Matthew ist genau sein Beuteschema. Wehrlos, hübsch, angsterfüllt und voller Schmerzen. Ralph muss aufpassen, dass er nicht zu früh fertig ist. Das würde den Spaß verderben. Diese Situation muss genossen werden, findet zumindest Ralph.
Matthew ist starr vor Schock. Er friert und schwitzt gleichzeitig. Er hat keine Zeit, sich Gedanken darüber zu machen, ob er schwach ist. In ihm tobt das blanke Grauen.
Ralphs Hand wandert weiter zu Matthews Taille. Langsam beginnt er den Gürtel zu öffnen. Seine Hand schiebt sich unter den Hosenbund und zittrig öffnet er den Knopf.
Das ist Matthew zu viel.
„Nein, bitte nicht!“ fleht er und versucht automatisch sich wegzubewegen. Die Fesseln und der Schmerz verhindern das.
„Warum denn nicht?“ flüstert Ralph. „Du bist so wunderschön!“
„Bitte, nein, nicht das!“ bettelt Matthew.
„Nun stell dich nicht so an. Ich bin auch ganz vorsichtig. Das muss man genießen.“
Matthew ist völlig verzweifelt. Er hat keine Chance, dem Übergriff zu entgehen.
„Bitte…“, fleht er leise. „Bitte nicht!“
„Das wird schön!“ erwidert Ralph und schließt seine Hand um Matthews Glied.
Es ist völlig egal, was dieser sagt oder tut, er hat nicht die mindeste Chance. Zu allem, was er bereits erleiden musste, kommt nun noch Vergewaltigung hinzu. Matthew ist sowieso sehr empfindlich, was Körperkontakt anbetrifft. Die Jahre umgeben von Menschenmassen haben ihn gelehrt, einen Sicherheitsabstand einzuhalten und selbst festzulegen, wann er wen berühren möchte. Das hier ist das pure Grauen.
Plötzlich quietscht die Tür wieder und schwere Schritte hallen über den Betonboden. Carl ist wieder da.
„Verdammt nochmal Ralph!“ brüllt er. „Ich habe dir gesagt, du sollst ihn am Leben lassen!“
„Er lebt doch!“ schreit Ralph verärgert über die Unterbrechung und den Anraunzer zurück. „Ich hab nur ein bisschen gespielt!“
„Es sieht eher aus, als hättest du ihn aufgeschlitzt! Und warum ist er nicht geknebelt? Musstest du wieder den Perversen spielen?“
„Ach lass mich doch in Ruhe!“ kreischt Ralph. „Warum darf ich keinen Spaß haben? Ich hab ihm ja nix getan. Stell dich doch nicht immer so an.“ Ralph setzt sich im Schneidersitz auf den Boden und ist beleidigt.
„Dir ist wirklich nicht mehr zu helfen! Jetzt spiel nicht die beleidigte Leberwurst. Hilf mir lieber. Der Typ braucht Nahrung, sonst geht der noch drauf. Tot nützt er uns überhaupt nichts mehr.“
„Ich hab schon viel zu viel getan. Eigentlich sollte ich nur ein bisschen aufpassen. Nun stecke ich bis zum Hals in der Geschichte drin.“
„Fängst du schon wieder an? Ich habe dir doch schon gesagt, dass ich auch nur einen Bruchteil bekomme. Außerdem hattest du ja wohl gerade eben eine Menge Spaß!“
„Jaja“, grummelt Ralph. „Aber darüber reden wir trotzdem noch einmal.“
Carl zieht seine Waffe aus der Jacke und gibt sie Ralph.
„Bewach ihn. Wenn er rumspinnt, schieß ihm auch noch das andere Bein weg.“
Dann wendet er sich an Matthew:
„Ich werde deine Hände losbinden, damit du dich aufsetzen und essen kannst. Den Knebel bist du ja schon los. Mach keine Zicken, mein Kumpel schießt dir auch noch das andere Bein weg. Klar?“
„Ja“, presst Matthew mühsam heraus. Er weiß nicht mehr, ob er Angst vor Carl haben soll, oder erleichtert darüber, dass er offenbar Ralph entkommen ist. Er weiß nur, dass ihm übel ist.
„Gut für dich.“
Carl holt einen kleinen Schlüssel aus der Hosentasche und schließt die Vorhängeschlösser an den Ketten der Handgelenke auf. Matthew versucht sich aufzusetzen, aber mit gefesselten Beinen und verletzt ist das unmöglich.
„Was wird das denn nun wieder?“ stöhnt Carl genervt. „Kriegt Mr. Sixpack nicht einmal mehr das hin?“
Matthew antwortet nicht. Was hätte er auch sagen sollen? Allein der Versuch, sich aufzusetzen, treibt ihm erneut Tränen in die Augen.
„So wird das nichts“, stellt Carl fest. Er löst auch noch die Fesseln um die Fußgelenke.
„Ralph, pack mal mit an. Wir lehnen ihn gegen die Wand.“
Ralph murmelt irgendetwas Unverständliches, erhebt sich aber und hilft. Ralphs Berührung löst in Matthew einen Brechreiz aus.
Carl gibt ihm die Plastikdose. Wieder sind belegte Brote und ein wenig Rohkost darin.
Matthew hat zwar Mühe, aufrecht sitzen zu bleiben und gleichzeitig zu essen, aber er bekommt es hin. Er weiß, dass er alles nehmen muss, was er kriegen kann. Obwohl sein Magen ob des Übergriffs immer noch Saltos schlägt. Leider kann er nur auf einer Seite kauen, denn der ausgeschlagene Backenzahn hängt am seidenen Faden und schon die Atemluft, die dagegen streicht, tut weh. Den halben Liter Wasser trinkt er vorsichtig aber dankbar.
Carls Handy klingelt. Nach einem kurzen Blick auf das Display nimmt er den Anruf auf Englisch entgegen.
„Ja?“
„Du kriegst gleich eine Lieferung. Eine Kiste mit Rauchbombensätzen. Damit solltest du die Lösegeldübergabe problemlos regeln können.“
„Alles klar Boss!“ erwidert Carl und macht ein sehr wichtiges Gesicht. Das kann Unbekannte nicht sehen, aber Matthew und Ralph schon.
„Wie geht es dem Gefangenen?“
„Er ist verletzt, aber er lebt.“
„Wieso ist er verletzt?“ fragt der Anrufer und man kann an der Stimme hören, wie er die Augenbrauen hebt. Leider kann man nicht hören, dass er es tut, weil er sich ärgert, dass er nicht die Ursache des Leids ist.
„Er hat ein paar Probleme gemacht, da mussten Ralph und ich ein wenig grob werden“, umschreibt Carl die Ereignisse.
„Probleme? Habe ich dir nicht schon beim letzten Anruf gesagt, ich will keine weiteren Probleme?“ knurrt der Boss durch die Leitung.
Carl wird ein wenig panisch. Er stammelt:
„Der Typ ist weggelaufen. Wir mussten uns mit ihm schlagen und ihm eine Kugel ins Bein jagen.“
„Er ist WAS?!“ donnert der Andere so laut, dass auch Matthew und Ralph es hören können. „Wie konnte das denn passieren?!“
„Na, die Junkies haben doch die Fesseln kaputtgemacht und da…“, stammelt Carl weiter.
„Und dann warst du Idiot nicht in der Lage, ihn festzuhalten? Wozu hast du dir dann Hilfe geholt? Ich bin von Deppen umzingelt! Was ist so schwer daran, zu zweit und bewaffnet auf einen Typen aufzupassen?“
„Boss, es tut mir wirklich leid!“ Angstschweiß beginnt, Carl das Gesicht hinunter zu rinnen.
„Halt den Mund!“ fährt der Unbekannte dazwischen. „Es ist mir vollkommen schnuppe, ob es dir leid tut! Sieh zu, dass du den Deal nicht verhaust oder du wirst es bitter bereuen!“
„Ja, selbstverständlich!“ beeilt sich Carl zu antworten. „Es wird alles glattgehen, nur keine Sorge! Ich regle das!“
„Das will ich dir wirklich geraten haben!“ droht der Unbekannte und legt auf.
Carl steht einen Augenblick lang schwitzend herum und starrt auf das Handy. Matthew und Ralph wechseln einen kurzen Blick und sind zum ersten Mal einer Meinung. Sie haben beide Angst. Doch überraschenderweise passiert nichts weiter. Carl steckt das Handy weg und bleibt stehen wie eine Statue. Er sagt nichts und sein Gesichtsausdruck ist absolut neutral. Ralph und Matthew versuchen sich so unauffällig wie möglich zu verhalten.
Nur ein paar Minuten später öffnet sich die Tür mit lautem Quietschen erneut. Zwei komplett schwarz gekleidete und maskierte Gestalten schleppen mühsam eine schwere, leicht angerostete Metallkiste herein. Sie beachten die Anwesenden nicht und auch von den Dreien hat niemand das Bedürfnis, Kontakt herzustellen. Die Gestalten wirken bedrohlich. Beide sind breit gebaut und ihr Schweigen lässt sie noch unheimlicher erscheinen. Carl zieht unmerklich den Kopf ein wenig ein. Matthew drückt sich automatisch fester an die Wand und Ralph blickt scheinbar konzentriert auf seine Fingerspitzen. Die Leute stellen die Kiste vorsichtig auf dem Boden in der Nähe der Matratze ab.
„Wer ist Carl?“
Carl rührt sich nicht. Ralph zeigt stumm auf ihn. Matthew wünscht sich einen Tarnumhang.
Die Maskierten gehen zu Carl hinüber. Einer stellt sich hinter ihn und dreht ihm kommentarlos die Arme auf den Rücken. Carl wehrt sich nach Leibeskräften, doch er hat keine Chance. Der Andere bleibt vor ihm stehen.
„Der Boss mag keine Fehler!“ sagt er und schlägt Carl mit voller Wucht die Faust in die Magengrube. Carl krümmt sich stöhnend zusammen, doch der zweite Mensch hält ihn aufrecht.
„Es kommt nicht wieder vor!“ stöhnt Carl atemlos.
Der Erste schlägt noch einmal zu, genau auf dieselbe Stelle. Wieder krümmt Carl sich, soweit sein Bewacher es zulässt, stöhnend zusammen. Wieder wird er aufgerichtet.
„Besser für dich!“ sagt der Erste düster und verpasst Carl eine Reihe von Schlägen. Carl wimmert, aber er hat nicht den Hauch einer Chance, dem eisernen Griff zu entgehen und den Angriff abzuwehren.
„Ich schwöre es, es kommt nicht wieder vor!“ wimmert Carl in einer Schlagpause.
„Das hoffe ich für dich!“ erwidert der Angreifer und schlägt noch einmal mit voller Wucht zu. Diesmal wird Carl nicht gehalten, als er zusammensackt und stöhnend auf den Betonboden rutscht. Der, der hinter ihm steht, steigt mit ausdrucksloser Miene über ihn hinweg.
„Gehen wir!“ sagt er zu seinem Kollegen. Der nickt und beide stampfen durch die Halle. Erst, als die Tür ins Schloss gefallen ist, wagen Carl, Ralph und Matthew wieder zu atmen. Carl liegt zusammengekrümmt am Boden. Matthew hat kein Mitleid mit ihm. Auch Ralph rührt sich nicht von der Stelle.
Nach ein paar scheinbar endlosen Minuten rappelt Carl sich sehr mühsam auf. Er ist grün im Gesicht, die Maskierten haben seinen Magen ein wenig zu sehr malträtiert. In Carls Augen glüht Hass. Seine Miene ist versteinert, als er schwer beherrscht zu Ralph und Matthew hinübersieht. Beiden läuft ein eiskalter Schauer über den Rücken.
„Ich sollte euch das Fell über die Ohren ziehen!“ knurrt Carl zwischen zusammengebissenen Zähnen und vergisst in seiner Wut das Englischsprechen. „Es ist eure Schuld, dass der Boss auf mich sauer ist.“
„Carl, hör zu, es tut mir wirklich leid!“ stammelt Ralph gar nicht mehr selbstbewusst.
„Es ist mir so was von egal, was dir leid tut!“ explodiert Carl lautstark. „Du kannst froh sein, dass ich verdammt noch mal keine Zeit habe, mich näher mit dir zu befassen!“
„Ja, ich weiß“, erwidert Ralph kleinlaut. „Ich mach keinen Mist mehr, ich schwöre es dir.“
„Das ist wirklich besser für dich!“ schreit Carl weiter. „Ansonsten kannst du nämlich mal Bekanntschaft mit den Schlägertypen vom Boss machen.“
„Schon klar. Echt jetzt, ich passe auf!“
Matthew versteht kein Wort des Streits, aber er kann sich den Inhalt denken. Zu schade, dass er sich nicht rühren kann, die Gelegenheit für eine erneute Flucht wäre günstig. Im selben Moment schüttelt er den Kopf ob dieses irrwitzigen Gedankens. Er muss wahnsinnig geworden sein.
Carl ist offenbar damit fertig Ralph anzuschreien. Er dreht sich um, greift in seine Sporttasche und holt einen Flachmann heraus. Er nimmt einen großen Schluck. Ralph verfolgt das Treiben mit großen Augen, wagt aber nicht irgendetwas zu sagen. Obwohl er weiß, dass Carl eigentlich trockener Alkoholiker ist und sich garantiert kein Wasser in dem Flachmann befindet. Carl verstaut den Alkohol sorgfältig wieder in der Tasche. Er hat sich sichtbar beruhigt. Langsam dreht er sich wieder um und sieht Matthew an. Er überlegt einen Augenblick lang, dann sagt er: „Wir rufen deinen Bruder an.“
Matthews Augen bekommen ein freudiges Leuchten. Damit hat er als Letztes gerechnet.
„Sag ihm, heute um 14 Uhr, Gleis 14, Hauptbahnhof. Schwarzer, unauffälliger Koffer, beschriftet mit Hans Moser. Die Bullen sollen sich raushalten. Und sag ihm NUR das. Kein weiteres Wort! Verstanden?“
„Ja, verstanden“, antwortet Matthew artig. Ihm ist alles egal. Hauptsache, er kann Vincent ein Lebenszeichen geben und seine Stimme hören.
Carl gibt Matthew ein neues, sehr einfaches Handy. Matthew wählt Vincents Nummer aus dem Kopf.
„Matthew?“ klingt Vincent hysterisch durch die Leitung.
„Ja, ich bin´s. Vincent, hör zu. Du sollst das Geld heute um 14 Uhr auf Gleis 14 am Hauptbahnhof hinstellen. In einem schwarzen Koffer, wo Hans Moser draufsteht. Die Polizei darf nichts machen.“
„Geht klar. Wie geht es dir?“
„Ging schon besser. Aber ich pack das schon.“
Carl nimmt Matthew das Handy weg und kappt die Verbindung.
„Sagte ich was von „Nichts anderes“?“ brüllt er Matthew an. „Kannst du eigentlich nie das machen, was man dir sagt?“
Matthew schüttelt stumm den Kopf. Carl sieht ihn mit gespielter Verzweiflung an. Man kann sehen, wie es in ihm arbeitet.
„Gut, ist auch egal. Es ist jetzt ungefähr 11 Uhr. Wenn alles klappt, lasse ich dich heute Abend gehen. Bis dahin muss ich dich aber nochmal fesseln und knebeln. Ralph und ich haben noch mehr zu tun, wir müssen die Übergabe vorbereiten.“
Carl nickt Ralph knapp zu und er springt sofort auf. Beide greifen Matthew fest und legen ihn unsanft wieder auf den Rücken. Matthew muss sich auf die Zunge beißen, um nicht vor Schmerz aufzuschreien. Carl greift nach seinem Handgelenk und schlingt eine Kette darum.
„Bitte, nicht wieder fesseln!“ bettelt Matthew mit dem Mut der Verzweiflung. „Mann, ich kann mich nicht einmal allein hinsetzen! Wie soll ich bitteschön weglaufen?“
„Dir traue ich alles zu!“ erwidert Carl kurz. „Darüber wird nicht verhandelt.“
„Dann bitte wenigstens ein bisschen lockerer. Ich bin schon ganz wund“, bettelt Matthew weiter. Carl schüttelt nur mit dem Kopf. Dann fesselt er Matthew zu Ende und achtet sorgfältig darauf, dass er keine Chance zur Flucht hat.
„Mach den Mund auf!“ herrscht Carl Matthew an. Dieser macht sich nicht die Mühe weiter zu betteln. Er tut einfach, was Carl verlangt. Auch wenn der Gedanke an den Stofffetzen in ihm einen Würgereiz auslöst. Eine Wahl hat er sowieso nicht und so muss er sich nicht noch weiter demütigen. Carl und Ralph verlassen die Lagerhalle und lassen Matthew allein.