Читать книгу Die Ruinen von Kab - Manfred Rehor - Страница 11

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Romeran begrüßte mich und wies mich an, in einem Vorzimmer zu warten, bis Fürst Borran Zeit für mich hatte. Es dauerte bis nach Mitternacht. Dann hörte ich, wie der Fürst einen Besucher verabschiedete. Da er leise sprach, erfuhr ich nicht, um wen es sich handelte. Die Tür zur Eingangshalle einen Spalt weit zu öffnen, wagte ich nicht. Falls er es bemerkte, könnte er ungehalten werden.

Ich hatte das Artefakt ausgepackt und vor mich auf ein Tischchen gestellt, um es während der Wartezeit genauer zu betrachten. Obwohl das Material aussah wie geschwärztes Eisen, wies es einige Besonderheiten auf. Die einzelnen Teile - dicke, dünne, längliche, kurze - waren miteinander verbunden, ohne dass zu erkennen war, wie. Ich entdeckte weder Nieten noch Schweißnähte. Es sah aus, als wäre das ganze Stück aus einem Guss. Das war es aber nicht, denn die Elemente lagen und standen wirr durcheinander. Ich versuchte, mir auszumalen, wie man so etwas ohne Verbindungsstellen anfertigen konnte. Aber mir fiel nichts ein, außer man nahm einen massiven Eisenblock und bohrte und feilte alles Überflüssige weg. Die Oberfläche des Metalls war nicht glatt, sondern von einer groben Unebenheit, die an Sand erinnerte, aber gewisse Strukturen aufwies. Als habe jemand viele winzige Erhebungen und Vertiefungen so angeordnet, dass sie einen nicht näher erfassbaren Sinn ergaben.

Borran kam herein, begrüßte mich und sah das Artefakt interessiert an.

„Ein bemerkenswertes Stück“, sagte er. „Meister Strutz behauptet, das Original müsse sich selbst aus Meteoreisen geformt haben. Vermutlich unter dem Einfluss fähiger Magi, die dem Eisen vorgaben, welche Funktion es annehmen soll.“

„Es hat sich selbst geformt?“, fragte ich nach. „Dazu muss es glühend gewesen sein.“

„Vielleicht auch nicht. Magie kann vieles bewirken. Wie ich sehe, ist es Meister Strutz gelungen, ein perfektes Abbild zu erschaffen. Er ist ein Künstler von höchster Begabung in seinem Fach.“

„Nicht der einzige in Krenndorf. Und diese Ansammlung von Talenten ist auch den Kurrethern nicht verborgen geblieben.“

Ich berichtete Borran, was unterwegs geschehen war. Er nickte, als habe er sich das alles bereits so gedacht. Aber er kommentierte es nicht, sondern forderte mich auf, das gefälschte Artefakt in den Saal mit seiner Sammlung zu bringen.

Als wir eintraten, sah ich mich um, als wäre ich zum ersten Mal hier und fragte: „Wie viele von diesen Stücken sind noch echt?“

„Die meisten“, behauptete er und ging zu einem Schrank im hinteren Teil, den er aufschloss. Dort befand sich das originale Artefakt von den Larker Höhen. Als ich dessen Ausstrahlung spürte, wusste ich, was der Fälschung fehlte. Aber nur vom Aussehen her waren die beiden Gegenstände nicht zu unterscheiden.

„Packen Sie das echte Artefakt in die Ledertasche dort. Es wird morgen nach Norden gebracht, zu Königin Chrissayda in Skjargard. Sie wird es an seinem angestammten Platz zwischen den Larker Höhen vergraben. Hoffen wir, dass der Schutz gegen die Monster aus dem alten Kaiserreich dann wieder mit voller Stärke wirkt.“

„Wenn ein Kurrether kommt, um Ihre Sammlung zu kontrollieren, wird er nicht feststellen können, was echt ist und was nicht“, sagte ich. „Außer, es ist die künftige Erzmagierin der Akademie.“

„Niemand hat das Recht, eine Kontrolle in meinem Haus durchzuführen. Sollte doch jemand herausfinden, dass nicht alle Objekte hier im Raum Originale sind, so kann ich ihm einen guten Grund dafür nennen.“

„Nämlich?“

„In Dongarth ist die Zahl der Diebstähle stark angestiegen. Vor allem alte, wertvolle Gegenstände verschwinden in geradezu erschreckender Anzahl. Man ist gut beraten, seine Wertsachen zu verbergen und Kopien hinzustellen.“

Borran zwinkerte mir zu, was mich regelrecht erschreckte. Es passte nicht zu ihm. War er da in irgendetwas verwickelt?

„Von einer Diebstahlserie habe ich bereits gehört“, sagte ich vorsichtig. „Möglicherweise sind diese seltsamen Gestalten die Täter. Bärtige junge Männer, die sich in der Stadt herumtreiben. Sie sehen aus wie Bettler und haben ein Talent, sich vor neugierigen Blicken zu verbergen. Stadthauptmann Cham Corram ist hinter ihnen her, um herauszufinden, wer sie sind.“

„Das soll er bleiben lassen! Ich werde ihm einen entsprechenden Hinweis schicken. Es gibt Wichtigeres, um das er sich kümmern muss. Die Folgen des Erdbebens sind zwar in der Stadt teilweise behoben, aber nicht in den Köpfen der Bürger. Deren Gefühl von Unsicherheit muss gedämpft werden, und dazu können häufigere Patrouillen der Stadtwache beitragen.“

„Bleibt immer noch die Frage nach dem wirklichen Grund, aus dem Sie die wertvollen Stücke Ihrer Sammlung durch Kopien ersetzen. Bei dem Artefakt von den Larker Höhen ist es klar: Es wird an seinem Herkunftsort dringend benötigt. Aber alles andere? Nirgendwo in den Ringlanden sind diese Gegenstände sicherer als in Ihrer Residenz. Abgesehen vielleicht von der Magischen Akademie. Es gibt niemanden, der es wagen würde, hier einzubrechen.“

Wieder zwinkerte Borran. „Ist nicht sogar kürzlich etwas aus der Königsburg entwendet worden, aus den entlegensten Räumen der Archive?“

„Sie haben Recht, Merion ist alles zuzutrauen“, gab ich im Tonfall scheinbarer Empörung zu. „Aber dass er sich gegen Sie wendet, kann ich mir nicht vorstellen.“

Borran war nicht bereit, weiter über das Thema zu reden. Er sagte, er habe noch wichtige Geschäfte zu erledigen.

Da ich nach wie vor das Zimmer im Dienstbotenflügel der Residenz bewohnte, hätte ich dort bleiben können. Aber ich wollte zu Jinna, um bei ihr die Nacht zu verbringen, oder die wenigen Stunden, die noch davon übrig waren. Für den folgenden Tag nahm ich mir vor, Merion zu besuchen und ihn auszufragen. Es ging einiges in Dongarth vor sich, das ich nicht verstand. Da es mit dem Fürsten zu tun hatte, musste ich es in Erfahrung bringen. Über kurz oder lang würde ich darin verwickelt werden. Vermutlich war ich das sogar schon, insbesondere durch die Beschaffung des falschen Artefakts und die Verantwortung für die Sicherheit der Schreiber und der Bibliothek.

Auf meinem Weg durch die nächtliche Stadt achtete ich noch intensiver als sonst auf die dunklen Ecken, in denen sich Menschen verbergen konnten. Ich hoffte, noch einmal einem der jungen Bettler zu begegnen. Zu gerne hätte ich einen ausgefragt.

Obwohl ich aufmerksam auf jedes Geräusch und jede Bewegung in der Dunkelheit lauerte, stand von einem Augenblick auf den nächsten ein Mann vor mir, ohne dass ich sah, woher er kam. Er streckte seine Hand aus, um mich am Ziehen der Waffe zu hindern, und grinste mich an.

Es war Merion.

„Du wirst nachlässig“, rügte er mich leise. „Ich hätte dir die Kehle durchschneiden können.“

„Es gibt nur wenige Menschen in Dongarth, die es schaffen, sich mir zu nähern, ohne von mir bemerkt zu werden, und alle sind meine Freunde“, behauptete ich.

„Eine dumme Ausrede“, befand er. „Komm mit.“

Wir verließen die Straße und gingen durch eine Gasse zum Ufer der Reena. Dieser schmale Fluss kam von den Hängen des Berges Zeuth herunter und floss durch Dongarth, bevor er sich in den schmutzigen Donnan ergoss. Sein Wasser war kalt und klar, es stank nicht so erbärmlich wie das des großen Stroms.

Wir setzten uns an einer Stelle, wo wir vor Lauschern sicher waren, ins Gras.

„Ich werde für einige Zeit die Stadt verlassen“, begann Merion.

„Weil Cham Corram hinter dir her ist?“

Er lachte. „Nein, ich muss die Hauptstädte der Provinzen besuchen. Warum sollte der Wachhauptmann hinter mir her sein?“

„Die Zahl der Diebstähle ist stark angestiegen. Als Kopf der Diebesgilde steckst du entweder dahinter, oder du weißt zumindest, wer die Täter sind.“

Noch einmal lachte er leise in sich hinein, bevor er eine Weile schwieg.

„Du hast dich bereit erklärt, auf die Bibliothek mit ihren Schreibern aufzupassen“, sagte er schließlich. „Seit wann hast du literarische Ambitionen?“

„Du weißt, dass es nicht um normale Bücher geht“, konterte ich. „Man will das Wissen der Ringlande an einem Ort zusammenfassen. Die Eröffnung der Bibliothek ist ein Vorwand. Aber ich verstehe noch nicht, was der eigentliche Grund dafür ist. Du?“

„Womöglich ist es ein Machtkampf, der vorläufig noch im Verborgenen geführt wird.“

„Zwischen wem?“

„Jetzt könnte ich antworten, zwischen den Kurrethern und den Ringlanden. Aber das wäre nicht ganz richtig. Denn unsere Heimat wird offiziell vertreten von der Königin-Witwe, und die ist nicht an dem Konflikt beteiligt. Also wähle ich die persönliche Ebene: Es ist ein Kampf zwischen Rat Geshkan und Hohepriester Echterion. Weltliche Macht und göttliche Macht stehen sich unversöhnlich gegenüber. Die Bibliothek ist ein wichtiger Punkt im Plan des Hohepriesters - ein ausgesprochen raffinierter Plan, übrigens. Derzeit sieht es so aus, als wäre Geshkan in vielen Bereichen auf dem Rückzug.“

„Warum habe ich bisher nie etwas von diesem Konflikt gehört?“, wollte ich wissen. „Gewöhnlich erfahre ich alles, was in den Straßen Dongarths an Gerüchten in Umlauf ist.“

„Es gibt keine Gerüchte. Beide Seiten sind vorsichtig, was das betrifft. Jeder könnte versuchen, die Bevölkerung aufzuwiegeln und auf seine Seite zu bringen. Aber das gemeine Volk ist schwer zu steuern, wenn es erst einmal erregt ist. Niemand will sich seinen Unwillen zuziehen.“

„Ich bin sicher, alle Bürger würden sich hinter den Tempel des Einen Gottes stellen“, sagte ich. „Wer ist schon bereit, den Kurrethern zu helfen?“

„Du täuschst dich“, tadelte mich Merion. „Der Eine Gott wird mehr gefürchtet als geliebt. Man opfert, um nicht von ihm gestraft zu werden. Hilfe und Beistand erbittet man dagegen von den niederen Gottheiten, und auch das nur, wenn man muss. Dem entsprechend sind die einfachen Priester beliebter in der Bevölkerung, als es der Hohepriester ist. Nimm den Menschen die vielen kleinen Tempel, von denen Fannas bis zu denen von gar nicht anerkannten Göttern wie zum Beispiel der Weingöttin, und sie werden lautstark protestieren. Sie hoffen auf den Segen dieser Gottheiten. Nimm ihnen den Tempel des Einen Gottes und sie murren, weil sie seine Rache fürchten.“

„Du willst sagen, dass Geshkan und Echterion beide keine Unterstützung haben, wenn sie gegeneinander antreten?“

„Oh, doch, die haben sie! Geshkan manipuliert die Königin-Witwe, damit sie, ohne sich dessen bewusst zu sein, seine Pläne unterstützt. Echterion zählt Fürst Borran und Magi Achain zu seinen Helfern. Aber all das geht an der Bevölkerung der Stadt und der ganzen Ringlande vorbei. Außer, sie werden Opfer von unbeabsichtigten Nebeneffekten, wie dem Erdbeben neulich.“

„Wie bitte?“ Ich wäre beinahe aufgesprungen vor Überraschung.

„Im Berg Zeuth ist die mächtigste Magie gebunden, die die Welt kennt. Versucht man, sich ihr zu nähern, muss man mit Reaktionen rechnen. Aber ich merke, du bist nicht in alles eingeweiht, was derzeit vor sich geht. Hör also auf mich und ...“

Merion unterbrach sich und starrte in die Dunkelheit, hinüber ans andere Ufer der Reena. Es dauerte einen Moment, bis ich ebenfalls eine Stelle entdeckte, die dunkler war als die Umgebung. Dort stand ein Mensch, der sich auf einen langen Stab stützte und uns trotz der Entfernung aufmerksam zuzuhören schien.

Ich wollte losrennen zur nächsten Brücke, was natürlich ein dummer Impuls war, denn der Fremde hätte mehr als genug Zeit zu verschwinden, bevor ich bei ihm war. Merion hielt mich am Umhang fest.

„Lass ihn!“, forderte er. „Ich habe inzwischen etwas über diese seltsamen Gestalten herausgefunden. Sie stehen auf der Seite Echterions. Ignoriere sie, wenn du ihnen begegnest.“

„Aber wer sind sie?“, wollte ich wissen.

„Du wirst es herausfinden. Hör mir nun gut zu: Ich werde Dongarth für einige Zeit verlassen. Kümmere du dich um die Bibliothek. Die Sicherheit der Dokumente dort und die der Schreiber ist wichtig. Die Diebstähle in der Stadt, von denen du berichtet hast, gehen dich nichts an. Zügle deine Neugier, sonst kann es geschehen, dass du Geshkan hilfst, ohne es zu wollen. Sag das auch deinen Freunden. Und jetzt geh. Wir sehen uns in einigen Wochen wieder.“

Merions Tonfall machte klar, dass jede weitere Frage meinerseits und jedes Zögern zu einem seiner seltenen Zornesausbrüche führen würde. Ich kannte ihn lange genug, um das zu fürchten.

„Viel Glück bei was auch immer du vorhast“, sagte ich daher. „Melde dich, falls du Unterstützung brauchst.“

Er nickte nur und sah mir nach, während ich ein Stück das Ufer entlang ging. Der Schatten auf der gegenüberliegenden Seite bewegte sich zum ersten Mal und verschwand dann in der Dunkelheit.

Ich beschloss, gleich am Morgen der Bibliothek einen Besuch abzustatten.

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