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Vor dem Eingang der fürstlichen Residenz standen wie gewohnt Wachsoldaten. Sie ließen mich passieren und ich trat ein in die Halle. Hier waren einige der wertvollen Vasen und Statuen von ihren Podesten gefallen, aber sonst konnte ich keine Schäden erkennen. Ich erwartete, Romeran vorzufinden, den achtzigjährigen Leibdiener des Fürsten. Aber es war nur Rolfer Bendal da, ein junger Kerl, der sich um die Pferde kümmerte, die in einem Stall im Seitenflügel des Gebäudetrakts untergebracht waren. Rolfer war damit beschäftigt, die Bruchstücke einer großen Vase vorsichtig in eine Kiste zu packen, die mit Stroh ausgelegt war.

„Sie ist aus Askajdar“, sagte er, als er meinen fragenden Blick bemerkte. „Sehr wertvoll. Vielleicht kann man sie so zusammenkitten, dass man die Bruchstellen nicht sieht.“

„Wo ist Fürst Borran?“, wollte ich wissen.

„Bei seiner Sammlung.“ Rolfer wies die Treppe hoch.

Ich kannte den Weg, ich war ihn schon oft gegangen. Diese Sammlung magischer Artefakte war der Stolz des Fürsten, sie gehörte zu den Umfangreichsten in den Ringlanden. Nur die Akademie des Zeuth und der Handelsherr Rozzary verfügten über noch mehr davon.

Den Raum, in dem er die wertvollen Stücke aufbewahrte, hatte der Fürst in das Felsgestein des Berges hinein hauen lassen. Das diente nicht nur dem Schutz vor Diebstahl, sondern war auch nötig, weil magische Artefakte erfahrungsgemäß seltsame Wirkungen haben konnten. Besonders, wenn sie in unmittelbarer Nähe voneinander gelagert wurden. Es hatte schon manchen Unfall deswegen gegeben, einmal wäre der Fürst beinahe zu Tode gekommen.

Auch in dem Saal mit der Sammlung sah ich Schäden. Vitrinen waren zerbrochen, Bücher aus den Regalen gefallen und Podeste mit wertvollen Schaustücken umgestürzt.

Fürst Borran war jedoch nicht hier. Ich traf nur Romeran und Hidai an, eine kleine rothaarige Frau, die eigentlich Hinde Dailar hieß. Sie hatte früher als Prostituierte gearbeitet und verrichtete nun im Haushalt des Fürsten Hilfstätigkeiten, meist Zuarbeiten für die fest angestellte Näherin. Romeran stand mitten in dem Saal und gab Anweisungen, die Hidai ausführte. Ich sah eine Weile zu, bevor ich mich räusperte.

Romeran wandte sich zu mir um und zog die Augenbrauen hoch. „Fürst Borran hat Sie bereits vor Stunden erwartet. Wo waren Sie?“

Ich öffnete den Mund, um zu antworten, aber er sprach weiter, jedoch nicht zu mir, sondern zu Hidai. „Wir haben hier die gröbsten Schäden beseitigt. Folgen Sie mir in die Wohnräume, dort setzen wir unsere Arbeit fort.“

Hidai sah erst ihn und dann mich erstaunt an, denn es gab noch genug zu tun. Aber sie hatte in den Monaten, die sie hier schon lebte, gelernt, die Anweisungen des alten Dieners nicht zu hinterfragen. Sie folgte ihm zur Tür und auch ich wollte den Saal mit der Sammlung verlassen.

„Sie bleiben hier und warten!“, wies Romeran mich an.

Also blieb ich alleine zurück. Im vorderen Bereich des Saals, wo er noch nicht in das Felsgestein hinein reichte, gab es zwei Fenster. Durch das eine sah ich die Königsburg, durch das andere die Akademie. Beide Gebäude wiesen keine erkennbaren Schäden auf.

Da ich nicht wusste, worauf ich warten sollte, ging ich umher und sah mir das Durcheinander an. Falls sich zwei Artefakte, deren magische Eigenschaften sich nicht miteinander vertrugen, nach dem Herunterfallen berührt hätten, wären unvorhersehbare Konsequenzen die Folge gewesen. Bis hin zu einer Katastrophe, die schlimmer war, als das Beben. Zum Glück kannte sich Romeran in der Sammlung seines Herrn fast so gut aus wie dieser selbst. Er hatte Hidai sicherlich zunächst angewiesen, die gefährlichsten Stücke wieder an ihren Platz zu stellen.

Um die Bücher hatten die beiden sich bisher nicht gekümmert. Ich nahm eines davon in die Hand, das aufgeblättert auf dem Boden lag. Ich kannte nicht einmal die Sprache, in der es geschrieben war.

Jemand hinter meinem Rücken sagte: „Das ist ein thaumaturgisches Brevier aus der Frühzeit der Religion des Einen Gottes.“

Ich fuhr herum, weil niemand außer mir im Raum sein konnte. Aber Fürst Borran und Magi Achain standen wenige Schritte entfernt. An der Rückwand des Saals sah ich eine offene Tür, von deren Existenz ich bisher nichts gewusst hatte. Sie war getarnt durch einen verschiebbaren Schrank.

„Sie haben Glück, dass ich nicht zu den schreckhaften Menschen zähle“, behauptete ich, um meine Überraschung zu überspielen. „Sonst hätte ich den Degen gezogen und zugeschlagen, bevor ich Sie erkannt hätte.“

„Deshalb haben wir Abstand gehalten“, sagte der Fürst. Er streckte die Hand aus. „Geben Sie her. Solche Bücher sind nur für die Augen der Wissenden bestimmt.“

Ich gab ihm den Band und er stellte ihn in eines der Bücherregale. Bisher hatte ich angenommen, dass sich dort nur Fachliteratur über magische Artefakte befand. Offenbar sammelte Borran auch andere wertvolle Werke.

Da die Geheimtür offenstand, ging ich hin, um einen Blick in den dahinter liegenden Raum zu werfen. Er schien genauso groß zu sein wie dieser Saal und entsprechend weit in den Berg hineinzureichen. Ebenso wie hier brannten Öllampen, was bedeutete, dass es auch eine Luftzufuhr und eine Abzugsöffnung in der Decke geben musste.

„Ist das ein Teil des Tunnelsystems, das in den beiden Folianten aus dem königlichen Archiv beschrieben wurde?“, fragte ich.

„Nein“, sagte Borran. „Das ist nur ein Lagerraum für Teile meiner Sammlung, die sich nicht für die Präsentation hier im Saal eignen.“

Da er es mir nicht untersagte, ging ich ein paar Schritte in diesen versteckten Bereich hinein. Nirgendwo gab es Anzeichen von Zerstörungen durch das Erdbeben. Der Saal war mit stabilen Holzregalen ausgestattet, in denen Kisten und Truhen lagerten. Weiter hinten sah ich seltsame Gegenstände: Quaderförmige Blöcke mit einer Kantenlänge von wenigen Handspannen bis zu halber Mannshöhe, die in größeren Abständen voneinander auf Gestellen lagen. Ich konnte nicht erkennen, aus welchem Material sie bestanden. Manche waren dunkler als normales Felsgestein, manche aber auch heller. Es kam mir vor, als würde ein dünner Schleier über ihnen schweben, der ein genaues Betrachten verhinderte. Ein Instinkt hielt mich davon ab, hinzugehen und sie zu berühren.

„Was ist das?“, fragte ich Borran.

„Das ist Magie“, sagte er und winkte mich zu sich, aus dem geheimen Saal heraus. Mit einem kräftigen Ruck schloss er die Tür und schob den Schrank davor. „Vergessen Sie, dass Sie das gesehen haben.“

„Wie weit reicht ihre Residenz in den Berg hinein?“, fragte ich.

„Nicht weit genug, wie ich inzwischen weiß. Aber das ist nun nicht mehr zu ändern. Kommen Sie mit, wir müssen etwas besprechen.“ Borran ging nach vorne, wo jetzt durch die Fenster die ersten Zeichen des Sonnenuntergangs zu erkennen waren, und ließ sich in einen Sessel fallen.

Magi Achain, der bisher kein Wort gesprochen hatte, setzte sich neben ihn. Also nahm ich auch Platz und sah die beiden fragend an. Für ein paar unangenehme Minuten schwiegen sie.

Dann sagte der Fürst: „Es hat seit Jahrhunderten kein Erdbeben mehr gegeben in Dongarth. Die Häuser sind nicht mehr so sicher gebaut wie früher und die Bevölkerung ist nicht auf die Gefahr vorbereitet.“

„Wie groß sind die Schäden?“, wandte sich Magi Achain an mich.

„Eingestürzte Wohnhäuser, Brände, Plünderer“, zählte ich knapp auf. „Wie viele Menschen verletzt wurden oder gestorben sind, weiß ich nicht. Aber der Schaden ist immens - gerade in den ärmeren Stadtvierteln. Die sind am stärksten betroffen.“

„Ich werde großzügig helfen“, versprach der Fürst.

„Auch die Magische Akademie verfügt über Geld, um sich am Wiederaufbau zu beteiligen“, ergänzte Achain.

„Sie beide hören sich an, als hätten Sie ein schlechtes Gewissen“, behauptete ich. „Magi, Sie haben direkt nach dem Beben gesagt, Sie haben so etwas befürchtet. Was geht hier vor?“

Normalerweise würde ich es nicht wagen, so fordernd nachzufragen. Aber ich hoffte, Schuldgefühle würden die beiden zum Reden bewegen. Denn sie hatten offenkundig Geheimnisse vor mir - was ihr gutes Recht war.

„Zu große Eile kann von Schaden sein“, meinte Achain nachdenklich.

„Wie bitte?“, fragte ich verständnislos.

„Wir dürfen uns davon nicht aufhalten lassen“, sagte Borran.

„Aufhalten lassen bei was?“, rief ich.

Der Blick, mit dem der Fürst mich bedachte, war eindeutig. Es stand mir nicht zu, Rechenschaft von ihm zu fordern. Im Befehlston sagte er: „Aron, gehen Sie in die Stadt, suchen Sie Cham Corram oder jemanden vom Magistrat! Finden Sie heraus, wie man am schnellsten den Opfern des Bebens helfen kann. Melden Sie sich morgen früh bei mir.“

Ich brauchte den Stadthauptmann nicht zu suchen. Als ich von der Residenz des Fürsten in die Innenstadt zurückkehrte, kam er mir entgegen. Corrams massige Gestalt und sein breites Gesicht mit der eingedrückten Nase waren ebenso unverkennbar, wie die beiden Männer der Stadtwache, die ihn überall hin begleiteten. In seiner Position hatte er mehr Feinde, als sich ein normaler Bürger vorstellen konnte.

„Sie haben mir gerade noch gefehlt“, knurrte er mich an.

Das meinte er aber nicht wörtlich, denn er blieb stehen. Er wollte mit mir reden, so wie ich mit ihm.

„Das habe ich auch gerade gedacht“, behauptete ich. „Aber noch mehr fehlt mir ein Überblick über die Verhältnisse in der Stadt. Fürst Borran möchte wissen, wie er helfen kann.“

„Er hat Geld. Damit kann er die meisten Schäden beheben lassen, die das Beben verursacht hat. Für alle anderen Probleme sind wir da.“

„Wie kann er verhindern, dass seine Spenden den Falschen zukommen?“

„Gar nicht.“ Corram schien weitergehen zu wollen, wandte sich dann aber doch wieder mir zu. „Ich hätte nicht geglaubt, dass es in Dongarth so schnell zu solchen Zuständen kommen kann. Jeder versucht, seinen Nachbarn zu übervorteilen, den Schaden anderer auszunutzen und das Leid seiner Mitmenschen in klingende Münze zu verwandeln.“

Die Verbitterung, die durchklang, überraschte mich. „War das nicht immer schon eine der herausragenden Eigenschaften der Hauptstädter?“, fragte ich. „Wir haben nicht umsonst in den ganzen Ringlanden einen schlechten Ruf.“

„Wenn man in guten Zeiten auf seinen eigenen Vorteil bedacht ist, habe ich nichts dagegen. Aber in Zeiten der Not muss man sich gegenseitig helfen. Das verlangt das Ehrgefühl.“

„Ich hätte gedacht, dass Sie die Mentalität unserer Mitbürger besser kennen“, sagte ich. „Oder haben Sie den Verdacht, dass jemand die Unruhe in der Stadt schürt?“ Die Frage kam mir spontan, weil mir aufgefallen war, dass ich seit dem Beben keine Kurrether in den Straßen gesehen hatte. Ich hatte mir inzwischen angewöhnt, diese Fremden als die Ursache der meisten Übel zu betrachten.

„Es wird mehr als je zuvor gestohlen, vor allem wertvolle Gegenstände. Seltsame Gestalten treiben sich herum. Aber weder mir noch den Männern der Stadtwache sind bisher welche begegnet.“

„Junge Männer in grauen Umhängen, die daherkommen wie Bettler?“

Corram nickte.

„Ich habe letzte Nacht einen von ihnen gesehen. Es sind keine Kurrether.“

„Wieso sollten sie das sein? Mich stört an ihnen vor allem, dass es ihnen gelingt, sich so gut zu verstecken. Das spricht dafür, dass sie sich in der Stadt auskennen, oder aber sie haben Helfer. Wer sind sie?“

„Sind diese Männer an Plünderungen beteiligt?“

„Darüber gibt es keine Berichte. Aber wer weiß, vielleicht sind sie tagsüber ohne diese Umhänge unterwegs und unterscheiden sich in keiner Weise von anderen Bürgern.“ Corram sah mich noch einmal überlegend an, bevor er fortfuhr: „Sie verfügen über gute Kontakte ins Armenviertel vor der Stadtmauer.“

Er meinte meine Verbindung mit Merion, also mit der Diebesgilde. Ich gab es nicht zu, sondern zog fragend die Augenbrauen hoch.

„Hören Sie sich um. Nach den angeblichen Bettlern und nach der Zunahme der Diebstähle, schon in den Wochen vor dem Beben. Vielleicht weiß man dort auch, weshalb die Dongarther angesichts dieser Katastrophe so schnell alle Sitte und allen Anstand verlieren. Wenn Sie etwas erfahren, lassen Sie es mich wissen.“

Damit wandte er sich um und ging davon.

Da es dunkel geworden war, verschob ich den Besuch bei Merion und kehrte ins Handelshaus Oram zurück. Es schien mir nicht ratsam, Jinna während der Nacht alleine zu lassen. Wenn sogar Cham Corram vor den um sich greifenden Plünderungen warnte, benötigte Jinna Unterstützung. Jedermann in der Hauptstadt wusste, dass sie das Handelshaus selbst führte. Sie hatte zwar Angestellte, aber keinen Vater mehr und keinen Ehemann. Das Haus musste also schutzlos scheinen, das ideale Ziel für einen nächtlichen Überfall.

Aber ich war nicht der einzige, der sich um sie sorgte. Mein Freund Serron war bereits bei ihr.

„Schade, dass du doch noch kommst“, begrüßte er mich augenzwinkernd. „Ich hatte vor, hier zu übernachten, um deine Braut zu beschützen. Diese Bürde hätte ich gerne auf mich genommen, um dir einen Gefallen zu tun.“

Jinna lachte über meinen Gesichtsausdruck und sagte: „Tatsächlich ist Serron hier, weil er dich gesucht hat. Da ihr nun beide da seid, können wir gemeinsam zu Abend essen und die Lage besprechen.“

Ich wunderte mich über ihre gute Laune, erfuhr dann aber, dass im Handelshaus nicht so viel zu Bruch gegangen war, wie sie zunächst befürchtet hatte. Nachdem ich von meiner Begegnung mit dem Stadthauptmann berichtet hatte, nickte Serron zustimmend. Er kannte sich in der Stadt besser aus als die allermeisten Menschen, auf jeden Fall besser als ich.

„Diese Bettler sind seit einigen Tagen in Dongarth. Vier oder fünf, mehr nicht. Wobei Bettler das falsche Wort ist, denn sie betteln nicht, sie lehnen Almosen sogar ab. Ich selbst bin noch keinem begegnet. Aber das sind nicht die einzigen Fremden, die derzeit in der Hauptstadt sind. In den letzten zwei Wochen trafen ungewöhnlich viele Handelsherren aus den großen Städten aller Provinzen ein. Ebenso Magier und Seher, die an den verschiedenen Fürstenhöfen tätig sind, und einige der besten Handwerker der Ringlande.“

„Das ist eine seltsame Mischung“, gab ich zu. „Hat die Königin-Witwe sie zusammengerufen?“

„Nein. Zumindest sagen das die Reisenden. Jeder führt einen anderen Grund an, warum er gerade jetzt nach Dongarth gekommen ist. Die Magier wollen der Einführung der neuen Erzmagierin der Akademie des Zeuth beiwohnen, die Handelsherren führen Gespräche mit Geschäftsfreunden und die Handwerker sind angeblich auf der Suche nach lukrativen Aufträgen.“

„Angeblich?“, fragte ich nach.

„Ich zumindest glaube ihnen nicht. Jeder Einzelne könnte so einen Grund haben, aber wenn so viele kommen, steckt etwas dahinter.“

Ich wandte mich an Jinna. „Du führst ein großes Handelshaus. Weißt du, warum sich Handelsherren von auswärts hier in der Stadt versammeln?“

Sie schüttelte den Kopf. „Ich habe nichts von alledem bemerkt. Meint ihr, es hat mit dem Erdbeben zu tun? Denn es ist doch seltsam, wenn solche Ereignisse zusammenfallen.“

„Willst du damit andeuten, das Erdbeben sei nicht natürlich entstanden?“, fragte ich. „Niemand hat die Macht, so ein Naturereignis herbeizurufen.“

„Niemand? Da traue ich unserer Magischen Akademie aber mehr zu als du. Die Magi sind verärgert darüber, dass die Königin-Witwe unter dem Einfluss von Rat Geshkan eine Kurretherin zur Erzmagierin ernennen will. Sie ist eine Fremde, sie ist eine Frau und sie hat nicht an der Akademie studiert, die sie leiten wird. Ich halte es durchaus für möglich, dass die Magier ihren Unmut handfest ausdrücken.“

Ich musste ihr Recht geben, weil ich an die seltsame Bemerkung von Magi Achain direkt nach dem Beben dachte. Eigentlich war Achain für die Stelle des Erzmagiers vorgesehen gewesen.

Die Ruinen von Kab

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