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Ich befand mich in einem großen Kellerraum des ehemaligen Handelshauses Prehm, also der neuen Bibliothek. Entlang der Wände standen leere Regale, gefertigt aus massiven Holzbrettern. Auf eisernen Gestellen waren Sturmlampen im Raum verteilt. Aber man hatte die Lampen nicht einfach dorthin gestellt, sondern mit den Gestellen verschraubt.

„So können sie nicht herunterfallen“, erklärte Leviktus, der oberste Schriftleiter des Tempels des Einen Gottes. „Sie haben große Tanks und brennen Tag und Nacht, damit man hier nicht mit Feuer hantieren muss, um sie zu entzünden. Wenn sie neu befüllt werden oder die Dochte auszutauschen sind, kommen drei Männer. Einer mit dem Öl und den Dochten, einer mit einer Löschdecke und einer mit einem Eimer Wasser. Sicherheit ist oberstes Gebot in unserem Haus.“

„Für welche Bücher sind diese Kellerräume gedacht?“, fragte ich.

„Für diejenigen, die wir schreiben oder kopieren werden. Deshalb sind die Regale noch leer. Über uns, im Erdgeschoss, wird die öffentliche Bibliothek eingerichtet. Dort befinden sich bereits Dutzende von Bänden, die wir gekauft haben. Die Decke des Kellers wurde verstärkt und ist gesichert gegen Feuer und Einbruch.“

Wir waren durch eine eiserne Tür hier hereingekommen, die nur mit einem besonderen Schlüssel geöffnet werden konnte, den Leviktus an einer Kette um den Hals trug. Vor der Tür standen zwei Wachsoldaten des Fürsten Borran.

Ich schätzte, dass dieser Raum nur zwei Drittel der Grundfläche des großen ehemaligen Handelshauses Prehm einnahm. Deshalb zeigte ich auf eine weitere Eisentür im hinteren Bereich. „Was ist dort?“, fragte ich.

„Ein Lagerraum, zu dem nur wenige Personen Zugang haben. Ich gehöre nicht dazu.“

„Also hat vermutlich der Hohepriester einen Schlüssel“, folgerte ich. „Und Fürst Borran und Magi Achain. Die drei Männer, die diese seltsame Ansammlung allen Wissens der Ringlande erstellen zu lassen.“

„Ich finde das Vorhaben nicht seltsam“, wies mich der Schreiber zurecht. „Es ist längst überfällig, wenn man einmal darüber nachdenkt. Fast könnte man auf den Einfall kommen, es sei die für uns Ringländer typische Lethargie, die uns bisher abgehalten hat.“

Um das zu sagen, musste er in der Lage sein, diese Lethargie zu bemerken. Also war er vermutlich davon nicht übermäßig betroffen, im Gegensatz zu den meisten unserer Mitbürger. Ich selbst hatte früher auch nie etwas Auffälliges an der gemütlichen Art der Ringländer gefunden. Wir lebten im Schutz des Berges Zeuth, fast jeder im Land hatte zu Essen, vielen ging es wirtschaftlich gut. Erst entsprechende Bemerkungen von Fürst Borran hatten mich nachdenklich gemacht. Während des Winters in den Kaltlanden lernte ich dann die dort lebenden Völker kennen. Sie waren weiter entwickelt, als man bei uns dachte, und verfügten sogar über diplomatische Kontakte zu den Reichen Askajdar und Ostraia. Kurz, sie wussten mehr von der Welt als wir. Und doch betrachteten wir Ringländer sie als unterentwickelte Halbwilde. Sie dagegen sahen ihrerseits auf uns herab, sie hielten uns für antriebsarme Schwächlinge, die sich im Schutz des Berges Zeuth versteckten.

Eine Lücke zwischen zwei Regalen fiel mir auf. Dort hatte man ein hölzernes Podest aufgestellt. Es war etwa so hoch wie die Stehpulte, an denen Schreiber gewöhnlich arbeiteten, doch die Platte oben war nicht geneigt, sondern waagerecht.

„Was ist das?“, fragte ich Leviktus.

„Dort werden versiegelte Bücher geöffnet“, sagte er und senkte dabei die Stimme ehrfürchtig.

„Benötigt man einen besonderen Platz, um die Siegel aufzubrechen?“

„Es handelt sich nicht um Siegel aus gewöhnlichem Hartwachs“, belehrte er mich. „Die wichtigsten Werke des Glaubens und der Magie werden durch Zauber oder Segenssprüche verschlossen. Darauf haben sich der Hohepriester Echterion und Magi Achain verständigt. Es soll die Zusammenarbeit zwischen dem Tempel des Einen Gottes und der Magischen Akademie des Zeuth für immer festigen.“

„Ich verstehe, dass Echterion wichtige religiöse Bücher besonders schützt und Achain die magischen. Aber was hat das mit der Zusammenarbeit zu tun?“

„Sie versiegeln die Folianten gegenseitig! Für den Tempel bedeutsame Werke verschließt man magisch. Nur ein Magi kann sie öffnen. Zauberbücher, die für die Akademie wertvoll sind, werden mit einem schützenden Segen des Hohepriesters versehen. Nur er oder ein von ihm gesegneter Priester kann sie öffnen. So müssen Tempel und Akademie immer zusammenarbeiten, wenn sie das Wissen nutzen wollen, das künftig hier unten eingelagert sein wird.“

„Donnerwetter!“, entfuhr es mir. „Das kann man als Zeichen großen Vertrauens, aber auch als Zeichen großen Misstrauens werten.“

„Es wird nur wenige Bücher betreffen“, beschwichtigte der Schreiber. „Und wenn Sie schon das Wort Misstrauen aussprechen, so sollten Sie sich fragen, gegen wen es sich richtet. Wen trifft es, wenn wertvolle magische Werke nicht mehr von jedem beliebigen Magier geöffnet werden können?“

Nun leuchtete mir dieses seltsame Vorgehen ein! Es traf die Akademie, und die wurde bald von einer Kurretherin geleitet!

„Aber ist es nicht so, dass Sie vor allem Bücher kopieren, die es bereits gibt?“, fragte ich. „Wieso werden die Kopien geschützt, wenn die Originale jederzeit greifbar sind?“

„Es mögen Zeiten kommen, in denen die Originalwerke nicht mehr zugänglich oder gar zerstört sind“, sagte er. „Deshalb wird ja die Bibliothek geschaffen. Außerdem erfassen wir auch Wissen, das noch nirgends niedergeschrieben ist. Im Übrigen muss ich gestehen, dass ich nicht über alles Bescheid weiß, was die Gründer dieser Bibliothek bei ihren Planungen bedacht haben.“

Wir hatten die Tür hinter uns offengelassen, denn es gab hier noch nichts außer den leeren Regalen und den Öllampen. Nun hörte ich mehrere Menschen die Treppe herunterkommen. Sie betraten den Kellerraum. Es waren eine Schreiberin und zwei Kurrether.

Ich verbeugte mich vor den Besuchern, wenn auch nicht tief. Denn es handelte sich um Rat Geshkan und Rat Anghery. Anghery war eine Frau, eine der ganz wenigen Kurretherinnen, die in den Ringlanden lebten. Sie war eine Magierin, auch das eine Seltenheit bei diesem Volk, und sie würde auf Beschluss der Königin-Witwe neue Erzmagierin der Akademie des Zeuth werden.

Leviktus schien sie ebenfalls zu kennen, er verbeugte sich deutlich tiefer als ich.

Die Schreiberin, die die beiden hereinführte, sagte: „Die Räte haben den Wunsch, die Bibliothek zu besichtigen. Die oberen Stockwerke haben sie bereits gesehen, aber auch die Kellerräume interessieren sie.“

„Wie ich höre, haben Sie die Aufgabe übernommen, diese Institution zu schützen“, wandte sich Geshkan an mich, ohne Leviktus zu beachten.

„Soweit es notwendig ist“, spielte ich die Sache herunter. „Wer würde schon Bücher stehlen?“

„Man weiß nie. Was dem Einen nur ein paar bedruckte Seiten sind, mag für den Anderen unschätzbar wertvoll sein.“

Er sah sich um, als wären die leeren Regale hochinteressant für ihn. Rat Anghery tat es ihm gleich. Aber während er eine grimmige Miene dabei machte, lächelte sie.

„Dies ist unser Lagerraum“, erklärte Leviktus ungefragt. „Besonders gegen Brand gesichert, denn Bücher bestehen nun einmal aus Papier.“

„Ich verstehe“, behauptete Geshkan. „Wir werden wiederkommen, wenn die ersten Bände hier eingelagert sind. Dann können wir uns ein besseres Bild davon machen.“

Die beiden Kurrether gingen hinaus, ohne auf die Schreiberin zu warten, die sie hierher geführt hatte. Wir hörten, wie sie die Treppe hochgingen und das Gebäude verließen.

Erst jetzt fiel mir auf, dass die Schreiberin bleich im Gesicht war. Sie beugte sich zu Leviktus und flüsterte ihm zu: „Rat Geshkan hat gefragt, ob die Bibliothek im Besitz von Büchern über die Ruinen von Kabh ist. Ich habe verneint.“

Leviktus nickte düster.

Ich war mir nicht sicher, ob ich den Begriff richtig verstanden hatte, denn ich kannte ihn nicht. Deshalb fragte ich: „Wonach hat er sich erkundigt?“

„Nichts Wichtiges“, beteuerte Leviktus und drängte mich hinaus.

„Wenn Geshkan nach einem Buch fragt, tut er das nicht grundlos“, widersprach ich.

„Sicherlich wollte er nur herausfinden, wie gut wir in der öffentlichen Bibliothek bereits mit Lesestoff versorgt sind“, half nun die Schreiberin aus. Aber es klang nicht ehrlich.

Ich stand im Büro des Fürsten Borran und starrte die große Karte der Ringlande an, als würde ich sie zum ersten Mal sehen. Es war erstaunlich, wie viele Städtchen, Dörfer, Straßen und Wege darauf eingetragen waren. Niemand im Land verfügte über eine genauere Darstellung. Sogar die Höhenlage und die Art des Pflanzenbewuchses hatte man an einigen Stellen vermerkt. Und doch war dies der einzige Teil der Welt, den wir Ringländer kannten. Konnte es sein, dass dieses kreisförmige Land von mehr als siebenhundert Meilen Durchmesser nur ein kleiner Ausschnitt war von einem sehr viel größeren Ganzen, von dem wir keine Ahnung hatten? Die Kaltlande, Askajdar, Ostraia, das alte Kaiserreich, die Dschungelgebiete im Süden - davon wussten wir, auch wenn wir wenig aus eigener Anschauung kannten. Aber jenseits dieser Gebiete, was gab es noch?

Borran saß hinter dem Schreibtisch und las einen Brief. Ab und zu raschelte etwas, dann kratzte eine Feder über Papier, vermutlich verfasste er eine Antwort, die später von einem seiner Schreiber ins Reine geschrieben und abgeschickt wurde.

Ich suchte auf der Karte nach Orten, an denen ich selbst schon gewesen war, und fand sie alle korrekt eingezeichnet. Mir unbekannt war im Wesentlichen die südliche Hälfte der Ringlande. Dorthin hatten mich meine Reisen noch nicht geführt. Die Städtenamen sagten mir nichts und die Landschaftsmerkmale schienen mir in manchen Gegenden nicht sonderlich einladend.

„Südöstlich des Berges Zeuth“, hörte ich die Stimme des Fürsten hinter mir. „Suchen Sie Eronstedt, die Hauptstadt der Provinz Arbaran. Von dort aus weitere einhundert Meilen in dieselbe Richtung, ein wenig südlicher.“

Ich sah mir die Stelle auf der Karte an, die er so beschrieb. Es schien eine von Tälern durchzogene, karge Landschaft zu sein, jenseits des Flusses Murran. An Borran gewandt fragte ich: „Was befindet sich dort?“

„Die Ruinen von Kabh“, antwortete er. „Die suchen Sie doch, oder?“

„Woher wissen Sie ...“, begann ich verblüfft. Ich hatte weder mit ihm noch mit sonst jemandem über die Begegnung mit den Kurrethern und die Bemerkung der Schreiberin gesprochen.

„Ich höre vieles“, entgegnete er leichthin.

„Diese Ruinen sind nicht auf der Karte verzeichnet.“ Ich deutete auf die Stelle, an der ich sie vermutete. „Etwa hier?“

„Etwas weiter nördlich. Wie die Bezeichnung schon sagt, ist es ein Ort, der nicht mehr bewohnt wird. Deshalb haben wir ihn auch nicht erfasst.“

„Und was ist an diesen Ruinen so wichtig, dass die Kurrether ein Buch darüber suchen?“

„Vermutlich haben sie Gerüchte gehört, nach denen ich mich für die Ruinen interessiere. Aber ich habe in den letzten Monaten Dutzende von abgelegenen, unbewohnten Orten in den Ringlanden von Kundschaftern aufsuchen lassen. Deshalb ist belanglos, ob Rat Geshkan oder sonst jemand davon erfahren hat. Er kann nicht alle diese Orte überwachen.“

„Wieso sollte er das tun?“

„Nun, Sie wissen, wofür die Bibliothek eingerichtet wird. Wir beachten dabei alle Sicherheitsvorkehrungen. Aber es ist nicht unmöglich, dass sie doch eines Tages zerstört wird. Durch ein Feuer, Hochwasser, Einbrecher ...“

„Oder durch ein Erdbeben“, fügte ich hinzu.

„Zum Beispiel. Deshalb wurde entschieden, von den wertvollsten Schriftstücken nicht nur eine, sondern zwei Kopien anzufertigen. Eine davon wird an einem entlegenen Ort gelagert. Selbst wenn Dongarth untergeht, so ist nicht alles Wissen verloren.“

Ich setzte mich unaufgefordert auf einen Stuhl vor seinem Schreibtisch.

„Sie müssen ein großes Unglück für unsere Heimat befürchten, wenn Sie solche Vorkehrungen treffen“, sagte ich „Und das nicht erst in ferner Zukunft, sondern in wenigen Jahren. Was ist es?“

Fürst Borran zuckte mit den Schultern. „Nichts, was Sie nicht bereits wüssten. Wenn man alles, was hier vor sich geht, in Gedanken in die Zukunft weiterverfolgt; wenn man die wahrscheinlichen Entwicklungen und möglichen Komplikationen berücksichtigt - dann kann man zu der Überzeugung kommen, dass es an der Zeit ist, Vorkehrungen zu treffen.“

„Werden Sie konkreter!“, forderte ich.

„Denken Sie selber nach“, konterte er in entschiedenem Tonfall. „Wichtig ist, dass dies alles geheim bleibt. Für Vorgänge, die sich nicht geheim halten lassen, muss ein passender Vorwand gefunden werden.“

„Wie zum Beispiel die Einrichtung einer Bibliothek. Gibt es noch Anderes in dieser Art?“

Es klopfte, was ihn einer Antwort enthob. Sein Leibdiener Romeran kam herein.

„Eine Nachricht von Stadthauptmann Corram“, meldete er. „Ein schwer verletzter Reiter ist auf dem Händlerwasen eingetroffen und dort vom Pferd gestürzt. Er konnte nicht mehr viel sagen, aber er wollte unbedingt zu Ihnen.“

„Er hat sich beim Sturz verletzt?“, fragte Fürst Borran nach.

„Nein. Stadthauptmann Corram sagte, der Mann sei bei einem Kampf verwundet worden und habe sich auf seinem Pferd bis auf den Händlerwasen retten können, wo ihn die Kräfte verließen.“

„Lebt er noch?“

„Ich gehe davon aus“, sagte Romeran.

Borran wandte sich an mich: „Aron, kümmern Sie sich darum.“

„Bin schon unterwegs.“

Ich folgte dem alten Diener hinaus. „Wer hat die Nachricht gebracht?“

„Ein Mann von der Stadtwache. Er ist bereits wieder weg.“

„Dann werde ich Cham Corram direkt aufsuchen.“

Das war allerdings gar nicht nötig, denn der erste Wachmann, dem ich auf meinem Weg hinunter in die Stadt begegnete, hielt mich an. Er sagte, ich solle schnellstmöglich zu einem bestimmten Heiler in der Altstadt gehen. Auf dem Weg dorthin wurde ich drei Mal aufgehalten von weiteren Wachleuten, die denselben Hinweis loswerden wollten.

In dem Haus des Heilers fand ich dann den Stadthauptmann persönlich vor, zusammen mit den zwei Männern, die ihn immer begleiteten. Auf der Liege, vor der sie standen, lag ein Toter. Man hatte bereits ein Tuch über sein Gesicht gelegt.

„Sie kommen zu spät“, sagte Corram.

„Schneller ging nicht“, rechtfertigte ich mich. „Wer ist das?“

„Wir wissen es nicht. Was ich aus seinem Gestammel herausgehört habe, ist folgendes: Er war mit zwei anderen Männern als Bote auf dem Weg zu Fürst Borran. In einem Dorf namens Prankhorst haben sie Rast gemacht. Kaum waren sie wieder unterwegs, wurden sie überfallen. Er konnte sich schwer verletzt retten.“

„Hatte er etwas bei sich? Einen Brief, ein Erkennungszeichen?“

„Nichts, seine Taschen sind ebenso leer wie die Satteltaschen seines Pferdes. Vielleicht war etwas darin und es wurde unterwegs gestohlen, vielleicht waren sie aber auch schon zu Beginn der Reise leer.“

„Wo liegt dieses Prankhorst?“

Corram wusste es nicht, aber der Heiler, ein dürrer alter Mann mit Ziegenbart, sagte: „Südöstlich von Dongarth, acht Meilen entfernt. Es ist gutes Bauernland: Getreidefelder, Kuhweiden und Wälder. Aber der Ort selbst besteht nur aus ein paar Häusern.“

„Danke. Ich werde mich dort umsehen. Ist die Gegend bekannt für Räuberbanden oder anderes gesetzloses Pack?“

„Nein, dort gibt es nichts zu stehlen. Die Bauern sind nicht arm, aber auch nicht wohlhabend. Der dortige Fürst schneidet sich einen ordentlichen Teil ihrer Einkünfte ab.“

„Zu welcher Provinz gehört das Dorf?“, wollte ich wissen.

„Arbaran. Es liegt im Grenzgebiet zur Provinz Borran.“

„Ich reite hin“, sagte ich zu Corram. „Bitte sagen Sie dem Fürsten Bescheid, falls Sie hier noch etwas herausfinden.“

Er nickte und ich ging hinaus.

Die Ruinen von Kab

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