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6. Regierungsstil

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Lebensstil und Missionarismus

Hitlers Tagesablauf und Lebensrhythmus blieben über die Jahrzehnte geprägt von dem unsystematischen, intuitiven und voluntaristischen Stil, den er schon in Jugendjahren pflegte. Er stand meist spät auf, saß selten am Schreibtisch, verabscheute konzentriertes Aktenstudium, lebte augenscheinlich in den Tag hinein, um abends, möglichst nach dem Genuss eines Films, im Kreis seiner Entourage stundenlang zu monologisieren. Eine Beschreibung von Hitlers Regierungsstil allerdings, die vor allem auf diesen immer wiederkehrenden bohemehaften Lebensrhythmus und seine unsystematische Arbeitsweise abhebt, wird Hitlers Einfluss und Wirkung nur unzureichend gerecht, wenn sie einen gedachten „Normalfall“ sachlicher Bürokratie als Maßstab anlegt, wonach ein Kanzler sich morgens um acht an den Schreibtisch setzt, um irgendwann abends nach fleißigem Detailstudium den letzten Aktendeckel zu schließen. Hitler betrieb Politik auf andere Art und er entschied auf andere Weise. Er war auf seine eigene Art durchaus „fleißig“, wenn es den Kern seiner „Mission“ betraf, blieb im Innersten seines Wesens stets rastlos und von der Angst vor einem frühen Tod getrieben. Dieses Getriebensein verschmolz im Politischen wie im Alltäglichen durchweg mit seinem ideologischen Glauben, der ihm die autosuggestive Selbstgewissheit missionarischer Auserwähltheit zum tragenden Charakterzug seines Wesens, aber auch zur ständigen inneren Mahnung werden ließ, seine „Mission“ noch zu Lebzeiten so weit zu treiben als irgend möglich. Namentlich seine Wahlkampfreisen und Werbereden, überhaupt die Vorbereitung seiner Auftritte und deren rigorose rhetorische Berechnung, aber auch die vielfältigen Einmischungen in alltägliche Dinge, wie sie in den mannigfachen Führerweisungen zum Ausdruck kommen, offenbaren und spiegeln diesen fiebrigen Fleiß des „Berufenen“.

Hitler entschied nicht selten intuitiv, und das scheinbare Sichtreibenlassen spiegelte oft jene Inkubation des Instinktiven, die er gerade bei schwerwiegenden Konfliktfragen benötigte, um seine Entschlüsse heranreifen zu lassen. Weil er hiermit erfolgreich war und mit den Gewinnen vieler Jahre in diesem Selbstbild euphorisiert wurde, war es zusehends unmöglicher, ihn von dergleichen Entscheidungen, sobald sie einmal getroffen waren, wieder abzubringen. Anders formuliert: Hitler war von seiner historischen Sendung nicht nur überzeugt, sondern geradezu besessen. Er fühlte sich als auserwähltes Werkzeug der „Vorsehung“. Dementsprechend waren seine Entscheidungen für ihn nicht etwa Ergebnisse rationaler Überlegung, sondern übermenschlicher Eingebung, und seine Erfolge wiederum waren es, die ihn mit den Jahren immer überzeugter werden und keinerlei Zweifel mehr zuließen.

Hitlers Entscheidungsgewalt

Wer darüber hinaus die Frage nach dem jeweiligen Einfluss Hitlers auf die Entscheidungen innerhalb des NS-Herrschaftsgefüges stellt, um den tatsächlichen Einfluss zu beurteilen, muss die Tatsache im Auge behalten, um welche Details sich eine einzelne Person im Laufe eines Tages zu kümmern vermag und was die generelle Linie der NS-Politik erstrebte. Die Stärke Hitlers spiegelt sich nicht zuletzt in der Tatsache, dass er bisweilen kaum etwas unternehmen musste, um seine langfristigen Vorstellungen in der Bahn zu halten. Hitler beschwor und verfolgte die großen Linien: Machtsicherung, Aufrüstung, Volksgemeinschaftskonzeption, außenpolitische Großmachtentwicklung – alle jeweiligen Entscheidungen verknüpfend mittels voluntaristisch durchtränkter Propaganda und exemplarischsymbolischer Handlungen. Er konzentrierte sich, von Instinkt und politischem Talent beeinflusst, auf das in diesem Gesamttableau jeweils vordringlichste Element. So gab es nach der Ermordung Röhms niemanden mehr, der seine Führer-Position in Frage stellte. Viel schneller als beispielsweise Mussolini in Italien oder Stalin in der Sowjetunion wurde Hitler in den Augen einer breiten Öffentlichkeit binnen weniger Jahre gleichsam vergöttert. Es bedurfte auch keiner jahrelangen Schauprozesse oder sonstiger „Säuberungen“ – ein immer noch verbreiteter Euphemismus für politischen Massenmord –, um Signale der Einschüchterung in die Öffentlichkeit zu senden und bedingungslose Gefolgschaft in den eigenen Reihen zu erreichen. All dies, wofür Stalin Jahre brauchte und was Mussolini in diesem Umfang nie durchzusetzen vermochte, erreichte Hitler in anderthalb Jahren. Hitlers Durchsetzungsfähigkeit spiegelt zugleich den Fanatismus vieler seiner Anhänger, seine breite Resonanz in zunächst rund der Hälfte der deutschen Bevölkerung, später in immer weiteren Kreisen, aber sie zeigt auch die Schwäche der Gesamtgesellschaft, sich gegen die antizivilisatorischen Anforderungen seiner Raubtier-Ideologie und Gewaltherrschaft zu behaupten.

Die nationalsozialistische Herrschaft 1933-1939

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