Читать книгу Die Ruinen von Kab - Manfred Rehor - Страница 10

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Als die Sonne aufging, suchte ich mir einen Lagerplatz an einem Bach, weitab vom Weg. Ich hätte Krenndorf von hier aus sogar zu Fuß bis zur Mittagszeit erreichen können. Aber es schien mir nun angeraten, möglichst die Dunkelheit zu nutzen. Wenn die Kurrether Verräter und Zuträger in den Dörfern und Bauernhöfen der Umgebung bezahlten, durfte man mich auf meinem Weg sehen. Der Auftrag, den mir Fürst Borran erteilt hatte, war schwieriger, als ich gedacht hatte.

Die Frage stellte sich, warum Krenndorf und seine Handwerker so interessant für die Kurrether waren. Denn sie wollten ja insbesondere über Transporte informiert werden, die von dort aus über Umwegen nach Dongarth gebracht wurden. Immerhin jedoch war man nicht gezielt auf der Suche nach mir - falls der Bauer die Wahrheit gesagt hatte. Mit diesem beruhigenden Gedanken schlief ich ein.

Rollender Donner weckte mich am frühen Nachmittag. Ein Gewitter war herangekommen, dunkle Wolken zogen über den östlichen Horizont. Noch hatten sie meinen Standort nicht erreicht. Ich beschloss, das Unwetter als besondere Gunst zu sehen und in seinem Schutz den Weg fortzusetzen.

Ich ritt, bis ich in der Ferne die ersten Häuser sah. Dann suchte ich einen geschützten Ort für die Pferde und ging zu Fuß weiter.

Krenndorf war entgegen dem Namen eine kleine Stadt mit gepflasterten Straßen, fünf Dutzend oder mehr Gebäude und einem Tempel am Stadtrand, der einer mir unbekannten Göttin der Fruchtbarkeit geweiht war.

Das Gewitter fuhr mit einem Windstoß über die Stadt, Regen setzte ein.

Borran hatte mir beschrieben, wo sich die Werkstatt des Kunstschmieds Meister Strutz befand. Ich musste zum anderen Ende der Siedlung, wo ein schmaler Fluss entlang lief. An dessen Ufern hatten sich einige Handwerksbetriebe angesiedelt.

Statt außen herum zu gehen, durchquerte ich den Ort. Wegen des Regens zog ich die Kapuze meines Umhangs über den Kopf und ging leicht vorgebeugt, mich gegen den Wind stemmend. Die wenigen Menschen, denen ich begegnete, verhielten sich nicht anders. Niemand würde vermuten, dass ich kein Bürger Krenndorfs war.

Ich gelangte zu einem großen Gebäude, es war das dritte entlang des Ufers. An das zweistöckige Wohnhaus war eine Werkstatt angebaut, die über einen gewaltigen Schornstein verfügte. Ob Rauch herauskam, konnte ich wegen des strömenden Regens nicht erkennen.

Das Grundstück war von einem schmiedeeisernen Zaun umgeben, in den ein kunstvoll gearbeitetes Gartentor eingefügt war. Es war nicht verschlossen. Ein Weg führte zur Tür des Hauses. Sie war aus Holz, hatte aber Eisenbeschläge, die ebenfalls verziert waren. Das Muster sah aus wie Blätter, aus denen kleine Blüten wuchsen. Ein Löwenkopf mit mächtiger Mähne, so groß wie meine Faust, diente als Türklopfer.

Ein wuchtiger Mann öffnete. Er trug eine Laterne in der Hand, vermutlich weil es im Haus wegen der Gewitterwolken und des Regens zu dunkel war, um etwas zu erkennen.

„Wer sind Sie?“, fragte er.

„Meister Strutz?“

„Ja.“

„Fürst Borran schickt mich, um etwas abzuholen. Ich habe ein Schreiben für Sie dabei.“

Nachdem er mich ein paar Atemzüge lang gemusterte hatte, wandte sich um und brummte: „Kommen Sie herein.“

Er war groß und kräftig, ging gebeugt und war von unbestimmbarem Alter. Seine krausen, feuerroten Haare und die helle Haut passten so gut zu einem Mann um die dreißig wie zu einem um die fünfzig.

Noch im Hausflur forderte er mich auf, den nassen Umhang abzunehmen und an einen Haken zu hängen. Ebenso musste ich die schmutzigen Stiefel ausziehen. Für jemanden, der beruflich Eisen bearbeitete, kam er mir ziemlich pingelig vor.

Dieser Eindruck verstärkte sich noch in dem Wohnraum, in den er mich führte. Die Sessel waren gut gepolstert, auf dem Tisch lag ein Deckchen, den Boden bedeckte ein Teppich mit Blütenmuster. An den Wänden hingen dicht nebeneinander und übereinander Bilder mit Naturdarstellungen.

Der Mann bemerkte meine erstaunten Blicke. „Meine Frau malt“, sagte er und deutete auf einen Sessel. „Also, welches Stück sollen Sie abholen?“

„Welches?“, echote ich zurück. Mir war bisher nicht der Gedanke gekommen, dass Meister Strutz mehrere Aufträge von Fürst Borran haben könnte. „Die Kopie des Artefakts.“

„Aber welches?“, fragte er erneut. „Am besten, Sie geben mir den Brief.“

Ich reichte ihm den kleinen Umschlag. Er prüfte das Siegel nicht nur, indem er es näher an das Licht hielt, sondern auch durch Kratzen mit dem Fingernagel. Dann erst brach er es auf und las das Schreiben.

„Also das große Ding“, sagte er. „Warten Sie.“

Er ging in ein Nebenzimmer und kam nach ein paar Minuten mit einem in eine Decke gewickelten Gegenstand zurück. Als er ihn auspackte, entfuhr mir ein erstaunter Ausruf. Ich hatte das Artefakt von den Larker Höhen selbst in Händen gehalten und es später mehrfach in der Sammlung des Fürsten gesehen. Ich hätte mein Geld darauf gewettet, dass ich das Original vor mir sah. Es hatte nicht nur das gleiche, wirre Aussehen, sondern auch eine düstere Ausstrahlung. Aber vielleicht bildete ich mir die nur ein.

„Das ist Ihnen aber perfekt gelungen!“, lobte ich den Meister. „Wie konnten Sie das Original so gut nachbilden?“

„Ich war eine Woche in Dongarth, um unter anderem diesen Gegenstand zu vermessen und zu studieren“, antwortete Strutz. Stolz ließ er sich in einen Sessel fallen und entzündete eine Pfeife, die fertig gestopft auf dem Tisch lag.

Der Geruch von mildem Tobacco erfüllte die Luft. Wir schwiegen eine Weile. Der Regen schlug gegen die Fenster und der Wind pfiff durch Ritzen und rüttelte am Gebälk. Immer wieder zuckte das grelle Licht von Blitzen durch das Zimmer.

Ich beschloss, einen Vorstoß zu wagen. „Sind die anderen Gegenstände auch so hervorragend gelungen?“

Er nickte und nahm die Pfeife aus dem Mund. „Nur ein Fachmann oder ein Magier könnte den Unterschied erkennen. Wenn man genügend Zeit hat, kann man praktisch alles kopieren. Wobei so große Gegenstände leichter herzustellen sind als kleine.“

„Welche kleinen, zum Beispiel?“

Er deutete mit dem Mundstück der Pfeife über seine Schulter nach hinten. „Ardan, der Knochenschnitzer, wohnt nebenan. Er stellt Kopien von Artefakte der Elfen her. Die Einzelheiten darauf sind so winzig, dass ein Fliegenschiss dagegen wie ein Kuhfladen wirkt. Und unser Messerschmied ein paar Häuser weiter versucht, die scharfen Klingen dieser Leute nicht nur nachzumachen, sondern auch mit den feinsten Verzierungen zu versehen, die typisch für sie sind. Wir alle gehören zu den besten Kunsthandwerkern der Ringlande, aber diese Arbeiten bringen uns an die Grenzen unseres Könnens. Deshalb sind wir stolz darauf, dass Fürst Borran uns sein Vertrauen schenkt.“

„Hat er Ihnen auch geraten, über das alles zu schweigen?“

Strutz zog die roten Augenbrauen in die Höhe. „Selbstverständlich. Aber das muss ich ja Ihnen gegenüber nicht tun. Sie haben ein Schreiben des Fürsten.“

„Stimmt. Mir dürfen Sie alles erzählen. Wie viele Stücke müssen Sie denn noch herstellen?“

„Ich? Drei kleine Arbeiten, deren Ursprung mir der Fürst nicht nennen konnte. Vielleicht stammen sie von den sagenhaften Zwergen, die es angeblich im Ringgebirge gibt. Jedenfalls sind es Gegenstände aus Gusseisen, die viel zu zierlich sind, um sie vernünftig formen zu können. Ich versuche jeden Tag eine andere Methode, aber ich bin mit dem Ergebnis noch nicht zufrieden.“

„Und Ihre Kollegen?“, wollte ich wissen und machte mit der Rechten eine luftig kreisende Bewegung, die alles und jeden in Krenndorf einschloss.

„Ende kommenden Monats werden wir fertig sein. Früher, als erwartet.“

„Glückwunsch! Fürst Borran wird sich freuen, das zu hören. Wie ist der Transport nach Dongarth geplant?“

„Wir packen alles auf ein Fuhrwerk und vor die Tore der Hauptstadt bringen. Wie es der Fürst dort ungesehen in die Residenz schafft, ist nicht mehr unsere Sache.“

Ich schüttelte den Kopf. „Das mit dem Fuhrwerk ist keine gute Idee“, sagte ich und schilderte mein Erlebnis mit dem Bauern.

Er lehnte sich zurück, paffte seine Pfeife und dachte nach. „Ja, das ergibt einen Sinn“, meinte er schließlich. „Unser Bürgermeister wird seit einiger Zeit von einem Kurrether unterstützt. Rat Sangast nennt der sich, obwohl ein so kleiner Ort wie Krenndorf eigentlich keine Räte ernennen kann. Und seitdem der da ist, interessieren sich die Behörden auffallend dafür, was wir Handwerker herstellen.“

„War das früher anders?“

„Wir haben unsere Arbeit gemacht und pünktlich die Steuern bezahlt. Erst wenn jemand mit den Zahlungen in Rückstand geraten ist, hat sich die Stadt bei ihm gemeldet.“

„Man hat also Verdacht geschöpft, dass Sie und die anderen Kunsthandwerker nicht nur normale Aufträge annehmen.“

„Kann man vermuten, oder? Aber die Leute im Rathaus verstehen zu wenig von praktischer Arbeit, um beurteilen zu können, was wir gerade tun. Und sie sind nicht beliebt in der Stadt, also wird ihnen niemand einen Hinweis zuflüstern, dass etwas Ungewöhnliches vor sich geht. Schon gar nicht dem Rat Sangast.“

„Gut, wenn man so zusammenhält“, sagte ich. „Haben Sie einen Vorschlag, wie man die Kopien trotzdem unbemerkt nach Dongarth transportieren kann?“

„Kein Problem. Ein Bauer, mit dem ich befreundet bin, bringt einmal in der Woche Gemüse zum Markt am West-Tor. Zuverlässiger Mann. Wir könnten unsere Sachen unter seiner Ware verstecken. Noch nie hat jemand den Wagen durchsucht. Warum auch?“

„Wie viel werden Sie ihm dafür bezahlen müssen?“, fragte ich und zog meinen Lederbeutel mit Münzen heraus.

Meister Strutz winkte ab. „Nichts. Bei uns läuft das anders als in der großen Stadt. Vertrauen gegen Vertrauen. Man tut einem Freund einen Gefallen und der erwidert das, wenn man eines Tages seine Hilfe benötigt. Geld führt nur zu Misstrauen und Gier.“

„Einen solchen Zusammenhalt findet man in der Hauptstadt nur selten“, gab ich zu.

„Es geht ja auch um eine höhere Sache, für die wir alle arbeiten.“ Strutz stand auf und legte die Pfeife beiseite.

„Um welche?“, fragte ich und beugte mich interessiert vor.

Nun kam dem Meister der zutreffende Gedanke, ich sei nicht vollständig eingeweiht in die Hintergründe, und er winkte ab. „Ich hole eine zusätzliche Decke, um dieses Larker Artefakt einzuwickeln. Dann können Sie es mitnehmen. Der Regen lässt nach, aber es werden kaum Menschen unterwegs sein. Ich führe Sie auf dem Treidelpfad den Fluss entlang aus der Stadt hinaus. Wo haben Sie Ihr Pferd?“

Ich schilderte den Ort und wir machten uns auf den Weg. Strutz war nicht mehr bereit, etwas über die nachgemachten Artefakte und die anderen Aufträge der Handwerker in Krenndorf zu erzählen.

Ich betrat Dongarth spät am Abend, nur Minuten, bevor die Stadttore geschlossen wurden. Kaum war ich ein paar Schritte weit gegangen, bebte die Erde. Ich wäre beinahe zu Boden gestürzt, aber nicht, weil die Erschütterungen so heftig rüttelten, sondern vor Schreck. Den wenigen Menschen, die noch unterwegs waren, erging es ähnlich. Andere Bürger kamen aus ihren Häusern gerannt, weil sie fürchteten, diese würden über ihnen zusammenbrechen.

Doch es war nur ein kurzes Rütteln des Untergrunds, das Dongarth erschütterte. Nicht einmal Dachschindeln fielen auf die Straßen. Trotzdem herrschte Aufregung um mich herum, einige Leute waren in Panik und flohen durch das Stadttor hinaus ins Freie. Andere hatten denselben Gedanken wie ich: Sie stellten sich in die Mitte des kleinen Marktplatzes nicht weit vom West-Tor. Dort war man sicher, falls doch ein Haus einstürzen sollte.

Alle warteten auf den nächsten Erdstoß, doch er kam nicht. Es war ein schwaches Nachbeben gewesen, das keinen Schaden anrichtete - außer vermutlich in den Köpfen der Bürger, die sich nun erst recht nicht mehr sicher fühlten in ihrer Stadt.

Während der ganzen Zeit trug ich die schwere Kopie des Larker Artefakts unter den Arm geklemmt, immer darauf bedacht, sie nicht fallen zu lassen. Sollte etwas daran abbrechen oder sich auch nur verbiegen, wäre die Arbeit von Meister Strutz erst einmal umsonst gewesen, ebenso wie meine Mühe, den Gegenstand unbemerkt in die Stadt zu bringen. Denn ich hatte mir in einem der Dörfer ein leichtes Holzkistchen gekauft, wie man es für den Transport von ungeschnittenen Tobacco-Blättern verwendete. Das Artefakt passte hinein, und jeder, der mich sah, würde denken, ich habe einen Jahresvorrat für meine Pfeife mitgebracht. Denn manche Anhänger der Sucht des Rauchens hatten die Angewohnheit, ihren Tobacco erst kurz vor dem Gebrauch selbst zu schneiden. Angeblich gab ihm das einen intensiveren Geschmack.

Ich mochte den Geruch nicht, der von dem Kistchen ausging, und wer unter den Passanten mich kannte, würde wissen, dass ich nicht rauchte und sich wundern. Aber jetzt, am späten Abend, war wohl die einzige Gefahr, dass ein Gauner dachte, ich sei leichte Beute. Deshalb ging ich nach dem ersten Schrecken nicht in das Handelshaus Oram, das nur einige Dutzend Schritte entfernt war, sondern eilte durch die Straßen der Stadt nach Osten, dann den Hang des Berges Zeuth hoch zur Residenz des Fürsten Borran.

Die Ruinen von Kab

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